Lyrik und Erzählungen zur toten Kirche

Georg Trakl, Nelly Sachs, andere und eigene

Aktualisiert am 5.8.2024

1)

Der bekannte Literat Georg Trakl (1897-1914) schrieb im Jahr 1909 ein Gedicht, das den Titel trägt

 Die tote Kirche
 

Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt
Und heben die erloschnen Blicke auf
Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt,
Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.
Der Weihrauch steigt aus güldenem Gefäß
Zur Höhe auf, hinsterbender Gesang
Verhaucht, und ungewiss und süß verdämmert
Wie heimgesucht der Raum. Der Priester schreitet
Vor den Altar; doch übt mit müdem Geist er
Die frommen Bräuche – ein jämmerlicher Spieler,
Vor schlechten Betern mit erstarrten Herzen,
In seelenlosem Spiel mit Brot und Wein.
Die Glocke klingt! Die Lichter flackern trüber –
Und bleicher, wie verhängt das Wundenhaupt!
Die Orgel rauscht! In toten Herzen schauert
Erinnerung auf! ein blutend Schmerzensantlitz
Hüllt sich in Dunkelheit und die Verzweiflung
Starrt ihm aus vielen Augen nach ins Leere.
Und eine, die wie aller Stimmen klang,
Schluchzt auf – indes das Grauen wuchs im Raum,
Das Todesgrauen wuchs: Erbarme dich unser –
Herr!


Georg Trakl: "Das dichterische Werk". Auf Grund der historisch-kritischen Ausgabe von Walther Killy und Hans Szklenar. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1972

 


2)

Die nachfolgenden Gedichte stammen von Dieter Potzel, ohne Jahresangabe

 Sonntagsfrieden

Es ist Ruhe eingekehrt. Fühlbare Ruhe eingekehrt.
Lautlose Ruhe eingekehrt
Es ist Ruhe eingekehrt. Fühlbare Ruhe eingekehrt.
Lautlose Ruhe eingekehrt

Nur hinten in der Sakristei noch

sitzt der Pfarrer
und zählt das Geld

Vertrauen

Du musst mir schon vertrauen
sagte mir der Mann im Talar

Satan, hebe dich hinfort von mir
sagte Jesus zu Petrus

Warum ist mir das bloß
nicht früher eingefallen?

Die Ostertotenglocken

Kinder lauschen auf die Legenden von den Helden
Väter und Mütter stehen stolz dabei
Doch die Alten wünschen sich mehr Trost
Geordnete Verhältnisse sind ihr Vermächtnis
in Glaube, Seufzen und Tradition

Die Ostertotenglocken der Kirche
läuten schon
zum nächsten Begräbnis



3)


Wenn die Propheten einbrächen

Auszug aus einem Gedicht von Nelly Sachs, jüdische Literaturnobelpreisträgerin (1891-1970)


Wenn die Propheten einbrächen
durch Türen der Nacht,
mit ihren Worten Wunden reißend
in die Felder der Gewohnheit

Wenn die Propheten einbrächen
durch Türen der Nacht
und ein Ohr wie eine Heimat suchten –
Ohr der Menschheit
du mit dem kleinen Lauschen beschäftigtes,
würdest du hören?
Wenn die Propheten
mit den Sturmschwingen der Ewigkeit hineinführen

Wenn die Propheten aufständen
in der Nacht der Menschheit
wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,
Nacht der Menschheit
würdest du ein Herz zu vergeben haben?

 

4)

Die Kirche, ein Koma-Patient am Tropf der Kirchensteuer
(Sinngemäße Einschätzung vieler auch innerkirchlicher Experten im 21. Jahrhundert)

"Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler ihres Kirchen-Gottes sind?"

(sinngemäß nach Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1887, III. Buch, Nr 125, wo es wörtlich heißt: "Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: ´Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?`"
 


5)

Um den Altar herum

(Eine Erzählung von Holger Ziehaus, ohne Jahresangabe)

Am Morgen des Feiertages wachte der reichlich begüterte Kirchenbevollmächtigte Gustav Masla mit einem Strick um den Hals auf. Er konnte sich nicht denken, wer ihm, offenbar während er schlief, den Strick angelegt haben könnte.
Gustav Masla ging zum reichlich gedeckten Frühstückstisch, wo seine Frau Gunda Masla, geborene Ramla, und deren beider Kinder Hanna und Gustav, genannt Masla junior, bereits warteten.
Welche Marmelade oder etwas Kaviarpastete noch von gestern? fragte Gunda Masla, nachdem oberflächliche Guten-Morgen-Grüße ausgetauscht wurden. "War jemand von euch das?" sagte Gustav Masla befremdet und merkte, dass anscheinend keiner im Raum von seinem Strick Notiz nahm.
Hanna und Junior, die Kinder, spielten gelangweilt an der Stereoanlage neben dem Wohnzimmertisch herum. "Sie müssen es sehen", dachte Gustav Masla und trank seinen Kaffee. "Großmutter wird staunen", bemerkte Gunda Masla. "Ja", antwortete Gustav Masla. "Wann beginnt der Gottesdienst in der Kirche?" fragte Gunda Masla. "Wie immer", antwortete Gustav Masla, erhob sich und kehrte kurz darauf im grauen Sonntagsanzug zurück.

"Ach Gustav, zieh´ doch bitte die Kombination an!" klang es in Gustav Maslas Ohren, doch ging er nicht sogleich zum Kleiderschrank zurück.
"Und das Schmuckstück um meinen Hals?" fragte er in die Runde, in der Hoffnung, dass sich das mit dem Strick nun wohl klären würde. "Du machst dir doch nichts aus Schmuck, ist doch egal dann, ob mit oder ohne", so Hanna Masla, das jüngere der beiden Kinder. "Ja, klar", antwortete Gustav Masla verlegen.
"Was gibt es heute zu Mittag?" so fragte er stotternd. "Lamm", sagte Gunda Masla, "für uns extra geschlachtet, wie auch sonst jedes Jahr am Feiertag, das wisst ihr doch, die Vorbereitungen sind schon alle getroffen". Und das ältere der beiden Kinder, Gustav junior, sagte: "Und heute ist ja wieder der Feiertag." "Gut, also, fertigmachen für den Kirchgang", versuchte Gustav Masla seine behutsam dirigierende Rolle als Familienvater wahrzunehmen, und er zog immer wieder am Strick um seinen Hals und ergänzte: "Ich kann ja so auch noch nicht gehen, nicht wahr, ich gehe also noch einmal mal ins Bad".

Ihm, der noch immer mit dem unliebsamen Gefühl eines Strickes um den Hals die morgendlichen Stunden des Feiertages verlebte, gelang es, nun alleine im Bad, abermals nicht, diesen unheimlichen Strang zu entfernen. "Wo bleibst du, Gustav?", dröhnte es von außen. Es war die Stimme von Gunda Masla, geborene Ramla. Gustav Masla sah sich im Spiegel, verstört, mit einem Strick und dem Hals.
Und er sagte daraufhin schüchtern, aber mit selbstverständlichem Ton: "Ich mach´ nur noch schnell den Strick weg." Keine Antwort, und Gustav Masla holte den Mantel mit dem großen festen Kragen aus dem Schrank, krempelte den Kragen zum Stehkragen hoch, damit man den Strick nicht sieht.
"Was soll denn der Stehkragen?" mockierte seine Frau und krempelte ihn wieder herunter. "Was werden die Leute in der Kirche sagen?" murmelte Gustav Masla. "Wozu?" fragte ein Kind, und das andere: "Wir haben das Auto gestern nicht mehr waschen können." "Ich mach mir nicht viel aus dem Gerede der Leute", sagte Gunda Masla. "Bald haben wir ja auch den neuen Wagen", fügte sie noch hin zu. "Ja, bald", sagte Gustav Masla, und: "Heute ist ja Feiertag".

Gustav Masla fasste sich ständig um den Hals, in der Hoffnung, den Knoten des Strickes lösen zu können, was ihm zum wiederholten Male nicht gelang. Auf der Straße vor der Garage angekommen, grüßten die Nachbarn die Familie Masla wie üblich. Der Mann tauschte mit ihm, Gustav Masla, wie meistens am Sonntagmorgen, einige Worte über das gestrige Fußballspiel aus, ohne sich vom Strick am Hals seines Gesprächspartners irritieren zu lassen.

"Jetzt ist es zu spät", flüsterte Gustav Masla vor sich hin, als er vor dem Kirchengebäude aus dem Auto stieg und die Eingangsschwelle zum Kirchengebäude überschritt.
Familie Masla saß wie meistens in der zweiten Reihe links, näher an der Kanzel als die rechte zweite Reihe. Mit verklemmter Genugtuung vernahm Gustav Masla die Abkündigung des Pfarrers, dass ein Gemeindeglied, das hier nicht genannt werden solle, anlässlich seines runden Geburtstages 500 Mark für die Renovierung der Kirchenmauer gespendet hat. Das Kirchenblatt mit dem originellen Namen "Um den Altar herum" hatte dem 50. Geburtstag Gustav Maslas eine halbe Seite gewidmet. Mit Respekt nickten einige Kirchgänger unauffällig in Richtung Gustav Masla, was dem strickumwundenen Kirchenbevollmächtigten dennoch auffiel und ihn wegen des Stricks in einen Zustand zunehmender Unsicherheit versetzte. "500 Mark, die Leute wissen das zu schätzen", flüstere ihm Gunda Masla ins Ohr.
Gustav Masla reagierte nicht, schubste stattdessen den vor ihm in der ersten Reihe sitzenden Kirchendiener und zog bei sich am Strick, als dieser sich umdrehte. "Was ist?" fragte jener. "Sieht er dann auch nichts?" sinnierte Gustav Masla vor sich hin und antwortete daraufhin leicht resignierend: "Ach, ist schon in Ordnung, schauen wir mal nach dem Gottesdienst". Und der Kirchenbevollmächtigte begann nun, wie alle anderen auch, der Predigt zu lauschen. Und so hörte er folgende Worte:
"Es kam ein Mann zu Jesus gelaufen und fragte ´Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?` ´Du kennst doch die Gebote`, antwortete Jesus. ´Die Gebote habe ich von Jugend an befolgt`, erwiderte der Mann. ´Dann verkaufe alles, was du hast und gib das Geld den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und dann komm und folge mir`, so Jesus. Und er lehrte seine Jünger: ´Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel komme`."


Gustav Masla wurde beim Hören dieser Worte unruhig, rutschte mit seinem Hinterteil auf der harten Kirchenbank vor und zurück und stand schließlich langsam und leicht errötet auf, noch während der Pfarrer predigte. Der Kirchenbevollmächtigte erhob nun stehend seine Hand, als ob er etwas sagen wollte, doch seine darüber entsetzte Frau zog ihn sofort zurück und drückte mit ihren Händen auf seine Schultern, damit er sitzen bleibt. "Was ist los mir dir, Gustav?" flüsterte sie ihm erregt ins Ohr, während der Pfarrer auf der Kanzel einfach weiter sprach. "Siehst du an mir nichts?" flüsterte Gustav Masla, während der Pfarrer über den Glauben redete, doch der Kirchenbevollmächtigte begann auch, sich wieder zu beruhigen. "Nichts besonderes", flüsterte Gunda Masla zurück. "Alle Leute sehen heute so feierlich aus wie du. Es ist doch Feiertag", sagte sie, die geborene Ramla, um dann wieder mit zunehmender Verkrampfung nach oben auf die Kanzel zu blicken und auf die Worte des Pfarrers zu lauschen.

Der Pfarrer beschloss die Predigt mit den Worten: "Man darf diese Worte nicht für bare Münze nehmen. Diese Geschichte ist nur eine Veranschaulichung früherer Zeiten. Jesus wurde ermordet. Das bedeutete: Die Bedingungen wurden geändert. Nicht das Halten der Gebote bringt euch seither ins Himmelreich oder die Hilfen für die Armen. Sondern allein der Glaube an das Heil dank seiner Ermordung und an die weiteren Lehren der Kirche. Seine qualvolle Hinrichtung war die entscheidende Verbesserung zu unseren Gunsten. Deshalb verkünden wir an diesem Feiertag freudig seinen Tod und wie er dort tot hängt an seinem Kreuz. Denn nun, liebe Gemeinde, geht das Kamel durchs Nadelöhr und wir stehen auf ins Himmelreich. Denn für Gott ist nichts unmöglich. Halleluja."
Die Gemeinde betete sogleich die Worte des Pfarrers nach und sprach im Chor: "Man darf die Worte nicht für bare Münze nehmen. Es ist nur eine Veranschaulichung früherer Zeiten. Doch die Bedingungen haben sich geändert zu unseren Gunsten. Wir müssen nur noch bekennen, dass wir glauben, was wir hiermit tun ´Wir glauben, Halleluja`", ehe das abschließende Amen gesprochen wurde. Dieses Wort war wie immer das Zeichen für den schwerhörigen Organisten, mit allen seinen Fingern die Tasten der Orgel fest nach unten zu drücken, so dass vom einen auf den anderen Augenblick ein akustisch dröhnender Schwall aus den Orgelpfeifen die Kirche bis in ihre letzten Winkel ausfüllte und jeder Besucher wusste, dass damit jetzt die letzten Minuten dieser Morgenversammlung eingeleitet sind.

"Es ist nur eine Veranschaulichung, eine Veranschaulichung früherer Zeiten", sprach Gustav Masla vor sich hin, als er noch grübelnd auf der harten Bank ausharrte, während die anderen Kirchenbesucher allmählich das Gebäude verlassen und auch der schwerhörige Organist nirgends mehr zu sehen war.
Der Kirchendiener war es, der die Leiche Gustav Maslas eine Stunde später als erster entdeckte. Gustav Masla hing tot an einem Strick, der an einem Haken in der Kirchendecke über dem großen Altarbild eines bedeutenden Künstlers festgebunden war, das zu einem der großen Werke der Kirchenmalerei zählt. Und von weitem sah es jetzt so aus, als sei Gustav Maslas dort hängender Körper nun ein Teil des Gemäldes.
Die Zeitung schrieb zwei Tage später: "Am Feiertag in der Kirche erhängt! Mord oder Selbstmord des Kirchenmannes?"
"Nein", sagte jemand. "Es war ein Unfall, ein verhängnisvoller Irrtum. Der Strick war echt."



Anmerkung des Redaktion
: Was hat Jesus von Nazareth gesagt? Und wie ist es bis heute gemeint? Es ist erklärt durch Prophetenwort in dem Werk Das ist Mein Wort, wo das Leben nach den Geboten Gottes auch als der Weg der Seele zurück in die ewige Heimat beschrieben wird. Und in Kapitel 43 wird erklärt, dass der Mann, der auf Jesus zugegangen war, "große Güter" hatte, "mehr als er benötigte", und es heißt dort u. a. weiter: "Wer nach irdischen Gütern trachtet und wer die Taler, die er besitzt, als sein Eigentum ansieht und diese einzig für sein materielles Wohl vermehrt, der ist schon von der Welt entlohnt und kann im Himmel keinen Lohn mehr empfangen. Er kann auch Mir, dem Christus, nicht nachfolgen." In der Ausgabe Nr. 58 von Der Theologe wird weiter dargelegt, dass die Kreuzigung von Jesus nicht notwendig für die Erlösung war und nicht der Wille Gottes, sondern der Wille der Gegner von Jesus von Nazareth.

 


  

Lesen Sie mehr zu den Hintergründen der Kirche
 in der Informationsschrift Nr. 1 der Freien Christen – Gott wohnt nicht in Kirchen aus Stein.

 


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:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Lyrik und Erzählungen zur toten Kirche, zit. nach theologe.de/lyrik.htm, Fassung vom 5.8.2024;
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