Aktualisiert am 24.8.2023
Die nachfolgenden Fakten über die "Euthanasie" im Dritten Reich und deren geistiger Vorbereitung stammen überwiegend aus dem Umfeld der evangelischen Kirche, teilweise jedoch auch aus der römisch-katholischen (so die zweite Meldung aus dem Jahr 1927 und der Hinweis auf die Predigt von Bischof von Galen und die Folgen aus dem Jahr 1940). Für weitere Informationen aus dem Umfeld der römisch-katholischen Kirche, aber auch der evangelischen Kirche, sind wir dankbar.
Die Ereignisse im Zeitablauf
1920 – Im Meiner-Verlag in Leipzig erschien das Buch des Freiburger Psychiaters Dr. Alfred
Erich Hoche (1865-1943) und des Juristen Dr. Karl Binding, Die Freigabe
der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Alfred Hoche
entstammt einer evangelischen Pfarrersfamilie und wurde als Kind nach seinem
Austritt aus der Volksschule zunächst von seinem Vater, dem evangelischen
Pfarrer, unterrichtet. Später wechselte er an die Klosterschule Roßleben, wo im
Sinne des evangelischen Reformators Philipp Melanchthon erzogen wurde.
Dr. Hoche prägte den Begriff des "geistigen Todes", übertrug diesen auf
Schwerstbehinderte und schrieb:
"Ein Überblick über die oben aufgestellte Reihe der Ballastexistenzen und ein
kurzes Nachdenken zeigt, dass die Mehrzahl davon für die Frage einer bewussten
Abstoßung, d.h. Beseitigung nicht in Betracht kommt. Wir werden auch in den
Zeiten der Not, denen entgegengehen, nie aufhören wollen, Defekte und Sieche zu
pflegen, solange sie nicht geistig tot sind; wir werden nie aufhören, körperlich
und geistig Erkrankte bis zum Äußersten zu behandeln, solange noch irgendeine
Aussicht auf Änderung ihres Zustandes zum Guten vorhanden ist; aber wir werden
vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, dass die Beseitigung
der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine
gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt."
(zit. nach 2. Auflage 1922, S. 56; zit. nach staff.uni-marburg.de)
Der Mediziner Dr. Ewald Meltzer (1869.1940) hatte dieser These
widersprochen und in diesem Zusammenhang Umfragen unter Vormündern und unter
evangelischen Theologen durchgeführt, wobei sich nur ein einziger Bischof
ausdrücklich gegen Euthanasie ausgesprochen habe. Diese Umfragen dienten später
den Nationalsozialisten dazu, die Ermordung von ca. 70.000 Menschen in den
Jahren 1940 und 1941 zu legitimieren (siehe dazu Udo Benzenhöfer, Der gute
Tod?, Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe, 2. Auflage, Göttingen 2009, S.
95f.). Auch Hoche soll später mit den konkreten Einteilungsergebnissen in
"lebenswert" und "lebensunwert" nicht einverstanden gewesen sein.
Doch wer die Geister rief ...
1927 – Parallel zur Stimmungsmache gegen die jüdischen Mitbürger
(siehe hier) wird in der Kirche auch die spätere Vernichtung der Behinderten vorbereitet,
was man später "Euthanasie" nennt.
So erscheint 1927 z. B. das Buch
Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker,
ein römisch-katholisches "Standardwerk",
so zumindest die Beurteilung der
"Vereinigung katholischer Seelsorger an deutschen Heil- und Pflegeanstalten". Das
Werk stammt von dem Moraltheologen Dr. Joseph Mayer vom Institut für
Caritaswissenschaften in Freiburg (Imprimatur (= kirchliche Druckerlaubnis) vom 15.2.1927). Darin warnt Dr.
Joseph Mayer u. a. vor der Sexualität Behinderter und er schreibt: "Erblich belastete
Geisteskranke befinden sich in ihrem Triebleben auf der Stufe unvernünftiger
Tiere" (PS: Über die "unvernünftigen Tiere" heißt es in der Bibel
in 2. Petrus 2, 12, dass sie "von Natur dazu geboren sind, dass sie
gefangen und geschlachtet werden").
Und an anderer Stelle schreibt Dr. Mayer in
seinem römisch-katholischen "Standardwerk": "Wenn darum ein Mensch der ganzen Gemeinschaft gefährlich
ist und sie durch irgendein Vergehen zu verderben droht, dann ist es löblich
und heilsam, ihn zu töten, damit das Gemeinwohl gerettet wird." Ähnliche
Überlegungen gibt es auf evangelischer Seite (siehe hier).
13 Jahre später, im Jahr 1940, setzen die Nationalsozialisten dann diese
kirchliche Anregung in die Tat um. Dem Morden voraus ging die
Zwangssterilisation, die Hauptforderung auch des kirchlichen Buches
Unfruchtbarmachung Geisteskranker. Zwar spricht sich der Vatikan im Jahr 1930
offiziell gegen die Zwangssterilisation Behinderter aus (anders als die
evangelische Kirche; siehe hier),
doch kooperieren die römisch-katholischen Einrichtungen in Deutschland später
sowohl bei der Sterilisation als auch bei der nachfolgenden Ermordung mit den
staatlichen Stellen und gestehen dem Staat hier z.
B.
"Notwehr" zu – etwa in
dem Sinne, in dem es der Theologe Dr. Joseph Mayer 1927 angedacht hatte
(siehe oben).
25.3.1931 – Nach Absprache mit Oberkirchenrat Hans Meiser lädt die Missionsanstalt
Neuendettelsau in Bayern als erste evangelische Einrichtung in Deutschland die Nationalsozialisten zu einer "streng
vertraulichen Aussprache" ein. Vor ca. 30 evangelischen Theologen spricht Direktor
Dr. Friedrich Eppelein die Begrüßungsworte und sagt: "Wir erwarten uns
von der NSDAP viel. Wir
haben uns bis jetzt noch mit keiner Partei in ähnlicher Weise in Verbindung gesetzt und
ausgesprochen" (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 131 f.). Aus
Neuendettelsau werden später deutschlandweit die meisten Behinderten zur
Ermordung abtransportiert (siehe hier).
Mai 1931 – In Treysa in Hessen (in der Anstalt "Hephata")
treffen sich die Anstaltsleiter der evangelischen Inneren Mission in Deutschland
zu einer "Evangelischen Fachkonferenz für Eugenik". Zwei Jahre vor der
Machtübernahme durch die NSDAP besprechen die führenden Vertreter der
evangelischen Diakonie bei dieser Fachkonferenz bereits die Sterilisierung und
eventuelle "Vernichtung"
"lebensunwerten Lebens".
In der so genannten Treysaer Erklärung einigt man sich dabei auf
die Forderung nach einer Zwangssterilisierung Behinderter. Dies
entspreche nach Überzeugung des bekannten Pastors Friedrich von Bodelschwingh
aus Bethel angeblich dem "Willen Jesu". Aus diesem Grund erklärte
Friedrich von Bodelschwingh auch: "Im Dienst des Königreichs Gottes haben wir
unseren Leib bekommen ... 'Das Auge, das mich zum Bösen verführt usw.' zeigt,
dass die von Gott gegebenen Funktionen des Leibes in absolutem Gehorsam zu
stehen haben, wenn sie zum Bösen führen und zur Zerstörung des Königreiches
Gottes in diesem oder jenem Glied, dass dann die Möglichkeit oder Pflicht
besteht, dass eine Eliminierung [der Geschlechtsorgane] stattfindet. Deshalb
würde es mich ängstlich stimmen, wenn die Sterilisierung nur aus einer Notlage
heraus anerkannt würde. Ich möchte es als Pflicht und mit dem Willen Jesu
konform ansehen. Ich würde den Mut haben, vorausgesetzt, dass alle Bedingungen
gegeben und Schranken gezogen sind, hier im Gehorsam gegen Gott die Eliminierung
an anderen Leibern zu vollziehen, wenn ich für diesen Leib verantwortlich bin." (zit.
nach Ernst Klee, Die SA Jesu Christi, S. 88)
Hinsichtlich
eventueller Ermordungen stimmten die Leiter der kirchlichen Einrichtungen
untereinander jedoch nicht überein. Der Leiter des Referates
"Gesundheitsfürsorge" beim Centralausschuss der Inneren
Mission, Dr. Hans Harmsen, formuliert bereits 1931 als politisches Thema, was
dann später ab 1940 tatsächlich umgesetzt wurde: "Dem Staat geben wir
das Recht, Menschenleben zu vernichten, Verbrecher und im Kriege. Weshalb
verwehren wir ihm das Recht zur Vernichtung der lästigsten Existenzen?" (Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last",
a.a.O.)
"Das Protokoll enthält keinen Hinweis, dass einer der zehn Anstaltsleiter
eine solche Frage unter Christenmenschen für gotteslästerlich hält ..." (Die
christlichen Wurzeln des Nationalsozialismus, zit. nach
humanist.de).
Folglich können die späteren Ermordungen auch dank der Mithilfe der kirchlichen
Stellen erfolgen.
Angehörige haben ihre Kinder oder andere
Familienangehörigen in der Regel in gutem Glauben kirchlichen Einrichtungen
anvertraut, weil sie der Kirche vertrauten. Doch sie wussten nicht, dass die
Verantwortlichen in der evangelischen Kirche heimlich darüber diskutierten, ob
man die Behinderten ermorden solle oder nicht.
Und dabei
ging es nicht nur um Schwerstbehinderte, sondern auch um Leichtbehinderte, wobei
viele Kirchenführer bei der Diskussion einen Unterschied zwischen den
Behinderungsgraden machten und eine Aufteilung versuchten zwischen "lebenswert"
und "nicht lebenswert" – wohlgemerkt: gegen Ende der Weimarer Republik
und noch nicht im Dritten Reich.
14.7.1933 – Nun waren die Nationalsozialisten seit einigen Monaten an der Macht. Das
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
befiehlt die Zwangssterilisation Behinderter. Die Nationalsozialisten erfüllen damit eine Forderung
der evangelischen Kirche, welche die Anstaltsleiter der Inneren Mission in ihrer
Treysaer Erklärung 1931 erhoben haben
(siehe oben).
Zu den Betroffenen gehörten schließlich auch
Blinde, Taube,
Stumme, Epileptiker, Alkoholiker, Körperbehinderte, seelisch Kranke, so genannte
"Schwachsinnige" und
viele politische Gegner, die man wegen ihrer abweichenden Einstellungen
teilweise ebenfalls als
"Schwachsinnige" einstuft.
Sieben Jahre später, ab 1940, werden diese Menschen schließlich vergast, vergiftet, erschlagen oder
man lässt sie verhungern. Und auch über mögliche Ermordungen wurde ja bereits
auf der evangelischen Fachkonferenz in Treysa im Jahr 1931 gesprochen.
1933 – Karl Todt, Direktor der evangelischen Heilerziehungs- und Pflegeanstalt
der Inneren Mission in Scheuern an der Lahn, ist wie andere Diakonie-Leiter von dem neuen
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
begeistert und schreibt kurze Zeit später: "Wie freudig begrüßten wir die rassenpflegerischen Maßnahmen
unseres Führers, die der Auftakt sind, die Übel von der Wurzel an zu bekämpfen.
So stehen wir zum Dienste bereit, Handlanger zu sein am Bau des Reiches Gottes
und am Bau des neuen, des Dritten Reiches"
(zit. nach Ernst
Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last", a.a.O.).
Im Jahr 1941 dienen die evangelischen Einrichtungen in Scheuern dann als
Zwischenstation für Behinderte auf deren Weg in das Vernichtungslager
Meseritz-Obrawalde in Pommern. Von Scheuern aus werden die der Kirche
anvertrauten Menschen wissentlich zur Vernichtung (Vergasung, Vergiftung,
Erschlagung, Verhungern lassen) weitergeleitet.
Sehr viele Ermordungen werden z. B. auch in der
Landesheil- und Pflegeanstalt in Bernburg an der Saale durchgeführt. Dort werden die Behinderten
1940 und 1941 "vergast".
Ca. 75
Behinderte werden dazu jeweils nackt in die 3 x 4 m große Gaskammer der
Pflegeanstalt gezwängt. Dann wird das Gas eingeleitet und den Behinderten
steht ein grausamer Todeskampf bevor. Im selben
Gebäude-Komplex tun die Diakonissen des evangelischen
Oberlin-Hauses Babelsberg offenbar ohne Protest ihren "Dienst".
Ab 1933 – Begeisterung in den evangelischen Diakonissenmutterhäusern über Adolf Hitler
und die nationalsozialistische Regierung – "Die Leute sind toll vor
Begeisterung."
(NS-Propaganda-Minister Joseph Goebbels nach einem Besuch des evangelischen
Luise-Henrietten-Stifts in Lehnin im Mai 1933; zit. nach
Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last", a.a.O.)
Das Diakonissenmutterhaus in
Düsseldorf-Kaiserswerth wird von der NSDAP besonders gelobt, weil es schon vor der
Machtübernahme die Partei auch finanziell (!) unterstützte
(Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last", a.a.O.).
Im Mitteilungsblatt dieses ältesten evangelischen Diakonissenmutterhauses
in Deutschland wird ein Huldigungslied auf die Nationalsozialisten, gedichtet
von der Diakonisse Emma Obermeier,
abgedruckt, Die braunen Kolonnen: "Das Hakenkreuzbanner weht stolz voran
... Das undeutsche Wesen zur Türe hinaus. Wir kehren mit eisernem Besen das
Haus. Sieg Heil!"
September 1933 – 100-jähriges Jubiläum des Rauhen Hauses in Hamburg, eine der
bekanntesten Sozialeinrichtungen der evangelischen Diakonie. Der Präsident,
Pfarrer H. Schirrmacher, zu den Diakonen:
"Wir begrüßen euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche, ihr
wackeren Sturmabteilungen und Schutzstaffeln im Angriff gegen Not, Elend, Verzweiflung und
Verwahrlosung, Sünde und Verderben ... Evangelische Diakonie und Nationalsozialismus
gehören in Deutschland zusammen ... Ich wünsche, dass unsere jungen Brüder in den
Diakonenanstalten sämtlich SA-Männer werden." (zit. nach Ernst Klee, Die SA
Jesu Christi, Die Kirche im Banne Hitlers, Frankfurt am Main 1989, Impressum-Seite)
Anmerkung: Es folgen deutschlandweit Eintrittswellen von evangelischen Diakonen in
die SA. Die SA, "Görings Prätorianergarde für ungehemmten Terror" (Der
Historiker Volker Hentschel, So kam Hitler, a.a.O., S. 131), gegründet
bereits 1920, verübte als paramilitärische "Sturmabteilung" der NSDAP in der
Weimarer Republik bereits unzählige
Gewalttaten und Morde an politischen Gegnern. Das macht deutlich, in welcher
Organisation das kirchliche Diakonie-Personal sich nach dem Willen eines ihrer
Präsidenten engagieren soll. Die SA hatte in dieser Zeit neben den offiziellen
Staatsorganen schon eigene Strukturen aufgebaut. Und die damalige
"Reichswehr
betrachtete die SA als ein wichtiges Reservoir für den militärischen Nachwuchs".
(Wikipedia – Stand: 4.1.2021)
Über die Führung von SA-Lagern schon im Frühjahr 1932, also am Ende der Weimarer
Republik fast
ein Jahr vor der NS-Machtübernahme, schreibt ein
Augenzeuge: "Die Opfer, die wir vorfanden, waren dem Hungertod nahe. Sie
waren tagelang stehend in enge Schränke gesperrt worden, um ihnen ´Geständnisse` zu
erpressen. Die ´Vernehmungen` hatten mit Prügeln begonnen und geendet; dabei hatte ein
Dutzend Kerle in Abständen von Stunden mit Eisenstäben, Gummiknüppeln und Peitschen auf
die Opfer eingedroschen. Als wir eintraten, lagen diese lebenden Skelette reihenweise mit
eiternden Wunden auf dem faulenden Stroh."
(Der erste Gestapo-Chef Diels, zit.
nach Hentschel, So kam Hitler, a.a.O., S. 136)
Im Juli 1933 übernimmt die evangelische Diakonie von der SA sogar die Leitung eines Konzentrationslagers. Über den "Landesverein
für Innere Mission, Abteilung Konzentrationslager Kuhlen", schreibt Ernst
Klee: "Auf kirchlichem Boden ... werden Gegner des
Nationalsozialismus gequält und geschunden. Sie werden mit Gewehrkolben zur
(Feld-)Arbeit getrieben, manche mit Gummiknüppeln bewusstlos geschlagen." Alle dort beschäftigten
SA-Männer gelten als kirchliche Mitarbeiter und erhalten ihren Lohn von der Inneren
Mission. Im Oktober werden die Insassen von Kuhlen in größere KZs überführt, das Lager
wird geschlossen. Auch im KZ Papenburg arbeiten von 1933-1939 Diakone des evangelischen Stephansstifts Hannover. Sie "stehen und warten, dass man einmal auf einen
Menschen schießen darf". (Ein Diakon, zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi,
a.a.O., S. 61-71)
1934 – Gedicht im
Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern: "... du deutsche
Jugend – unser Stolz, rank – zäh wie junges Eichenholz, zeig du der Welt – zeig du
der Welt – trotz Hohn – trotz Spott: Ein Volk stirbt nicht, das seinem Gott die Treue
hält – die Treue hält" (Jahrgang 1934, S. 365). Behinderte passten
immer weniger in dieses kirchliche Denken hinein.
5.4.1937 – Der leitende Arzt der evangelischen Neuendettelsauer Fürsorgeheime, der
Lutheraner Dr. Rudolph Boekh, seit 1932 auch Mitglied der NSDAP, über die Diskussion zur Vernichtung angeblich
lebensunwerten Lebens: "Diese Verzerrung des menschlichen Antlitzes" sei
"dem Schöpfer zurückzugeben".
Und: "Alles
Kranke,
das nicht wieder der
Gesundung zugeführt
werden kann, ist Last ...
Die Entscheidung, ob ein Mensch vernichtet werden
soll, steht allein dem Mann zu, der unter Berufung auf den Schöpfer die Gewalt
in seiner Hand hat ... Das kann und darf allein der Führer."
(zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 180)
"Der Anstaltsarzt fragte in einem Vortrag, warum man diese die Allgemeinheit
belastenden Geschöpfe nicht im Interesse des gesunden Teils des Volkes
vernichtet."
(Film "Als hätte es sie nie gegeben", Medienwerkstatt Franken, Nürnberg 2019)
Dr. Rudolph Boekh war 10 Jahre Oberarzt der evangelischen Diakonieeinrichtungen in
Bethel und kam auf Empfehlung des dortigen Pastors Friedrich von Bodelschwingh
im Jahr 1936 nach Neuendettelsau. Während in dem fränkischen Ort die knapp 2.000
der Kirche anvertrauten Behinderten im Frühjahr 1937 noch vielfach fröhlich und
unbeschwert ihren Alltag leben (es gibt Filmaufnahmen aus dieser Zeit, die dies
eindrücklich belegen), hat der ärztliche Leiter der kirchlichen Einrichtung
schon ihr Todesurteil gefällt
(vgl. Zeitablauf: 1939 und
19.7.1940).
Am 31.5.1956 wurde Dr. phil. Dr. med. Rudolph
Boekh, nun wohnhaft in Füssen im Allgäu, mit dem Bundesverdienstkreuz Erster
Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Es wurde ihm nie entzogen.
1939 – Der evangelische Theologe D. Hans Lauerer, Rektor der evangelisch-lutherischen
Behinderteneinrichtungen in Neuendettelsau, gibt mit Berufung auf die lutherische
Zwei-Reiche-Lehre nun auch eine theologische Zustimmung für den geplanten und bevorstehenden Massenmord an
Behinderten: "... darum können wir Lutheraner nicht anders als
grundsätzlich bejahend zum Staat, zu unserem Staat stehen. Von diesem Standpunkt aus
haben wir kein Recht, es zu beanstanden, wenn der Staat ... die Tatsache minderwertigen
Lebens konstatiert und auf Grund dieser Konstatierung dann auch handelt." (Hans Lauerer,
Das Menschenleben in der Wertung Gottes, 1939; zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi,
a.a.O., S. 180 f.; siehe auch Anhang in "Der Theologe Nr. 4" über die
Zwei-Reiche-Lehre)
Anmerkung: Nach D. Hans Lauerer ist bis heute
[2010] eines der beiden Wohnheime für
Diakonissen in Neuendettelsau benannt. Die mörderische Heuchelei wird vor allem
dadurch deutlich, dass auf der evangelischen Fachkonferenz für Eugenik 1931 in
Treysa bereits der Unterscheid zwischen "lebenswert" und "lebensunwert" gemacht
wurde und dass die Verantwortlichen der Kirche dort schon über die eventuelle
Tötung "lebensunwerten" Lebens debattierten – lange bevor die
Nationalsozialisten (die ja auch überwiegend Katholiken oder Protestanten waren) die Ermordung von "minderwertigen Leben"
dann auch tatsächlich durchführten.
PS: Und auch der katholische Moraltheologe Joseph Mayer
wies den Staat in einem mit kirchlicher Imprimatur (= Druckerlaubnis) versehenen
Buch ja schon 1927 darauf hin, dass ein nicht "sozial Tüchtiger" "nötig und
heilsam" getötet werden müsse, "damit das Gemeinwohl gerettet werde"
(siehe dazu unsere Meldung oben). Der Staat
habe die Pflicht, sich gegen solchen Untergang zu wehren und die Kirche habe
"kein Recht, ihm in den Arm zu fallen" (zit. nach
Main-Post, 6.7.1985).
Der Schriftsteller Ernst Klee fasst die Schuld der Kirchen an diesem Massenmord
mit den Worten zusammen: "Beide Kirchen haben massiv dazu beigetragen, denn
sie haben die Opfer als Opfer präpariert."
Januar 1940 –
Die Vernichtung "lebensunwerten" Lebens, auch "Euthanasie"
genannt,
beginnt. In den evangelischen Einrichtungen in Bayern erfolgt im
April 1940 die Erfassung. Meistens werden die betroffenen Menschen später "vergast".
15.4.1940 – Bekanntmachung der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zum Führergeburtstag am 20.4.1940: "Das ganze deutsche Volk fühlt sich an diesem
Tage in besonderer Weise mit dem Manne verbunden, der das Geschick des Großdeutschen
Reiches mit starken Händen durch die Fährnisse des Krieges steuert. Die Gemeinden
unserer Landeskirche gedenken seiner in freudigem Dank und ernster Fürbitte. Sie
geloben aufs neue, den Dienst, zu dem sie der Herr berufen hat, mit ganzer Treue
auszuführen. Sie sehen darin ihren Beitrag zum Werke des Führers, dass sie durch die
Botschaft von Jesus Christus den deutschen Menschen hinführen zu den Quellen aller Kraft,
ihn stark machen für den Kampf, ihn freudig machen zu allem Opfer ... Ev.-Luth.
Landeskirchenrat; D. Meiser."
2.6.1940 – Landesbischof Hans Meiser hält die Festpredigt zum 50jährigen Jubiläum
der Rummelsberger Diakonie. Darin nimmt der Landesbischof zu den Überfällen
Deutschlands auf Frankreich, Belgien und die Niederlande Stellung und zu der Besetzung
Dänemarks und Norwegens:
"Auf den Schlachtfeldern Flanderns, wo so oft schon Völker um ihr Schicksal gerungen
haben, haben unsere Heere einen Sieg errungen, wie er ähnlich in der Geschichte der
Völker nicht gefunden wird ... Wir beugen uns vor der Größe dieser Stunde;
wir stehend anbetend vor unserem Gott, der die Geschicke der Völker so majestätisch
lenkt. Wir gedenken voll Ehrfurcht derer, die so Großes so kühn planten, und derer, die
es so tapfer und wagemutig vollbrachten"
(zit. nach: Bericht über die Feier des
fünfzigjährigen Bestehens der Diakonenanstalt Rummelsberg; zit. nach Gerhard Wehr, Gutes
tun und nicht müde werden, München 1989, S. 175). Vordergründig beschwört
der Bischof feierlich die Anbetung "Gottes". Und im Hintergrund werden zu diesem
Zeitpunkt die letzten Vorbereitungen für den Massenmord an der Betreuten der
Diakonie getroffen.
Ab Juli 1940 – Selektion und Verlegung der Behinderten aus den Einrichtungen der
bayerischen evangelischen Diakonie – in staatliche Einrichtungen und von dort in
Vergasungsanstalten, zuzm Beispiel in Hartheim bei Linz in Österreich, einer der
sechs Behinderten-Vernichtungs-Anstalten. Aus keinem Fürsorgeheim Deutschlands werden
dabei mehr Behinderte zur
Ermordung abgeholt wie aus den evangelischen Heimen in Neuendettelsau in Bayern.
Der
evangelische ärztliche Leiter Dr. Rudolph Boekh hatte die
Behinderten zuvor selbst in acht Kategorien der "Brauchbarkeit" eingeteilt. Und
die Leitung der Diakonie bedrohte die Diakonissen in einer Dienstanweisung: "Wer
sich weigere, den Abtransport zu begleiten, habe selbstverständlich alle
Verantwortung für seine Weigerung zu tragen." (Medienwerkstatt Franken,
Als hätte es sie nie gegeben, Nürnberg 2019)
Anfangs sind viele Behinderte noch "in froher Erwartung eines Ausflugs".
Als schließlich Berichte über voran gegangene Ermordungen zu den späteren Opfern durchsickern,
kommt es teilweise zu panischen Reaktionen: "Manche sollen sich still in ihr Schicksal ergeben haben,
andere flehen um ihr Leben, wehren sich verzweifelt, weinen, schreien und
klammern sich in ihrer Todesangst an Ordensschwester oder Pfleger, reißen ihnen
fast die Kleider vom Leibe"
(Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles
Kranke ist Last", a.a.O.). "Ich will
noch nicht sterben, rette mich doch" (zit. nach "Als hätte es
sie nie gegeben"). Misstrauischen Eltern, die
ihre Kinder vor dieser "Verlegung" wieder zu sich zurückholen wollten (oder
Verwandten erwachsener Bewohner) wurde angedroht, dass sie rückwirkend dann
womöglich die Unterhaltskosten der letzten Jahre zu bezahlen hätten
(Als hätte es sie nie gegeben). Die Mord-Aktionen
dauern bis Mitte 1941.
Landesbischof Hans Meiser,
der im Rausch der Kriegserfolge Deutschlands schwelgt (siehe
hier), wird
darüber informiert und sagt nichts dazu.
Nach dem Krieg rechtfertigen sich manche Verantwortliche, "seelenlose Monster" seien
doch nur von ihrem Leiden "erlöst" worden.
(Klee/Petrich, a.a.O.)
Ein staatlicher Angestellter in der Vernichtungs-Einrichtung Hartheim
berichtet nach 1945: "Die Angekommenen wurden entkleidet, eine Person
bestempelte die Vorgeführten mit der laufenden Nummer, danach fotografierte man
sie und führte sie in die Gaskammern. Nach kurzer Zeit waren die Leute in der
Gaskammer tot. War die Entlüftung durchgeführt, mussten wir Heizer die Leute von
der Gaskammer wegschaffen. Es war nicht leicht, die ineinander verkrampften
Leichen auseinander zu bringen und in den Totenraum zu schleifen"
(zit. nach "Als hätte es sie nie gegeben"). Ähnlich kann man es sich
bei den vergasten jüdischen Mitbürgern vorstellen.
19.7. / August 1940 – Landesbischof Theophil Wurm
wendet sich in einem Brief an
Reichsinnenminister Wilhelm Frick halbherzig bis unwillig gegen die Ermordung Behinderter
in der württembergischen Vergasungsanstalt Grafeneck. Trotz Judenverfolgung,
Krieg und anderem staatlichen Terror bescheinigt Wurm dem Führer und der Partei
zunächst, bis
jetzt auf christlichem Boden zu stehen. Dieser würde mit der "Ausrottung"
der Behinderten aber verlassen, auch wenn
Landesbischof Wurm
dafür Verständnis signalisiert. Der Bischof erklärte seinen "Protest" vom 19.7.1940
gegenüber den Mord-Behörden damit, dass er es "in erster Linie
deshalb" tue, "weil die Angehörigen der betroffenen Volksgenossen [der Opfer]
von der Leitung einer Kirche einen solchen Schritt erwarten ... Dixi et salvavi
animam meam" [= "Ich habe es gesagt und meine Seele ist gerettet" (so
denkt der Bischof)]
(Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke
ist Last", a.a.O.). Kein Wunder, dass
dieser Pflicht-"Protest" nichts bewirkt.
In Bethel/Westfalen wurden nach Angabe der Anstaltsleitung die Behinderten allerdings
nicht auf diese Weise in zur Ermordung in Tötungsanstalten gebracht, obwohl auch der dortige Leiter Friedrich von Bodelschwingh
kaum kräftiger protestiert, sondern ebenfalls kooperiert hat. Die
nationalsozialistischen Behörden richteten sich hier ganz nach den
Kirchenführern. Sie unternahmen nichts, wenn die Kirchenverantwortlichen nicht
mitmachten. Ein einfaches Nein oder auch nur Bedenken haben also schon genügt,
um die Leben zu retten.
"Kein Arzt, der sich verweigert
hat, ist jemals bestraft worden ... Wenn die gesagt hätten, wir machen da nicht
mit, dann wäre da nichts passiert."
(Der Medizinhistoriker Dr. phil. Hans-Jürgen Siemen, zit. nach "Als hätte es sie
nie gegeben")
Dazu
Friedrich von Bodelschwingh im August 1940:
"Sicher wäre es das Beste, wenn die ganze Maßnahme [die Ermordungen] sofort und
vollständig eingestellt würde. Kann man sich dazu nicht entschließen, so muss
ein geordnetes Verfahren festgelegt werden."*
Bei einer Konferenz in Treysa im Jahr 1931 konnte
sich Friedrich von Bodelschwingh bereits vorstellen, Behinderte eigenhändig zu kastrieren, und
andere Kirchenführer befürworteten bereits zu diesem Zeitpunkt die späteren Ermordungen.
Und
schließlich vollzogen die Nationalsozialisten damit nur, was einzelne
Kirchenführer eben bereits 1931
in
die Tat umsetzen wollten (siehe
oben).
Und so hatte der von Friedrich von Bodelschwingh stark geförderte ehemalige Betheler Oberarzt
und Psychiater Dr. Rudolph Boekh aus Neuendettelsau erneut auch im Jahr
1937 die Ermordungen von den Nationalsozialisten gefordert. Dabei hatte
der renommierte evangelisch-lutherische Mediziner dem "Führer"
Adolf Hitler die Entscheidungsvollmacht zugesprochen (vgl. Zeitablauf:
1937).
Anmerkungen:
* Manche Kirchen- und Diakonieführer unterschieden zwischen unterschiedlichen
Graden der Behinderung und versuchten, das Leben leichter Behinderter zu
schützen,
indem sie die Ermordung schwerer Behinderter unterstützten.
In den evangelischen
Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel holte man zwar die Behinderten nicht zur
Ermordung ab. Doch was zu deren Rechtfertigung heute erwähnt wird, hat offenbar
eine noch grausamere Kehrseite. Eine unabhängige
Untersuchung
aus dem Jahr 2014 erhebt den Vorwurf, dass man behinderte Kinder dort dafür direkt
töten ließ, und zwar vielhundertfach – was auch in anderen Einrichtungen der evangelischen Diakonie bzw. in
den mit ihnen verbundenen staatlichen Einrichtungen geschah, "dezentrale
Euthanasie" genannt.
Außerdem geschah dort darüber hinaus anderes Unrecht.
So mussten von 1942-1944 z. B. eine unbekannte Zahl von Kriegsgefangenen und ca.
150-180 Zwangsarbeiter dort hart arbeiten – Menschen die von der deutschen Armee
in Osteuropa gefangen und nach Deutschland verschleppt wurden. "Bethel
war von Anfang an voll in das Zwangsarbeiter-System integriert" (Prof. Matthias
Benad, Leiter der Forschungsstelle für Diakonie und Sozialgeschichte an der Kirchlichen
Hochschule Bethel, zit. nach Ev. Sonntagsblatt für Bayern Nr. 39, 24.9.2000, S.
7). Und über die lutherische Einrichtung in Bethel soll nach dem Krieg teilweise auch
die Flucht hochrangiger Nationalsozialisten ins Ausland organisiert worden sein.
3.8.1941 – Der katholische Bischof Clemens August von Galen prangert
als bisher einziger deutscher Bischof in einer Predigt die Vernichtung Behinderter an.
In seiner Silvesterpredigt 1941/42 folgte Zeugenaussagen zufolge auch Bischof
Gröber aus Freiburg, der 1933 den katholischen Pfarrern die Kritik am
Nationalsozialismus verboten hatte.
Auf der anderen Seite treibt gerade Bischof von Galen die Deutschen in den Krieg (siehe dazu
Der Theologe Nr. 27
über den
"Kreuzzugsprediger" von Galen). Aus
Rücksicht auf den Protest von Galens finden die Vernichtungsaktionen (von weiteren ca.
30.000 Behinderten) seither mehr im Geheimen statt. So lässt man z. B. in Irsee
im Allgäu, wo die Nonnen von der "Kongregation des Heiligen Vinzenz von Paul"
einen großen Teil des Personals stellen, behinderte Kinder darauf hin nicht mehr vergasen,
sondern auf staatliche Anordnung hin verhungern (was nach ca. drei Monaten zum
Tod führen sollte) oder vergiften. (Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles
Kranke ist Last", a.a.O.)
Als Massentöterin
wurde in Irsee vor allem die evangelische Krankenschwester Pauline Kneissler
eingesetzt, die vor dem Krieg im Kirchenchor sang und evangelischen
Kindergottesdienst hielt und schon in den Vergasungsanstalten Grafeneck auf der
Schwäbischen Alb und in Hadamar bei Limburg zuvor Tausende von Menschen mit der
Giftspritze tötete.
Sie teilte dem Klinikseelsorger jeweils mit, welchem Behinderten er die
katholischen Sterbesakramente geben soll. Nachdem der Priester jeweils
seinen
"Dienst" getan hatte, brachte sie den Behinderten um.
Anmerkung:
Die evangelische Massentöterin Pauline Kneissler wurde nach dem Krieg für ihre
Verbrechen zu vier
Jahren Haft verurteilt und beschwerte sich über dieses Urteil. So rechtfertigt
sich die Krankenschwester 1947 mit den Worten: "Mein Leben war Hingabe und Aufopferung, ... nie war
ich hart zu Menschen ... Dafür muss ich heute leiden und leiden."
(http://www.rav.de/infobrief94/mueller2.htm)
Alle Verbrecher im staatlichen Auftrag hatten dabei nach dem Krieg die
offizielle Rückendeckung der EKD
(Evangelische Kirche in Deutschland), die in einem Beschwerdebrief an die
US-Militärregierung vom 26.4.1946 z. B. schrieb: "Dabei waren Handlungen und Gesinnungen, die heute verurteilt werden, vom
damaligen Gesetzgeber als rechtmäßig und gut eingeschätzt. Hierdurch wird das
Rechtsempfinden erschüttert und von den Angeklagten eine Rechtseinsicht verlangt, die man
nicht erwarten kann." (zit. nach Amtsblatt der
Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
30.7.1944 – Die
Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei und der Geistliche
Vertrauensrat der Evangelischen Kirche bekunden, dass sich das deutsche Volk
"mit Empörung und Abscheu" von der Tat des 20. Juli 1944 abwendet, und sie
huldigen Hitler mit Treuetelegrammen. Wörtlich heißt es: "Aus tiefem Herzen
danken wir dem Allmächtigen für die Errettung des Führers und bitten ihn, Er
möge ihn weiterhin in seinen Schutz nehmen. Mit dieser Bitte soll sich das
Gelöbnis neuer Treue und der Entschluss verbinden, uns ernster noch als
zuvor der unerbittlichen Forderung der Zeit zu unterwerfen, für die der Führer
rastlos sein Alles einsetzt. – Die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei und
der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche haben nach dem
Anschlag auf das Leben des Führers in Treuetelegrammen an ihn den Dank gegen
Gott für die gnädige Bewahrung Ausdruck verliehen." (Das Evangelische
Deutschland, 30.7.1944)
Anmerkung: Die Fortsetzung des
Krieges wird weiteren Hunderttausenden von Menschen das Leben kosten, z. B. bei der
Bombardierung deutscher Städte.
30.6.1945 – Absprachen der Kirchenverantwortlichen mit Landesbischof Meiser
hinsichtlich ihres Verhaltens bei der "Vernichtung unwerten Lebens".
Nach dem Ende der Massenermordungen in den Tötungsanstalten ging das Morden
dezentral weiter bis 1945. Dazu Pfarrer Hilmar Ratz
aus Neuendettelsau an Pfarrer Berhard Harleß aus Bruckberg:
"Wie ich neulich von Frau Dr. Asam-Bruckmüller hörte, interessieren sich die
Amerikaner sehr für die Sache. Es scheint auch, dass sie versuchen, einen
verantwortlichen Mann zur Rechenschaft zu ziehen. Da ist es natürlich nötig,
dass unsere Angaben über das, was wir taten, übereinstimmen. Als in dieser Woche Herr
Landesbischof Meiser hier war, wurde auch über diese Sache gesprochen und auch von ihm
betont, wie nötig es sei, gerade in diesen Dingen möglichst Vorsicht walten zu
lassen." (zit. nach Müller/Siemen, Warum sie sterben mussten, Leidensweg und
Vernichtung von Behinderten aus den Neuendettelsauer Pflegeanstalten im "Dritten
Reich", Neustadt/Aisch 1991, S. 168 f.)
Der Historiker Dr. Mark Deavin klärte über die Oberärztin Dr. Irene
Asam-Bruckmüller auf, die in Ansbach und ab 1941 auch in der Diakonie
Neuendettelsau tätig war, in
Als hätte es sie nie gegeben: "Ich habe mehrere Hundert Fälle
gefunden, wo es 100 % sicher ist, dass die Menschen in Ansbach mit Medikamenten
ermordet wurden, durch Frau Asam-Bruckmüller. Wir sprechen von vielleicht
2500 Menschen, [auch] Kindern, wo sie persönlich verantwortlich ist.
Sie ist eine Massenmörderin. Es gibt keine andere Beschreibung. Es
ist so."
Doch die mörderische "Ärztin" wurde von den Männern der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern gedeckt, und die unzähligen Morde an Menschen, die dieser
Kirche anvertraut waren, wurden vertuscht.
"Wir möchten uns bitte auf eine gemeinsame Lesart verständigen", so Harleß an
Ratz nach einem Besuch von Dr. Asam-Bruckmüller bei Harleß, die berichtete, dass
die Amerikaner ihr auf der Spur seien (zit. nach dem Autor Hans-Ludwig
Siemen in "Als hätte es sie gegeben"). "Das kann man nur so
verstehen, dass sie natürlich wussten, was dort gewesen ist und einfach nach
außen hin versucht haben, sich absolut bedeckt zu halten, um zu verhindern, dass
Frau Asam-Bruckmüller vor Gericht kommt." (Der Autor Hans-Ludwig Siemen)
Die evangelisch-lutherische Massenmörderin Dr. Irene Asam-Bruckmüller starb im
Jahr 2000 in hohem Alter, ohne je für ihre Morde verurteilt worden zu sein.
Pfarrer und Konrektor Hilmar Ratz, der die Pflegeinrichtungen innerhalb der
Diakonie in Neuendettelsau seit 1935 leitete, übte dieses Amt nahtlos bis 1968
aus. Er starb 1977 und hatte wie auch Direktor Hans Lauerer (+ 1953) bis zuletzt
die Verantwortung der Kirche für die Verbrechen zu verschleiern versucht.
In der Dokumentation Als hätte es sie nie gegeben, wird auch
gefragt: "Ist es statthaft, ... dass nach Bernhard Harleß eine Straße in
Bruckberg benannt wurde?"
Und da Landesbischof Hans Meiser – wie oben dargelegt – ebenfalls eingeweiht
war, wäre es erst recht ein Minimum des Anstands, wenn seine Nachfolger im
Bischofsamt in Reue und Scham selbst dafür sorgen würden,
die immer noch vielen Meiserstraßen in
Bayern endlich umzubenennen.
Am 26.2.1946 können "die Pflegeanstalten Neuendettelsau
teilweise wieder ihren früheren Zweckbestimmungen zugeführt werden. Ev.-Luth.
Landeskirchenrat; D. Meiser". (Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
Aktuell zu den tödlichen
Menschenversuchen an Kindern in Bethel:
Interview mit Dr. Barbara Degen , veröffentlicht am 18.8.2023
Quellen- und Literaturverzeichnis:
- Benzenhöfer Udo, Der gute Tod? Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe,
Göttingen 2009, 2. Auflage
- Degen Barbara, Bethel in der NS-Zeit, Frankfurt am Main 2014
-
Die christlichen Wurzeln des Nationalsozialismus, zit. nach www.humanist.de
- Hentschel Volker, So kam Hitler, Schicksalsjahre 1932-1933, Düsseldorf 1980
- Hoch Erich, Binding Karl, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens,
Leipzig 1922, 2. Auflage
- Klee Ernst, Die SA Jesu Christi, Frankfurt am Main 1989
- Klee Ernst, Petrich Gunnar, Film "Alles Kranke ist Last", ARD 1988;
vgl. das gleichnamige Buch, Frankfurt am Main 1983
sowie den Film auf youtube:
youtube.com
- Medienwerkstatt Franken, Als hätte es sie nie gegeben, Film von Vanessa
Hartmann, Nürnberg 2019
https://vimeo.com/329796451
- Müller Christine-Ruth, Siemen, Hans-Ludwig; Warum sie sterben mussten, Neustadt an
der Aisch 1991
- Wehr Gerhard, Gutes tun und nicht müde werden, München 1989
Weitere Quellen und Literaturangaben: siehe
hier.
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