Der Theologe Nr. 4, aktualisiert am 2.1.2024
Welche
Verantwortung tragen die evangelische Lehre und die evangelische Kirche für den
Völkermord an den Juden?
DER THEOLOGE Nr. 4
veröffentlicht
bisher wenig bekannte Dokumente und Hintergrund-Informationen und vergleicht
sie mit Fakten der Gegenwart.
In den Jahren 1933-1945 gibt es in der evangelischen
Kirche zwei Flügel, die "Deutschen Christen" und die "Bekennende Kirche". In beiden
Gruppen wird der Treue- und Gehorsams-Eid gegenüber Adolf Hitler geschworen. Und
Verantwortliche und Anhänger beider Flügel fordern oder befürworten auch die Judendiskriminierung
und -verfolgung, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Warum? Kann dies als "einmaliges
Versagen" erklärt werden oder ist es auch eine Folge des evangelisch-lutherischen
Glaubens?
Bild links:
Martin Luther, Von den Juden
und ihren Lügen (1543; hier das Titelblatt einer "Volksausgabe" von Hans-Ludolf
Parisius) – Im Jahr 1938 gab der den "Deutschen
Christen" zugerechnete evangelische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach
eine Auswahl aus dieser
Schrift neu heraus unter dem Titel Martin Luther über die Juden
– Weg
mit ihnen! (Freiburg 1938).
Der Landesbischof feiert darin im Vorwort das Niederbrennen der Synagogen an Luthers
Geburtstag, welcher "der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist".
(mehr dazu
hier)
Diese Dokumentation enthält auch
Hinweise für die Verantwortung der römisch-katholischen Kirche, z. B. Synodenbeschlüsse gegen die Juden. Sie sind
in einer eigenen Theologen-Ausgabe auch gesondert zusammengefasst.
Die umfangreiche Verantwortung des Vatikan und des Papstes am Faschismus in Europa
und am Holocaust wird dokumentiert in
Der
Theologe Nr. 57 – Papst Pius XII., die Faschisten und der Holocaust.
Foto rechts: Einfahrt in Auschwitz
(Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha
/
CC-BY-SA 3.0)
In einem von der Evangelischen Kirche in Deutschland
in Auftrag gegebenen Gutachten schreibt im Jahr 1933 Walter Künneth, der damalige "Sektenbeauftragte"
und baldige Vertreter der Bekennenden Kirche: "Die Kirche hat sich dafür einzusetzen,
dass die Ausschaltung der Juden als Fremdkörper im Volksleben sich nicht in einer
dem christlichen Ethos widersprechenden Weise vollzieht". Wie dies genau geschehen
soll, steht allerdings nicht im Gutachten (mehr dazu hier). Wie dies dann praktisch geschah und wie die Kirche dazu beitrug,
darüber informiert DER
THEOLOGE Nr. 4.
Um den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu verdeutlichen,
werden darüber hinaus einige Fakten dokumentiert, wie die Kirche parallel zu
den Juden auch andere Gemeinschaften bekämpfte und verfolgen ließ und wie sie die nationalsozialistische
Diktatur auch im 2. Weltkrieg unterstützte und diesen geistig mit vorbereitete
und schließlich rechtfertigte.
Mehr zum Thema "Evangelische Kirche und Krieg" finden Sie bei
theologe6.htm. Zu den grauenhaften Ausmerzungen
gehört auch, wie die Kirche dazu beigetragen
hat, die Lebensmöglichkeiten der behinderten Mitbürger zu beschränken und diese
schließlich umzubringen.
Diese sind in einem eigenem Anhang unter
euthanasie.htm
zusammengefasst. Die Informationen über den bayerischen Landesbischof Hans Meiser sind
ausführlicher ebenfalls in einer eigenen Ausgabe zusammengestellt, siehe theologe11.htm.
Hierbei ist zum historischen Verständnis wesentlich,
dass im Jahr 1933 95,2 % der Deutschen entweder Katholiken oder Protestanten
waren, genau 62,7 % evangelisch und 32,5 % katholisch. Nach sechs Jahren
NS-Herrschaft im Jahr 1939 waren es im gleichen Gebiet noch
94,5 % (also ohne die bis dahin
einverleibten Länder bzw. Gebiete Österreich, Sudetenland u. a.). Und die Bürger hatten damals
auch eine deutlich festere Kirchenbindung als im 21. Jahrhundert. Der Aufstieg und
die Entwicklung des Nationalsozialismus erfolgten also vor allem auf der Basis des
evangelischen und des katholischen Glaubens, die beide als Nährboden für die
Gewaltherrschaft dienten. Eine
so genannte "neuheidnische" bzw. "freireligiöse Gottgläubigkeit" blieb also
eher eine Randerscheinung im Dritten Reich und spielte – was den Aufstieg Deutschlands
zur nationalsozialistischen Großmacht betrifft – kaum eine Rolle. Atheisten wurde
sogar der Eintritt in die SS verboten (Martin Koch, Luther – Hitlers Idol, hpd.de,
7.6.2012). Ein Nationalsozialist war also meistens ein Mitglied der evangelischen
Kirche und am zweithäufigsten ein Mitglied der katholischen Kirche.
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Zeugnis des THEOLOGEN
Diese Schrift entstand aus der Verbundenheit zu Jesus von Nazareth, der über die staubigen Straßen Palästinas zog und den Menschen vom kommenden Friedensreich erzählte. Jesus war Jude und lehrte sein Volk, wie es nach den Geboten Gottes leben kann, damit es zum "Segen für alle Völker" wird, so, wie es dem "Stammvater" Abraham prophezeit wurde (1. Mose 12, 3). Doch Priester und Schriftgelehrte stellten sich gegen Jesus und ließen ihn töten.
Jahre bzw. Jahrhunderte später sind es wieder Priester und Schriftgelehrte, die seine einfache und geniale Botschaft zur katholischen und später zur evangelischen Lehre verfälschen.
Jesus gründete keine Kirche. Er wollte keine Priester und Pfarrer und kirchliche Obrigkeiten, und er führte keine Zeremonien, Riten und Kulte ein. Auch sprach er nicht davon, dass Menschen Dome und Kirchen aus Stein bauen sollen. Denn jeder Mensch ist ein "Tempel Gottes", und alle sind Brüder und Schwestern, Kinder Eines Gottes, und alle sind gleich. Keiner braucht also eine Kirche zu besuchen, denn Gott ist in jedem Menschen, in jedem Tier und in der ganzen Natur.
Diese Dokumentation wendet sich weder gegen die evangelische oder die katholische Kirche noch gegen einzelne ihrer Amtsträger, und sie richtet und verurteilt niemanden. Sie informiert nur darüber, was in der evangelischen Kirche im Namen von Christus und Gott geschah und geschieht. Dies wird aufgedeckt. Die evangelische Kirche mag sich "evangelisch" oder "lutherisch" nennen, denn in ihren Reihen wird getan, was schon Luther lehrte. Doch mit dem Missbrauch des Namens "Christus" sollte sie aufhören und ihre Lehre und ihr Verhalten entgegen den Geboten Gottes nicht mehr als "christlich" bezeichnen, weder im Rückblick auf das "Dritte Reich" in Deutschland noch in der Zeit danach.
Allen hier teilweise namentlich genannten Personen gilt nach unserem Glauben die Liebe Gottes ohne Einschränkung. Diese Liebe ist für uns unteilbar. Der Mann aus Nazareth lehrte die Menschen, ihr Fehlverhalten zu erkennen, zu bereuen, um Vergebung zu bitten, zu vergeben, wieder gutzumachen, so dies möglich ist, und Gleiches oder Ähnliches nicht mehr zu tun. Auch bei eventuellen Hass- oder Rachegefühlen bedarf es nach der Lehre des Jesus der Reue, der Bitte um Vergebung und der Vergebung.
Wenn sich einzelne Mitglieder der Kirche unter Einsatz ihres Lebens für jüdische Mitbürger einsetzten bzw. deswegen Nachteile riskierten oder in Kauf nahmen, dann wird das Gute in ihrem Tun nicht in Frage gestellt. Hinweise darauf wurden von den Kirchen vielfach dokumentiert. Oftmals wurde mit diesen Beispielen aber von der Schuld der evangelischen Lehre und der evangelischen Kirche abgelenkt. Die zahlreichen Zeugnisse gegenteiligen Inhalts, welche die Verbindung von evangelischer Kirche, evangelischer Lehre und Judenverfolgung dokumentieren, wurden demgegenüber oft zurückgehalten, beschönigt oder verdreht.
Die Absicht dieser Dokumentation
ist es, evangelische Wurzeln für den Holocaust offen zu legen. Sie unterscheidet
dabei nicht in jedem Einzelfall zwischen typischen evangelischen Mehrheitsstimmen
und Einzelstimmen, doch ergibt die Zusammenschau einen Einblick darüber, wie verschiedene
im evangelisch-lutherischen Glauben wurzelnde Überzeugungen und Haltungen mit dem
Völkermord in Verbindung stehen. Die Mehrheitsstimmen zeigen, wohin die evangelische
bzw. lutherische Lehre überwiegend führte. Und die Einzelstimmen zeigen, was mit
Luthers Lehre noch alles möglich war und ist.
Martin Luther erklärt den Bürgern, die Juden seien ihr "Unglück":
"Ein solch verzweifeltes durchböstes,
durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist´s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere
Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben
rechte Teufel an ihnen. Das ist nichts anderes. Da ist kein menschliches Herz gegen
uns Heiden. Solches lernen sie von ihren Rabbinern in den Teufelsnestern ihrer Schulen."
(Der achte und letzte aller Bücher und Schriften
des teuren seligen Mans Gottes, Doctoris Martini Lutheri, Tomos 8, Jena 1562, S.
95)
Der Satz "Die Juden sind unser Unglück"
wird zu einer der schlagkräftigsten Parolen der nationalsozialistischen Zeit.
Martin
Luther empfiehlt, jüdische Mitbürger zu meiden:
"Wenn du siehst oder denkst an
einen Juden, so sprich bei dir selbst also: Siehe, das Maul, das ich da sehe, hat
alle Sonnabend mein lieben Herrn Jesum ... verflucht, vermaledeit und verspeist,
dazu gebetet und geflucht vor Gott, dass ich, mein Weib und Kind und alle Christen
erstochen und aufs jämmerlichste untergegangen wären. Er wollte es selber gerne
tun, und, wo er könnte, unsere Güter besitzen ... Ich sollte mit einem solchen verteufelten
Maul essen, trinken oder reden? So möchte ich aus der Schüssel oder Kannen mich
voller Teufel fressen und saufen, so mache ich mich gewiss damit teilhaftig aller
Teufel, die in den Juden wohnen."
(Martin Luther, zit.
nach: Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!,
Freiburg 1938, S. 11)
Die Vorwürfe gegen die jüdischen Bürger sind
Lügen.
Die Nationalsozialisten verbieten 1941 Freundschaften zwischen Deutschen
und Juden. In öffentlichen Einrichtungen dürfen Juden nicht bei Deutschen sitzen.
Martin Luthers Spott zur
"Judentaufe"
"Wenn ich einen Juden taufe,
will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab
stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams!"
(Tischreden Nr. 1795, zit. nach Landesbischof Martin Sasse,
Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, Freiburg 1938, S. 14)
Luther verdächtigte hier
anscheinend Juden mit Taufwunsch, nicht wirklich dem Kirchengott huldigen zu
wollen. Die Nationalsozialisten demütigen jüdische
Mitbürger auf vielfache Weise. Schließlich werden sie bei Pogromen und später in
den KZs ermordet. Eine katholische oder evangelische Taufe ist kein Schutz vor dem
Holocaust.
Martin Luther
fordert den Staat dazu auf, die jüdischen Mitbürger zu verfolgen:
1.)
Martin Luther fordert: Man soll ihre "Synagoga oder Schulen mit
Feuer anstecken ... unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe,
dass wir Christen seien ..." (Quelle: siehe
unten)
Das tun die Nationalsozialisten, z. B. in
der Reichspogromnacht 1938, an Luthers Geburtstag.
2.)
Martin Luther fordert, "dass man ihre Häuser desgleichen zerbreche
und zerstöre ... Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun".
Die Nationalsozialisten ziehen die Juden
zunächst ab 1938 in bestimmten Häusern zusammen, ab 1939 teilweise in Gettos. Später
werden sie – vergleichbar einem Viehtransport – in Eisenbahnwaggons gepfercht und
in die Konzentrationslager gefahren. Dort müssen sie in Baracken wohnen.
3.)
Martin Luther fordert, "dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein ...
auch die ganze Bibel und nicht ein Blatt ließe".
Die Nationalsozialisten lassen 1933 die
jüdischen Schriften verbrennen.
4.)
Martin Luther fordert, "dass man ihnen verbiete, bei uns ... öffentlich
Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren bei Verlust Leibes und Lebens ...
dass ihnen verboten werde, den Namen Gottes vor unseren Ohren zu nennen".
Die Nationalsozialisten nehmen den Juden das Leben. Sie werden meist erschossen
oder vergast, ihre Leichen in Massengräbern verscharrt oder verbrannt – allerdings
unabhängig davon, ob der jüdische Bürger zuvor Gott öffentlich lobte oder nicht.
Die ersten Pogrome erfolgen bereits 1933, die Massenmorde beginnen 1939.
5.)
Martin Luther fordert, "dass man den Juden das Geleit und Straße ganz
und gar aufhebe ... Sie sollen daheim bleiben".
Juden dürfen in der nationalsozialistischen
Zeit ihren Wohnort nur mit polizeilicher Genehmigung verlassen. Später gilt
das auch für die Gettos (ab 1939). Wer sich nicht daran hält, wird verhaftet.
6.)
Martin Luther fordert, "dass man ... nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod
an Silber und Gold".
Das tun die Nationalsozialisten ebenfalls.
1938 wird der Besitz "zwangsarisiert", 1939 der Schmuck eingezogen, später das Geld.
7.)
Martin Luther fordert, "dass man den jungen und starken Juden und
Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse
sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen".
Die "jungen und starken Juden und Jüdinnen" werden
von deutschen Firmen der Nazi-Zeit zum Teil als Zwangsarbeiter eingesetzt.
In den Konzentrationslagern werden die Arbeitsfähigen v. a. seit 1938 von den Schwächeren
getrennt. Die einen müssen unter dem Motto "Arbeit macht frei" zwangsarbeiten und
werden erst hingerichtet, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Die anderen werden
gleich umgebracht.
Martin Luther
fordert: "Summa: ... dass ihr und wir alle der ... teuflischen Last der Juden entladen
werden ..."
Schätzungsweise sechs Millionen Juden werden beim
Holocaust ermordet. Von den Überlebenden wandern die meisten bis 1951 in
die USA oder nach Israel aus.
Martin
Luther fasst sein Anliegen der Judenverfolgung folgendermaßen zusammen:
"Unseren Oberherren, so Juden unter sich
haben, wünsche ich und bitte, dass sie eine scharfe Barmherzigkeit wollten gegen
diese elenden Leute üben, wie droben gesagt, obs doch etwas (wiewohl es misslich
ist) helfen wollte. Wie das die treuen Ärzte tun, wenn das heilige Feuer in die
Beine gekommen ist, fahren sie mit Unbarmherzigkeit und schneiden, sägen, brennen
Fleisch, Adern, Bein und Mark ab. Also tue man hier auch, verbrenne ihre Synagogen,
verbiete alles, was ich droben erzählt habe, zwinge sie zur Arbeit und gehe mit
ihnen um nach aller Unbarmherzigkeit wie Mose tat in der Wüste und schlug dreitausend
tot, dass nicht der ganze Haufen verderben musste."
Einige töten, um andere zu retten? Was aber soll nach
Luthers Überzeugung geschehen, wenn ein Massaker z. B. an 3000 Juden aus seiner
Sicht nicht das gewünschte Ergebnis bringen würde, nämlich die Bekehrung der Juden
zum kirchlichen Glauben? Zeichnet sich auch bei Luther schon die so genannte "Endlösung"
der Judenfrage ab?
Anmerkung:
Mose führte solches übrigens nicht durch, es wurde ihm nur unterstellt
(vgl. dazu
Der Theologe Nr. 13 – Wer war Mose wirklich?).
"Im Wissen um das von Deutschen
begangene Menschheitsverbrechen an den Juden erscheinen Martin
Luthers hasserfüllte Schmähungen wie eine Handlungsanleitung für die
Endlösung der Judenfrage." |
Quellen:
– Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, Freiburg
1938
– Von den Jüden und ihren Lügen von M. Luther, 1542, als Volksausgabe
herausgegeben von H. L. Parisius, München o.
J.;
– Der achte und letzte aller Bücher und Schriften des teuren seligen Mans Gottes,
Doctoris Martini Lutheri vom 42. Jahr an (= Tomos 8); zit. nach: Hans-Jürgen Böhm,
Die Lehre M. Luthers – ein Mythos zerbricht, S.205-233; Eigenverlag, Postfach 53,
91284 Neuhaus
Sehr viel mehr Zitate zum Thema Martin Luther und
die Juden finden Sie in |
Der Philosoph Karl Jaspers stellt 1962 fest: Luthers "Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt." (Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962, S. 90)
Adolf Hitler selbst rechtfertigt
in einem Gespräch mit Bischof Hermann Wilhelm Berning von Osnabrück am 26.4.1933
die Judenverfolgung damit, "dass er gegen die Juden nichts anderes
tue als das, was die Kirche in 1500 Jahren gegen sie getan habe".
(zit. nach Friedrich Heer, Gottes erste Liebe, Berlin 1981, S. 406)
Anmerkung: Ausgerechnet
ein Mann namens Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt der NS-Regierung,
nimmt am 20.1.1942 an der so genannten Wannsee-Konferenz in Berlin teil, auf der
die "Endlösung der Judenfrage" endgültig beschlossen wird, die Exekution aller Juden
in Europa. Martin Luther
trägt im Auftrag des NS-Außenministeriums bei diesem Anlass ein Memorandum mit dem
Titel "Wünsche und Ideen des Auswärtigen Amtes zur vorgeschlagenen Gesamtlösung
der Judenfrage in Europa" vor. (zit. nach Wikipedia, Stand: 20.1.2012)
Hinsichtlich des Katholizismus urteilte der bekannte
Historiker David I. Kertzer in seinem Werk Die Päpste und die Juden (2004):
"Als Ende des 19. Jahrhunderts die modernen antisemitischen Bewegungen entstanden,
gehörte die katholische Kirche, die ständig vor einer wachsenden jüdischen Gefahr
warnte, zu den bedeutendsten Akteuren." Alle Elemente der modernen Judenverhetzung
seien
"von der katholischen
Kirche nicht nur geduldet, sondern auch von ihren offiziellen und inoffiziellen
Organen aktiv vertreten" worden ... "Der Übergang von den mittelalterlichen Vorurteilen
gegen die Juden zur modernen politischen antisemitischen Bewegung, der sich innerhalb
weniger Jahrzehnte vor dem Holocaust vollzog, hatte in der katholischen Kirche einen
seiner wichtigsten Architekten." (Der Historiker David I. Kertzer, Die Päpste
gegen die Juden, Berlin 2004)
Gleiches lässt sich auch über die evangelische
Kirche sagen. Die Entstehung der evangelischen Kirche geht auf den Augustinermönch,
Priester und Theologieprofessor Martin Luther (1483-1546) zurück. Der
evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse erklärt, Martin Luther
sei der "größte Antisemit
seiner Zeit"
(siehe Zeitablauf: 1938).
Innerhalb der evangelischen Kirche wird 1932 selbst dokumentiert, wie Luthers antijüdische
Schriften in Verbindung mit den römisch-katholischen Schriften Jahrhunderte lang
den Boden für den Antisemitismus der Gegenwart bereiten (siehe Zeitablauf:
1933 sowie der Nachweis dieser These
hier).
Ausgangspunkt des speziell evangelisch-lutherischen
Antisemitismus ist dabei die Haltung des Reformators Martin Luther. In jüngeren
Jahren versuchte er noch, die Juden zu seiner Reformation zu bekehren (siehe
hier).
Als dies weitgehend erfolglos blieb, wurde Luther zu einem massiven Feind der jüdischen
Bevölkerung und forderte ihre Verfolgung. Eine Art Manifest ist dabei die Schrift
Martin Luthers Von den Juden und ihren Lügen (1543). Die
Judenverfolgung ist eines der wichtigsten Anliegen von Martin Luther in seinen letzten
Lebensjahren. Sie ist auch das Thema seiner letzten Kanzelabkündigung am 15.2.1546
in Eisleben, drei Tage vor seinem Tod, wo er z. B. fordert: "Darum sollt
ihr Herren sie nicht leiden, sondern wegtreiben." Und auch in seinem letzten
Brief, den er von Eisleben aus an seine Frau schreibt, heißt es: "Wenn die Hauptsachen
geschlichtet sind [die Streitigkeiten unter den Grafen von Mansfeld], so muss ich
mich daran legen, die Juden zu vertreiben. Graf Albrecht ist ihnen feind und hat
sie schon preisgegeben, aber niemand tut ihnen noch etwas" (zit. nach
Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, a.a.O.,
S. 14). Für die jüdischen Bürger tickt die Zeitbombe, doch dann ist Martin Luther,
der Inspirator der staatlichen Obrigkeiten, plötzlich tot. Das von Luther
angestrebte Pogrom fällt
zunächst aus, und es gilt noch etwas länger: "Niemand tut ihnen noch etwas."
Doch die Verfolgungsaufrufe Luthers wirken
weiter. So weist Prof. Dr. Micha Brumlik in dem Artikel Luthers antisemitisches
Gift in der Zeitung Christ und Welt vom 14.11.2013 unter anderem
nach, dass im Laufe der Geschichte immer wieder Bezug auf Luther genommen wurde.
So finden sich judenfeindliche Aussagen Luthers z. B. in der Schrift Gespräche
aus dem Reich der Todten (1738) oder in einem Buch des Theologen Hermann von
der Hardt (1660-1746). 1817 erschien ein weiteres Buch mit anonymem Verfasser und dem
Titel Luthers und v. Herders Stimmen über die Juden. 1819 kam es in Würzburg
dann zu Juden-Pogromen, was beweist, dass sich die Judenfeindschaft hier und da
auch in Gewalt entlud. 1822 beruft sich Hartwig von Hundt-Radowsky in seinem Werk
Die Judenschule auf den Gründervater der evangelischen Kirche. Beim
Titelbild seines Buches
lässt er sich von Luthers folgender Aussage inspirieren: "Es ist hie zu Wittenberg
an unser Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen; da liegen junge Ferkel und Juden
unter, die saugen; hinter der Sau steht ein Rabbin, der hebt der Sau das rechte
Bein empor, und mit seiner linken Hand zieht er den Pirzel über sich, bückt und
guckt mit großem Fleiß der Sau unter dem Pirzel in den Talmud hinein"
(Erlanger Ausgabe der Lutherschriften XXXII, S.
298).
Entsprechend dieser Aussage sieht man auf dem Titelbild von
Hartwig von Hundt-Radowskys
Buch jüdische Männer, die gierig an den Zitzen eines Schweines säugen. Im Jahr 1838
wird Von den Juden und ihren Lügen schließlich von C. Fischer in Leipzig
neu aufgelegt. Und aus dem Jahr 1883 ist die Rede von Heinrich von Treitschke unter
dem Titel Luther und die deutsche Nation überliefert.
Bereits 1879 hatte der Lutherbewunderer Treitschke
mit dem Satz "Die Juden sind unser Unglück", der später zum Schlagwort des
nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde, großes Aufsehen erregt.
Der Satz "Die Juden sind unser Unglück" stammt
jedoch originär von Martin Luther (siehe hier).
Treitschke beflügelte mit seinen Äußerungen weitere judenfeindliche Bewegungen
im protestantischen Milieu.
Zum Beispiel erhielt dadurch die Berliner Bewegung um den evangelischen Theologen Adolf Stoecker
Aufmerksamkeit und Zustimmung, vor allem die im August 1880 von dieser Bewegung gestartete
"Antisemitenpetition" ("Berliner Antisemitismusstreit"), die
Juden von allen hohen Staatsämtern ausschließen und eine angebliche jüdische
Einwanderung stoppen wollte.
Stoecker wurde 1883 zum zweiten Hof- und Domprediger ernannt und 1887
Herausgeber der Deutschen evangelischen Kirchenzeitung (Fortsetzung siehe
Zeitablauf Um 1900).
Prof. Dr. Brumlik weist
darauf hin, dass "in der Druckfassung auf Seite 484 der gesammelten Schriften [Treitschkes]
zu lesen ist: ´Wo immer deutsches und fremdes Volkstum feindselig aufeinanderstößt,
da war der Protestantismus allzeit unserer sicherster Grenzhüter`". Doch es
gibt noch mehr Beweise dafür, wie Luthers Verfolgungsaufrufe in der deutschen Geschichte
weiter wirkten. So wies der bekannte Lutherforscher Dr. theol. Hermann Steinlein
an weit mehr Beispielen darauf hin, "dass man in der
evangelischen Kirche Jahrhunderte lang immer wieder auf Luthers antijüdische Schriften
hingewiesen hat".
Um 1900 – Die vom evangelischen Prediger Adolf Stoecker gegründete Christlich-Soziale Partei fordert 1903 "die Verdrängung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten öffentlichen Lebens" und das Verbot der Einwanderung von Juden. Stoecker vertritt eine Diskriminierung und Verfolgung auf so genannte "christliche" Art, wie sie typisch für evangelische Kirchenmänner ist. Stoecker, evangelischer Theologe und Leiter der Stadtmission in Berlin, schreibt 1885 an den Theologen Friedrich von Bodelschwingh "den Älteren": "Ich habe gegen die Juden nicht einmal eine Antipathie, ich habe sie als Volk der Verheißung lieb. Wenn ich darüber rede, mache ich auch fast immer mit den rechtschaffenen und bescheidenen Juden eine Ausnahme. Aber im ganzen ist es doch so, dass das moderne Reformjudentum ´unser Unglück` ist." (zit. nach Röhm/Thierfelder, Juden-Christen-Deutsche; Band 1, Calwer Taschenbuchverlag, Stuttgart 1990, S. 52; insgesamt 5 Bände, 1990-1995)
Der kirchliche Antisemitismus prägt die
deutschnationalen antisemitischen Sammlungsbewegungen um die Jahrhundertwende. Die deutschnationale
Fraktion der späteren Weimarer Nationalversammlung schmückt ihr Sitzungszimmer mit
dem Porträt des evangelischen Predigers und Antisemiten Adolf Stoecker. (Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 54)
1910
Der junge Adolf Hitler ist noch kein Antisemit. Er spricht anerkennend von der "jüdischen Tradition", schätzt den jüdischen Hausarzt seiner Familie, wird als Maler beruflich vor allem von Juden gefördert und bevorzugt sogar den Umgang mit seinen jüdischen Freunden und Bekannten, die ihn vielfach unterstützen und ihm aus Notlagen heraushelfen. Adolf Hitler würdigt auch die Leistung jüdischer Komponisten und verteidigt den von Antisemiten angegriffenen jüdischen Schriftsteller Heinrich Heine. Auch erwähnt Hitler später nie ein schlimmes Erlebnis mit Juden. (Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Lehrjahre eines Diktators, München 1996, Taschenbuchausgabe 1998, S. 265, S.496-500)
Der Publizist Theodor Fritsch (1852-1933) veröffentlicht das
Handbuch der Judenfrage. Dazu schreibt Prof. Dr. Micha Brumlik, ehemaliger
Leiter des Fritz-Bauer-Instituts zur Geschichte und Wirkung des Holocaust: "In dieser
Hetzschrift bezieht sich Fritsch etwa 20-mal auf Martin Luther. Mit diesem weitverbreiteten
Pamphlet war Luthers Judenschrift von 1543 [Von den Juden und ihren Lügen] nach
mehr als 300 Jahren in ihr Eigenes gekommen. ... Wenn Martin Luther für etwas stand,
dann doch dafür, ... beharrlich für das einzutreten, was er sagte. Warum sollte
das mit Blick auf die Juden anders gewesen sein?" (Christ und Welt, 14.11.2013)
1912
Nach Augenzeugenberichten "verehrt" Adolf Hitler als Katholik
aber auch Martin Luther, wie Rudolf Hanisch, einer der Mitbewohner im Wiener Männerheim
dem Mährischen Illustrierten Beobachter 1935 mitteilt. Luther habe nach Hitlers
Überzeugung Deutschland von Rom zurück zum echten Germanentum geführt. (Brigitte
Hamann, a.a.O., S. 271.358)
Die Hitler-Biografin Brigitte Hamann schreibt weiter: "Laut
Hanisch meinte H. [Hitler] im Männerheim, die wahre
deutsche Religion sei der Protestantismus. Er habe Luther als das größte
deutsche Genie bewundert" (Brigitte Hamann,
a.a.O., S. 358). Den Antisemitismus Luthers teilt Hitler aber 1912 und
in den folgenden Jahren noch nicht.
1918
Die Biografin Brigitte Hamann geht davon aus, dass sich Hitler
um das Jahr 1918 zum Antisemiten wandelt. Für das Jahr 1918, gegen Ende des 1. Weltkriegs,
stellt sich Adolf Hitler selbst bereits als kämpferischen Antisemiten dar. In seinem
Buch Mein Kampf schreibt er rückblickend auf das Jahr 1918:
"Im Jahre 1918 konnte von einem planmäßigen Antisemitismus gar keine
Rede sein. Noch erinnere ich mich der Schwierigkeiten, auf die man stieß, sowie man
nur das Wort Jude in den Mund nahm. Man wurde entweder dumm angeglotzt oder man
erlebte heftigsten Widerstand. Unsere ersten Versuche, der Öffentlichkeit den
wahren Feind zu zeigen, schienen damals fast aussichtslos zu sein, und nur ganz
langsam begannen sich die Dinge zum Besseren zu wenden ... Jedenfalls
begann im Winter 1918/1919 so etwas wie Antisemitismus langsam Wurzel zu fassen."
Anmerkung:
Bei seiner Wandlung vom jungen Mann, der Juden bevorzugt und jüdische Freunde hat,
zum kämpferischen Antisemiten folgt Adolf Hitler einem seiner größten damaligen
Vorbilder, Martin Luther (siehe 1912).
Im Jahr 1923
wird Martin Luther von Adolf Hitler mit den Worten gelobt:
"Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck
durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen
beginnen."
(Adolf Hitler in: Dietrich Eckart,
Der Bolschewismus von Moses bis Lenin – Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir, München 1924, S. 35)
Zu den Antisemiten zählen auch die meisten evangelischen Pfarrer, die durch ihr Amt, ihr Ansehen und ihren Anspruch, mit "Gott" in Verbindung zu stehen, einen entscheidenden Beitrag für den Durchbruch des Antisemitismus leisten. In den evangelischen Kirchengemeinden werden "Judenvorträge" veranstaltet, so am 4.2.1921 in München-St. Matthäus, der evangelischen Hauptkirche der Stadt. Das Thema dort: Der Christ und der Antisemitismus. Einer der beiden Gemeindepfarrer bekennt sich offen zum Antisemitismus, der andere, der spätere Münchner Dekan D. Friedrich Langenfaß, stellt ebenfalls antisemitische Thesen auf. Er sagt: "Denn mit zunehmender Bitterkeit machte unser Volk seine Beobachtungen, im Feld und daheim, an den jüdischen Mitbürgern ... in diesen Kreisen sah man kaum einen, der wie die ehrlichen Deutschen unterernährt war" (zit. nach Björn Mensing, Pfarrer und Nationalsozialismus, Göttingen 1998, S. 74). Pfarrer Friedrich Langenfaß fordert allerdings Judenmission statt Judenverfolgung. In der anschließenden Diskussion bekommen die Redner uneingeschränkte Zustimmung.
Für das Anwachsen des Antisemitismus sind auch die evangelischen Zeitungen und Zeitschriften entscheidend mitverantwortlich (vgl. dazu unten). Der Kirchenhistoriker Carsten Nicolaisen schreibt über die evangelische Presse: "Die evangelischen Sonntagsblätter nach dem Ersten Weltkrieg sind geradezu eine Fundgrube für die antisemitische Orientierung des deutschen Protestantismus." (zit. nach: Er liebte seine Kirche, Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus, München 1996, Hrsg. Johanna Haberer, S. 49; vgl. dazu eine Fülle von Material in der unveröffentlichten Doktorarbeit von Ino Arndt, Die Judenfrage im Lichte der evangelischen Sonntagsblätter von 1918-1933, Tübingen 1960; als maschinengeschriebenes Manuskript über Fernleihe erhältlich)
Evangelische bzw.
evangelisch geprägte Schulen dienen ebenfalls als Nährboden für Antisemitismus
und Nationalsozialismus,
z. B. das Gymnasium Windsbach mit angeschlossenem "Pfarrwaisenhaus". Trotz des Namens
"Waisenhaus" ist es ein Wohnheim auch für alle Pfarrer-Söhne, nicht nur für die
"Waisen".
Im evangelischen Religionsunterricht der Schule werden schon in den 20-er Jahren
die Schüler angewiesen, militaristische deutschnationale Flugblätter zu verteilen.
Björn Mensing schreibt in seiner Doktorarbeit, "... dass die vom Progymnasium
und insbesondere vom Pfarrwaisenhaus vermittelte ´vaterländische`, nationalprotestantische,
militaristische und völkische Haltung mit ihren antisemitischen und antidemokratischen
Ressentiments bei den Zöglingen einen fruchtbaren Boden für den Nationalsozialismus
bereiten ... Die wenigen jüdischen Mitschüler wurden teilweise angefeindet und isoliert;
es herrschte eine antisemitische Grundstimmung." (Mensing, a.a.O., S. 35 ff.)
Anmerkung:
Am 6.6.1936 wird das evangelisch-lutherische Gymnasium Windsbach als Anerkennung für die geschlossene
Mitgliedschaft der Schüler in der HJ die Genehmigung zur Führung der HJ-Flagge erhalten.
Nach dem 2. Weltkrieg entsteht aus den Reihen des Pfarrwaisenhauses und des lutherischen
Gymnasiums Windsbach der Windsbacher Knabenchor, nach Aussagen von ehemaligen Schülern
ein "Kinder-KZ". Mehrere Schüler bringen sich um. Ein ehemaliger Schüler schreibt
über seine Schülerzeit in Windsbach in der Bundesrepublik Deutschland in den 60er-
und 70er-Jahren: "Fehler und Schwächen waren nicht erlaubt. In den Schlafsaalgruppen
gab es Obergruppenführer und Untergruppenführer wie bei der HJ" (Evangelisches
Sonntagsblatt Nr. 15, 11.4.2010). Mehr dazu
hier.
1921
Der evangelische Pfarrer Friedrich Wilhelm Auer aus der bayerischen
Landeskirche veröffentlicht die antisemitische Studie Das jüdische Problem.
Darin ruft der Pfarrer öffentlich zum Boykott jüdischer Geschäfte auf.
(Clemens Vollnhals, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949, München
1989, S. 123)
Anmerkung:
Zwölf Jahre später, 1933, organisiert die NSDAP – von der evangelischen Kirche unterstützt
– einen landesweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte. 1942 will Pfarrer Auer die
Nazis sogar dazu bewegen, die Endlösung der Judenvernichtung landesweit in einer
Nacht zu vollziehen, wenn im Krieg die alliierten Angriffe auf Deutschland nicht
aufhören (vgl. Zeitablauf: 1942).
August 1921 – In Ankündigungen zum "Sonntag der Judenmission"
tauchen in evangelischen Zeitungen ab 1921 Begriffe auf wie "Fremdkörper im Volksleben"
oder Forderungen, den Antisemitismus zu "fördern". Ino Arndt
schreibt in ihrer Doktorarbeit zu diesem Thema:
"Es
muss als äußerst bedenklich erscheinen, dass die These vom ´berechtigten Antisemitismus`
oder vom ´biblisch ausgewiesenen Antisemitismus` gerade in Verbindung mit der Judenmission
in evangelischen Sonntagszeitungen aufgestellt wird, denn der Einfluss dieser These
auf die Leserschaft kann nicht gering eingeschätzt werden."
(Arndt, a.a.O., S. 214)
1923
8./9.11.1923 – Putschversuch von Hitler und den Nationalsozialisten
gegen die Demokratie stößt auf große Sympathien in der evangelischen Kirche
(Vollnhals, a.a.O., S. 122). Der Putsch scheitert, Hitler wird verhaftet.
Ino Arndt weist in ihrer Doktorarbeit nach, wie die politische Polemik der evangelischen
Publizistik das Ansehen der Republik untergräbt. (z. B. Arndt, a.a.O., S. 216)
1924
Juni 1924 – Evangelische Dekanatsbezirkssynode in München
– Dekan Hermann Lembert warnt 184 Synodale vor der jüdischen
Weltverschwörung.
1924 – Adolf Hitler vereinnahmt Christus für die Judenverfolgung:
"So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn." (aus:
Mein Kampf, Ende des 2. Kapitels: zit. nach
Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 61)
1924 – Adolf Hitler beklagt in
Mein Kampf (siehe unten) die
konfessionelle Zerstrittenheit zwischen Evangelischen und Katholiken als
Schwächung des Antisemitismus.
Versuche von Katholiken oder Evangelischen, Angehörige der jeweils anderen Konfession
überzeugen zu wollen, lehnt er ab:
"Kaum aber, dass es gelungen war, dem deutschen Volk in dieser Frage den großen,
einigenden Kampfgedanken zu schenken, als der Jude auch schon zur Gegenwehr schritt.
... Er ... hat ... den Zwiespalt gesät" zwischen "Katholizismus und Protestantismus".
"Der Jude hat jedenfalls das gewollte Ziel erreicht: Katholiken und Protestanten
führen miteinander einen fröhlichen Krieg, und der Todfeind der arischen Menschheit
und des gesamten Christentums lacht sich ins Fäustchen ..."
Adolf Hitler entwirft ein ökumenisches Zukunftsbild beider Konfessionen: Katholiken
und Protestanten sollen einander achten und schätzen und gemeinsam gegen den Juden
kämpfen.
Und der Kampf wird bald auch auf andere Glaubensgemeinschaften ausgedehnt (siehe
z. B. Zeitablauf: Januar 1932; 9.6.1933).
"Für die Zukunft der Erde liegt aber die Bedeutung nicht darin, ob die Protestanten
die Katholiken oder die Katholiken die Protestanten besiegen, sondern darin, ob
der arische Mensch ihr erhalten bleibt oder ausstirbt ... Darum sei jeder tätig,
und zwar jeder, gefälligst, in seiner Konfession, und jeder empfinde es als seine
erste und heiligste Pflicht, Stellung gegen den zu nehmen, der in seinem Wirken,
durch Reden oder Handeln aus dem Rahmen seiner eigenen Glaubensgemeinschaft heraustritt
und in die andere hineinzustänkern versucht."
Hitler, der als
Knabe auch Ministrant in der Klosterschule im Benediktinerstift Lambach war,
lebt diese Haltung selbst vor und bleibt zeitlebens Katholik, der bis 1933
eine nicht bezahlte Steuerschuld von 400.000 Reichsmark anhäufte, die ihm
schließlich erlassen wurde. "Pünktlich zahlte er nur die Kirchensteuer" (Spiegel online 16.12.2004
nach Recherchen des Notars Klaus-Dieter Dubon).
1934 wurde er von Ludwig Mirre, Absolvent der Klosterschule "Unserer lieben
Frau" in Magdeburg und Präsident des Landesfinanzamts in München, dann von allen
Steuern befreit.
Im Buch Mein Kampf erklärt Adolf Hitler weiter,
dass sowohl der evangelische als auch der katholische Glaube mit dem Nationalsozialismus
vereinbar ist.
"Es konnte in den Reihen unserer Bewegung der gläubige
Protestant neben dem gläubigen Katholiken sitzen, ohne je in den geringsten
Gewissenskonflikt mit seiner religiösen Überzeugung geraten zu müssen.
Der gemeinsame gewaltige Kampf, den die beiden gegen den Zerstörer der arischen
Menschheit führten, hatte sie im Gegenteil gelehrt, sich gegenseitig zu achten
und zu schätzen."
(Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1933, 70. Auflage,
S. 628 ff.)
29.3.1924 – Konkordat zwischen "seiner Heiligkeit" Papst Pius XI. und dem Staate Bayern (abrufbar als PDF-Datei z. B. über http://www.bmi.bund.de)
1.9.1924 – Sitzung des Evangelischen Bundes in München.
Der Vorsitzende, Studienprofessor Konrad Hoefler, fordert den Kampf gegen das Judentum:
Der völkische Kampf gegen das Judentum sei "vollständig
berechtigt und notwendig",
"der Abwehrkampf gegen rassische und geistige Überfremdung sei christliche Pflicht".
(zit. nach Mensing, a.a.O., S. 83)
15.11.1924 – Unterzeichnung des "Staatsvertrags"
zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern.
Nach dem Konkordat des Freistaats Bayerns mit dem Vatikan am 29.3. dieses Jahres
fordern nun auch die Protestanten die vertragliche Absicherung entsprechender
Privilegien. Obwohl die evangelische Kirche der Weimarer Republik weitgehend ablehnend
gegenüber steht, gewährt der Staat auch hier umfangreiche Subventionen. Gleich dem
Konkordat mit Rom ist auch der hier abgeschlossene "Staatsvertrag" bis heute [2021]
gültig und gewährt der evangelischen Kirche jährlich Millionenzuschüsse aus dem allgemeinen Steueraufkommen
zusätzlich zur staatlich eingezogenen Kirchensteuer und der weit gehenden Finanzierung
kirchlicher Sozialeinrichtungen. (Der Staatsvertrag ist
unter Nummer 110 veröffentlicht in der "Rechtssammlung der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern" im C. H. Beck-Verlag in München)
Zu den Subventionen gehören z. B. die Staatsfinanzierung der Kirchenleitung,
des konfessionellen Religionsunterrichts und der theologischen Fakultäten und weitere
"vermögensrechtliche Verpflichtungen". Der Vertrag enthält analog zu dem Konkordat
mit dem "Heiligen Stuhl" außerdem eine so genannte "Freundschaftsklausel",
worin sich der Staat verpflichtet, den Vertrag nicht ohne die Zustimmung der
Kirche zu ändern. Zuletzt haben beide Amtskirchen solche Verträge und Konkordate
mit den neuen Bundesländern der ehemaligen DDR abgeschlossen.
Anmerkung: Alle diese Verträge
aus dem 20. Jahrhundert stellen einen Verfassungsbruch dar, da in der Weimarer
Reichsverfassung in Artikel 138 festgelegt worden war, regelmäßige Subventionen
an die Kirche "abzulösen". Dieser Artikel wurde in das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland, Artikel 140 übernommen. Doch praktisch tat man das Gegenteil,
und der Staat ist durch die Konkordate und Staatsverträge neue Zahlungsverpflichtungen
eingegangen. Die wohl ausschließlich konfessionsgebundenen Politiker der noch jungen
deutschen Demokratie begingen hier den ersten Verfassungsbruch zugunsten ihrer
Kirchen. Darüber hinaus wurde beispielsweise in das Konkordat hinein geschrieben:
"Im Falle einer Ablösung oder Neuregelung ... sichert der bayerische Staat die Wahrung
der kirchlichen Belange durch Ausgleichszahlungen zu ..." (Artikel 10, § 1).
Im "Hitler-Konkordat" des Vatikan mit dem Deutschen Reich aus dem Jahr 1933 wurde dieser
Verfassungsbruch festgeschrieben und durch das Bundesverfassungsgericht 1957 auf
skandalöse Weise für rechtmäßig erklärt.
7.12.1924 – Bei der Reichstagswahl erreichte die Nationalsozialistische
Freiheitsbewegung als Vorläuferin der NSDAP 3,0 % der Stimmen.
1925/1926