Der Theologe Nr. 4, aktualisiert am 2.8.2025
Welche
Verantwortung tragen die evangelische Lehre und die evangelische Kirche für den
Völkermord an den Juden?
DER THEOLOGE Nr. 4
veröffentlicht
bisher wenig bekannte Dokumente und Hintergrund-Informationen und vergleicht
sie mit Fakten der Gegenwart.
In den Jahren 1933-1945 gibt es in der evangelischen
Kirche zwei Flügel, die "Deutschen Christen" und die "Bekennende Kirche". In beiden
Gruppen wird der Treue- und Gehorsams-Eid gegenüber Adolf Hitler geschworen. Und
Verantwortliche und Anhänger beider Flügel fordern oder befürworten auch die Judendiskriminierung
und -verfolgung, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Warum? Kann dies als "einmaliges
Versagen" erklärt werden oder ist es auch eine Folge des evangelisch-lutherischen
Glaubens?
Bild links:
Martin Luther, Von den Juden
und ihren Lügen (1543; hier das Titelblatt einer "Volksausgabe" von Hans-Ludolf
Parisius) – Im Jahr 1938 gab der den "Deutschen
Christen" zugerechnete evangelische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach
eine Auswahl aus dieser
Schrift neu heraus unter dem Titel Martin Luther über die Juden
– Weg
mit ihnen! (Freiburg 1938).
Der Landesbischof feiert darin im Vorwort das Niederbrennen der Synagogen an Luthers
Geburtstag, welcher "der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist".
(mehr dazu hier)
Diese Dokumentation enthält auch
Hinweise auf die Verantwortung der römisch-katholischen Kirche, z. B. Synodenbeschlüsse gegen die Juden. Sie sind
in einer eigenen Theologen-Ausgabe auch gesondert zusammengefasst.
Die umfangreiche Verantwortung des Vatikan und des Papstes am Faschismus in Europa
und am Holocaust wird dokumentiert in
Der
Theologe Nr. 57 – Papst Pius XII., die Faschisten und der Holocaust.
Foto rechts: Einfahrt in Auschwitz
(Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha
/
CC-BY-SA 3.0)
In einem von der Evangelischen Kirche in Deutschland
in Auftrag gegebenen Gutachten schreibt im Jahr 1933 Walter Künneth, der damalige "Sektenbeauftragte"
und baldige Vertreter der Bekennenden Kirche: "Die Kirche hat sich dafür einzusetzen,
dass die Ausschaltung der Juden als Fremdkörper im Volksleben sich nicht in einer
dem christlichen Ethos widersprechenden Weise vollzieht". Wie dies genau geschehen
soll, steht allerdings nicht im Gutachten (mehr dazu hier).
Und wie dies dann praktisch geschah und wie die Kirche dazu beitrug,
darüber informiert nachfolgend DER
THEOLOGE Nr. 4.
Um den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu verdeutlichen,
werden darüber hinaus einige Fakten dokumentiert, wie die Kirche parallel zu
den Juden auch andere Gemeinschaften bekämpfte und verfolgen ließ, wie sie die nationalsozialistische
Diktatur auch im 2. Weltkrieg unterstützte und wie sie auch diesen Krieg geistig mit vorbereitete
und schließlich rechtfertigte.
Mehr zum Thema "Evangelische Kirche und Krieg" finden Sie in der
Ausgabe
Evangelische und katholische Kirche, immer für den
Krieg. Zu den grauenhaften Ausmerzungen
gehört auch, wie die Kirche dazu beigetragen
hat, die Lebensmöglichkeiten der behinderten Mitbürger zu beschränken und diese
schließlich umzubringen.
Einige der Fakten sind in einem eigenem Anhang unter
euthanasie.htm
zusammengefasst. Die Informationen über den bayerischen Landesbischof Hans Meiser sind
ausführlicher ebenfalls in einer eigenen Ausgabe zusammengestellt, siehe theologe11.htm.
Hierbei ist zum historischen Verständnis wesentlich,
dass im Jahr 1933 95,2 % der Deutschen entweder Katholiken oder Protestanten
waren, genau 62,7 % evangelisch und 32,5 % katholisch. Und nach sechs Jahren
NS-Herrschaft im Jahr 1939 waren es im gleichen Gebiet immer noch
94,5 % (also ohne die bis dahin
einverleibten Länder bzw. Gebiete Österreich, Sudetenland u. a.). Die Bürger hatten damals
also eine sehr feste Kirchenbindung. Der Aufstieg und
die Entwicklung des Nationalsozialismus erfolgten also vor allem auf der Basis des
evangelischen und des katholischen Glaubens, die beide als Nährboden für die
Gewaltherrschaft dienten. Eine
so genannte "neuheidnische" bzw. "freireligiöse Gottgläubigkeit" blieb also
eher eine Randerscheinung im Dritten Reich und spielte – was den Aufstieg Deutschlands
zur nationalsozialistischen Großmacht betrifft – kaum eine Rolle. Atheisten wurde
sogar der Eintritt in die SS verboten (Martin Koch, Luther – Hitlers Idol, hpd.de,
7.6.2012). Ein Nationalsozialist war also meistens ein Mitglied der evangelischen
Kirche und am zweithäufigsten ein Mitglied der katholischen Kirche.
Schriften
Martin Luthers –
|
Diese Schrift entstand aus der Verbundenheit zu Jesus von Nazareth, der über die staubigen Straßen Palästinas zog und den Menschen vom kommenden Friedensreich erzählte. Jesus war Jude und lehrte sein Volk, wie es nach den Geboten Gottes leben kann, damit es zum "Segen für alle Völker" wird, so, wie es dem "Stammvater" Abraham prophezeit wurde (1. Mose 12, 3). Doch Priester und Schriftgelehrte stellten sich gegen Jesus und ließen ihn töten.
Jahre bzw. Jahrhunderte später sind es wieder Priester und Schriftgelehrte, die seine einfache und geniale Botschaft zur katholischen und später zur evangelischen Lehre verfälschen.
Jesus gründete keine Kirche. Er wollte keine Priester und Pfarrer und kirchliche Obrigkeiten, und er führte keine Zeremonien, Riten und Kulte ein. Auch sprach er nicht davon, dass Menschen Dome und Kirchen aus Stein bauen sollen. Denn jeder Mensch ist ein "Tempel Gottes", und alle sind Brüder und Schwestern, Kinder Eines Gottes, und alle sind gleich. Keiner braucht also eine Kirche zu besuchen, denn Gott ist in jedem Menschen, in jedem Tier und in der ganzen Natur.
Diese Dokumentation wendet sich weder gegen die evangelische oder die katholische Kirche noch gegen einzelne ihrer Amtsträger, und sie richtet und verurteilt niemanden. Sie informiert nur darüber, was in der evangelischen Kirche im Namen von Christus und Gott geschah und geschieht. Dies wird aufgedeckt. Die evangelische Kirche mag sich "evangelisch" oder "lutherisch" nennen, denn in ihren Reihen wird getan, was schon Luther lehrte. Doch mit dem Missbrauch des Namens "Christus" sollte sie aufhören und ihre Lehre und ihr Verhalten entgegen den Geboten Gottes nicht mehr als "christlich" bezeichnen, weder im Rückblick auf das "Dritte Reich" in Deutschland noch in der Zeit danach.
Allen hier teilweise namentlich genannten Personen gilt nach unserem Glauben die Liebe Gottes ohne Einschränkung. Diese Liebe ist für uns unteilbar. Der Mann aus Nazareth lehrte die Menschen, ihr Fehlverhalten zu erkennen, zu bereuen, um Vergebung zu bitten, zu vergeben, wieder gutzumachen, so dies möglich ist, und Gleiches oder Ähnliches nicht mehr zu tun. Auch bei eventuellen Hass- oder Rachegefühlen bedarf es nach der Lehre des Jesus der Reue, der Bitte um Vergebung und der Vergebung.
DER THEOLOGE Nr.
4 fragt nach den kirchlichen und speziell evangelischen Wurzeln des Holocaust (=
der Shoah).
Mit
ausgewählten Zeitzeugnissen dokumentiert er die Geisteshaltung der evangelischen
Kirche vor, während un nach diesem Völkermord. Außerdem wird auf
Konzils- und Synodenbeschlüsse der katholischen Kirche verwiesen. Manche zeitgeschichtliche
Fakten, die nicht unmittelbar auf das Thema bezogen sind, machen dabei das Umfeld
deutlich, in dem der Holocaust möglich wurde. Dazu gehört vor allem die kirchliche
Bekämpfung anderer Glaubensgemeinschaften parallel zur Bekämpfung des Judentums.
Weiterhin ist zu bedenken, dass weitaus die meisten Nationalsozialisten evangelische
oder katholische Kirchenmitglieder sind, auch wenn dies im Einzelfall oft noch nicht
herausgefunden wurde und deshalb nicht vermerkt ist. Eine klare Unterscheidung "Hier
die Nazis, dort die Kirche" ist aus diesem Grund nicht möglich. Beide Bereiche überschneiden
sich bei Hunderttausenden von Verantwortlichen, Tätern oder Mitläufern, die sowohl NSDAP- als auch Kirchenmitglieder
sind.
Die Dokumente sind nicht vollständig. Wegen der Fülle des Materials bleibt manches
skizzenhaft. Die Beispiele zur evangelischen Kirche stammen zu einem großen Teil
aus dem Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die sich in ihrer
Gesamtheit zur "Bekennenden Kirche" zählte und in diesem Sinne als kirchlich "intakt"
galt. Sie sind aber auch beispielhaft für die anderen evangelischen Kirchen in Deutschland.
Wenn sich einzelne Mitglieder der Kirche unter Einsatz ihres Lebens für jüdische Mitbürger einsetzten bzw. deswegen Nachteile riskierten oder in Kauf nahmen, dann wird das Gute in ihrem Tun nicht in Frage gestellt. Hinweise darauf wurden von den Kirchen vielfach dokumentiert. Oftmals wurde mit diesen Beispielen aber von der Schuld der evangelischen Lehre und der evangelischen Kirche abgelenkt. Die zahlreichen Zeugnisse gegenteiligen Inhalts, welche die Verbindung von evangelischer Kirche, evangelischer Lehre und Judenverfolgung dokumentieren, wurden demgegenüber oft zurückgehalten, beschönigt oder verdreht.
Die Absicht dieser Dokumentation
ist es, evangelische Wurzeln für den Holocaust offen zu legen. Sie unterscheidet
dabei nicht in jedem Einzelfall zwischen typischen evangelischen Mehrheitsstimmen
und Einzelstimmen, doch ergibt die Zusammenschau einen Einblick darüber, wie verschiedene
im evangelisch-lutherischen Glauben wurzelnde Überzeugungen und Haltungen mit dem
Völkermord in Verbindung stehen. Die Mehrheitsstimmen zeigen, wohin die evangelische
bzw. lutherische Lehre überwiegend führte. Und die Einzelstimmen zeigen, was mit
Luthers Lehre noch alles möglich war und ist.
Martin Luther erklärt den Bürgern, die Juden seien ihr "Unglück":
"Ein solch verzweifeltes durchböstes,
durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist´s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere
Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben
rechte Teufel an ihnen. Das ist nichts anderes. Da ist kein menschliches Herz gegen
uns Heiden. Solches lernen sie von ihren Rabbinern in den Teufelsnestern ihrer Schulen."
(Der achte und letzte aller Bücher und Schriften
des teuren seligen Mans Gottes, Doctoris Martini Lutheri, Tomos 8, Jena 1562, S.
95)
Der Satz "Die Juden sind unser Unglück"
wird zu einer der schlagkräftigsten Parolen der nationalsozialistischen Zeit.
Martin
Luther empfiehlt, jüdische Mitbürger zu meiden:
"Wenn du siehst oder denkst an
einen Juden, so sprich bei dir selbst also: Siehe, das Maul, das ich da sehe, hat
alle Sonnabend mein lieben Herrn Jesum ... verflucht, vermaledeit und verspeist,
dazu gebetet und geflucht vor Gott, dass ich, mein Weib und Kind und alle Christen
erstochen und aufs jämmerlichste untergegangen wären. Er wollte es selber gerne
tun, und, wo er könnte, unsere Güter besitzen ... Ich sollte mit einem solchen verteufelten
Maul essen, trinken oder reden? So möchte ich aus der Schüssel oder Kannen mich
voller Teufel fressen und saufen, so mache ich mich gewiss damit teilhaftig aller
Teufel, die in den Juden wohnen."
(Martin Luther, zit.
nach: Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!,
Freiburg 1938, S. 11)
Die Vorwürfe gegen die jüdischen Bürger sind
Lügen.
Die Nationalsozialisten verbieten 1941 Freundschaften zwischen Deutschen
und Juden. In öffentlichen Einrichtungen dürfen Juden nicht bei Deutschen sitzen.
Martin Luthers Spott zur
"Judentaufe"
"Wenn ich einen Juden taufe,
will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab
stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams!"
(Tischreden Nr. 1795, zit. nach Landesbischof Martin Sasse,
Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, Freiburg 1938, S. 14)
Luther verdächtigte hier
anscheinend Juden mit Taufwunsch, nicht wirklich dem Kirchengott huldigen zu
wollen. Die Nationalsozialisten demütigen jüdische
Mitbürger auf vielfache Weise. Schließlich werden sie bei Pogromen und später in
den KZs ermordet. Eine katholische oder evangelische Taufe ist kein Schutz vor dem
Holocaust.
Martin Luther
fordert den Staat dazu auf, die jüdischen Mitbürger zu verfolgen:
1.)
Martin Luther fordert: Man soll ihre "Synagoga oder Schulen mit
Feuer anstecken ... unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe,
dass wir Christen seien ..." (Quelle: siehe
unten)
Das tun die Nationalsozialisten, z. B. in
der Reichspogromnacht 1938, an Luthers Geburtstag.
2.)
Martin Luther fordert, "dass man ihre Häuser desgleichen zerbreche
und zerstöre ... Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun".
Die Nationalsozialisten ziehen die Juden
zunächst ab 1938 in bestimmten Häusern zusammen, ab 1939 teilweise in Gettos. Später
werden sie – vergleichbar einem Viehtransport – in Eisenbahnwaggons gepfercht und
in die Konzentrationslager gefahren. Dort müssen sie in Baracken wohnen.
3.)
Martin Luther fordert, "dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein ...
auch die ganze Bibel und nicht ein Blatt ließe".
Die Nationalsozialisten lassen 1933 die
jüdischen Schriften verbrennen.
4.)
Martin Luther fordert, "dass man ihnen verbiete, bei uns ... öffentlich
Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren bei Verlust Leibes und Lebens ...
dass ihnen verboten werde, den Namen Gottes vor unseren Ohren zu nennen".
Die Nationalsozialisten nehmen den Juden das Leben. Sie werden meist erschossen
oder vergast, ihre Leichen in Massengräbern verscharrt oder verbrannt – allerdings
unabhängig davon, ob der jüdische Bürger zuvor Gott öffentlich lobte oder nicht.
Die ersten Pogrome erfolgen bereits 1933, die Massenmorde beginnen 1939.
5.)
Martin Luther fordert, "dass man den Juden das Geleit und Straße ganz
und gar aufhebe ... Sie sollen daheim bleiben".
Juden dürfen in der nationalsozialistischen
Zeit ihren Wohnort nur mit polizeilicher Genehmigung verlassen. Später gilt
das auch für die Gettos (ab 1939). Wer sich nicht daran hält, wird verhaftet.
6.)
Martin Luther fordert, "dass man ... nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod
an Silber und Gold".
Das tun die Nationalsozialisten ebenfalls.
1938 wird der Besitz "zwangsarisiert", 1939 der Schmuck eingezogen, später das Geld.
7.)
Martin Luther fordert, "dass man den jungen und starken Juden und
Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse
sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen".
Die "jungen und starken Juden und Jüdinnen" werden
von deutschen Firmen der Nazi-Zeit zum Teil als Zwangsarbeiter eingesetzt.
In den Konzentrationslagern werden die Arbeitsfähigen v. a. seit 1938 von den Schwächeren
getrennt. Die einen müssen unter dem Motto "Arbeit macht frei" zwangsarbeiten und
werden erst hingerichtet, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Die anderen werden
gleich umgebracht.
Martin Luther
fordert: "Summa: ... dass ihr und wir alle der ... teuflischen Last der Juden entladen
werden ..."
Schätzungsweise sechs Millionen Juden werden beim
Holocaust ermordet. Von den Überlebenden wandern die meisten bis 1951 in
die USA oder nach Israel aus.
Martin
Luther fasst sein Anliegen der Judenverfolgung folgendermaßen zusammen:
"Unseren Oberherren, so Juden unter sich
haben, wünsche ich und bitte, dass sie eine scharfe Barmherzigkeit wollten gegen
diese elenden Leute üben, wie droben gesagt, obs doch etwas (wiewohl es misslich
ist) helfen wollte. Wie das die treuen Ärzte tun, wenn das heilige Feuer in die
Beine gekommen ist, fahren sie mit Unbarmherzigkeit und schneiden, sägen, brennen
Fleisch, Adern, Bein und Mark ab. Also tue man hier auch, verbrenne ihre Synagogen,
verbiete alles, was ich droben erzählt habe, zwinge sie zur Arbeit und gehe mit
ihnen um nach aller Unbarmherzigkeit wie Mose tat in der Wüste und schlug dreitausend
tot, dass nicht der ganze Haufen verderben musste."
Einige töten, um andere zu retten? Was aber soll nach
Luthers Überzeugung geschehen, wenn ein Massaker z. B. an 3000 Juden aus seiner
Sicht nicht das gewünschte Ergebnis bringen würde, nämlich die Bekehrung der Juden
zum kirchlichen Glauben? Zeichnet sich auch bei Luther schon die so genannte "Endlösung"
der Judenfrage ab?
Anmerkung:
Mose führte solches übrigens nicht durch, es wurde ihm nur unterstellt
(vgl. dazu
Der Theologe Nr. 13 – Wer war Mose wirklich?).
"Im Wissen um das von Deutschen
begangene Menschheitsverbrechen an den Juden erscheinen Martin
Luthers hasserfüllte Schmähungen wie eine Handlungsanleitung für die
Endlösung der Judenfrage." |
Quellen:
– Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, Freiburg
1938
– Von den Jüden und ihren Lügen von M. Luther, 1542, als Volksausgabe herausgegeben von H. L. Parisius,
München o. J.;
– Der achte und letzte aller Bücher und Schriften des teuren seligen Mans Gottes,
Doctoris Martini Lutheri vom 42. Jahr an (= Tomos 8); zit. nach Hans-Jürgen Böhm,
Die Lehre M. Luthers – ein Mythos zerbricht, S.205-233; Eigenverlag, Postfach 53,
91284 Neuhaus
Sehr viel mehr Zitate zum Thema Martin Luther und
die Juden finden Sie in |
Der Philosoph Karl Jaspers stellt 1962 fest: Luthers "Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt." (Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962, S. 90)
Adolf Hitler selbst rechtfertigt
in einem Gespräch mit Bischof Hermann Wilhelm Berning von Osnabrück am 26.4.1933
die Judenverfolgung damit, "dass er gegen die Juden nichts anderes
tue als das, was die Kirche in 1500 Jahren gegen sie getan habe".
(zit. nach Friedrich Heer, Gottes erste Liebe, Berlin 1981, S. 406)
Anmerkung: Ausgerechnet
ein Mann namens Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt der NS-Regierung,
nimmt am 20.1.1942 an der so genannten Wannsee-Konferenz in Berlin teil, auf der
die "Endlösung der Judenfrage" endgültig beschlossen wird, die Exekution aller Juden
in Europa. Martin Luther
trägt im Auftrag des NS-Außenministeriums bei diesem Anlass ein Memorandum mit dem
Titel "Wünsche und Ideen des Auswärtigen Amtes zur vorgeschlagenen Gesamtlösung
der Judenfrage in Europa" vor. (zit. nach Wikipedia, Stand: 20.1.2012)
Hinsichtlich des Katholizismus urteilte der bekannte
Historiker David I. Kertzer in seinem Werk Die Päpste und die Juden (2004):
"Als Ende des 19. Jahrhunderts die modernen antisemitischen Bewegungen entstanden,
gehörte die katholische Kirche, die ständig vor einer wachsenden jüdischen Gefahr
warnte, zu den bedeutendsten Akteuren." Alle Elemente der modernen Judenverhetzung
seien
"von der katholischen
Kirche nicht nur geduldet, sondern auch von ihren offiziellen und inoffiziellen
Organen aktiv vertreten" worden ... "Der Übergang von den mittelalterlichen Vorurteilen
gegen die Juden zur modernen politischen antisemitischen Bewegung, der sich innerhalb
weniger Jahrzehnte vor dem Holocaust vollzog, hatte in der katholischen Kirche einen
seiner wichtigsten Architekten." (Der Historiker David I. Kertzer, Die Päpste
gegen die Juden, Berlin 2004)
Gleiches lässt sich auch über die evangelische
Kirche sagen. Die Entstehung der evangelischen Kirche geht auf den Augustinermönch,
Priester und Theologieprofessor Martin Luther (1483-1546) zurück. Der
evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse erklärt, Martin Luther
sei der "größte Antisemit
seiner Zeit"
(siehe Zeitablauf: 1938).
Innerhalb der evangelischen Kirche wird 1932 selbst dokumentiert, wie Luthers antijüdische
Schriften in Verbindung mit den römisch-katholischen Schriften Jahrhunderte lang
den Boden für den Antisemitismus der Gegenwart bereiten (siehe Zeitablauf:
1933 sowie der Nachweis dieser These
hier).
Ausgangspunkt des speziell evangelisch-lutherischen
Antisemitismus ist dabei die Haltung des Reformators Martin Luther. In jüngeren
Jahren versuchte er noch, die Juden zu seiner Reformation zu bekehren (siehe
hier).
Als dies weitgehend erfolglos blieb, wurde Luther zu einem massiven Feind der jüdischen
Bevölkerung und forderte ihre Verfolgung. Eine Art Manifest ist dabei die Schrift
Martin Luthers Von den Juden und ihren Lügen (1543). Die
Judenverfolgung ist eines der wichtigsten Anliegen von Martin Luther in seinen letzten
Lebensjahren. Sie ist auch das Thema seiner letzten Kanzelabkündigung am 15.2.1546
in Eisleben, drei Tage vor seinem Tod, wo er z. B. fordert: "Darum sollt
ihr Herren sie nicht leiden, sondern wegtreiben." Und auch in seinem letzten
Brief, den er von Eisleben aus an seine Frau schreibt, heißt es: "Wenn die Hauptsachen
geschlichtet sind [die Streitigkeiten unter den Grafen von Mansfeld], so muss ich
mich daran legen, die Juden zu vertreiben. Graf Albrecht ist ihnen feind und hat
sie schon preisgegeben, aber niemand tut ihnen noch etwas" (zit. nach
Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!, a.a.O.,
S. 14). Für die jüdischen Bürger tickt die Zeitbombe, doch dann ist Martin Luther,
der Inspirator der staatlichen Obrigkeiten, plötzlich tot. Das von Luther
angestrebte Pogrom fällt
zunächst aus, und es gilt noch etwas länger: "Niemand tut ihnen noch etwas."
Doch die Verfolgungsaufrufe Luthers wirken
weiter. So weist Prof. Dr. Micha Brumlik in dem Artikel Luthers antisemitisches
Gift in der Zeitung Christ und Welt vom 14.11.2013 unter anderem
nach, dass im Laufe der Geschichte immer wieder Bezug auf Luther genommen wurde.
So finden sich judenfeindliche Aussagen Luthers z. B. in der Schrift Gespräche
aus dem Reich der Todten (1738) oder in einem Buch des Theologen Hermann von
der Hardt (1660-1746). 1817 erschien ein weiteres Buch mit anonymem Verfasser und dem
Titel Luthers und v. Herders Stimmen über die Juden. 1819 kam es in Würzburg
dann zu Juden-Pogromen, was beweist, dass sich die Judenfeindschaft hier und da
auch in Gewalt entlud. 1822 beruft sich Hartwig von Hundt-Radowsky in seinem Werk
Die Judenschule auf den Gründervater der evangelischen Kirche. Beim
Titelbild seines Buches
lässt er sich von Luthers folgender Aussage inspirieren: "Es ist hie zu Wittenberg
an unser Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen; da liegen junge Ferkel und Juden
unter, die saugen; hinter der Sau steht ein Rabbin, der hebt der Sau das rechte
Bein empor, und mit seiner linken Hand zieht er den Pirzel über sich, bückt und
guckt mit großem Fleiß der Sau unter dem Pirzel in den Talmud hinein."
(Erlanger Ausgabe der Lutherschriften XXXII, S. 298)
Entsprechend dieser Aussage sieht man auf dem Titelbild von
Hartwig von Hundt-Radowskys
Buch jüdische Männer, die gierig an den Zitzen eines Schweines säugen. Im Jahr 1838
wird Von den Juden und ihren Lügen schließlich von C. Fischer in Leipzig
neu aufgelegt. Und aus dem Jahr 1883 ist die Rede von Heinrich von Treitschke unter
dem Titel Luther und die deutsche Nation überliefert.
Bereits 1879 hatte der Lutherbewunderer Treitschke
mit dem Satz "Die Juden sind unser Unglück", der später zum Schlagwort des
nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde, großes Aufsehen erregt.
Der Satz "Die Juden sind unser Unglück" stammt
jedoch originär von Martin Luther (siehe hier).
Treitschke beflügelte mit seinen Äußerungen weitere judenfeindliche Bewegungen
im protestantischen Milieu.
Zum Beispiel erhielt dadurch die Berliner Bewegung um den evangelischen Theologen Adolf Stoecker
Aufmerksamkeit und Zustimmung, vor allem die im August 1880 von dieser Bewegung gestartete
"Antisemitenpetition" ("Berliner Antisemitismusstreit"), die
Juden von allen hohen Staatsämtern ausschließen und eine angebliche jüdische
Einwanderung stoppen wollte.
Stoecker wurde 1883 zum zweiten Hof- und Domprediger ernannt und 1887
Herausgeber der Deutschen evangelischen Kirchenzeitung (Fortsetzung siehe
Zeitablauf Um 1900).
Prof. Dr. Brumlik weist
darauf hin, dass "in der Druckfassung auf Seite 484 der gesammelten Schriften [Treitschkes]
zu lesen ist: ´Wo immer deutsches und fremdes Volkstum feindselig aufeinanderstößt,
da war der Protestantismus allzeit unserer sicherster Grenzhüter`". Doch es
gibt noch mehr Beweise dafür, wie Luthers Verfolgungsaufrufe in der deutschen Geschichte
weiter wirkten. So wies der bekannte Lutherforscher Dr. theol. Hermann Steinlein
an weit mehr Beispielen darauf hin, "dass man in der
evangelischen Kirche Jahrhunderte lang immer wieder auf Luthers antijüdische Schriften
hingewiesen hat".
Um 1900 – Die vom evangelischen Prediger Adolf Stoecker gegründete Christlich-Soziale Partei fordert 1903 "die Verdrängung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten öffentlichen Lebens" und das Verbot der Einwanderung von Juden. Stoecker vertritt eine Diskriminierung und Verfolgung auf so genannte "christliche" Art, wie sie typisch für evangelische Kirchenmänner ist. Stoecker, evangelischer Theologe und Leiter der Stadtmission in Berlin, schreibt 1885 an den Theologen Friedrich von Bodelschwingh "den Älteren": "Ich habe gegen die Juden nicht einmal eine Antipathie, ich habe sie als Volk der Verheißung lieb. Wenn ich darüber rede, mache ich auch fast immer mit den rechtschaffenen und bescheidenen Juden eine Ausnahme. Aber im ganzen ist es doch so, dass das moderne Reformjudentum ´unser Unglück` ist." (zit. nach Röhm/Thierfelder, Juden-Christen-Deutsche; Band 1, Calwer Taschenbuchverlag, Stuttgart 1990, S. 52; insgesamt 5 Bände, 1990-1995)
Der kirchliche Antisemitismus prägt die
deutschnationalen antisemitischen Sammlungsbewegungen um die Jahrhundertwende. Die deutschnationale
Fraktion der späteren Weimarer Nationalversammlung schmückt ihr Sitzungszimmer mit
dem Porträt des evangelischen Predigers und Antisemiten Adolf Stoecker. (Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 54)
1910
Der junge Adolf Hitler ist noch kein Antisemit. Er spricht anerkennend von der "jüdischen Tradition", schätzt den jüdischen Hausarzt seiner Familie, wird als Maler beruflich vor allem von Juden gefördert und bevorzugt sogar den Umgang mit seinen jüdischen Freunden und Bekannten, die ihn vielfach unterstützen und ihm aus Notlagen heraushelfen. Adolf Hitler würdigt auch die Leistung jüdischer Komponisten und verteidigt den von Antisemiten angegriffenen jüdischen Schriftsteller Heinrich Heine. Auch erwähnt Hitler später nie ein schlimmes Erlebnis mit Juden. (Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Lehrjahre eines Diktators, München 1996, Taschenbuchausgabe 1998, S. 265, S.496-500)
Der Publizist Theodor Fritsch (1852-1933) veröffentlicht das
Handbuch der Judenfrage. Dazu schreibt Prof. Dr. Micha Brumlik, ehemaliger
Leiter des Fritz-Bauer-Instituts zur Geschichte und Wirkung des Holocaust: "In dieser
Hetzschrift bezieht sich Fritsch etwa 20-mal auf Martin Luther. Mit diesem weitverbreiteten
Pamphlet war Luthers Judenschrift von 1543 [Von den Juden und ihren Lügen] nach
mehr als 300 Jahren in ihr Eigenes gekommen. ... Wenn Martin Luther für etwas stand,
dann doch dafür, ... beharrlich für das einzutreten, was er sagte. Warum sollte
das mit Blick auf die Juden anders gewesen sein?" (Christ und Welt, 14.11.2013)
1912
Nach Augenzeugenberichten "verehrt" Adolf Hitler als Katholik
aber auch Martin Luther, wie Rudolf Hanisch, einer der Mitbewohner im Wiener Männerheim
dem Mährischen Illustrierten Beobachter 1935 mitteilt. Luther habe nach Hitlers
Überzeugung Deutschland von Rom zurück zum echten Germanentum geführt. (Brigitte
Hamann, a.a.O., S. 271.358)
Die Hitler-Biografin Brigitte Hamann schreibt weiter: "Laut
Hanisch meinte H. [Hitler] im Männerheim, die wahre
deutsche Religion sei der Protestantismus. Er habe Luther als das größte
deutsche Genie bewundert" (Brigitte Hamann,
a.a.O., S. 358). Den Antisemitismus Luthers teilt Hitler aber 1912 und
in den folgenden Jahren noch nicht.
1918
Die Biografin Brigitte Hamann geht davon aus, dass sich Hitler
um das Jahr 1918 zum Antisemiten wandelt. Für das Jahr 1918, gegen Ende des 1. Weltkriegs,
stellt sich Adolf Hitler selbst bereits als kämpferischen Antisemiten dar. In seinem
Buch Mein Kampf schreibt er rückblickend auf das Jahr 1918:
"Im Jahre 1918 konnte von einem planmäßigen Antisemitismus gar keine
Rede sein. Noch erinnere ich mich der Schwierigkeiten, auf die man stieß, sowie man
nur das Wort Jude in den Mund nahm. Man wurde entweder dumm angeglotzt oder man
erlebte heftigsten Widerstand. Unsere ersten Versuche, der Öffentlichkeit den
wahren Feind zu zeigen, schienen damals fast aussichtslos zu sein, und nur ganz
langsam begannen sich die Dinge zum Besseren zu wenden ... Jedenfalls
begann im Winter 1918/1919 so etwas wie Antisemitismus langsam Wurzel zu fassen."
Anmerkung:
Bei seiner Wandlung vom jungen Mann, der Juden bevorzugt und jüdische Freunde hat,
zum kämpferischen Antisemiten folgt Adolf Hitler einem seiner größten damaligen
Vorbilder, Martin Luther (siehe 1912).
Im Jahr 1923
wird Martin Luther von Adolf Hitler mit den Worten gelobt:
"Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck
durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen
beginnen."
(Adolf Hitler in: Dietrich Eckart,
Der Bolschewismus von Moses bis Lenin – Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir, München 1924, S. 35)
Zu den Antisemiten zählen auch die meisten evangelischen Pfarrer, die durch ihr Amt, ihr Ansehen und ihren Anspruch, mit "Gott" in Verbindung zu stehen, einen entscheidenden Beitrag für den Durchbruch des Antisemitismus leisten. In den evangelischen Kirchengemeinden werden "Judenvorträge" veranstaltet, so am 4.2.1921 in München-St. Matthäus, der evangelischen Hauptkirche der Stadt. Das Thema dort: Der Christ und der Antisemitismus. Einer der beiden Gemeindepfarrer bekennt sich offen zum Antisemitismus, der andere, der spätere Münchner Dekan D. Friedrich Langenfaß, stellt ebenfalls antisemitische Thesen auf. Er sagt: "Denn mit zunehmender Bitterkeit machte unser Volk seine Beobachtungen, im Feld und daheim, an den jüdischen Mitbürgern ... in diesen Kreisen sah man kaum einen, der wie die ehrlichen Deutschen unterernährt war" (zit. nach Björn Mensing, Pfarrer und Nationalsozialismus, Göttingen 1998, S. 74). Pfarrer Friedrich Langenfaß fordert allerdings Judenmission statt Judenverfolgung. In der anschließenden Diskussion bekommen die Redner uneingeschränkte Zustimmung.
Für das Anwachsen des Antisemitismus sind auch die evangelischen Zeitungen und Zeitschriften entscheidend mitverantwortlich (vgl. dazu unten). Der Kirchenhistoriker Carsten Nicolaisen schreibt über die evangelische Presse: "Die evangelischen Sonntagsblätter nach dem Ersten Weltkrieg sind geradezu eine Fundgrube für die antisemitische Orientierung des deutschen Protestantismus." (zit. nach: Er liebte seine Kirche, Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus, München 1996, Hrsg. Johanna Haberer, S. 49; vgl. dazu eine Fülle von Material in der unveröffentlichten Doktorarbeit von Ino Arndt, Die Judenfrage im Lichte der evangelischen Sonntagsblätter von 1918-1933, Tübingen 1960; als maschinengeschriebenes Manuskript über Fernleihe erhältlich)
Evangelische bzw.
evangelisch geprägte Schulen dienen ebenfalls als Nährboden für Antisemitismus
und Nationalsozialismus,
z. B. das Gymnasium Windsbach mit angeschlossenem "Pfarrwaisenhaus". Trotz des Namens
"Waisenhaus" ist es ein Wohnheim auch für alle Pfarrer-Söhne, nicht nur für die
"Waisen".
Im evangelischen Religionsunterricht der Schule werden schon in den 20-er Jahren
die Schüler angewiesen, militaristische deutschnationale Flugblätter zu verteilen.
Björn Mensing schreibt in seiner Doktorarbeit, "... dass die vom Progymnasium
und insbesondere vom Pfarrwaisenhaus vermittelte ´vaterländische`, nationalprotestantische,
militaristische und völkische Haltung mit ihren antisemitischen und antidemokratischen
Ressentiments bei den Zöglingen einen fruchtbaren Boden für den Nationalsozialismus
bereiten ... Die wenigen jüdischen Mitschüler wurden teilweise angefeindet und isoliert;
es herrschte eine antisemitische Grundstimmung." (Mensing, a.a.O., S. 35 ff.)
Anmerkung:
Am 6.6.1936 wird das evangelisch-lutherische Gymnasium Windsbach als Anerkennung für die geschlossene
Mitgliedschaft der Schüler in der HJ die Genehmigung zur Führung der HJ-Flagge erhalten.
Nach dem 2. Weltkrieg entsteht aus den Reihen des Pfarrwaisenhauses und des lutherischen
Gymnasiums Windsbach der Windsbacher Knabenchor, nach Aussagen von ehemaligen Schülern
ein "Kinder-KZ". Mehrere Schüler bringen sich um. Ein ehemaliger Schüler schreibt
über seine Schülerzeit in Windsbach in der Bundesrepublik Deutschland in den 60er-
und 70er-Jahren: "Fehler und Schwächen waren nicht erlaubt. In den Schlafsaalgruppen
gab es Obergruppenführer und Untergruppenführer wie bei der HJ" (Evangelisches
Sonntagsblatt Nr. 15, 11.4.2010). Mehr dazu
hier.
1921
Der evangelische Pfarrer Friedrich Wilhelm Auer aus der bayerischen
Landeskirche veröffentlicht die antisemitische Studie Das jüdische Problem.
Darin ruft der Pfarrer öffentlich zum Boykott jüdischer Geschäfte auf.
(Clemens Vollnhals, Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949, München
1989, S. 123)
Anmerkung:
Zwölf Jahre später, 1933, organisiert die NSDAP – von der evangelischen Kirche unterstützt
– einen landesweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte. 1942 will Pfarrer Auer die
Nazis sogar dazu bewegen, die Endlösung der Judenvernichtung landesweit in einer
Nacht zu vollziehen, wenn im Krieg die alliierten Angriffe auf Deutschland nicht
aufhören (vgl. Zeitablauf: 1942).
31.7.1921 – Das Hannoversche Sonntagsblatt
betrachtet es als seine Aufgabe und Schuldigkeit, ein offenes Wort über
die "ganze große jüdische Gefahr für unser Volk und Vaterland" zu sprechen,
da die übrigen Tageszeitungen von den jüdischen Anzeigengeschäften
abhängig seien und deshalb nicht so deutlich sprechen könnten. Die vom Landesverband
der evangelischen Inneren Mission herausgegebene Zeitung (Schriftleiter: Pastor
Wilhelm Lueder) ruft das Volk auf, sich die jüdische "Herrschaft"
nicht gefallen zu lassen und fordert ein Verbot der Betätigung von Juden in der
Presse. Das Hannoversche Sonntagsblatt (Auflage: 66.000)
vertritt auch in der Folgezeit einen kämpferischen Antisemitismus. (Arndt, a.a.O.,
S. 31)
August 1921 – In Ankündigungen zum "Sonntag der Judenmission"
tauchen in evangelischen Zeitungen ab 1921 Begriffe auf wie "Fremdkörper im Volksleben"
oder Forderungen, den Antisemitismus zu "fördern". Ino Arndt
schreibt in ihrer Doktorarbeit zu diesem Thema:
"Es
muss als äußerst bedenklich erscheinen, dass die These vom ´berechtigten Antisemitismus`
oder vom ´biblisch ausgewiesenen Antisemitismus` gerade in Verbindung mit der Judenmission
in evangelischen Sonntagszeitungen aufgestellt wird, denn der Einfluss dieser These
auf die Leserschaft kann nicht gering eingeschätzt werden."
(Arndt, a.a.O., S. 214)
1923
8./9.11.1923 – Putschversuch von Hitler und den Nationalsozialisten
gegen die Demokratie stößt auf große Sympathien in der evangelischen Kirche
(Vollnhals, a.a.O., S. 122). Der Putsch scheitert, Hitler wird verhaftet.
Ino Arndt weist in ihrer Doktorarbeit nach, wie die politische Polemik der evangelischen
Publizistik das Ansehen der Republik untergräbt. (z. B. Arndt, a.a.O., S. 216)
1924
Juni 1924 – Evangelische Dekanatsbezirkssynode in München
– Dekan Hermann Lembert warnt 184 Synodale vor der jüdischen
Weltverschwörung.
1924 – Adolf Hitler vereinnahmt Christus für die Judenverfolgung:
"So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn." (aus:
Mein Kampf, Ende des 2. Kapitels, zit. nach
Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 61)
1924 – In seinem Buch Mein Kampf erklärt Adolf Hitler,
die sich auf Martin Luther berufende Los-von-Rom-Bewegung um die Jahrhundertwende
sei ein "schwerer politischer Fehler" gewesen
(zit. nach Brigitte Hamann, a.a.O., S. 357), auch wenn er Luther
ansonsten weiter bewundert. Hitler sucht als römisch-katholischer
Staatsmann aber gezielt auch das Bündnis mit dem Vatikan.
Im Jahr 1933 wird Hitler der katholischen Kirche in einem
Konkordat
umfangreiche Privilegien gewähren (und führt für die Kirchenfinanzierung unter
anderem die Kirchensteuer
ein, die heute durch die staatlichen Finanzämter eingezogen wird) und damit die römisch-katholische Kirche im evangelisch geprägten Deutschland
in einer Weise aufwerten, die gar nicht hoch genug einzuschätzen ist (der protestantische
Reichskanzler Graf Otto von Bismarck hatte ca. 60 Jahre zuvor noch Privilegien für
die katholische Kirche gestrichen). Umgekehrt ist der Vatikan der erste Staat, der
Nazi-Deutschland anerkennt. Papst Pius XII., dessen Seligsprechung seit einiger
Zeit vorbereitet wird, wird später zum Holocaust schweigen.
1924 – Adolf Hitler beklagt in
Mein Kampf (siehe unten) die
konfessionelle Zerstrittenheit zwischen Evangelischen und Katholiken als
Schwächung des Antisemitismus.
Versuche von Katholiken oder Evangelischen, Angehörige der jeweils anderen Konfession
überzeugen zu wollen, lehnt er ab:
"Kaum aber, dass es gelungen war, dem deutschen Volk in dieser Frage den großen,
einigenden Kampfgedanken zu schenken, als der Jude auch schon zur Gegenwehr schritt.
... Er ... hat ... den Zwiespalt gesät" zwischen "Katholizismus und Protestantismus".
"Der Jude hat jedenfalls das gewollte Ziel erreicht: Katholiken und Protestanten
führen miteinander einen fröhlichen Krieg, und der Todfeind der arischen Menschheit
und des gesamten Christentums lacht sich ins Fäustchen ..."
Adolf Hitler entwirft ein ökumenisches Zukunftsbild beider Konfessionen: Katholiken
und Protestanten sollen einander achten und schätzen und gemeinsam gegen den Juden
kämpfen.
Und der Kampf wird bald auch auf andere Glaubensgemeinschaften ausgedehnt (siehe
z. B. Zeitablauf: Januar 1932; 9.6.1933).
"Für die Zukunft der Erde liegt aber die Bedeutung nicht darin, ob die Protestanten
die Katholiken oder die Katholiken die Protestanten besiegen, sondern darin, ob
der arische Mensch ihr erhalten bleibt oder ausstirbt ... Darum sei jeder tätig,
und zwar jeder, gefälligst, in seiner Konfession, und jeder empfinde es als seine
erste und heiligste Pflicht, Stellung gegen den zu nehmen, der in seinem Wirken,
durch Reden oder Handeln aus dem Rahmen seiner eigenen Glaubensgemeinschaft heraustritt
und in die andere hineinzustänkern versucht."
Hitler, der als
Knabe auch Ministrant in der Klosterschule im Benediktinerstift Lambach war,
lebt diese Haltung selbst vor und bleibt zeitlebens Katholik, der bis 1933
eine nicht bezahlte Steuerschuld von 400.000 Reichsmark anhäufte, die ihm
schließlich erlassen wurde. "Pünktlich zahlte er nur die Kirchensteuer" (Spiegel online 16.12.2004
nach Recherchen des Notars Klaus-Dieter Dubon).
1934 wurde er von Ludwig Mirre, Absolvent der Klosterschule "Unserer lieben
Frau" in Magdeburg und Präsident des Landesfinanzamts in München, dann von allen
Steuern befreit.
Im Buch Mein Kampf erklärt Adolf Hitler weiter,
dass sowohl der evangelische als auch der katholische Glaube mit dem Nationalsozialismus
vereinbar ist.
"Es konnte in den Reihen unserer Bewegung der gläubige
Protestant neben dem gläubigen Katholiken sitzen, ohne je in den geringsten
Gewissenskonflikt mit seiner religiösen Überzeugung geraten zu müssen.
Der gemeinsame gewaltige Kampf, den die beiden gegen den Zerstörer der arischen
Menschheit führten, hatte sie im Gegenteil gelehrt, sich gegenseitig zu achten
und zu schätzen."
(Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1933, 70. Auflage,
S. 628 ff.)
29.3.1924 – Konkordat zwischen "seiner Heiligkeit" Papst Pius XI. und dem Staate Bayern (abrufbar als PDF-Datei z. B. über http://www.bmi.bund.de)
1.9.1924 – Sitzung des Evangelischen Bundes in München.
Der Vorsitzende, Studienprofessor Konrad Hoefler, fordert den Kampf gegen das Judentum:
Der völkische Kampf gegen das Judentum sei "vollständig
berechtigt und notwendig",
"der Abwehrkampf gegen rassische und geistige Überfremdung sei christliche Pflicht".
(zit. nach Mensing, a.a.O., S. 83)
15.11.1924 – Unterzeichnung des "Staatsvertrags"
zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern.
Nach dem Konkordat des Freistaats Bayerns mit dem Vatikan am 29.3. dieses Jahres
fordern nun auch die Protestanten die vertragliche Absicherung entsprechender
Privilegien. Obwohl die evangelische Kirche der Weimarer Republik weitgehend ablehnend
gegenüber steht, gewährt der Staat auch hier umfangreiche Subventionen. Gleich dem
Konkordat mit Rom ist auch der hier abgeschlossene "Staatsvertrag" bis heute [2021]
gültig und gewährt der evangelischen Kirche jährlich Millionenzuschüsse aus dem allgemeinen Steueraufkommen
zusätzlich zur staatlich eingezogenen Kirchensteuer und der weit gehenden Finanzierung
kirchlicher Sozialeinrichtungen. (Der Staatsvertrag ist
unter Nummer 110 veröffentlicht in der "Rechtssammlung der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern" im C. H. Beck-Verlag in München)
Zu den Subventionen gehören z. B. die Staatsfinanzierung der Kirchenleitung,
des konfessionellen Religionsunterrichts und der theologischen Fakultäten und weitere
"vermögensrechtliche Verpflichtungen". Der Vertrag enthält analog zu dem Konkordat
mit dem "Heiligen Stuhl" außerdem eine so genannte "Freundschaftsklausel",
worin sich der Staat verpflichtet, den Vertrag nicht ohne die Zustimmung der
Kirche zu ändern. Zuletzt haben beide Amtskirchen solche Verträge und Konkordate
mit den neuen Bundesländern der ehemaligen DDR abgeschlossen.
Anmerkung: Alle diese Verträge
aus dem 20. Jahrhundert stellen einen Verfassungsbruch dar, da in der Weimarer
Reichsverfassung in Artikel 138 festgelegt worden war, regelmäßige Subventionen
an die Kirche "abzulösen". Dieser Artikel wurde in das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland, Artikel 140 übernommen. Doch praktisch tat man das Gegenteil,
und der Staat ist durch die Konkordate und Staatsverträge neue Zahlungsverpflichtungen
eingegangen. Die wohl ausschließlich konfessionsgebundenen Politiker der noch jungen
deutschen Demokratie begingen hier den ersten Verfassungsbruch zugunsten ihrer
Kirchen. Darüber hinaus wurde beispielsweise in das Konkordat hinein geschrieben:
"Im Falle einer Ablösung oder Neuregelung ... sichert der bayerische Staat die Wahrung
der kirchlichen Belange durch Ausgleichszahlungen zu ..." (Artikel 10, § 1).
Im "Hitler-Konkordat" des Vatikan mit dem Deutschen Reich aus dem Jahr 1933 wurde dieser
Verfassungsbruch festgeschrieben und durch das Bundesverfassungsgericht 1957 auf
skandalöse Weise für rechtmäßig erklärt.
7.12.1924 – Bei der Reichstagswahl erreichte die Nationalsozialistische
Freiheitsbewegung als Vorläuferin der NSDAP 3,0 % der Stimmen.
1925 / 1926
1925 – Walter Berlin, Vorsitzender der Nürnberger Ortsgruppe des Centralvereins
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, schreibt: "Eines der betrüblichsten Zeichen
ist es, dass selbst jüngere evangelische Geistliche sich den Predigern des Judenhasses
anschließen." (Peter Zinke, An allem ist Alljuda schuld. Antisemitismus während
der Weimarer Republik in Franken, Nürnberg 2009, zit. nach Evangelisches Sonntagsblatt
Nr. 45, 8.11.2009)
Mitte der 20er-Jahre – Vor allem im streng protestantischen Mittelfranken
wird der von den evangelischen Pfarrern geschürte Antisemitismus immer brutaler.
"Neustadt, Leutershausen, Treuchtlingen – überall das gleich Bild: geschändete
Gräber, eingeschlagene Scheiben, Pogromstimmung."
(Evangelisches Sonntagsblatt
Nr. 45, 8.11.2009)
1925 – Der evangelisch-lutherische Pfarrer Max
Sauerteig aus Ansbach schmückt das Pfarrhaus mit einer Hakenkreuzfahne. (Rainer
Hambrecht, Die Braune Bastion, Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken
(1922-1933), Petersberg 2017)
1926 – Gutachten von Hans Meiser, Direktor des evangelischen Predigerseminars
in Nürnberg und ab 1933 erster evangelischer Landesbischof Bayerns, zum Thema:
Die Evangelischen Gemeinden und die Judenfrage.
Meiser wehrt sich darin gegen "die Verjudung unseres Volkes",
und er erklärt sich einverstanden mit den völkischen Idealen, deren Anhänger
"mit der antisemitischen Bewegung in einer Front stehen",
was "die Rassenfrage als den Kernpunkt der Judenfrage"
betrifft. Der spätere Landesbischof beklagt auch
den Einfluss der Juden, v. a. auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet.
Er schreibt: "Mag die Moral vieler Juden nichts anderes sein als stinkende
Unmoral", und er fordert durch einige konkrete Maßnahmen
"ein Zurückdrängen des jüdischen Geistes im öffentlichen Leben"
und die "Reinhaltung des deutschen Blutes".
Statt für "Judenpogrome" spricht er sich aber für eine "Pflicht zur christlichen
Nächstenliebe" auch den Juden gegenüber aus und für eine Bekehrung der jüdischen
Bevölkerung zur kirchlichen Lehre.
Das Gutachten, welches die typische Haltung der evangelischen Kirchen zu diesem
Thema wiedergibt, ist im Anhang auszugsweise abgedruckt (siehe
Anhang).
Sowohl die "Bekennende Kirche" als auch die "Deutschen Christen"
unterstützen die Judenverfolgung (siehe Anhang).
August 1926 – Der evangelisch-lutherische Pfarrer Martin Weigel
nimmt vor dem Altar der Lorenzkirche in Nürnberg eine SA-Fahnenweihe vor.
Zu diesem Zeitpunkt lag die NSDAP in der "Wählergunst" zwischen 2 % und 3 %.
1926 – Der einflussreiche Erlanger Theologieprofessor und Vertreter
der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, Paul Althaus, lehnt die Weimarer Republik als
"schwachen Staat" ab. Er fordert ein Recht auf Revolution dort, wo das Parlament
versage. Paul Althaus lehrt antisemitische Ideen und begrüßt die Nazi-Machtergreifung
später als Gottes Willen. (R. P. Ericksen, zit. nach Mensing, a.a.O., S. 67
f.; vgl. Zeitablauf: 1934)
Sein Kollege, der ebenfalls einflussreiche Theologieprofessor Werner Elert,
stuft die Weimarer Republik mit Hinweis auf die lutherische Zwei-Reiche-Lehre sogar
als unnatürliche, gottwidrige Staatsform ein. Die Nazi-Diktatur hingegen befürwortet
er später. Elert ist ebenfalls engagierter Antisemit (vgl. Zeitablauf:
1937; und Anhang über die Zwei-Reiche-Lehre).
Anmerkung:
Beide Theologieprofessoren sind engagierte Verfechter der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre.
Martin Luther fordert darin die gegenseitige Unterstützung von Staat, dem "Reich
zur Linken Gottes", und Kirche. Die Kirche repräsentiert das "Reich zur Rechten
Gottes" und gibt dem Staat z. B. die ethischen Leitlinien vor (Näheres dazu im
Anhang).
Alle evangelisch-lutherischen Theologen müssen das Bekenntnis zu diesem Glauben
ablegen, wie es z. B. verbindlich in der Augsburger Konfession von 1530 formuliert
ist. Dort heißt es, "dass alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regiment und
Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen
mögen in Obrigkeit, Fürsten- und Richter-Amt ohne Sünde sein, nach kaiserlichen
und anderen üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert
strafen, rechte Kriege führen usw." (CA XVI; zit. nach Die Bekenntnisschriften
der evangelisch-lutherischen Kirche, herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen
Konfession 1930, Göttingen 1982)
1927
1927 – Das überregionale evangelische
Wochenblatt Licht und Leben möchte, dass es eine gesellschaftliche Sitte
gibt, durch die verhindert wird, dass deutsche "Arier"
bei Juden kaufen.
Ein Jahr zuvor schrieb Licht und Leben bereits von der "wohlbegründeten Abneigung
der Völker" gegen die Juden, die "geachtet" werden müsse. Die in Elberfeld (ab 1929:
Wuppertal-Elberfeld) erscheinende Zeitung (Auflage: 18.000) wird von Pastor Joseph
Gauger, Inspektor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, herausgegeben.
(zit. nach Arndt, a.a.O., S. 214.216)
1928
20.5.1928 – Bei der Reichstagswahl in Deutschland erreichte die NSDAP nur noch 2,6
% der Stimmen. Das ist ein Verlust von 0,4 % gegenüber der Reichstagswahl im Jahr
1924.
1928 – Ganz anders war die Stimmung in Westmittelfranken.
Auf dem Hesselberg (der "Heilige Berg der Franken") in der
Nähe von Rothenburg ob der Tauber hielt der NS-Gauleiter Julius Streicher seit 1928
nationalsozialistische Kampfreden gegen die Juden. 1930 sprach dort unter tosendem
Jubel auch Adolf Hitler. Es kamen in der Folgezeit bis zu 100.000 Besucher zum jeweiligen
Frankentag auf dem Hesselberg, wie die Kundgebungen dann von 1933-1939 hießen. "Die
protestantische Bevölkerung und die fränkischen Kirchenoberen nahmen anfangs ...
begeisternden Anteil an den NS-Frankentagen." (rothenburg-unterm-hakenkreuz.de)
"Die evangelische Kirche war maßgeblich daran beteiligt, dass der Nationalsozialismus
in Westmittelfranken eine Vorreiterrolle spielen konnte. Das evangelische Milieu
war sehr anfällig für Streichers Hetze." (Der Politikwissenschaftler Dr. Michael
Schröder in Süddeutsche Zeitung, 22.2./23.2.2017)
Seit 1951 veranstaltet die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern dann später
den so genannten Bayerischen Kirchentag. An jedem Pfingstmontag pilgerten die Gläubigen
nun zu Tausenden an diesen Ort, seither also zu einem Kirchentag. Erst die
Verbreitung des Corona-Virus sorgte 2020 für einen Stopp. Und die Zeit vor 1945 wird dort heute
aber so gut wie totgeschwiegen. "Nahezu nichts" erinnert mehr daran, so Dr. Michael
Schröder, der beklagt, dass der Protestantismus "den Nazis da gewissermaßen eine
offene Flanke geboten hat".
27.10.1928 – Adolf Hitler wirbt für ein ökumenisches kirchliches "Christentum":
"In unseren Reihen dulden wir keinen, der die Gedanken des Christentums verletzt.
... Diese unsere Bewegung ist tatsächlich christlich. Wir sind erfüllt von dem Wunsche,
dass Katholiken und Protestanten sich einander finden mögen in der tiefen Not unseres
eigenen Volkes." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 65)
Mit dieser Botschaft zieht die NSDAP auch in den
Reichtagswahlkampf 1933.
Dezember 1928 – AStA-Wahl (= Allgemeiner Studenten-Ausschuss) an der Universität
Erlangen. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) verteilt zuvor
ein scharf antisemitisches Flugblatt in hoher Auflage. Er erreicht bei der
Wahl über 30 % der Stimmen. 36,3 % der Mitglieder des NSDStB sind evangelische
Theologiestudenten, obwohl deren Anteil an der Gesamtstudentenschaft nur bei
21,3 % liegt. In anderen Hochschulen sind die evangelischen Theologiestudenten "teilweise
noch erheblich stärker" als in Erlangen bei den Nazis engagiert, z. B. in Kiel,
Marburg, Rostock, Göttingen und Münster.
An der Universität Würzburg trägt der ansteigende Anteil von evangelischen Studenten
zu einem Erstarken des NSDStB bei. (Mensing, a.a.O., S. 49.54.69 f.)
1929 / 1930
Mit maßgeblicher Unterstützung aus der
evangelischen Kirche bekämpft die NSDAP immer heftiger die Weimarer Demokratie.
Und mit Hilfe aus der evangelischen Kirche beginnt nun der Aufstieg der NSDAP
von einer "Splitterpartei"
zu einer "Volkspartei".
1929 – Die fränkische Stadt Coburg, Hochburg des Protestantismus (Luther wohnte dort 1530 ein halbes Jahr lang; über 96 % der Einwohner sind Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche (Zählung von 1910)), entwickelt sich seit 1922 gleichzeitig zu einer Hochburg und einem Bollwerk des Nationalsozialismus. Als erste deutsche Stadt erreicht die NSDAP dort im Jahr 1929 die absolute Mehrheit im Stadtrat, und als erste deutsche Stadt verleiht Coburg im Jahr 1932 dem NSDAP-Anführer Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft.
14.1.1930 – In Berlin wird der evangelische
Pfarrersohn und fanatische SA-Chef von Friedrichshain, Horst Wessel, im Zimmer
seiner Verlobten, einer ehemaligen Prostituierten, von einem Zuhälter angeschossen
– wahrscheinlich wegen privater Konflikte bzw. wegen Konflikten im Rotlicht-Milieu.
Wessel verstirbt an den Folgen der Verletzung am 23.2.1930 und wird von Joseph Goebbels
zum politischen Märtyrer des Nationalsozialismus aufgebaut. Der Hintergrund: Der
Zuhälter war KPD-Mitglied. Ein Lied des Protestanten Horst Wessel ("Die Fahne
hoch ...") wird nun zunächst zur Hymne der NSDAP. Doch bald wird dieses so genannte
Horst-Wessel-Lied im ganzen Land zu einer Art zweiten Nationalhymne. Es wird
später auch von den evangelischen Kirchenmitgliedern unter dem Balkon von Landesbischof
Hans Meiser in München gesungen (siehe
hier). Die Süddeutsche Zeitung
schreibt über das Pfarrhaus-Milieu, dem Horst Wessel entstammt: "Mit
seiner unbedingt völkisch-nationalistischen Überzeugung, die auch die
Predigten des 1879 geborenen Pastors Dr. Wilhelm Wessel prägten, gehörte
der Vater Horst Wessels fraglos zu den geistigen Wegbereitern des
Nationalsozialismus, wie Klaus Mann bereits 1939
schrieb." (9.9.2009)
Anmerkung: Im Jahr 1937 will die
evangelische Kirche eine neue Kirche in Bremen nach ihrem erschossenen Mitglied
Horst Wessel benennen. Doch Adolf Hitler untersagt die Namensgebung "Horst-Wessel-Kirche"
als unzulässige Vereinnahmung von nationalsozialistischen "Kämpfern" durch die Kirche
(siehe hier). Der Landesbischof (welcher der
innerkirchlichen Fraktion der "Deutschen Christen" angehört) betrachtet Horst Wessel
demgegenüber jedoch auch als Mann der Kirche.
14.9.1930 – Bei den Reichstagswahlen verbessert die NSDAP ihr Stimmenergebnis von
2,6 % auf 18,3 %. Die NSDAP ist damit nach der SPD plötzlich zweitstärkste
Kraft im Reichstag.
1930 – "Sektenerhebung"
der Evangelisch–Lutherischen Kirche in Bayern – Mit einem umfangreichen Fragebogen an die Kirchengemeinden
will die evangelisch-lutherische Kirche alle Personen in ihrem Wirkungskreis erfassen,
die einer "Sekte" angehören. Dazu werden gerechnet: Baptisten, Zeugen Jehovas, Neuapostolische,
Spiritisten, Adventisten, Pfingstler, Neutäufer, Mennoniten, Methodisten, Creglianer,
Darbyisten, Hörgerianer, Jerusalemsbrüder, "Vereinigte Brüder in Christo", Irvingianer
usw.
Die Erhebung dient als Grundlage, um auch konkrete Maßnahmen zur
Bekämpfung dieser Glaubensgemeinschaften vorzunehmen, wie z. B.
der Zeugen Jehovas (siehe Zeitablauf:
1932; Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern,
Jahrgang 1967, S. 326).
11.11.1930 – Das Deutsche Pfarrerblatt veröffentlicht
einen Grundsatzbeitrag über das Verhältnis von NSDAP und Kirche. Der Autor, Pfarrer
Friedrich Wienecke, erklärt es zu den Aufgaben der Männer der Kirche, in die
"Tiefe der nationalsozialistischen Gedankenwelt" zu schauen und sich nicht
durch "äußere Schönheitsfehler" wie Härte, Rohheit und
Rachsucht abschrecken zu lassen. Unter der "rauen Schale" keime möglicherweise sogar "das beste Leben,
das je aus der alten deutschen Eiche herauswuchs". Pfarrer Wienecke verweist
in diesem Zusammenhang auf Hitlers Mein Kampf, wo Hitler den Deutschen
die Hochachtung vor den Amtskirchen zur Pflicht macht.
Die von Gott gewollte Aufgabe für die deutsche Politik sei nach Wienecke die Förderung
des "arisch-germanischen Menschen". Die Aufgabe von Theologie und
Pfarrerschaft sei es, zu helfen, dass die Nazi-Bewegung nicht verrausche,
sondern dass sie,
"erfüllt von göttlicher Kraft unserem Volk Gesundung bringe".
Vom Deutschen Pfarrerblatt (Auflage: 18.000-19.000) kann "mit Sicherheit
angenommen" werden, "dass es den deutschen Pfarrerstand in seiner Gesamtheit erreichte".
Das in Essen verlegte Pfarrerblatt ist zudem "Pflichtorgan aller Mitglieder des
Pfarrervereins". Das NSDAP-Blatt Völkischer Beobachter druckt den Artikel
aus dem Deutschen Pfarrerblatt wörtlich nach. (zit. nach Arndt, a.a.O.,
S. 140-144)
Fast zeitgleich mit Erscheinen dieser Ausgabe des Pfarrerblattes kommt es in
Würzburg zu ersten von der NSDAP organisierten Gewalttaten und Mordaufrufen
gegen Juden.
19.11.1030 – "1930 – Die Nazis zeigen ihr radikales,
antisemitisches Gesicht – Ein Jude, schlagt ihn tot!" (Überschrift in Main-Post-Extra, Gemeinsam
ins Dritte Jahrtausend, März 1999) – Beispiel Würzburg: Die Main-Post
berichtet über die NSDAP-Kundgebung am 19.11.1930 vor dem Würzburger Theater.
Ca. 1000 Demonstranten protestieren mit lautstarken Parolen wie "Juda verrecke"
gegen die Aufführung des Stückes Der Dybuk in hebräischer Sprache durch die jüdische
Theatergruppe "Habima" aus Moskau. Der Dybuk
(auch Dybbuk, Dibbuk) ist in Strömungen jüdischen Volksglaubens die Seele eines
Verstorbenen, die einen Menschen besetzt und zum Bösen verführt und dessen Macht
von dafür ausersehenen Mystikern gebrochen werden soll – eine Vorstellung,
die meist auch im Zusammenhang mit Reinkarnation steht.
Die Demonstranten gegen das Theaterstück waren bei einem Bevölkerungsanteil von
deutschlandweit über 95 % demzufolge vor allem
Katholiken und Protestanten. Nach der Aufführung von "Der Dybuk" werden
die jüdischen Theaterbesucher (in Würzburg gab es damals ca. 2500 jüdische
Mitbürger) durch die Protestierenden überfallen. "Eine erhebliche Zahl von Juden wird misshandelt, einige
werden schwer verletzt." Auch Mordaufrufe wie "Da ist ein Jude, schlagt ihn tot",
sind auf der Straße
zu hören.
Im Februar 1931 gesteht sogar der Staatsanwalt den im nachfolgenden Prozess
angeklagten elf Gewalttätern zu, sie hätten
nicht aus "unehrenhaften Motiven" heraus gehandelt – eine Begründung, mit der nach
1945 auch die Nazi-Mitgliedschaft von Pfarrern gerechtfertigt wird. Der Richter
bleibt 1931 sogar noch unter den beantragten ohnehin milden Urteilen der
Staatsanwaltschaft.
Anmerkung:
Am gleichen Tag, dem 19.11.1930, wurde tagsüber einer der bekanntesten jüdischen
Bürger Würzburgs unter großer Anteilnahme der Bevölkerung bestattet, Max Ruschkewitz (*26.9.1899), Sohn des beliebten
Kaufhausinhabers Siegmund Ruschkewitz. Der junge Mann war am 17.11.1930 im Alter
von 31 Jahren an den Spätfolgen seiner Verwundung als jugendlicher deutscher
Soldat im 1. Weltkrieg verstorben. Mit den Mordaufrufen gegenüber Juden durch
nationalsozialistische Katholiken und Protestanten am Abend jenes Tages ist
damit auch ein symbolischer Wendepunkt Richtung Holocaust markiert. Der Bruder
des Verstorbenen,
Ernst Ruschkewitz (* 1903), leitete ab 1931 ein mit dem Wohlwert-Konzern
verbundenes "Kleinpreisgeschäft" mit 60 Angestellten, das vor allem wegen
seiner günstigen Angebote bei der ärmeren Bevölkerung angesehen und beliebt war
und 1935 "zwangsarisiert" wurde. 1932 hatte eben dieser in den USA
lokalisierte Konzern Woolworth (deren Besitzer aber keine Juden waren, sondern
evangelische Methodisten)
der NSDAP eine Geldspende überwiesen. Ernst Ruschkewitz kam 1945 im KZ
Buchenwald mit 41 Jahren ums Leben, seine Frau Ruth wurde bereits mit 31 Jahren
1942 in Auschwitz ermordet. Siegmund Ruschkewitz und seine Frau starben 1940 auf
einem Flüchtlingsschiff im Mittelmeer an Typhus.
November/Dezember 1930 – Der Artikel im evangelischen
Deutschen Pfarrerblatt löst ein starkes Echo aus. Pfarrer Friedrich Wienecke
schreibt, dass er auf seinen Grundsatzbeitrag "eine Fülle von Zuschriften" aus allen
Teilen Deutschlands erhalten habe, die fast alle eine lebendige, "ja begeisterte
Zustimmung" zum Ausdruck brachten. (zit. nach Arndt, a.a.O., S. 144)
Eine Ausnahme ist ein Beitrag des Nichttheologen Georg Sinn. Er sieht in der
NSDAP "widerchristliche Kräfte" am Werk. Sinn kritisiert das kirchliche Messen mit
zweierlei Maß: Milde gegenüber der NSDAP, Unversöhnlichkeit gegenüber der SPD.
Georg Sinn stellt an die NSDAP die Frage, wie sie das Gebot der christlichen
Nächstenliebe mit dem Ruf "Juda verrecke!" vereinbare,
mit der die Mehrzahl aller nationalsozialistischen Kundgebungen beginne.
Anmerkung:
Die SPD war damals mit dem Satz "Religion ist Privatsache" aus ihrem Erfurter Programm
auf heftigen Widerstand der Amtskirchen gestoßen, die deswegen um ihre Privilegien
fürchteten. Nach 1945 änderte die SPD ihre Kirchenpolitik und setzte sich seither für
die Interessen der Kirche ein. Ein großer Teil der evangelischen Pfarrer schwenkte
deshalb in der Folgezeit um in Richtung SPD.
Dezember 1930 – Der Theologe Friedrich Wienecke widerspricht im Deutschen Pfarrerblatt der Anfrage des Nichttheologen Georg Sinn. "Gewisse völkische Schwärmereien" können nicht der NSDAP angerechnet werden. Maßstab der Beurteilung sei die "Innerlichkeit des Führers." Die Männer der Kirche dürfen die Nazi-Bewegung "nicht hinrichten, sondern aufrichten". (zit. nach Arndt, a.a.O., S. 154)
1931
7.1.1931 – Pfarrkonferenz mit 130 evangelischen Pfarrern
in Steinach/Bayern: Das Thema des Hauptvortrags: Der
Nationalsozialismus – eine Frage an Kirchenvolk und Theologie. Der Referent, Pfarrer
Eduard Putz, greift das Judentum an. Er verbindet die evangelische Gotteslehre
mit dem Nationalsozialismus. Es sei Aufgabe der Kirche, dem Nationalsozialismus
zu zeigen, "dass alle seine Ordnungen ohne Gott in der Luft hängen".
Putz hält den Vortrag mehrfach, z. B. auch bei Pfarrkonferenzen in München und Nürnberg.
Einige Pfarrer favorisieren zu diesem Zeitpunkt noch den ebenfalls "rechtsgerichteten"
Christlich-sozialen Volksdienst (CVD), doch Pfarrer Putz bekennt 1934, er habe "seit
dem Jahre 1929 ... durch ... Vorträge eine große Anzahl von Kollegen veranlasst,
... aktive Nationalsozialisten zu werden." (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 129
ff.)
Anmerkung:
Ca.
23 % der evangelischen Pfarrer Bayerns sind zumindest zeitweise Mitglieder des
NSDAP, in manchen Gegenden sind bis zu einem Drittel auch SA-Mitglieder
– obwohl
die Pfarrer laut Kirchengesetz sich gar nicht politisch betätigen dürften (Vollnhals,
a.a.O., S. 124). Da sich viele Pfarrer wohl an dieses Gesetz halten, treten
manche evtl. nur deswegen der NSDAP nicht bei. Die SA verbreitet schon in dieser
Zeit, z. B. durch Überfälle auf politische Gegner, Angst und Schrecken. Ab 1933
kommen Morde hinzu.
Bei der Untersuchung der SA-Geschäftsstellen Anfang 1932 werden
"verbotene Waffen, illegale Munitionslager, Alarm- und Mobilmachungsbefehle,
Pläne für Aufruhr, Putsch und Bürgerkrieg"
gefunden.
"Dass die SA eine militant-staatsfeindliche Rotte war, hatte man auch vorher
schon gewusst." (Volker Hentschel, So kam Hitler, Düsseldorf 1980, S. 43 f.)
Der nationalsozialistische Pfarrer Putz wird 1933 von Landesbischof Meiser als Referent
in die Kirchenleitung berufen. Putz ist auch Träger des goldenen Parteiabzeichens
der NSDAP (vgl. Zeitablauf: 1933).
Januar 1931 – Oberkirchenrat Hans Meiser teilt mit,
dass die Kirche an "dem Ringen zwischen Deutschglauben und den bewusst kirchlichen
Kräften innerhalb des Nationalsozialismus"
"nicht achtlos vorübergehen könne".
Der Meiser-Biograf Siegfried Münchenbach schreibt dazu: "Der politischen und gesellschaftlichen
Ordnung der Weimarer Zeit ist Meiser mit Verachtung begegnet." (zit. nach Mensing,
a.a.O., S. 128)
Februar 1931 – Das Nazi-Blatt Der Stürmer: "Der
Jude ist der verkörperte Antichrist."
Anmerkung:
Der Herausgeber Julius Streicher beruft sich später auf Martin Luther
(siehe Zeitablauf: 1946).
Februar 1931 – Das Kirchenmitglied Georg Sinn schreibt im Deutschen Pfarrerblatt erneut an alle evangelischen Pfarrer. Der Nichttheologe verweist die Theologen auf Hitlers Buch Mein Kampf, das er gelesen und "erschüttert" weggelegt habe. Mein Kampf stehe im Gegensatz zum Christentum. Im Unterschied zu Sinns Ermahnung nimmt die Nazi-Begeisterung bei den meisten evangelischen Pfarrern aber weiter zu.
13.3.1931 – Die in Leipzig herausgegebene
Allgemeine Evangelisch-Lutherische
Kirchenzeitung (AELKZ),
"das größte und führende Wochenblatt des gesamten evangelischen Deutschlands"
(Arndt, a.a.O., S. 8), wendet sich an die NSDAP
mit der Bitte um Hochschätzung der Bibel. Der Herausgeber und Schriftleiter der
AELKZ, Pfarrer Wilhelm Laible, schreibt,
dass die Verkennung der Bibel mit dem "verheerenden Einfluss der Juden" erklärbar
sei. Viele Deutsche verfolgen das jüdische Volk deshalb
als die "Verderber Deutschlands" mit ganzem
Hass und suchen seinen Einfluss zu brechen. Die Bibel sei kein Judenbuch,
sondern ein "Anti-Judenbuch",
denn alles, was an den Juden so "abscheulich"
sei, habe auch die Bibel schon erkannt.
Die AELKZ ist das offizielle Organ der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen
Konferenz in Deutschland. (zit. nach Arndt, a.a.O., S. 147 f.)
25.3.1931 – Nach Absprache mit Oberkirchenrat Meiser lädt die Missionsanstalt Neuendettelsau als erste evangelische Einrichtung in Deutschland die Nazis zu einer "streng vertraulichen Aussprache" ein. Vor ca. 30 evangelischen Theologen spricht Direktor Dr. Friedrich Eppelein die Begrüßungsworte und sagt: "Wir erwarten uns von der NSDAP viel. Wir haben uns bis jetzt noch mit keiner Partei in ähnlicher Weise in Verbindung gesetzt und ausgesprochen" (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 131 f.). Aus Neuendettelsau werden später deutschlandweit die meisten Behinderten zur Ermordung abtransportiert. (PS: Eine Zusammenstellung aller Informationen zu der Ermordung Behinderter finden Sie hier)
1931 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern fordert, die Bilder des kommunistischen Malers George Grosz "unbrauchbar" zu machen (Evangelisches Sonntagsblatt, Jahrgangssammlung, S. 581 f.). Schriftleiter des evangelischen Sonntagsblattes (Auflage: 80.000) ist Pfarrer (später Kirchenrat) Wilhelm Sebastian Schmerl aus Würzburg.
20.10.1931 – Fast ein Jahr nach seinem ersten Grundsatzbeitrag
veröffentlicht der Pfarrer und Autor Friedrich Wienecke einen zweiten an alle evangelischen
Pfarrer Deutschlands gerichteten Grundsatzbeitrag im Deutschen Pfarrerblatt
– Der Titel: Der Nationalsozialismus vor der Gottesfrage. Pfarrer Wienecke:
Gott wolle, dass die Deutschen handeln. Das Evangelium Jesu Christi werde in
der Bewegung des erwachenden Deutschlands zum "Großkampf um Gottes
Sache".
Die "besten Geister" hören "von innen heraus Gottes Ruf".
Das Hakenkreuz sei ohne das Christuskreuz nichts, mit dem Christusgeist aber
alles. (zit. nach Arndt, a.a.O., S. 164 f.)
Die
wenigen kritischen Stimmen verstummen immer mehr.
1931 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern fordert: Das geplante Jugendtreffen der Freidenkerjugend in einer Jugendherberge soll von den Herbergsverantwortlichen untersagt werden. (Jahrgang 1931, S. 609)
1932
Januar
1932 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern wendet sich gegen die Zeugen
Jehovas: "Gegen den Unfug der sog. ´Bibelforscher`: Weite Kreise der
Kirche kämpfen schon seit langem aus religiösen und kirchlichen, die Nationalsozialisten
aus vaterländischen Gründen gegen dieses Unwesen. Dem bibelforscherischen Treiben,
das in letzter Zeit in Bayern einen ganz besonders großen Umfang angenommen hatte,
wurde nunmehr durch die Polizeidirektion München ein Ende bereitet. Mit dem
Beschluss vom 18. Nov. (Bay. Pol. Blatt Nr. 180 vom 23. Nov. 1931) wurde die polizeiliche
Beschlagnahme und Einziehung der Druckschriften der ´Internationalen Bibelforschervereinigung
in Magdeburg` für das Gebiet des Freistaates Bayern angeordnet." (S. 4-5)
Anmerkung: Mit den "Bibelforschern"
sind die "Zeugen Jehovas" gemeint. Vgl.
den Kampf Martin Luthers gegen Andersgläubige:
Luther fordert die Todesstrafe für Bürger, die den Glauben an Christus anders verstehen
als er (mit Ausnahme der Katholiken, deren Glaube "reformiert" werden soll). Z.
B. droht Luther mit der Hinrichtung ohne Gerichtsverhandlung für Christen, welche
seine Rechtfertigungslehre nicht befürworten. (Auslegung des 82. Psalms, Tomos
5, S. 74 b-76; siehe Der Theologe Nr. 3 – Martin
Luther im Gegensatz zu Christus)
1932 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern muss
eine Gegendarstellung drucken:
"Es ist nicht wahr, dass die Internationalen Bibelforscher das Volk für dunkle Ziele
zu gewinnen versuchen ... Die bibelforscherliche Tätigkeit ist in Bayern nicht beendigt
worden, sondern wird in gleichem Umfang fortgesetzt. ... Eingezogen worden sind
... einige Exemplare dieser Druckschriften."
Das Sonntagsblatt kommentiert die Gegendarstellung
in 4-5fachem Umfang:
"Die Mitteilungen obiger ´Berichtigung` dürften weniger uns als die bayerische
Polizei interessieren, welche nach wie vor angewiesen ist, das Treiben der Sekte
im Auge zu haben und ihre Schriften, wo sie angetroffen werden, wegzunehmen.
Übrigens ist nach Erkundigung an zuständiger Stelle von der Polizei die Liste der
zu beschlagnahmenden bibelforscherlichen Schriften neuerdings noch vergrößert worden.
Unsere Leser können sich nunmehr selbst ein Urteil über den Wert obiger ´Berichtigung`
bilden." (S. 135 f.)
Anmerkung:
Es gibt ca. 25.000 Zeugen Jehovas in Deutschland. Die Diskriminierung geht sehr
bald über in eine Verfolgung. In der Zeit von 1933 bis 1939 sind z. B. 5-10 % der
KZ-Insassen Zeugen Jehovas. (Frankenpost, 15.1.1999)
Anfang 1932 – Ein evangelischer
Pfarrer aus dem Dekanat Lohr/Main-Spessart, der sich "mit aller Kraft"
"für die Herbeiführung des Dritten Reiches" einsetzt
(lt. Dekan Jäger), versucht, in einem vollbesetzten Bus Stimmung gegen Juden zu
machen. Als der Pfarrer den Bus betritt, sind alle Sitzplätze belegt, und auf einem der
Plätze sitzt ein jüdischer Mitbürger. Als der evangelische Pfarrer ihn sieht, ruft
er – gemäß Aussage des betroffenen Juden – laut in den Bus: "Für den Juden
ist Platz, aber für mich nicht."
Über den jüdischen Centralverein reicht der Bürger Beschwerde bei der evangelischen
Kirchenleitung ein. Dort rechtfertigt sich der Pfarrer. Er habe nur gerufen: "Wenn
nur die Juden Platz haben, das ist die Hauptsache."
Die Kirchenleitung bittet den Pfarrer um "Zurückhaltung", was dieser in seiner Antwort
von sich weist. (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 106)
1932 – Der Nationalsozialistische Evangelische Pfarrerbund (NSEP) wird gegründet.
12.6.1932 – Die Neue Zürcher Zeitung in der Schweiz berichtet über die Evangelische Kirche in Deutschland: Viele führende Vertreter der evangelischen Kirche, v. a. aber die jüngeren Pastoren, sympathisierten mit Hitler und betätigten sich in der NSDAP. In beinahe allen Landeskirchen bestünden nationalsozialistische Pfarrer-Bünde. Die protestantische Kirche sei dabei, "Parteikirche" [der NSDAP] zu werden.
31.7.1932
–
Reichstagswahl:
Die NSDAP erhält 37,4 % der Stimmen und wird stärkste Partei im Reichstag.
Bei den evangelischen Pfarrern erhält die NSDAP aber weit überdurchschnittlich
ca.
50-60 % der Stimmen (nach Mensing,
in: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 1998, S. 254).
Von den übrigen Pfarrern wählen die meisten die ebenfalls "rechtsgerichtete" Deutschnationale
Volkspartei (DNVP), der auch der evangelische Reichspräsident Paul von Hindenburg
angehört.
In überwiegend evangelischen Stimmkreisen Bayerns erhält die NSDAP sogar über 70
% der Stimmen. Und: "Besonders in kleinen protestantischen Landgemeinden
gewann sie bereits 1932 zwischen 90 und 100 Prozent aller Stimmen" (zit.
nach Vollnhals, a.a.O., S. 124). Dort sind evangelische
Ortspfarrer für die Nazi-Begeisterung maßgeblich mitverantwortlich. Der Historiker
Manfred Kittel schreibt: "Im evangelischen Franken konnte man bereits im Frühjahr
1932 den Eindruck gewinnen, das Dritte Reich sei angebrochen." (Manfred Kittel,
Provinz zwischen Reich und Republik, München 2000, zit. nach Evangelisches Sonntagsblatt
Nr. 15, 14.3.2008)
Im von der evangelischen Diakonie geprägten Neuendettelsau, dem "fränkischen
Rom", erreichte die NSDAP 66,4 % und zusammen mit der DNVP über 88 %, im streng
evangelisch geprägten Rothenburg ob der Tauber erhielt die NSDAP alleine 75,7 %. Der
Rektor der Neuendettelsauer Diakonissenanstalt, Pfarrer Hans Lauerer, schrieb zuvor in
seinem Kapitelsbrief an alle Diakonissen, "dass mir der Nationalsozialismus ein
großes inneres Erlebnis geworden ist, ein Geschenk Gottes". (Süddeutsche
Zeitung, 30.4.2018)
Pfarrer Hans Lauerer wird 1939 auch den Massenmord des
nationalsozialistischen Staates an den seinen evangelischen Einrichtungen
anvertrauten Behinderten rechtfertigen (siehe
hier).
1953 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Und das evangelische Seniorenheim in
Neuendettelsau trägt noch heute [2021] zu Ehren dieses lutherischen Pfarrers den Namen Hans-Lauerer-Haus.
(siehe Foto links: Alexander Rahm, GNU Free Documentation License)
1932 – Mit den Stimmen der NSDAP erreicht der katholische Reichskanzler und Ritter
vom heiligen Grab zu Jerusalem, Franz von Papen (1879-1969), das Verbot der
Freidenker-Bewegung
in Deutschland. Franz von Papen wird am 30.1.1933 nach der Ernennung von Adolf Hitler
zum Reichskanzler dessen Vize-Kanzler. Bereits 1923 wurde er von Papst Pius XI. zum vatikanischen
"Geheimkämmerer" erhoben, was 1959 von Papst Johannes XXIII.
wiederholt wurde.
1933
Januar 1933 – Evangelisches Sonntagsblatt
aus Bayern: Unter dem Titel Eine volkstümliche Ausgabe von
Luthers Judenschriften weist der
"einflussreiche Ansbacher Pfarrer"
(St. Gumbertus), Kirchenrat und "angesehene Lutherforscher" (Björn
Mensing, Pfarrer und Nationalsozialismus, Göttingen 1998, S. 93 bzw. S. 85)
Dr. Hermann Steinlein nach, dass die evangelische Kirche Luthers Antisemitismus
stets hochgehalten hat:
"Nun habe ich aber in meiner Schrift ´Frau Dr. Ludendorffs Phantasien über Luther
und die Reformation` (Leipzig 1932, A. Deichert) nachgewiesen, dass man in der evangelischen
Kirche Jahrhunderte lang immer wieder auf Luthers antijüdische Schriften hingewiesen
hat (Seite 22-27)." (Der evangelisch-lutherische Pfarrer und Kirchenrat Dr. Hermann
Steinlein aus Ansbach in: Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern,
Jahrgang 1933, S. 21; einige der Fakten, mit denen Dr. Steinlein
diesen Nachweis führt, lesen Sie
hier)
Anmerkung:
Das Urteil des Lutherforschers Dr. Hermann Steinleins (* 1865) ist auch dadurch
von Bedeutung, da der im Dezember 1947 verstorbene Theologe und Kirchenrat einer
der renommiertesten Vertreter der evangelischen bayerischen Landeskirche als Teil
der Bekennenden Kirche war. Er schrieb mehrere Bücher über Martin Luther (z. B.
Luther als Seelsorger, Luther und der Krieg, Luthers Stellung zum Judentum, Luther
und das Alte Testament, Kritische Bemerkungen zu neuesten katholischen Lutherbiographien) und verfügte zudem über eine der größten privaten Bibliotheken
(darunter Bücher aus dem 16. Jahrhundert), die nach seinem Tod den Grundstock für
den Aufbau der Hochschulbibliothek der evangelisch-lutherischen Augustana-Hochschule
Neuendettelsau bildete.
Zurecht wirft der anerkannte Luther-Experte der "völkisch" denkenden Medizinerin
Dr. Mathilde Ludendorff vor, sie hätte im Hinblick auf die "Gesamtausgaben" Luthers
"keine Ahnung" (S. 4) bzw. sie wisse nicht einmal, "was fast jeder einigermaßen
begabte und unterrichtete Konfirmand weiß" (S. 5), dass nämlich Luther die
evangelische Bekenntnisschrift Confessio Augustana gar nicht verfasst habe,
sondern sein Mitstreiter Philipp Melanchthon.
30.1.1933 – Militärparade in Berlin anlässlich der Wahl Adolf
Hitlers zum deutschen Reichskanzler – Dazu der spätere Hamburger Landesbischof
Franz Tügel: "Mit klopfendem Herzen erlebte ich den Einzug der Männerbataillone
durch das Brandenburger Tor und den Vorbeimarsch an dem greisen Reichspräsidenten
und seinem jungen Kanzler [= Hitler] unter dem endlosen Jubel der Menschenmassen
... Ein unbeschreibliches Hochgefühl, verbunden mit dem tiefsten Dank gegen den
allmächtigen Herrn der Geschichte, erfüllte mein Herz." (zit. nach Barbara
Beuys, Und wenn die Welt voll Teufel wär, Reinbek 1982, S. 522)
Deutschlandweit läuten anlässlich der Wahl Hitlers die Glocken vieler evangelischer
Kirchen.
25.2.1933 – Adolf
Hitler verkündet die Partnerschaft zwischen Staat, evangelischer und
katholischer Kirche und macht sich zum Vorkämpfer der Ökumene – Vor 30.000
Zuhörern spricht Adolf Hitler am 25.2.1933 in Nürnberg: "Und
wenn man heute versucht,
die Religionen in den Kampf zu stellen, werden wir sagen: Wir
schützen die beiden christlichen Bekenntnisse, indem wir den Marxismus
vernichten werden. Wir werden die beiden Konfessionen
beschützen und beschirmen, aber wir wollen nicht dulden, dass
Deutschland erneut durch einen Krieg der Konfessionen zerfällt."
(Völkischer Beobachter, 28.2.1933, zit. nach Dietrich Küssner, Der
christliche Staatsmann, Düsseldorf 2021,
friedensbilder.de)
In diesem Sinne organisieren nur wenige Wochen später NSDAP- und
Kirchenvertreter ihren gemeinsamen
Feldzug gegen politisch und religiös Andersdenkende.
März 1933 – Nur ca. fünf
Wochen nach der Kanzlerwahl finden erneut Reichstagswahlen in Deutschland statt.
Die Abschlusskundgebung der NSDAP ist am 4.3.1933 in Königsberg. Hitler hält
dort eine Rede. Darüber schreibt die Allgemeine Evangelisch-Lutherische
Kirchenzeitung:
"Millionen deutscher Christen hörten mit und sangen das Lied ´Wir treten zum Beten`
mit, und als die Königsberger Glocken läuteten, stiegen in gleicher Stunde weithin
Gebete zum Himmel auf, wie es wohl nie in der Geschichte Deutschlands geschah."
Die evangelischen Kirchen unterstützen Hitler und die NSDAP mit weiter wachsender
Begeisterung. Der größte Teil der Pfarrer zieht immer mehr Menschen auf die Seite
der Nazis. Die NSDAP erhält diesmal 44 % der Stimmen. Von der anderen Seite her
betrachtet: 56 % der Deutschen (!) können die Nazi-Begeisterung in der evangelischen
Kirche noch nicht teilen und wählen noch anders.
8.3.1933 – Der evangelische Generalsuperintendent von Brandenburg,
Otto Dibelius, in einem Schreiben an die Pfarrer der Kurmark:
"Es werden unter uns nur wenige sein, die sich dieser Wendung nicht von ganzem Herzen
freuen." (zit. nach Beuys, a.a.O., S. 524; Dibelius geht davon aus, dass die meisten
Pfarrer Hitler gewählt haben oder ihm zumindest positiv gegenüberstehen)
März 1933 – Kurz vor oder kurz nach den ersten Pogromen (siehe nächster Beitrag)
lässt die Deutsche Delegation des Protestantischen Weltverbandes weltweit erklären:
"Wir erklären auf Ehre und Gewissen, dass Judenpogrome nicht erfolgt sind.
Wir bitten dringend, bei geplanten Kundgebungen Fälschung der öffentlichen Meinung
durch irrtümliche Gräuelpropaganda zu verhindern und die christliche Gerechtigkeit
und Wahrheitsliebe zu achten." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S.
150)
18.3. / 25.3.1933 – Seit dem 18. März 1933 kommt es zu Ausschreitungen gegen Juden im Hohenlohekreis in Württemberg durch SA-Männer aus Heilbronn. Bei einem Judenpogrom in Creglingen am 25. März 1933 werden die ersten beiden Juden durch fortgesetzte Misshandlungen ermordet.
20.3.1933 – Errichtung des KZ Dachau
21.3.1933 – Der evangelische Generalsuperintendent und spätere erste EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius gibt dem Nazi-Staat den Freibrief für "schonungslose" Gewalt im Namen Luthers und "Gottes" – Der protestantische Kirchenführer predigt in der Nikolaikirche in Potsdam in Anwesenheit von NSDAP-Parlamentspräsident Hermann Göring: "Wir kennen die furchtbaren Worte, mit denen Luther im Bauernkrieg die Obrigkeit aufgerufen hat, schonungslos vorzugehen, damit wieder Ordnung in Deutschland werde ... Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen diejenigen, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, ... dann walte er seines Amtes in Gottes Name." (zit. nach Otto Dibelius, Ein Christ ist immer im Dienst, Stuttgart 1961, S. 172)
23.3.1933
– Adolf
Hitler sieht in seiner Regierungserklärung die evangelische und
die römisch-katholische Kirche als die wichtigste Basis für den Aufbau Nazi-Deutschlands.
Adolf Hitler im Reichstag in Berlin wörtlich: "Die nationale Regierung sieht
in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres
Volkstums ... Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden. Sie erwartet aber
und hofft, dass die Arbeit an der nationalen und sittlichen Erneuerung unseres Volkes,
die sich die Regierung zur Aufgabe gestellt hat, umgekehrt die gleiche Würdigung
erfährt ... Der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die Herstellung
einer wirklichen Volksgemeinschaft dient ebenso sehr den Interessen der deutschen
Nation wie denen unseres [!] christlichen Glaubens." (zit. nach Joachim Beckmann,
Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland, 1933-1944, Gütersloh
1948, S. 23)
In den folgenden Monaten koordinieren Nazi- und
Kirchenvertreter die Bekämpfung anderer Gemeinschaften und Religionen wie dem
Judentum (siehe z. B. Zeitablauf:
9.6.1933).
24.3.1933 – Ermächtigungsgesetz – Der deutsche Reichstag überträgt mit 2/3-Mehrheit die gesamte, auch die Verfassung ändernde Gesetzgebung zunächst für vier Jahre auf Adolf Hitler. Das so genannte "Ermächtigungsgesetz" wird später mehrfach verlängert. Auch die katholische Zentrumspartei stimmte unter der Bedingung zu, dass Nazi-Deutschland mit dem Vatikan ein Konkordat abschließt, was die Strategen im Vatikan gerne vorbereiten und was am 20.7.1933 auch verabschiedet wird. Der Vatikan braucht die Zentrumspartei nun nicht mehr, da man über das Konkordat direkt mit Nazi-Deutschland in Freundschaft verbunden war. Die Zentrumspartei löste sich dann am 5.7.1933 auf.
1.4.1933 – Boykott jüdischer
Geschäfte: SA- und SS-Wachen vor den Geschäften – Sie schreiben deutsche
Kunden auf, die dort noch einkaufen. Nur wenige Bürger trauen sich noch, ein jüdisches
Geschäft zu betreten. Teilweise sind Warnschilder angebracht: "Wer
hier einkauft, wird photographiert!"
Die Schaufenster werden mit dem Wort "Jude" beschmiert.
In Nürnberg wird die Israelitische Kultusgemeinde sogar gezwungen, die Aufwendungen
für die Wachmänner zu bezahlen, evtl. auch in anderen Städten.
1.4.1933 – Der preußische Justizminister verhängt Hausverbot für jüdische Richter.
1.4.1933 – Hilferuf des Rates der Juden an die evangelische
Kirche:
"Die deutschen Juden erhoffen gegenüber den gegen sie gerichteten Bedrohungen ein
baldiges Wort, das im Namen der Religion von der evangelischen Kirche in Deutschland
gesprochen wird." (zit. nach Beuys, a.a.O., S. 533)
Anmerkung:
Das erhoffte "baldige Wort" wird gegen sie ausfallen (siehe die nachfolgende
Meldung vom 4.4.1933).
4.4.1933 – Rede des evangelischen Generalsuperintendenten (und
nach dem Krieg EKD-Ratsvorsitzenden) Otto Dibelius über Kurzwelle. Die Rede ist vor allem an
die Protestanten der USA gerichtet:
Der Boykott gegen die Juden sei "in
Ruhe und Ordnung"
verlaufen.
Die Kirche "kann und darf den Staat nicht daran hindern, mit harten Maßnahmen
Ordnung zu schaffen. ... Sie werden es erleben, dass das, was jetzt in Deutschland
vor sich geht, zu einem Ziele führen wird, für das jeder dankbar sein kann, der
deutsches Wesen liebt und ehrt" (zit. nach Beuys, a.a.O., S. 533 f.).
Die Kirche habe weiterhin aber auch "den Wunsch, das Dritte Reich möge bald so gefestigt
sein, dass ´die Gewalt nicht mehr nötig ist`". (Otto Dibelius, zit. nach "Verrat
unter Brüdern", einestages.spiegel.de, 17.2.2008)
7.4.1933 – Arierparagraph
bzw. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums: Ausschluss aller
Juden aus dem öffentlichen Dienst (vgl. Synode von Clermont im Jahr 535:
Juden dürfen keine öffentlichen Ämter bekleiden).
8.4.1933 – Die Nationalsozialisten bedanken sich bei den obersten Behörden der evangelischen Kirche für die Verteidigung des Boykotts gegen die Juden. Aus der Reichskanzlei wird dem Evangelischen Oberkirchenrat unter Leitung von Präsident Hermann Kapler im Namen des Reichskanzlers (= Hitler) "für den energischen Protest gegen die ausländische jüdische Gräuelhetze" ausdrücklich der Dank ausgesprochen. (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 150)
20.4.1933 – Zum 44. Geburtstag erhielt der Reichskanzler
Adolf Hitler auch ein Glückwunschschreiben der mittelfränkischen Gemeinde
Neuendettelsau. Noch vor dem Bürgermeister unterschrieben die Leiter der großen
evangelischen Einrichtungen am Ort: Friedrich Eppelein, Direktor der
Missionsanstalt, und Hans Lauerer, Rektor der Diakonissenanstalt. Beigelegt war
ein eigens gedichtetes "Hitlerlied", verfasst vom Missionsinspektor der
evangelischen Missionsanstalt Christian Keyser. Darin heißt es: "Es ist
ein Führer und von Gott gegeben; / er stürmt voran, wir folgen treu gesinnt.
/ Es geht durch Nacht und Tod hindurch zu Licht und Leben; / es wird nicht Ruhe,
bis wir Sieger sind."
(zit. nach Süddeutsche Zeitung, 30.4.2017)
22.4.1933 – Jüdische Ärzte werden von der Tätigkeit für
Krankenkassen ausgeschlossen.
24.4.1933 – Der Evangelische Volksbund begrüßt das Verbot der Zeugen Jehovas in Württemberg als Ausdruck einer "Bundesgenossenschaft zwischen Staat und Kirche".
25.4.1933 – Weitgehende Beschränkung der Zahl jüdischer Studenten (vgl. Konzil von Basel im Jahr 1434: Juden dürfen keine akademischen Grade erwerben)
26.4.1933 – Ein neues evangelisches Gutachten unter dem Titel Die Kirche und
die Judenfrage wird im Kirchenausschuss des Kirchenbundesamtes in
Berlin vorgelegt. Präsident Hermann Kapler hatte den bayerischen Pfarrer Walter
Künneth mit dem Gutachten beauftragt. Künneth ist Leiter der überregionalen
Apologetischen Zentrale in Berlin und arbeitet dort als eine Art "Sektenbeauftragter".
Das Gutachten wird innerhalb der evangelischen Kirchen zur maßgeblichen Richtschnur.
Darin heißt es: "Insbesondere erweist sich diese Neuregelung erforderlich
infolge des Überhandnehmens des jüdischen Einflusses, der die Gefahr einer Überwucherung
des deutschen Geistes im gesamten deutschen Öffentlichkeitsleben bedeutet" (vgl.
dazu im Anhang den Anteil der jüdischen Bevölkerung
in Deutschland).
"Zum Dienst am deutschen Volk berufen, hat die Kirche darüber zu wachen, dass
einerseits im Blick auf die besondere Lage dieses Volkes der Verkündigung keine
Hemmung durch zu starkes Hervortreten des judenchristlichen Elementes in der Kirche
bereitet wird und dass andererseits die übergreifende Einheit des christlichen Glaubens
nicht verletzt wird."
Weiter heißt es: "Bei aller grundsätzlichen Anerkennung des Rechtes einer staatlichen
Ausnahmegesetzgebung für Juden ist vom christlichen Standort aus eine Abstufung
der Gesetzgebung zu fordern, die zwischen Juden und Judenchristen unterscheidet."
Das Gutachten fasst zusammen: "Die Kirche hat sich dafür
einzusetzen, dass die Ausschaltung der Juden als Fremdkörper im Volksleben sich
nicht in einer dem christlichen Ethos widersprechenden Weise vollzieht. Gegen jede Art von
gewaltsamer Judenverfolgung, welche das Ansehen des nationalen Staates schädigt
und das Recht der Abwehr gegen Überfremdung diskreditiert, ist deshalb von der Kirche
aus Einspruch zu erheben." (LKA Stuttgart: 116a IV, Altreg.;
zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 369-371)
Anmerkung:
Wie die Ausschaltung der Juden ohne Gewalt konkret geschehen soll und bis zu welchem
Ziel die Ausschaltung vorangetrieben werden soll, schreibt Künneth nicht (vgl.
dazu: Künneths Lebenslauf nach 1945).
26.4.1933 – Adolf Hitler beruft sich auf die kirchliche
Tradition: Am gleichen Tag, an dem die Evangelische Kirche ihr neues Gutachten
über die "Judenfrage" zunächst intern veröffentlicht, rechtfertigt Adolf
Hitler in einem Gespräch mit dem katholischen Bischof Dr. Hermann Wilhelm Berning
von Osnabrück die Judenverfolgung damit, "dass er gegen die Juden
nichts anderes tue als das, was die Kirche in 1500 Jahren gegen sie
getan habe".
(zit. nach Friedrich Heer, Gottes erste Liebe, Berlin 1981, S. 406)
Und offenbar weist Hitler auch bei anderen Gesprächen mit den Kirchenführern
darauf hin. So heißt es weiter: "Adolf Hitler beruft sich selbst, so
auch im Gespräch mit [dem katholischen] Kardinal Faulhaber, –
offenbar, ohne Widerspruch zu finden – darauf, dass er nur tue, was die
Kirche eineinhalb Jahrtausende lang lehrte und den Juden gegenüber praktizierte" (Friedrich Heer, Gottes
erste Liebe, Esslingen 1967, S. 10). Und vor allem im Hinblick auf die
Evangelischen erklärt Hitler, "er wisse sich in der Judenfrage
mit Luther eins". (zit. nach Böhm,
a.a.O., S. 235)
26.4.1933 – Der Kirchenausschuss beim evangelischen Kirchenbund
in Berlin, der höchsten evangelischen Behörde in Deutschland, dankt seinem Vorsitzenden
Kapler, "für alles, was zur Abwehr der Gräuelpropaganda [über
die augenblicklichen Judenverfolgungen] mit Umsicht und erfolgreicher Tatkraft von ihm geschehen
ist". (Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 161 f.)
26.4.1933 – Einzelanträge des Kirchenausschussmitglieds Baron von Pechmann werden von
keinem der anderen Mitglieder unterstützt. Pechmann beantragt vergeblich:
"Wir bekennen uns zu allen Gliedern unserer Kirche ohne Unterschied der Abstammung,
auch und gerade zu denen, die ganz oder teilweise jüdischer Abstammung sind. Wir
fühlen mit ihnen, und wir werden für sie eintreten bis zu den Grenzen des Möglichen
..." Der Antrag wird abgelehnt.
Pechmann weiter: "Aber darüber hinaus kann und darf die Kirche auch
zu dem nicht schweigen, was unter Verletzung christlicher Gerechtigkeit und Liebe
gegen jüdische Volksgenossen geschehen ist und geschieht" (zit. nach Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 160 f.). Pechmanns Antrag wird abgelehnt.
Anmerkung:
Pechmann tritt 1934 wegen der antijüdischen Maßnahmen der Evangelischen Kirche
aus der Kirche aus.
26.4.1933 – Gründung der Geheimen Staatspolizei "Gestapo".
26.4.1933 – Am selben Tag teilt Adolf Hitler dem Vorsitzenden der katholischen
deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Hermann Wilhelm Berning, das Festhalten
der NSDAP am konfessionellen Religionsunterricht an den Staatsschulen mit und seine
Ablehnung weltanschaulich-neutraler Schulen: "Eine weltliche Schule kann
niemals geduldet werden, weil eine solche Schule ja keinen Religionsunterricht
hat. ...
Wir haben Soldaten notwendig, gläubige Soldaten." (zit. nach Helmut Kober,
Wege ohne Dogma, Nr. 3, 1998, S. 61; zit. nach Helmut Steuerwald,
Die Kirchen im Banne des Nationalsozialismus,
zit. nach
http://www.hbb-bayern.de)
April 1933 – Evangelisches Sonntagsblatt
aus Bayern über Hitler: "Wir sehen in ihm ein Werkzeug der
göttlichen Vorsehung ... Möchte er das, was er kraftvoll begann, vollenden
dürfen zum Segen unseres Volkes und unserer evangelischen Kirche." (Jahrgang
1933, S. 215)
1.5.1933 – Auf Anweisung des Landeskirchenrats der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern müssen die evangelischen Pfarrer Münchens mit Hakenkreuzbinde an der Nazi-Massenkundgebung auf der Theresienwiese teilnehmen. (Vollnhals, a.a.O., S. 126)
4.5.1933 – Hans Meiser wird in Bayreuth zum ersten bayerischen
Landesbischof gewählt, nachdem sein Vorgänger, Kirchenpräsident Friedrich Veit,
am 11.4.1933 wegen Vorbehalten gegenüber den Nationalsozialisten vom Landeskirchenrat
aus dem Amt gedrängt worden war. Veit scheint nicht der geeignete Mann, um den Nazis
das als notwendig erachtete Quantum kirchlicher Huldigung entgegen zu bringen. Gleichzeitig wird in dem Gesetz über die Ermächtigung des Landesbischofs
zum Erlass von Kirchengesetzen das Führerprinzip in der Kirche eingeführt
– parallel zum staatlichen Ermächtigungsgesetz für Hitler. Damit kopiert die
Kirche mit Begeisterung die staatliche Entwicklung. Die bayerische Landessynode
entmachtet sich damit selbst zugunsten ihres "Führers" Hans Meiser.
"Geben wir dem Mann, der die Führung haben soll, nun wirklich den Führerstab in
die Hand." (Der Münchner Dekan Friedrich Langenfaß über Meiser; zit. nach Erlanger
Nachrichten, 27.8.1993)
Anmerkung:
In Gedenken an diesen historischen Tag, an dem die evangelische Kirche die innerkirchliche
Demokratie durch das Führerprinzip ersetzt hatte, wurde am 3.5. bzw. 4.5.2008 der Gemeindesaal
der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Obermenzing (Carolinenkirche) in
Hans-Meiser-Saal umbenannt.
5.5.1933 – Der römisch-katholische Kardinal Michael Faulhaber bedankt sich in einem Brief an die bayerische Staatsregierung, "dass sich
im öffentlichen Leben unter der neuen Regierung manches gebessert hat: Die
Gottlosenbewegung ist eingedämmt, die Freidenker können nicht mehr offen gegen
Christentum und Kirche toben, die Bibelforscher können nicht mehr ihre
amerikanisch kommunistische Tätigkeit entfalten." (Akten Deutscher Bischöfe
über die Lage der Kirche 1933-1945, Teil I, Mainz 1968, S. 259, Anm. 17; zit. nach
Garbe, a.a.O., S. 9)
6.5.1933 – Entlassung aller jüdischer Honorarprofessoren und Notare
10.5.1933 – Öffentliche Bücherverbrennungen jüdischer Bücher (vgl. 12. Synode von Toledo im Jahr 681: Verbrennung des Talmud und anderer jüdischer Schriften)
Ab 1933 – Begeisterung in den evangelischen Diakonissenmutterhäusern
über Adolf Hitler und die nationalsozialistische Regierung – "Die Leute sind
toll vor Begeisterung." (NS-Propaganda-Minister Joseph Goebbels nach einem Besuch
des evangelischen Luise-Henrietten-Stifts in Lehnin im Mai 1933; zit. nach
Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last",
ARD 1988)
Das Diakonissenmutterhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth wird von der NSDAP besonders
gelobt, weil es schon vor der Machtübernahme die Partei auch finanziell (!) unterstützte
(Ernst Klee/Gunnar Petrich, Film "Alles Kranke ist Last", a.a.O.).
Im Mitteilungsblatt dieses ältesten evangelischen Diakonissenmutterhauses
in Deutschland wird ein neues "Loblied" der Diakonisse Emma Obermeier abgedruckt,
Die braunen Kolonnen: "Das Hakenkreuzbanner weht stolz voran ... Das undeutsche
Wesen zur Türe hinaus. Wir kehren mit eisernem Besen das Haus. Sieg Heil!"
Mai 1933 – Arzneimittel, deren Hersteller Juden sind, sind nur noch dann zu verordnen, wenn andere gleichwertige Präparate nicht vorhanden sind.
Mai 1933 – Jüdische Selbsthilfe gegen den Boykott: Von jüdischen Gemeinden werden eigene handwerkliche, landwirtschaftliche und gärtnerische Ausbildungszentren gegründet.
18.5.1933 – Das Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische
Kirche in Bayern gibt bekannt: "Mit der Bekanntmachung vom 13. April d. Js.
(Staatsanz. Nr. 88) hat das Staatsministerium des Inneren auf Ersuchen des Staatsministeriums
für Unterricht und Kultur die Vereinigungen der ´Ernsten Bibelforscher` in
Bayern aufgelöst und verboten.
Wir geben dies mit dem Hinweis darauf bekannt, dass die genannte Sekte seit einiger
Zeit sich auch des Namens ´Zeugen Jehovas` bedient und erwarten von unseren
Geistlichen, dass sie das Ihrige tun werden, um ein weiteres Auftreten der Sekte
in ihren Gemeinden zu unterbinden. München, den 11. Mai 1933 – Evang.-Luth.
Landeskirchenrat – D. Meiser." (Amtsblatt Nr. 11 für die Evangelisch-Lutherische
Kirche in Bayern rechts des Rheins; vgl. Zeitablauf: 1932)
Anmerkung:
Von den ca. 25.000 Zeugen Jehovas in Deutschland werden in den nächsten Jahren 10.000
inhaftiert, 2000 davon kommen in die KZs. Dort kommen 1200 ums Leben, weitere
250 werden anderweitig "erhängt, erschossen oder geköpft." (Frankenpost, 15.1.1999)
1.6.1933 – Der bekannte Tübinger Theologieprofessor Gerhard
Kittel (Herausgeber des Standardwerkes Theologisches Wörterbuch zum Neuen
Testament) warnt in einem Vortrag unter dem Titel Die Judenfrage vor
der "Durchsetzung des deutschen Volkskörpers mit zahllosen Mischlingen".
Der Vortrag erscheint kurz darauf als Buch. Darin kritisiert der Theologe auch
die Mediziner "aus dem Judentum": "Aus
ihm kommt eine ärztliche Wissenschaft, deren Ziel das Geldverdienen und nicht
die Gesundheit des Volkes ist." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O.,
S. 169 f.)
Kittel spricht sich für den Status des Judentums als "nicht
assimilierter Gast" aus, der "auf jeden maßgebenden
Einfluss verzichten muss in den Dingen, die deutsches Staats- und Volksleben,
deutsche Kultur und deutsche Geistesbildung betreffen." Das "´echte
Judentum` nimmt ... diesen Zustand als Gericht Gottes über den Ungehorsam
Israels"
und würde sich nicht dagegen wehren.
Anmerkung:
Prof. Dr. Gerhard Kittel wird von den Nazis 1936 in das neu gegründete Reichsinstitut
für Geschichte in die Forschungsabteilung Judenfrage berufen. Zwar widersprechen
mehrere Theologen ihrem Kollegen; doch noch 1944 versendet die Evangelisch-Lutherische
Kirche in Bayern einen antisemitischen Aufsatz Kittels als "Berufshilfe" an alle
Pfarrer (vgl. Zeitablauf:
1944).
7.6.1933 – Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss bei der höchsten evangelischen Behörde, dem Kirchenbundesamt in Berlin, verfasst eine beschwichtigende Stellungnahme an alle ausländischen Kirchen und versichert, "dass es sich gegenwärtig in Deutschland nicht um eine ´Judenverfolgung` mit dem Ziel wirtschaftlicher und persönlicher Vernichtung handelt, vielmehr, abgesehen von dem Boykott, der als einmaliger Akt und als Abwehrmaßnahme anzusehen ist, im wesentlichen um eine gesetzliche Reduzierung des nach dem Weltkriege übermäßig gewordenen Anteils des jüdischen Elements an öffentlichen oder öffentlich bedeutsamen Stellungen. ... Die Maßregel zeigt prinzipiell den Charakter einer Schutzmaßnahme zur Sicherung des deutschen Volkes". (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 162 f.)
9.6.1933 – Zusammenkunft von NS-Vertretern der Ministerien in Preußen und der Gestapo mit Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche in Berlin. Viele Kirchenvertreter fordern das Verbot der Zeugen Jehovas. So bittet auf diesem Treffen z. B. der katholische Domkapitular Ferdinand Piontek um "strenge staatliche Maßnahmen" gegen diese Gemeinschaft. Und der anwesende evangelische Oberkonsistorialrat D. Fischer will ein Verbot der Zeugen Jehovas wegen der Gefahr für das "deutsche Volkstum". Darüber hinaus vertritt er die Auffassung, dass die Kirche auch "mit ihren eigenen Mitteln" entgegentreten müsse (Protokoll der Besprechung im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung; Ev. Zentralarchiv, 7/Generalia XII. Nr. 161; zit. nach Garbe, a.a.O., S. 10). Zwei Wochen später werden die Zeugen Jehovas verboten.
11.6.1933 – Amtseinführung von Landesbischof Meiser in Nürnberg
Männer des Staates, der Partei und der Stadt erweisen dem neuen Landesbischof die
Ehre. Viele uniformierte Männer sitzen im Gottesdienst. Anschließend lädt die Stadt
Nürnberg zu einem Staatsakt für Landesbischof Meiser und die Kirchenführer ein,
umrahmt von SA, SS, HJ und BDM.
13.6.1933
– Pfarrer Putz, Träger des goldenen Parteiabzeichens der NSDAP und aktiver Werber
für NSDAP-Mitgliedschaften unter Pfarrern, wird als Referent in den Landeskirchenrat
nach München berufen. Seine Dienstanweisung beinhaltet die "Aufrechterhaltung
einer möglichst innigen Verbindung zur Reichsleitung der NSDAP und ihrer verschiedenen
Abteilungen, besonders auch zur SA und zur SS sowie zur Glaubensbewegung Deutsche
Christen". (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 162)
Anmerkung:
Pfarrer Putz vertritt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern auch im Reichsbruderrat
der Bekennenden Kirche, der Synode der Bekennenden Kirche, und er wird 1934 Mitglied
der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche. Nach dem Krieg rechtfertigt Putz
seine NSDAP-Mitgliedschaft bis 1945 mit den Worten: "Wir haben eine Seelsorgeverpflichtung
gegenüber den in der Partei befindlichen Christen."
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 263)
18.6.1933 – Der Evangelische Presseverband für Württemberg
schreibt rückblickend über den Boykott gegen die jüdischen Geschäfte:
"Der Boykott am 1. April und das fernere Vorgehen gegen die Juden hat in
manchen christlichen Kreisen eine Gewissensnot verursacht, mit der sie nicht fertig
werden können. Diese Not mag davon herrühren, ... dass sie überhaupt kaum noch etwas
von den schweren Gefahren aller Art wussten, die unserem Volk von jüdischer Seite
drohen ... die ´Gräuelpropaganda` ... von Juden verursacht, genährt und geleitet
... führte zur Aufwiegelung der Völker gegen Deutschland. ... Sich mit allen brauchbaren
Mitteln zu erwehren, war das gute Recht des deutschen Volkes. Dabei
mitzuhelfen war die Pflicht auch des Christen. ... Wer sein Volk in der Gefahr im
Stich lässt, der ist nicht nur ein Feigling, sondern er vergeht sich gegen Gottes
Willen!
Der Boykott und andere Maßnahmen gegen den jüdischen Einfluss waren
´kriegerische` Handlungen, entsprungen aus der Notwehr. ... Auch die Bibel weiß von dieser Schicksalsgemeinschaft,
die Schuldige und Unschuldige gleichermaßen umfasst. Man denke etwa an die Erzählung
von den ägyptischen Plagen. ... Wir wollen daraus lernen, nicht verweichlicht zu
denken. Es gehört auch zur Aufgabe des christlichen Glaubens, die Welt in
ihrer ganzen Nüchternheit und u. U. Brutalität zu begreifen und
sich in das Verhängnis der Schuldzusammenhänge hineinzustellen, anstatt voreilig daraus zu fliehen.
... Volkfremdes, weltbürgerliches Denken ist nicht christlich, weil es die Schöpfungsordnung
verleugnet. ... Der Kampf gegen die jüdische Gefahr ist nicht gelöst durch Boykott
und Entlassungen, sondern dazu bedarf es einer seelischen Neuwerdung des Deutschen
... dass diese verheißungsvolle Bewegung ihre Kräfte aus den letzten Tiefen hole
und dass die nationale Revolution weiterführe zu einer Reformation des deutschen
Menschen, das ist die größte und verantwortungsvollste Aufgabe, die dem deutschen
Christen heute gestellt ist." (Stuttgarter Evangelisches Sonntagsblatt, 18.6.1933;
zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 377-379)
19.6.1933 – Das Verbot der Zeugen Jehovas in Württemberg
wird vom dortigen Innenminister im Württembergischen Staatsanzeiger erklärt:
"Diese zersetzende Tätigkeit, die einen Missbrauch des Rechts auf freie Meinungsäußerung
darstellt und geeignet ist, nicht nur in einzelne Familien, sondern in ganze
Gemeinden religiöse Zwietracht hineinzutragen, ist mit dem Gedanken einer
christlichen deutschen Volksgemeinschaft unvereinbar und kann daher vom
Staate nicht länger geduldet werden." (Nr. 139 vom 19.6.1933; zit. nach Garbe,
a.a.O., S. 10)
Anmerkung:
Um das drohende Verbot, den Verlust ihres Immobilienbesitzes und die Verfolgung
noch abzuwenden, betont die leitende "Wachtturm"-Zentrale der Zeugen Jehovas im
Juni Übereinstimmung mit den "hohen Idealen, die sich die nationale Regierung zum
Ziele gesetzt hat". In diesem Zusammenhang wird auch auf die "Ausbeutung und Bedrückung
vieler Völker" durch die "Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreichs" verwiesen.
Dieses Zugeständnis der Wachtturm-Gesellschaft an die deutsche Regierung wird von
einem ehemaligen Zeugen Jehovas mit der "Maxime" der "theokratischen Kriegslist"
in Verbindung gebracht (zit. nach Hans-Jürgen Twisselmann, Satans System oder
Gottes Zulassung auf Zeit, in: EZW-Texte Nr. 145, Berlin
1999, S. 50.52). Die Verfolgung hat es nicht abgewendet. Gegen die eigene Verfolgung
wie auch gegen die Verfolgung der Juden haben die Zeugen Jehovas scharf protestiert.
Seit 1933 – Entlassungen jüdischstämmiger Christen aus kirchlichen Ämtern
22.6.1933 – Verbot der SPD wegen angeblichen Landes- und Hochverrats
23.6.1933 – Grußwort des Herrn Landesbischofs
an die evangelische Jugend:
"... Ich weiß und erkenne dankbar an, dass die einzelnen Verbände jeder in seiner
Art in den vergangenen Jahren der Kirche und darüber hinaus dem ganzen deutschen
Volke dadurch wertvolle Dienste erwiesen haben, dass sie treu im evangelischen Glauben
sich als Damm gegen die Volkszersetzung des Bolschewismus und des Freidenkertums
bewährt haben. Der Gottlosigkeit sind heute unter den neuen Verhältnissen manche
Kanäle abgegraben; ... So tue, evangelische Jugend, dein Werk und der Herr der Kirche
wolle es in Gnaden fördern! München, den 23. Juni 1933 – Der Landesbischof
der Evang.-Luth. Kirche in Bayern r. d. Rhs; D. Meiser." (zit. nach Amtsblatt
der Evang.-Luth. Kirche in Bayern Nr. 16 vom 29.6.1933)
Juni 1933 – Verbot des sportlichen Wettkampfs gegen Juden
Z.B. 24.6.1933 – "Erlass an die Würzburger Studentenschaft!"
"Es ist jedem Mitglied der Deutschen Studentenschaft an der Universität
Würzburg verboten, gegen nichtarische Studenten in irgendeinem sportlichen Wettkampf
anzutreten. Zuwiderhandlungen werden strengstens bestraft." (Würzburger Generalanzeiger,
zit. nach Dieter W. Rockenmaier, Das Dritte Reich und Würzburg, Würzburg 1988, 3.
Auflage, S. 56)
1933 – Überall in Deutschland werden die auf einen
Satz Martin Luthers zurückzuführenden Schilder angebracht: "Die
Juden sind unser Unglück".
Die Stadt Ansbach wendet sich z. B. an alle deutschen Geschäftsinhaber und ordnet
an, dass die Schilder Die Juden sind unser Unglück deutlich sichtbar in den
Schaufenstern aufgestellt werden müssen.
Ein Verzeichnis jüdischer Geschäfte der Stadt wird angefertigt und kostenlos
an Fabriken, Geschäfte und Behörden verteilt. Es wird zur Auflage gemacht, dass
jeder Bürger ein solches Verzeichnis haben müsse. Auf dem Verzeichnis steht: "Wer
bei nachstehenden, im Kreis Ansbach-Feuchtwangen wohnhaften Juden kauft,
ist ein Volksverräter." (Diana Fitz,
Ansbach unterm Hakenkreuz, Ansbach 1994, S. 88)
Ähnliches geschieht in anderen
Städten.
1933 – Lutherischer
Generalsuperintendent Knolle aus Lübeck feiert Martin Luther:
"Ewigkeit und Deutschtum begegnen sich in seiner Gestalt. In dieser Ewigkeitsverbundenheit
seines Erdenauftrages erwächst er zum Propheten der Deutschen, als den er sich –
wenn auch zögernd – bezeichnet hat ... Luther muss Prophet und Wegbereiter
auch für die neue weltgeschichtliche Zeit des Dritten deutschen Reiches sein
... Lutherisches Christentum ist und bleibt die höchste Offenbarung Gottes in
deutscher Sprache." (zit. nach:
Vierteljahresschrift der Luthergesellschaft, München 1933, S. 121.123)
Ab 1933 – Schikanen und Straftaten gegen Juden – Die Polizei lässt Ermittlungen im Sande verlaufen.
Ab 1933 – Juden werden aus Vereinen
ausgeschlossen und dürfen nicht mehr Mitglieder von Vereinen, z. B.
Sportvereinen werden.
Das hat zum Beispiel folgende Konsequenz: Der Jude Kurt Dietenhöfer darf den
Sportplatz in Ansbach, den er selbst mitgebaut hat, nicht mehr betreten.
3.7.1933 – Der Bischof und spätere Erzbischof von Regensburg
Michael Buchberger erklärt die Zustimmung der römisch-katholischen
Kirche zur
"geistigen Gleichschaltung" mit der NSDAP. In einem Brief an Adolf
Hitler schrieb der Bischof: "Wir sind bereit, voll guten Willens und Loyalität ...
zusammenzuarbeiten, das heißt für die geistige und moralische Gleichschaltung des
gesamten deutschen Volkes auf christlicher und patriotischer Basis.“
(Ludwig Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Kommission für Zeitgeschichte
A 17, Mainz, 1975, Anlage zu Nr. 330: Buchberger an Hitler, S. 747; zit. nach hpd.de,
11.7.2013)
11.7.1933 – Unter Vermittlung von Reichspräsident Paul von
Hindenburg gründen alle evangelischen Kirchenführer die Deutsche Evangelische
Kirche (DEK).
14.7.1933 – Alle Parteien außer der NSDAP sind seit diesem Tag verboten oder haben
sich bereits vorher aufgelöst. Deutschland ist nun auch äußerlich eine reine Ein-Parteien-Diktatur
mit Adolf Hitler als Reichskanzler und dem parteilosen Franz von Papen
als Vizekanzler (bis August 1934). Adolf Hitler ist bis zu seinem Lebensende Katholik
wie sein Vizekanzler Franz von Papen (1879-1969), der zudem seit 1923 päpstlicher
Geheimkämmerer ist sowie Mitglied des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem
und Ritter des Malteserordens. In dieser Situation erfolgt nun die
"historische Stunde" der römisch-katholischen Kirche, die
weltweite Anerkennung des neuen Nazi-Deutschlands durch den Papst und die
Kirche durch das Konkordat.
20.7.1933 – Der Vatikan schließt mit dem Deutschen Reich ein Konkordat ab
23.7.1933 – Kirchenwahl in allen evangelischen Kirchen: Wahlsieger sind die Deutschen Christen mit ca. 70 % der Stimmen. Die Deutschen Christen bekennen sich zur Basis eines "bejahenden artgemäßen Christus-Glaubens, wie er deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit entspricht". (Richtlinien der DC vom 26.5.32, zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 149)
August 1933 – Die evangelische Kreissynode Waldenburg/Schlesien fordert das Verbot von bis dahin noch nicht verbotenen nichtevangelischen bzw. nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften. Benannt werden die Mormonen, die Adventisten und die Evangelisch-Johannische Kirche. Die Kirchenleitung wird ersucht, "bei den hierfür in Frage kommenden staatlichen Stellen vorstellig zu werden". (Ev. Zentralarchiv 14/810, zit. nach Garbe, a.a.O., S. 10)
5.9.1933 – Die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union beschließt auf ihrer Generalsynode die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche – Die Folge: Ausschluss aller jüdischstämmigen Christen aus dem hauptamtlichen kirchlichen Dienst. Knapp 50 % aller deutschen Protestanten gehören dieser Kirche an.
Der Protest des Theologen Dietrich Bonhoeffer gegen den
kirchlichen Arierparagraphen wird auf der Generalsynode nicht als Thema
zugelassen.
Bonhoeffer sagt:
"Darum gibt es einer Kirche gegenüber,
die den Arierparagraphen in dieser radikalen Form durchführt, nur noch einen Dienst
der Wahrheit, nämlich den Austritt." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O.,
S. 176)
Dazu die Frage: Was hätte Bonhoeffer zu einem kirchlichen Arierparagraphen
in einer "weniger radikalen Form" gesagt? Und: Angesichts der "radikalen" Durchführung
des kirchlichen Arierparagraphen erklärt Bonhoeffer zwar, der Kirchenaustritt sei
der einzige "Dienst der Wahrheit" dieser Kirche gegenüber. Praktisch tut er jedoch
nichts dergleichen.
Mehr zu Dietrich Bonhoeffer
siehe die nachfolgenden drei Anmerkungen sowie unten bei September 1933
-
Frühjahr 1939
- sowie eine weitere Notiz zu
September 1933
Anmerkungen:
1) Bonhoeffers Schwester ist mit einem jüdischen Mann verheiratet.
2) In der Endphase der Judenverfolgung (1944/45), nach dem Höhepunkt, wird Bonhoeffer
auch das Wort zugeschrieben: "Die Kirche darf nur gregorianisch singen, wenn sie
zu gleicher Zeit für Juden und Kommunisten schreit"
(zit. nach
Heinz Zahrnt, Die Sache mit Gott, dtv-Ausgabe, München 1972, 2. Auflage, S. 183).
1941 hätte er mitgeholfen, einigen Juden die Flucht in die Schweiz zu ermöglichen.
Die den deutschen Angriffskrieg befürwortende Bekennende Kirche stellte er jedoch
über die Friedenslehre von Jesus von Nazareth, sie sei für ihn notwendig für das
"Heil" (siehe dazu Zeitablauf: Frühjahr 1939).
3) Was die staatliche Behandlung der "Judenfrage"
betrifft, gesteht auch Dietrich Bonhoeffer 1933 zu: "Ohne Zweifel ist der Staat
berechtigt, hier neue Wege zu gehen". Die konkrete Politik der zunehmenden "Rechtlosmachung"
der Juden betrachtet Bonhoeffer aber als Gefahr für den Rechtsstaat. Er fordert
die Kirche auf, Fragen in diese Richtung an den Staat zu stellen (nach Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 180.415). Doch die Kirche tut dies nicht.
In einer dpa-Meldung zum 1998 neu erschienenen Buch Die verlassenen Kinder
der Kirche heißt es zu diesem Thema: "Die meisten Amtsträger auch der
Bekennenden Kirche billigten dem Staat das Recht zu, die Stellung von Juden und
´Nichtariern` in der Gesellschaft neu zu regeln, ihre rechtliche, politische, wirtschaftliche
und soziale Gleichstellung aufzuheben."
(8.12.1998)
September 1933 – Der
Schweizer Theologe Karl Barth ist trotz des kirchlichen Arierparagraphen gegen
Kirchenaustritt. Auch Bonhoeffer rät er vom Kirchenaustritt ab.
"Das wird aber in der Tat zunächst dies bedeuten, dass man es der Kirchenregierung
bzw. der durch sie vertretenen angeblichen oder wirklichen Mehrheit der Kirchenmitglieder
in direkter Eingabe, aber auch öffentlich sagt: ´Ihr seid in diesem Stück nicht
mehr Kirche Christi` ... bis das Ärgernis beseitigt ist – oder bis die Kirche mit
einem Ausschluss oder mit einer Mundtotmachung der Protestierenden antwortet ...
Das Schisma muss, wenn es kommt, von der anderen Seite kommen."
(zit. nach Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 208)
Anmerkungen: 1) Dietrich Bonhoeffer
befolgt den bequemen Rat von Barth und bleibt Kirchenmitglied – obwohl alle evangelischen
Beschäftigten jüdischer Herkunft aus den kirchlichen Ämtern entfernt werden. Bonhoeffer
wird in späteren Jahren in kirchlichen Stellungnahmen immer wieder als "Feigenblatt"
für die Kirche benutzt, womit der Anteil der evangelischen Lehre und der evangelischen
Kirche an der Verantwortung für den Holocaust verdeckt bzw. relativiert werden soll.
2) Ähnliches geschieht mit Pfarrer Paul Schneider
(1897-1939) aus dem Hunsrück, auch "Prediger von Buchenwald" genannt, der nach anfänglicher Nazi-Begeisterung immer häufiger
mit dem Staat in Konflikt geriet und schließlich 1939 im KZ Buchenwald an einer
falschen Medikamentendosierung unter unklaren Umständen ums Leben kam. Die Leiche
wurde anschließend offiziell an seinen letzten Dienstort Dickenschied zur Beisetzung
überführt. In Buchenwald hatte Schneider anscheinend auch um die Entlassung inhaftierter
Juden gebeten. Schneider hätte das KZ allerdings sofort verlassen können, wenn er
seiner Ausweisung aus der "Rheinprovinz", wo seine letzten Dienstorte Dickenschied
und Womrath lagen, zugestimmt hätte. Schneider war 1916 im 1. Weltkrieg
mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden, und er hatte 1918 bei der
Schlacht von Verdun offenbar sehr viele Franzosen umgebracht.
3) Baron von Pechmann (siehe Zeitablauf: 26.4.1933),
der 1934 wegen des kirchlichen Antisemitismus aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Bayern ausgetreten war, wird 1997 durch eine Ehrung von dieser Kirche wieder
vereinnahmt.
September 1933 – Auch die Evangelische Rheinische Landeskirche übernimmt ohne äußere Not
und aus eigenem Antrieb mit Begeisterung den Arierparagraphen. Betroffen ist
z. B. der 43jährige Kölner Krankenhauspfarrer Ernst Flatow, ein gebürtiger
Jude, der im Alter von 26 Jahren zur Evangelischen Kirche übergetreten ist und aufgrund
seiner Kriegstaten auf Seiten Deutschlands im 1. Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz
ausgezeichnet wurde. Das nützt ihm jetzt aber nichts mehr. Er wird auf Verlangen
der Kirche von der Stadt Köln aus dem Klinikum gefeuert, "ausgerechnet
auf Betreiben des Pfarrersohns Dr. Karl Coerper, des Vertrauensmanns der Evangelischen
Kirche im städtischen Beigeordnetenkollegium"
(Verrat unter Brüdern, einestages.spiegel.de,
17.2.2008). Die Kirchenleitung
weigert sich zudem, Flatow als "Hilfsgeistlichen" weiter zu beschäftigen, was rechtlich
möglich gewesen wäre. In der Begründung, so wie sie im Brief der Leitung der Rheinischen
Landeskirche in Düsseldorf an den Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin verfasst
wurde, heißt es u. a.: "Flatow hat in seinem Äußeren und in seinem Wesen
so in die Augen springend diejenigen Merkmale an sich, die von dem Volke als der
jüdischen Rasse eigen angesehen werden, dass eine Beschäftigung in einer
Gemeinde unmöglich ist." (Spiegel online, 18.2.2008)
Anmerkung: Als später die Vernichtungen
der Juden beginnen, flüchtet Pastor Flatow in eine Außenstelle der kirchlichen Betheler
Anstalten in Lobetal bei Berlin. Die Nazis bitten darauf hin im Jahr 1942 die Rheinische
Evangelische Landeskirche, ihr beim Auffinden des "Juden" zu helfen, was diese sofort
tut. Die Kirche verrät ohne Not sein Versteck und meldet, "dass sich der
Hilfsgeistliche im einstweiligen Ruhestand Ernst Israel Flatow laut einer Nachricht
vom November 1941 in Lobetal bei Berlin aufhält." Daraufhin spürt ihn die Gestapo
dort auf, verschleppt ihn zunächst ins Warschauer Ghetto und kurze Zeit später zur
Vergasung nach Treblinka
(Spiegel online, 18.2.2008).
Sein
tödlicher Fehler war, den Kontakt zu seiner Kirche nach seiner Entlassung, die einzig
rassistisch begründet war, nicht völlig abgebrochen zu haben.
10.9.1933 – Das Evangelische Deutschland, das
in Berlin erscheinende "maßgebliche Organ auf protestantischer Seite" (Garbe) kommentiert
das Verbot der Zeugen Jehovas mit Dankbarkeit und fordert weitere Verbote:
"Die Kirche wird dankbar anerkennen, dass durch dieses Verbot eine Entartungserscheinung
des Glaubens beseitigt worden ist ... Damit ist jedoch noch keine
vollständige Bereinigung der Sekten erreicht. Erwähnt seien nur die
Neuapostolischen."
Schriftleiter des Evangelischen Deutschland (Auflage: 20.000) ist der
Direktor des Evangelischen Pressedienstes, Professor August Hinderer.
(Das Evangelische Deutschland, Kirchliche Rundschau für das Gesamtgebiet der Deutschen
Evangelischen Kirche, Nr. 37, 10.9.1933; zit. nach Garbe, a.a.O., S. 10; vgl. Arndt,
a.a.O., S. 8)
9.9.-12.9.1933 – Exekutivausschuss Life and Work (Ökumenischer Rat für Praktisches Christentum) tagt in Novi Sad/Jugoslawien, ht. Serbien: Anfragen und Besorgnisse seitens amerikanischer und englischer Kirchen zur Judenverfolgung in Deutschland – Die Deutsche Delegation unter Leitung der Oberkonsistorialräte Theodor Heckel (bayerischer Pfarrer und vormaliger Münchner Dekan) und August Schreiber hält Material aus dem deutschen Reichspropagandaministerium dagegen. Beide drohen mit der vorzeitigen Abreise der deutschen Delegation. Auf diese Weise wird ein möglicher Protest der evangelischen Kirchen im Ausland gegen die Einführung des Arierparagraphen in den deutschen evangelischen Kirchen verhindert.
15.9.-20.9.1933 – Auf dem nachfolgenden Treffen des Exekutiv-Komitees des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit in Sofia/Bulgarien ist Dietrich Bonhoeffer einer der beiden deutschen Delegierten. Unter seiner Mitwirkung kommt es zu einem allerdings wirkungs- und folgenlosen Protest gegen die Einführung des Arierparagraphen in den evangelischen Kirchen in Deutschland. (Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 216 f.)
21.9.1933 – Gegner des Arierparagraphen in den Kirchen gründen
einen "Pfarrernotbund". Gegen die Verfolgung der Juden außerhalb
der Kirche wendet sich der "Notbund" aber nicht, so wie auch der vorausgegangene
Protest des evangelischen "Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit" nicht
gegen die umfassende Verfolgung der Juden in Deutschland gerichtet war. Der Vorsitzende
des "Pfarrernotbundes", der Theologe Martin Niemöller, formuliert dann im
November 1933 einige Sätze zur "Arierfrage" in
der Kirche:
"... denn gerade an den bekehrten Juden muss es sich erweisen, ob es der Kirche
Jesu Christi mit der Gemeinschaft, die über die natürlichen Zusammengehörigkeiten
hinausreicht, ernst ist. – Diese Erkenntnis verlangt von uns, die wir als Volk unter
dem Einfluss des jüdischen Volkes schwer zu tragen gehabt haben, ein hohes Maß von
Selbstverleugnung, so dass der Wunsch, von dieser Forderung dispensiert zu werden,
begreiflich ist. Das ist indessen nicht möglich." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche
1, a.a.O., S. 389)
In einem Gestapo-Bericht heißt es über den "Pfarrernotbund",
welcher der so genannten Bekennenden Kirche zugerechnet wird:
"Bei dem zum Notbund angehörenden Pfarrern handelt es sich zum Teil um reaktionäre
Kräfte, zum Teil aber auch um Persönlichkeiten, die rückhaltlos für den nationalsozialistischen
Staat eintreten und sich dagegen wehren, dass ihre Gegnerschaft gegen den Reichsbischof
und gegen die ´Deutschen Christen` als Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus
ausgelegt wird." (18.9.1934; Staatsarchiv Marburg, 165/3943)
Dies bestätigt der Pfarrernotbund selbst in einer unbedingten
Treueerklärung gegenüber Adolf Hitler am
13.11.1933.
22.9.1933 – Der Stadtrat von Ansbach beschließt
mit Rücksicht auf die Lage des Wohnungsmarktes, Juden den Zuzug nach Ansbach zu
unterbinden.
Man befürchtet u. a., Juden könnten Grundbesitz erwerben und dauernd in der Stadt
ansässig werden. Ähnliches geschieht auch in anderen Orten.
25.9.1933 –
Das Erlanger Gutachten wird veröffentlicht – Die renommierte Evangelisch-Theologische
Fakultät Erlangen gibt das von den namhaften Professoren Werner Elert und Paul Althaus
verfasste Erlanger Gutachten heraus, in dem die Anwendung des Arierparagraphen
in der Kirche gefordert wird. Darin heißt es u. a.: "Das deutsche Volk empfindet
heute die Juden in seiner Mitte mehr denn je als fremdes Volkstum ... Für die Stellung
der Kirche im Volksleben und für die Erfüllung ihrer Aufgabe würde in der jetzigen
Lage die Besetzung ihrer Ämter mit Judenstämmigen [d. h. deutschen evangelischen
Amtsträgern, die keinen reinen arischen Stammbaum vorlegen können] im allgemeinen
eine schwere Belastung und Hemmung bedeuten. Die Kirche muss daher die Zurückhaltung
ihrer Judenchristen von den Ämtern fordern ... "
Die evangelische Fakultät möchte
jedoch Raum für Ausnahmen lassen und beruft sich dabei auf den staatlichen Arierparagraphen,
wo ebenfalls anerkannt würde, "dass Juden z. B. durch die Bereitschaft zum Opfer
des Lebens für Deutschland sich dem deutschen Volke eingliedern können" [Anmerkung:
... wodurch man sie ja auch los würde; vgl. das Schicksal früherer Galeerensträflinge,
die zum Rudern in den Schiffsrumpf von Kriegsschiffen gekettet wurden].
(zit. nach Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Hrsg. Heiko A. Obermann
u. a., Band V, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 101 f.)
Die meisten Landeskirchen entlassen nun ihre Mitarbeiter
ohne makellos arische Stammbäume. In Bayern zögert man anfangs, "weil man die von
den außerdeutschen Lutheranern angedrohte Isolation fürchtete". (Axel Töllner,
Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf
und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im Dritten Reich, Stuttgart
2007, zit. nach Evangelisches Sonntagsblatt für Bayern Nr. 19/2007; siehe aber auch
z. B. die praktische Anwendung des Arierparagraphen)
1938 war es dann doch so weit, als der Staat von allen Pfarrern für den
Schuldienst den Ariernachweis verlangte. Axel Töllner schrieb in seiner
Doktorarbeit: "Die Pfarrer trugen den Parteibonzen ihre makellosen
´Ariernachweise` hinterher" und "stellten bei der Gelegenheit auch gleich ihre
Führertreue unter Beweis ..."
(Töllner,
a.a.O.)
Anmerkung:
Die evangelische Kirche ging dabei teilweise sogar rigoroser vor als der NS-Staat
selbst.
So versetzte sie in Bayern den Theologen Julius Steinmetz wegen der jüdischen Herkunft seines
Vaters 1938 in den einstweiligen Ruhestand, während dessen Bruder in staatlichen
Diensten zunächst weiter arbeiten durfte.
(Töllner, a.a.O.)
September
1933 – 100-jähriges Jubiläum des Rauhen Hauses in Hamburg, eine der bekanntesten
Sozialeinrichtungen der evangelischen Diakonie. Der Präsident, Pfarrer H.
Schirrmacher, zu den Diakonen:
"Wir begrüßen euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche, ihr
wackeren Sturmabteilungen und Schutzstaffeln im Angriff gegen Not, Elend, Verzweiflung
und Verwahrlosung, Sünde und Verderben ... Evangelische Diakonie und Nationalsozialismus
gehören in Deutschland zusammen ... Ich wünsche, dass unsere jungen Brüder in
den Diakonenanstalten sämtlich SA-Männer werden."
(zit. nach Ernst Klee, Die
SA Jesu Christi, Die Kirche im Banne Hitlers, Frankfurt/M. 1989, Impressum-Seite)
Anmerkung:
Es folgen deutschlandweit Eintrittswellen von evangelischen Diakonen in die SA.
Die SA, "Görings Prätorianergarde für ungehemmten Terror" (Der Historiker Volker
Hentschel, a.a.O., S. 131), verübte bis dahin bereits unzählige Gewalttaten
und Morde an politischen Gegnern.
Über die Führung der SA-Konzentrationslager schreibt ein Augenzeuge schon im Frühjahr
1932: "Die Opfer, die wir vorfanden, waren dem Hungertod nahe. Sie waren
tagelang stehend in enge Schränke gesperrt worden, um ihnen ´Geständnisse` zu erpressen.
Die ´Vernehmungen` hatten mit Prügeln begonnen und geendet; dabei hatte ein Dutzend
Kerle in Abständen von Stunden mit Eisenstäben, Gummiknüppeln und Peitschen auf
die Opfer eingedroschen. Als wir eintraten, lagen diese lebenden Skelette reihenweise
mit eiternden Wunden auf dem faulenden Stroh." (Der erste Gestapo-Chef Diels,
zit. nach Hentschel, So kam Hitler, a.a.O., S. 136)
Im Juli 1933 übernimmt die Diakonie von der SA sogar die Leitung eines KZ. Über
den "Landesverein
für Innere Mission, Abteilung Konzentrationslager Kuhlen"
schreibt Ernst Klee (1942-2013): "Auf
kirchlichem Boden
... werden Gegner des Nationalsozialismus gequält und geschunden.
Sie werden mit Gewehrkolben zur (Feld-)Arbeit getrieben, manche mit Gummiknüppeln bewusstlos
geschlagen."
Alle dort beschäftigten SA-Männer gelten als kirchliche Mitarbeiter und erhalten
ihren Lohn von der Inneren Mission. Im Oktober werden die Insassen von Kuhlen in
größere KZs überführt, das Lager wird geschlossen. Auch im KZ Papenburg arbeiten
von 1933-1939 Diakone des evangelischen Stephansstifts Hannover. Sie "stehen und
warten, dass man einmal auf einen Menschen schießen darf". (Ein Diakon, zit. nach
Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 61-71)
27.9.1933 – Erste deutsche evangelische Nationalsynode in Wittenberg
Der Wunschkandidat Hitlers, Ludwig Müller, wird einstimmig zum Reichsbischof gewählt, auch von allen Verantwortlichen der so genannten "Bekennenden Kirche". Müller gehört den Deutschen Christen an.
Oktober 1933 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern
druckt einen Artikel aus dem evangelischen Kirchenboten für die Pfalz nach:
Wir trieben Spott mit den heiligen Gütern der deutschen Nation. Darin
heißt es:
"Eines der wüstesten deutsch geschriebenen Hetzblätter in Rumänien ist die jüdische
´Zernowitzer Allgemeine Zeitung.` Trotzdem veröffentlicht dieses Blatt soeben –
allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, sich mit dem Verfasser nicht identifizieren
zu wollen – einen Artikel aus der Feder des bekannten Judenführers der Bukowina,
Dr. Manfred Reiser. ... Es heißt in dem Aufsehen erregenden Aufsatz u. a: ´... Wir
spielten mit den heiligen Gütern des deutschen Volkes und trieben zuweilen auch
noch Spott mit dem, was der Nation heilig ist. Wir spielten uns als die Sittenrichter
des deutschen Volkes auf und gossen aus vollen Schalen Satiren über das Haupt des
deutschen Michel ... Das entwurzelte Weltbürgertum, das Juden zu Vorkämpfern
hat, glaubte die Kraft zu besitzen, die Ideen Jesajas in die Gassen Germaniens verpflanzen
zu können und mit Amos die Walhalla zu stürmen. ...` Diese Eingeständnisse eines
Juden kennzeichnen in treffender Weise das jüdische Treiben in Deutschland und sind
in ihrer Offenheit ein schlagender Beweis für die Richtigkeit und Notwendigkeit
der in Deutschland erfolgten Ausschaltung des jüdischen Einflusses auf die Staatsführung.
Dieser Artikel ist ebenso ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Hetze gegen das neue
Deutschland, die in ihrer vollen Unverfrorenheit hier durch einen Juden selbst bloßgestellt
worden ist." (S. 600)
6.10.1933 – Verordnung von Landesbischof
Meiser zur Pflege des Lutherliedes
"In konfessionell ungemischten Gemeinden wird es möglich sein, HJ und BDM zur Unterstützung
des Planes zu gewinnen." (in: Amtsblatt der Ev.-Luth. Kirche in Bayern Nr. 29
vom 26.10.1933)
12.10.1933 – Amtsblatt Nr. 28 der Ev. – Luth. Kirche in
Bayern: Betreff: Luthertag 1933.
"Unsere Kirche feiert in diesem Jahre mit besonderer Dankbarkeit den Geburtstag
des Reformators Dr. Martin Luther. Sie weiß, dass sie Volk und Staat dann am besten
dient, wenn sie das Evangelium so verkündigt, wie sie von ihm gelehrt wurde.
Recht und Würde der Obrigkeit ist in der deutschen Geschichte von keinem
Staatsmann und von keinem Philosophen mit solcher Kraft und aus solch tiefer
Begründung erhoben worden, wie von Dr.
Martin Luther. Wenn er sagt: ´Wir sind nicht schuldig, der
Obrigkeit um ihretwillen gehorsam zu sein, sondern um Gottes willen, dessen Kinder
wir sind`, rechtfertigt er die Hoheit der weltlichen Gewalt, die das Schwert aus
Gottes Hand empfangen hat ... In größeren Pfarreien ist die gesamte evangelische
Jugend – kirchliche Verbände, Hitlerjugend und nichtorganisierte Jugend – in besonders
feierlichen Gottesdiensten zu sammeln." München, den 10. Oktober 1933, Evangelisch-luth.-Landeskirchenrat;
J. V. Böhner
Herbst 1933 – Ein evangelischer Dekan aus Oberfranken
übernimmt die Führung der lokalen NSDAP-Ortsgruppe.
Dazu schreibt Clemens Vollnhals in seiner Doktorarbeit: "Die Wirkung solchen Handelns
lokaler Meinungsführer auf jene Bevölkerungskreise, die sich 1933/34 noch abwartend
verhielten, kann kaum unterschätzt werden."
Vollnhals weiter: "Die NSDAP war sich des politischen Nutzens der Parteipfarrer
für die Erhaltung der Massenloyalität durchaus bewusst."
Der Dekan wird später als Oberkirchenrat in die Kirchenleitung befördert. Er
rechtfertigt sich nach 1945: "Ich sah, wie manche gute Kräfte 1933 aufgingen."
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 276.280)
Anmerkung:
Bei dem Betroffenen handelt es sich offenbar um
den "alten
Kämpfer" der NSDAP Friedrich Hanemann (zit. nach Mensing, a.a.O., S.
210), 1932-1934 evangelisch-lutherischer Dekan von Kulmbach, am 1.12.1934 als
Oberkirchenrat in die Kirchenleitung berufen (siehe Zeitablauf:
1.12.1934). Die Kirchenleitung rechtfertigt nach 1945
das Verhalten aller NSDAP-Pfarrer (siehe Zeitablauf: Mai 1945
und Oktober 1945).
31.10.1933 – Schwester Dora Gebhard hält auf der Tagung des Zehlendorfer Verbandes für evangelische Diakonie vor über 1000 evangelischen Diakonissen das Referat zum Thema Die nationalpolitische Erziehung der Schwestern. Darin erzählt sie u. a. folgende Geschichte: "Hitler trifft in der Nähe des Klosters Chorin eine Diakonisse und diese fragt ihn: 'Herr Reichskanzler, woher nehmen Sie nur die Kraft für Ihr schweres Werk?' Da zieht er ein Neues Testament aus seiner Rocktasche und sagt: 'Hier, Schwester!'" Einer der Kernaussagen der Grundsatzrede: "Ein richtig aufgefasster Schwesternberuf ist überhaupt schon Nationalsozialismus." (zit. nach Ernst Klee, Die SA Jesu Christi, S. 42; vgl. dazu: Antijüdische Stellen im Neuen Testament)
November 1933 – Die ausländische Kritik an der Behandlung der
Juden in Deutschland und an der militärischen Aufrüstung Deutschlands wächst, z.
B. im Völkerbund. Die Nationalsozialisten organisieren deswegen in Deutschland eine
Volksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund.
Auch Landesbischof Hans Meiser fordert in einer Predigt den Austritt Deutschlands
aus dem Völkerbund. "Meiser bekundete bei jeder Gelegenheit
seine uneingeschränkte Unterstützung für Hitlers Politik und rief sein Kirchenvolk
dazu auf, es ihm gleichzutun," "was dazu beitrug, dass bei der
Volksabstimmung etwa 95 % mit Ja stimmten, bei der ´Reichstagswahl` die einzig
zur Wahl stehende NSDAP etwa 87 % der Stimmen erhielt und damit Hitlers Stellung
unangreifbar wurde."
(Mensing, a.a.O., S. 162)
November 1933 – Wie die Fränkische Landeszeitung Ansbach weigern sich
immer mehr Zeitungen, Inserate jüdischer Firmen aufzunehmen.
13.11.1933 –
Der Pfarrernotbund der Bekennenden Kirche bekundet seine "unbedingte"
Treue zu Adolf Hitler als Selbstverständlichkeit und seine "Scham",
dass daran Zweifel aufkamen, wörtlich: "Die Mitglieder des Pfarrernotbundes
stehen unbedingt zu dem Führer des Volkes Adolf Hitler. Sie schämen sich, dass
sie durch kirchliche Gegner genötigt werden, diese Selbstverständlichkeit
überhaupt auszusprechen."
(Friedrich Baumgärtel, Wider die
Kirchenkampf-Legenden, Freimund-Verlag, Neuendettelsau 1958, S. 23; zit. nach
humanist.de)
Ab Dezember 1933 – Neue Serie im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern: So spricht Martin Luther
16.12.1933 – Der Leiter der evangelischen Apologetischen Centrale,
Walter Künneth weiß sich "in der Ausschaltung des jüdischen Einflusses
im Volksleben" "einig" mit Adolf Hitler (siehe
unten). Gleichzeitig will der oberste evangelische Sektenbeauftragte
auch andere religiöse und politische Minderheiten "ausschalten" lassen. So freut
sich Künneth am Interesse der Gestapo an seiner Arbeit und schreibt in seinem Bericht
an die Reichskirchenregierung: "Das Geheime Staatspolizeiamt hat sein hohes Interesse
an dem Sektenarchiv der Apologetischen Centrale sowie an der von der Apologetischen
Centrale bisher geleisteten Arbeit zur Bekämpfung des Freidenkertums, des Marxismus
und des Bolschewismus zum Ausdruck gebracht und den Wunsch ausgesprochen, mit dieser
kirchlichen apologetischen Stelle zukünftig gemeinsam den Kampf gegen das illegale
Freidenkertum und den illegalen Marxismus führen zu können. Der Materialaustausch
zwischen dem Geheimen Staatspolizeiamt und der Apologetischen Centrale hat bereits
begonnen. Auch mit dem Propaganda-Ministerium wurde Fühlung aufgenommen. Es besteht
die Aussicht, dass auch hier eine Arbeitsverbindung zustande kommt. Auch das Reichsinnenministerium
hat in den vergangenen Monaten der Apologetischen Centrale wiederholt wichtiges
Material zur Durchprüfung und praktischen Ausnutzung zur Verfügung gestellt."
(Evangelisches Zentralarchiv 1/C3/392; zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O.,
S. 412)
Dezember 1933 – Kurt Frör, einflussreicher bayerischer Pfarrer und Inspektor
des Nürnberger Predigerseminars, verlangt im Namen der evangelischen Volksmission
den evangelischen "Kampf gegen andere Rasseangehörige", womit er vor
allem den evangelischen Kampf gegen die Juden meinte. Frör wörtlich: "´Es ist evangelisch,
dazu mitzuhelfen, dass der rassisch erkrankte Volkskörper wieder gesundet
und erstarkt`. Das sei nicht möglich ´ohne Kampf gegen andere Rasseangehörige`,
darum sei die ´unchristliche Sentimentalität` abzulehnen, ´die Rassegesundung nur
deshalb verwirft, weil sie nicht ohne Kampf und Härte und Not abgeht`."
(zit. nach Süddeutsche Zeitung, 21.10.2008)
Januar 1934 – Treffen der evangelischen Kirchenführer mit Adolf Hitler: Landesbischof Meiser berichtet anschließend von Hitlers Mahnung an die Bischöfe, in christlich-brüderlichem Geist zusammenzuarbeiten.
20.1.1934 – Die Hannoversche Landeskirche hat auf Betreiben der Deutschen Christen (DC) in Bevensen bei Uelzen eine zusätzliche Theologenschule errichtet, die in Anwesenheit des Landesbischofs D. August Marahrens und zahlreicher Ehrengäste eröffnet wurde. Vizepräsident Hahn von der Hannoverschen Kirchenregierung erklärte: "Es darf um des Volkes und um der Kirche willen nicht mehr möglich sein, dass Geistliche dem jungen Deutschen, der im Braunhemd marschiert, verständnislos oder gleichgültig gegenüberstehen. Für die Kirche im Nationalsozialistischen Deutschland ergibt sich deshalb die Forderung: die Diener der Kirche, die nationalsozialistischen Gemeinden und einer nationalsozialistischen Jugend dienen wollen, müssen Nationalsozialisten sein. Demgemäß sollen die Lehrgänge der Theologenschule unter Leitung eines bewährten SA-Führers stehen." (zit. nach Zeitschrift "Junge Kirche", zit. nach verfolgte-schueler.org)
1934 – "Rund 80 %" der evangelischen Pfarrer in Bayern folgten der NSDAP "begeistert" (Björn Mensing in: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 1998, S. 254). Auch die übrigen 20 % denken meist deutschnational. Die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche um die Kirchenleitung ab Herbst 1934 (der so genannte "Kirchenkampf") ernüchtert aber viele Pfarrer und einige wenden sich wieder von der NSDAP ab. Die staatliche Judenverfolgung wird allerdings kein einziges Mal als möglicher Grund für die Distanzierung eines Pfarrers von der NSDAP erwähnt. Und in den späteren Gestapo-Akten findet sich z. B. bei Pfarrern in Bayern keine einzige kritische Stellungnahme zur Judenverfolgung.
5.2.1934 – Jüdische Medizin- und Jurastudenten werden nicht mehr zum Examen zugelassen.
10.2.1934 – Landesbischof Hans Meiser
fordert die Eltern zu einer Einverständniserklärung auf, dass ihre im
Evangelischen Jugendwerk betreuten bzw. engagierten Kinder nun
gleichzeitig zu Mitgliedern der HJ (= Hitlerjugend) bzw. des BDM
(= Bund Deutscher Mädel) werden:
Einverständnis-Erklärung der Eltern: "Ich erkläre hiermit mein Einverständnis,
dass mein(e) Tochter / – Sohn ... Mitglied des ... Jungschar, Jungvolk im Verband
des ... die Doppelmitgliedschaft in der Hitlerjugend eingeht. Ich habe davon Kenntnis
genommen, dass er (sie) an den wöchentlichen Pflicht-Bibelabenden ... teilzunehmen
hat ..."
Bischof Meiser erklärt dazu weiter:
"Wir sind uns alle der Verantwortung bewusst, die wir an unserer Jugend vor Gott
haben. Viel treue Arbeit ist in all den Jahrzehnten zum Besten unserer evangelischen
Jugend geleistet worden. Das sei dankbar anerkannt. Wir wollen nun erst recht treu
arbeiten, mit Hingabe und Freudigkeit die neuen Aufgaben in Angriff nehmen
... München, den 10. Februar 1934 – Der Landesbischof – D. Meiser."
(Amtsblatt
der Evang.-Luth. Kirche in Bayern Nr. 4 vom 12. Februar 1934)
Anmerkung:
Auch einer der Hauptverantwortlichen der Judenvernichtung, der Organisator der "Endlösung",
Adolf Eichmann, ist aus der Evangelischen Jugend, dem
CVJM, hervorgegangen.
13.2.1934 – Bekanntmachung
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zur Sicherung und Auswertung aller
Kirchenbücher für rassekundliche Forschung (Amtsblatt der Evang.-Luth.
Kirche in Bayern Nr. 6 vom 19. Februar 1934) – Zu diesem Thema ist im Jahr 2008 ein
Buch erschienen: Gailus, Manfred (Herausgeber),
Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche und die Judenverfolgung im Dritten Reich, Göttingen
2008. Die Süddeutsche Zeitung
schreibt in ihrer Buchbesprechung: "In nur wenigen Fällen haben Pfarrer die Herausgabe
brisanter Informationen verweigert. Selbst die Gemeinden der Bekennenden Kirche
... haben einem protestantischen ´Beamtenethos` folgend, korrekte Angaben gemacht.
Erst durch diese Kenntlichmachung war es den Nazis schließlich möglich,
... Arier von Nichtariern zu scheiden. Zu
ihnen zählten Christen jüdischer Herkunft ebenso wie ´Mischlinge`. Zu Recht spricht
der Herausgeber von einer ´Christenverfolgung innerhalb der Kirche.`"
(7.1.2009)
Und: "Für
den Wahn einer rassereinen Volksgemeinschaft benötigten Millionen Deutsche einen
Nachweis über ihre ´arische` Abstammung. Möglich war dies nur über Auszüge aus
den Kirchenbüchern." Dafür hatten "Kirchen als Eigentümer dieser Quellen den
entscheidenden Schlüssel in der Hand"
(Süddeutsche Zeitung, 18.5.2010). Der spätere Holocaust war also
nur dank
intensivster Vorarbeit der Kirchen möglich. Für diesen "selbstlosen"
Dienst in "stiller Treue", die zu diesem Zeitpunkt bereits Verfolgten und
später Ermordeten entsprechend zu identifizieren, sprach Landesbischof Meiser den
Pfarrern und ihren Familienangehörigen eigens den Dank der Kirchenleitung aus
(siehe dazu hier).
Insgesamt 500.000 Bürger
wurden damit von der evangelischen Kirche gebrandmarkt, dass auch jüdisches Blut in
ihren Adern fließt, was schließlich in den meisten Fällen zu ihrer
folterähnlichen Inhaftierung in Konzentrationslagern und grausamen Hinrichtung
führte. Diese kirchliche Maßnahme richtete sich auch gegen die von Landesbischof Meiser,
einem Garanten der Bekennenden Kirche, so genannten "rassisch
unterwertigen Mischlingsbildungen" zwischen evangelischen Deutschen und
evangelischen Deutschen teilweiser jüdischer Abstammung. Aufgrund der staatlich
veranlassten Ermordung der
evangelischen Deutschen teilweiser jüdischer Abstammung – was als reiner
"rassischer" Gesichtspunkt verstanden wurde – konnte die lutherische Kirche
die von ihr als "Problem" betrachtete Situation der
"Mischlingsbildungen" massiv eindämmen und
weitgehend beenden.
25.3.1934 – Beim Blutpalmsonntag
im mittelfränkischen Gunzenhausen, einer Hochburg des bayerischen Protestantismus
und der Bekennenden Kirche, ging eine Menge von mehreren Hundert Menschen unter
Anführung von SA-Männern gegen die jüdischen Einwohner der Stadt vor, "zog marodierend
durch Gassen, drang in Häuser ein, zerstörte Möbel, misshandelte Bewohner. Zwei
Menschen kamen dabei ums Leben. Der 30-jährige Sozialdemokrat Jakob Rosenfelder
wurde erhängt in einem Schuppen gefunden, der 65-jährige Max Rosenau erstach sich
aus Angst vor eindringenden Hetzjägern".
Einige Verantwortliche der Gewaltorgie wurden zu sehr geringen Gefängnisstrafen
verurteilt.
Im Oktober 1934 besuchte der NS-"Frankenführer" und Herausgeber des "Stürmer", Julius
Streicher, das evangelisch-lutherische Gemeinschafts-Diakonissen-Mutterhaus Hensoltshöhe der
Inneren Mission in Gunzenhausen und "wurde von
Spalier stehenden Diakonissinnen triumphal begrüßt".
(Süddeutsche Zeitung, 30.9.2016)
4.4.1934 – Anweisung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern über eine Bekanntmachung des Kultusministeriums: "Der Lehrer tritt zu Beginn
jeder Unterrichtsstunde vor die stehende Klasse und grüßt als erster, indem er den
rechten Arm erhebt und dabei die Worte ´Heil Hitler` spricht. Die Klasse
erwidert den Gruß in der gleichen Weise. Am Schlusse der Schulstunde wiederholt
der Lehrer den deutschen Gruß vor der stehenden Klasse. Diese antwortet in gleicher
Weise."
"Wir weisen unsere Religionslehrer an, der Bekanntmachung des
Kultusministeriums entsprechend zu verfahren. Evang.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser."
(Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern 1934, Nr. 1845)
Anmerkung:
Die von Kirche und Staat bekämpften bzw. verfolgten Zeugen Jehovas verweigern den
Hitlergruß. Schüler, die dieser Gemeinschaft angehören, werden deshalb von Lehrern
geschlagen. (Video "Lila Winkel", Starlock Pictures, New York 1991; vgl.
Zeitablauf: 1932)
29.5.-31.5.1934 - Erste "Reichsbekenntnissynode"
in Wuppertal-Barmen:
Die
Barmer Theologische Erklärung
wird verabschiedet. Unter
anderem heißt es darin: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres
Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären."
Zur Judenfrage schweigt die Synode.
Anmerkung:
In Barmen treffen sich Mitglieder der "Bekennenden Kirche". Fälschlicherweise wurden
ihre innerkirchlichen Auseinandersetzungen mit den "Deutschen Christen" und die
Auseinandersetzungen mit dem Staat oft so dargestellt, als sei die "Bekennende Kirche"
eine Widerstandsgruppe gegen das Nazi-Unrecht.
Das ist sie aber nicht. Denn das angebliche Bekenntnis allein zu "Christus"
als vermeintlichen "Herren", ist für sie kein Widerspruch
zur politischen Loyalität gegenüber Hitler. Vier Jahre später (1938) wird die
damit verbundene Selbstentlarvung auch öffentlich. Denn alle Pfarrer der Bekennenden Kirche
schwören Adolf Hitler gegenüber Gehorsam und Treue (siehe
Zeitablauf: 1938).
Der intern als "Kirchenkampf" bezeichnete Konflikt mit den
staatlichen Behörden ist ein Streit um kirchliche
Angelegenheiten und wer darüber entscheiden dürfe. Und von Einzelsituationen einzelner Anhänger abgesehen befürwortet
auch die "Bekennende Kirche" die Judendiskriminierungen und -verfolgungen oder duldet
sie. Anhänger der "Bekennenden Kirche" sind überwiegend auch begeisterte Anhänger
des NS-Staates.
Vgl. dazu auch die Studie des Historikers
Karl-Ludwig Sommer, mit der er 1993 an der Universität Oldenburg habilitierte. Seine
500seitige Untersuchung über die evangelische Landeskirche in Oldenburg in der Nazi-Zeit
kommt im Hinblick auf die "Bekennende Kirche" zu dem Ergebnis: "Von Widerstand
gegen den Unrechtsstaat könne keine Rede sein"
(Jeversches Wochenblatt, 6.8.1993) und: "Die Bekennende Kirche
war eher ein stabilisierender Faktor für die Nazis als ein Hindernis."
(Göttinger Tagblatt, 6.8.1993)
1.6.1934 – Die Evangelisch-Lutherische Kirche
in Bayern antwortet auf die Barmer Theologische Erklärung der Bekennenden
Kirche mit dem Ansbacher Ratschlag. In der Kirchenleitung der
bayerischen evangelischen Landeskirche hat aber ebenfalls die "Bekennende Kirche" die
Oberhand. Im Ansbacher Ratschlag formuliert sie eine in der Barmer Theologischen
Erklärung fehlende Ergebenheitsnote an Hitler, verbunden mit dem Dank,
dass Gott ... "unserem Volk in seiner Not den Führer als ´frommen
und getreuen Oberherrn` geschenkt hat und in der nationalsozialistischen
Staatsordnung ´gut Regiment`, ein ´Regiment mit Zucht und Ehre` bereiten will".
(zit. nach
Müller/Siemen, Warum sie sterben mussten, Neustadt a. d. Aisch 1991, S. 21)
Einer der Mitverfasser des Ansbacher Ratschlags ist der einflussreiche
Theologieprofessor Paul Althaus aus Erlangen. Mit Bezug auf die lutherische
Zwei-Reiche-Lehre schreibt ein Biograf über ihn: "In seinen Schriften der
Jahre 1933-1937 verteidigt Althaus den totalitären Staat, das Führerprinzip sowie
völkische Ideen im allgemeinen und das ´gute Regiment` Hitlers im besonderen."
(R. P. Ericksen, zit. nach Mensing, a.a.O., S. 67 f.)
28.6.1934 – Hilfe der
Pfarrämter für NSDAP-Mitglieder bei der Zusammenstellung ihrer
Ahnentafeln:
"Dem Landeskirchenrate ist bekannt, welches Maß von Arbeit die vielfältigen Anforderungen
der Abstammungszeugnisse von den Pfarramtsführern fordert; er weiß auch, dass es
vielfach nur durch die selbstlose Mithilfe der Familienangehörigen überhaupt möglich
ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Es ist ihm ein Bedürfnis, für alle diese
in stiller Treue geleistete Arbeit den Dank der Kirchenleitung hier öffentlich auszusprechen.
Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser." (zit. nach Amtsblatt der Evang.-Luth.
Kirche in Bayern 1934, Nr. 4616)
Anmerkung:
Die Reichskirchenregierung weist nebenbei auch darauf hin, dass die Pfarrämter zu dieser
Aufgabe ja "verpflichtet" seien, da die NSDAP "Körperschaft öffentlichen Rechts" sei;
siehe dazu auch
hier
1934 – Gedicht
im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern: "... du deutsche
Jugend – unser Stolz, rank – zäh wie junges Eichenholz, zeig du der Welt
– zeig du der Welt
– trotz Hohn – trotz Spott: Ein Volk stirbt nicht, das seinem Gott die Treue hält
– die Treue hält." (Jahrgang 1934, S. 365)
Sommer 1934 – Die Landesbischöfe
Meiser und Wurm treffen sich erneut mit Hitler. Sie bekunden die innerkirchliche
Lehropposition der Bekennenden Kirche zur Lehre der Deutschen Christen, sichern
Hitler aber die politische Loyalität der Bekennenden Kirche zu.
August 1934 – Jugendliche der jüdischen Jugendverbände dürfen nicht am Staatsjugendtag teilnehmen. Es wird ihnen auch untersagt, Geländesport im Freien zu betreiben. Nur Wanderungen sind erlaubt.
3.8.1934 – Beschluss der Stadt Ansbach: Städtischer Besitz darf nicht an "Nichtarier" verkauft werden (vergleichbar Beschlüssen in anderen Stadträten).
31.8.1934 – Verbot der Vertretung von Juden durch nationalsozialistische Rechtsanwälte
3.9.1934 – Eingliederungsverordnung von Reichsbischof Müller:
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern soll Teil der Reichskirche werden.
Landesbischof Meiser weigert sich, die Eingliederungsverordnung zu unterschreiben
und sich damit selbst zu entmachten. Er möchte die Gesetzesvollmacht in der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern selbst behalten. Es kommt zum Konflikt
zwischen Anhängern von Reichsbischof Müller und Anhängern von Landesbischof Meiser.
3.9.1934 – Der evangelisch-lutherische
Landeskirchenrat in Bayern denunziert einen führenden Pfarrer der Deutschen
Christen wegen dessen früherer Judenfreundlichkeit.
In Rundbriefen des Landesbruderrates der Bekennenden Kirche lässt die Kirchenleitung
in denunzierender Absicht einen Zeitungsausschnitt von 1929 veröffentlichen, in
dem es heißt, dass der Pfarrer "bei der Einweihungsfeier einer Synagoge die besten Wünsche seiner Gemeinde
für das ´herrliche Gebetshaus` übermittelt hatte" (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 192).
Die NSDAP reagiert auf diese "Enthüllung" der bayerischen Landeskirche mit einem
Parteiausschlussverfahren des Pfarrers.
11.10.1934 – Die Reichskirche versucht, die
Landesbischöfe Wurm und Meiser abzusetzen. Die beiden Bischöfe erkennen
die Maßnahme aber nicht an und bleiben im Amt.
Landesbischof Meiser kommt daraufhin zwei Wochen
in Hausarrest. Seine Anhänger organisieren nun eine Kundgebung, wozu
Sonderzüge nach München fahren. Ca. 10.000 Menschen demonstrieren dort mit Heil-Hitler
und Heil-Meiser-Rufen für die Position des Bischofs der Bekennenden Kirche. Der Landesbischof
zeigt sich bei diesem Anlass vom Balkon seines Amtszimmers und stimmt für die
Menge ein
dreifaches Sieg-Heil auf Führer und Vaterland an. Die Menschen singen das Lutherlied
"Ein feste Burg ist unser Gott" und das nationalsozialistische Horst-Wessel-Lied
"SA marschiert".
Der Evangelische Pressedienst epd schreibt: "Der Gauleiter Streicher sowohl
wie Herr Polizeipräsident Martin waren sichtlich ergriffen. Der Gauleiter sprach
das persönlich aus und versprach, es dem Führer mitzuteilen." (zit. nach: Junge
Kirche, 1934, 808 ff.)
Oktober 1934 – Lagebericht fränkischer Regierungsstellen: "Gerade die kirchlich gesinnten evangelischen Kreise, die hinter dem Landesbischof stehen, zählten und zählen auch jetzt noch mit zu den treuesten Anhängern des Nationalsozialismus." (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 129)
19.10. / 20.10.1934 – Die Reichssynode der "Bekennenden Kirche" in Berlin-Dahlem protestiert gegen die kurzzeitige Beseitigung der Kirchenleitungen in Bayern und Württemberg.
Anfang November 1934 – Adolf Hitler empfängt die entlassenen Landesbischöfe Meiser und Wurm erneut persönlich. Nach dem Gespräch werden die beiden Landesbischöfe wieder offiziell ins Amt eingesetzt.
1934 – Der Theologe Walter
Künneth, als Leiter der Apologetischen Centrale eine Art "Sektenbeauftragter",
gibt das Buch Die Nation vor Gott heraus. Darin schreibt Künneth:
"Dem nationalen Staat ist grundsätzlich nicht bloß das Recht, die Judenfrage zu
einem Problem staatspolitischer Neuordnung zu machen, zuzugestehen, sondern diese
Selbstbesinnung auf die Eigenart des deutschen Volkstums ist von der Kirche entsprechend
ihrem Ja zu den Ordnungen Gottes, als die Rasse und Volkstum begriffen werden müssen,
zu begrüßen ... so erst recht im deutschen Volke, in dem der jüdische
Einfluss schon seit Jahrzehnten derartig überhand genommen hat, dass die Gefahr
der Überwucherung des deutschen Geisteslebens und der Überfremdung der deutschen
Öffentlichkeit nicht mehr zu leugnen waren ... Die Kirche weiß, dass der
Staat das Schwertamt zu führen hat. Dieses Amt bedeutet Härte und Strenge. Die Kirche kann und will dem
Staat in der Ausübung dieses Amtes nicht in den Arm fallen."
Künneth wiederholt damit sinngemäß Aussagen seines wegweisenden Gutachtens von 1933,
Die Kirche und die Judenfrage, und er führt dann aus, warum sich die
evangelische Kirche in der Judenfrage mit Hitler einig ist:
"Die Kirche hat sich darum in ihrer vollen Autorität um des inneren und äußeren
Ansehens des Staates willen dafür einzusetzen, dass die Ausschaltung des
jüdischen Einflusses im Volksleben sich in einer Weise vollzieht, die dem
christlichen Ethos, zu dem der Staat wiederholt ein freudiges Ja gesprochen hat,
nicht widerspricht. Sie weiß sich in dieser Meinung mit dem Willen des
Reichskanzlers [= Hitler]
einig, der deutlich zum Ausdruck brachte, dass ein stolzer Sieger frei ist von
Hassgefühlen und Racheinstinkten."
(Künneth,
Die Nation vor Gott, Berlin 1934, S. 119 f.135; zur angeblichen "Überwucherung"
siehe die Fakten im Anhang)
Im selben Buch wendet sich Künneth gegen einen christlich
begründeten Pazifismus. "Der ´christliche` Pazifismus steht in Gefahr,
... die Reinheit der evangelischen Botschaft zu trüben ... Auch die Kampfgesetze der
Geschichte tragen Spuren der schöpferischen Lebendigkeit."
(S. 277 f.)
Anmerkung:
Künneth bleibt auch nach dem Krieg ein Gegner des Pazifismus und warnt bis an sein
Lebensende davor. Er stirbt 1997 im Alter von 97 Jahren.
1934 – Die evangelische Kirchengemeinde in Herxheim/Pfalz erhält eine neue
Glocke mit einem Hakenkreuz und der Inschrift "Alles
fürs Vaterland` – Adolf Hitler". Nach zwischenzeitlichen Kontroversen läutet die
Glocke seit Anfang 2018 wieder wie in den Zeiten des Dritten Reiches, allerdings
werde zusätzlich auch eine Mahntafel an diese Zeit an dem Kirchengebäude
angebracht.
1.12.1934 – Dekan Friedrich Hanemann aus Kulmbach, Mitglied der NSDAP, und Pfarrer
Hans Greifenstein aus Nürnberg, einer der Mitbegründer der eng mit der NSDAP-Weltanschauung
verbundenen Deutschen Christen, werden von Landesbischof Meiser als neue Oberkirchenräte
in die Kirchenleitung berufen, womit sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in
Bayern weiter auf die NSDAP zu bewegt.
Anmerkung:
Nach Informationen aus dem Familienkreis erwog Dekan Hanemann damals allerdings
den Austritt aus der Partei, was der Kirchenleitung aber offenbar gar nicht gelegen
kam. So wurde Friedrich Hanemann z. B. von Landesbischof Meiser gebeten, sein Gewicht
in der NSDAP für einzelne kurzzeitig inhaftierte Pfarrer einzusetzen, was auch gelungen
ist. Pfarrer Hans Greifenstein war nach entsprechenden Recherchen und Auskunft heutiger
Familienangehöriger kein Parteimitglied.
8.12.1934 – Verbot der Zulassung zur Apothekerprüfung für Juden
Ab 1934/1935 – Berufsverbote für jüdische Schauspieler
1935
18.1.1935 – Evangelisch-Lutherische
Kirche dankt in ihren "Gottesdiensten" ihrem "Gott" für
dessen "Gnade" für "alles", was Adolf Hitler bisher
"zum Wohle unseres Volkes" gelungen ist:
"Aus Anlass des 2. Jahrestages der Machtübernahme des
Führers und Reichskanzlers am 30. Januar wird angeordnet, im Gottesdienst des
vorgehenden Sonntags fürbittend des Führers zu gedenken. Das Fürbittegebet kann
folgendermaßen lauten: ´Am heutigen Tage gedenken wir in besonderer Weise des Führers
und Kanzlers unseres Reiches. Wir danken Dir, Herr, für alles, was Du in
Deiner Gnade ihm in diesen zwei Jahren zum Wohle unseres Volkes hast gelingen
lassen.
Wir bitten Dich, Du wollest ihn leiten durch Deinen heiligen Geist, ihm weise Gedanken,
ein festes Herz und einen starken Arm verleihen, dass er in Deiner Furcht unser
Volk regiere, und dass in allem Dein heiliger Wille geschehe.` Evang.-Luth. Landeskirchenrat;
D. Meiser." (Amtsblatt der Evang.-Luth. Landeskirche in Bayern Nr. 3 vom
21.1.1935)
13.2.1935 – Zulassungsbeschränkungen für jüdische Zahnärzte
Frühjahr 1935 – Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern:
"Blut und Boden sind für den Christen keine Ideen, sondern Wirklichkeiten, die Gott
geschaffen hat ... Daher unser Bekenntnis zu Blut und Boden." (S. 116)
April 1935 – Jüdischen Schülern dürfen keine Preise und Auszeichnungen verliehen werden.
21.5.1935 – Juden dürfen keine Offiziere der Wehrmacht mehr sein.
26.6.1935 – Juden können nicht mehr in den Reichsarbeitsdienst eintreten.
25.7.1935 – Ausschluss der Juden von der Wehrpflicht
Ab Sommer 1935 – Große Schilder- und
Plakataktionen in Deutschland:
"Juden unerwünscht" – Die Schilder stehen z. B.
an Ortseingängen, an Eingängen von Badeanstalten, Cafes oder Geschäften, an
Theaterkassen oder Eingängen zu Konzertsälen.
(vgl. Martin Luther: "... dass man
den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe ... Sie sollen daheim bleiben.")
10.9.1935 – Bekanntgabe einer vollständigen Rassentrennung ab dem Schuljahr 1936
15.9.1935 – Nürnberger Gesetze: Das neue Reichsbürgergesetz
stempelt Juden zu Bürgern zweiter Klasse. Das Gesetz zum Schutze des deutschen
Blutes und der deutschen Ehre "verbietet Eheschließungen zwischen Juden
und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes".
Weiterhin: Der Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Deutschen bzw.
Menschen artverwandten Blutes wird verboten.
Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes bis
zum Alter von 45 Jahren auch nicht in ihrem Haushalt beschäftigen.
(vgl. Synode von Elvira im Jahr 306: Verbot der Ehe und des Geschlechtsverkehrs
zwischen Christen und Juden)
23.9.-26.9.1935 – Dritte Preußensynode der "Bekennenden
Kirche" in Berlin –
"Am deutlichsten hatte sich der bayerische Landesbischof Hans Meiser gegen die
Behandlung der Judenfrage auf der geplanten Synode ausgesprochen. Obwohl Meiser
als Bayer gar nicht Mitglied der altpreußischen Synode war, hatte er bei einer Informationssitzung
der ersten Vorläufigen Kirchenleitung am 13. September 1935 schwerwiegende Bedenken
geäußert" (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 2/1, a.a.O.,
S. 55). Die Gewissensbisse einiger Synodaler wegen der Judenverfolgung werden
nicht berücksichtigt.
Landesbischof Meiser wörtlich: "Man kann natürlich stundenlang darüber reden,
ob man zu einem guten Ende mit diesem Staate kommen kann oder nicht. Aber es sollte
jedenfalls an uns nicht liegen, wenn es zu einem restlosen und endgültigen Bruch
kommt. Wenn das dann nicht geht, gut, dann nehmen wir es hin als Gottes Willen.
Aber wir sollten es bis zum äußersten zu verhindern suchen. Es soll nicht kommen
durch unsere Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit und Bockbeinigkeit. Nur dann wird
auf der Leidenszeit ein Segen liegen. Ich möchte meine Stimme erheben gegen ein
selbstverschuldetes Martyrium. Ich sehe mit einiger Sorge auf die kommende preußische
Synode, wenn sie solche Dinge anschneiden will wie z. B. die Judenfrage. Was in
Königsberg [= dem ursprünglich vorgesehenen Versammlungsort] geschieht, das bleibt
nicht beschränkt auf den Kreis der preußischen Synode."
Anmerkung:
Die Worte von der "Leidenszeit" beziehen sich auf die Konflikte mit dem Staat bezüglich
der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat und auf einige Einschränkungen der kirchlichen
Arbeit. Z. B. wurde der kirchliche Einfluss im Rundfunk "zurückgedrängt". Oder es
wurde evangelischen Arbeitern in einem Arbeitslager am Karfreitag der Gottesdienstbesuch
nicht gestattet (siehe "Denkschrift der 2. Vorläufigen Leitung der Bekennenden
Kirche" vom 28.5.1936, in: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen IV/2,
Neukirchen 1980, S. 146; vgl. Zeitablauf).
September 1935 – Es werden Judenkarteien angelegt, die alle Juden in Deutschland erfassen.
1935 – Der Leiter der evangelischen Apologetischen Centrale
in Berlin, Walter Künneth, setzt sich kritisch mit dem völkisch-germanischen
Buch Mythos des 20. Jahrhunderts des NS-Politikers Alfred Rosenberg auseinander.
In der Bekämpfung der Juden sind sich Rosenberg und Künneth allerdings einig. Künneth
schreibt:
"... dass in der Charakterisierung des zersetzenden Einflusses des dekadenten
Weltjudentums und seiner Gefährdung des deutschen Kulturlebens Rosenberg Wesentliches
erkannt und geleistet hat, ist nicht zu bestreiten. Verständlich ist es ferner,
dass er aus der Liebe zum Volk und zur deutschen Rasse mit der ganzen Kraft seiner
Seele das deutsche Wesen vor der Vergiftung durch diesen jüdischen Geist
bewahren möchte und diesem Fremdgeist den unerbittlichen Kampf ansagt. Der Fehler
liegt jedoch darin, dass die ganze Minderwertigkeit und Gefährlichkeit des entarteten
Weltjudentums kritiklos auf das Volk Israel und auf das A.T. [= Altes
Testament] übertragen wird." (Walter Künneth, Antwort auf den Mythus, Berlin 1935,
S. 67)
Anmerkung:
Wegen Künneths Kritik an der Kirchenkritik Alfred Rosenbergs wird die Apologetische
Centrale zwei Jahre später geschlossen. Walter Künneth wird v. a. deshalb nach dem
Krieg vielfach dem "Widerstand" gegen die Nazis zugeordnet. So schreibt Künneth
selbst 1979 in seiner Autobiographie: "Schon in jenen frühen dreißiger Jahren spürten
die Zuhörer sofort, welche theologische Richtung ein Dozent vertrat, ob er Kompromisse
mit dem Zeitgeist schloss oder unbekümmert die Wahrheit des biblischen Zeugnisses
vertrat" (zit. nach Juden-Christen-Deutsche 1, a.a.O., S. 89). In Wirklichkeit
wurden Alfred Rosenbergs Streitereien mit den Kirchen auch von Adolf Hitler offen
kritisiert, z. B. auf einer Gauleitertagung 1936 in München. Hitler erklärte
dort wörtlich: "Ich wünsche keinerlei Kampf gegen die Kirchen
oder Priester. Der Mythos des Herrn Rosenberg ist keine parteiamtliche
Publikation."
(Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler, Anatomie einer politischen Religiosität,
München, Esslingen 1968, S. 310)
29.10.1935 – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in
Bayern
nimmt den in
Thüringen entlassenen Pfarrer Werner Sylten
nicht in den Dienst auf. Der Grund sind "rassischen"
Gesichtspunkten.
Syltens Vater ist zwar evangelisch-lutherisch, aber eben auch "jüdischstämmig".
Landesbischof Meiser schreibt: "Wir würden dem Wunsch, Herrn Pfarrer Sylten in
den Dienst der Landeskirche in Bayern zu übernehmen, gerne näher treten. Aber
angesichts der Tatsache, dass Herr Pfarrer Sylten Halbarier ist, ist uns leider die
Übernahme unmöglich.
Nicht als ob wir darin von unserer Seite ein Hindernis sähen, aber bei der
Übernahme außerbayrischer Geistlicher müssen wir auch die Zustimmung der
Staatsregierung haben. Daher ist es zu unsrem Bedauern nicht möglich, Ihrem
Wunsche nachzukommen." (Brief an die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft
Thüringen, zit. nach Eberhard Röhm / Jörg Thierfelder, Juden-Christen-Deutsche,
Band 3/II, Stuttgart 1995, S. 315 f.)
Wahrscheinlich hat Landesbischof Meiser, wie der Wortlaut
seines Briefes nahe legt, bei der Staatsregierung jedoch gar nicht
um Zustimmung angefragt, so dass die seit
dem Jahr 1924 notwendige staatliche Zustimmung womöglich ein kirchlich
willkommener Anlass war, dem wegen seiner jüdischen Abstammung
verfolgten "Amtsbruder" die Hilfe zu verweigern, obwohl er
einst in Bayern, in Lohr am Main, zur Schule gegangen war und als Jugendlicher
damit sogar Mitglied dieser bayerischen Landeskirche gewesen war. Und
im Regelfall stimmte und stimmt der Staat
in Personalfragen, die seiner Zustimmung bedürfen, dem Ansinnen der Kirche
immer zu.
Und es kommt noch etwas dazu:
Nachdem der NS-Kultusminister Hans Schemm einige Monate zuvor, im März 1935,
verstorben war, ließ Landesbischof Hans Meiser zum Zeitpunkt der Beerdigung sogar
die Glocken aller bayerischen evangelischen Kirchen läuten und nicht nur die Glocken in dem Ort, in dem die Beerdigung
stattfand (Evangelisches Sonntagsblatt Nr. 30/2007) – eine nahezu
einzigartige Huldigung für den Nazi-Staatsminister durch die
evangelische Kirche.
Ob das Ministerium
bzw. die Staatsregierung einige Monate später also eine Zustimmung zu der Anstellung Werner Syltens
in Bayern verweigert
hätte, wenn die Kirche ihn ernsthaft hätte einstellen wollen, ist also mehr als
zweifelhaft. In diese Richtung überlegen deshalb auch die Autoren und Experten
für "Kirche und NS-Zeit" Eberhard Röhm und
Jörg Thierfelder. Sie schreiben im Hinblick auf die Evangelische
Landeskirche in Württemberg, die eine Anstellung Syltens anschließend mit derselben
Begründung wie Meiser in Bayern ablehnte, was wohl hinter dem Verhalten
steckt: Die Landeskirche "gab den ´Schwarzen Peter`
weiter"
(a.a.O., S. 316).
Zum Vergleich: Die Bischöfe Meiser (Bayern) und Wurm (Württemberg) kannten Adolf Hitler persönlich und hatten z. B.
alleine 1934 drei "konstruktive" Gespräche mit ihm geführt (im
Februar,
im Sommer und im
November).
Doch ihre eigenen Leute überließ die Lutherkirche also der Ermordung,
wenn sie etwas "Jüdisches" an sich hatten, und sie ging dabei teils
rigoroser vor als der NS-Staat selbst
(siehe dazu z. B.
25.9.1933).
12.11.1935 – Auch das evangelische "Theologische Stift" in Tübingen, Wohnheim für Theologiestudenten, verlangt bei Bewerbern für ein Zimmer den Ariernachweis.
14.11.1935 – 1. Verordnung zum Blutschutzgesetz:
Juden wird das Wahlrecht entzogen
Juden werden alle öffentlichen Ämter aberkannt
Verbot der Eheschließung zwischen Juden und
"Mischlingen
II. Grades"
14.11.1935 – Kirche hisst überall Hakenkreuzflaggen, auch an
den Pfarrhäusern – "Soweit Kirchen mit der Reichs-
und Nationalflagge
noch nicht versehen sein sollten, ist alsbald eine solche anzuschaffen. Die mitgeteilte
Anordnung bezieht sich auch auf Pfarrhäuser. Evang.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser." Amtsblatt der Evang.-Luth.
Kirche in Bayern Nr. 29 vom 19. November 1935
Anmerkung:
Die Reichs- und Nationalflagge ist eine Hakenkreuzflagge.
Dezember 1935 – Kurzzeitige Entfernung aller judenfeindlichen Schilder im Großraum Garmisch-Partenkirchen, um die Winterolympiade 1936 nicht zu gefährden. Ähnliches geschieht im Sommer 1936 vor und während der Sommerolympiade im Großraum Berlin.
1935 – Silvesterausgabe des Evangelischen Sonntagsblattes
aus Bayern: Unter der Überschrift Stoeckerworte zitiert das
Blatt:
"Eine irreligiöse Macht ist das moderne Judentum allerdings; eine Macht, welche
überall das Christentum bitter bekämpft, in den Völkern den christlichen Glauben
ebenso wie das nationale Gefühl entwurzelt und als Ersatz nichts bietet als die
abgöttische Verehrung des Judentums so, wie es ist, das keinen anderen Inhalt hat,
als Schwärmerei für sich selbst."
"Jüdische Lehrer können christliche Kinder nicht erziehen, jüdische
Richter sollen christlichen Deutschen keinen Eid abnehmen dürfen."
(Evangelisches Sonntagsblatt, Jahressammelband, S. 641)
Anmerkung:
Stoecker ist der bekannteste evangelische Antisemit des 19./20. Jahrhunderts. Er
vertritt eine Position der Judenverfolgung mit "christlichen" Mitteln, also
nicht wirklich mit "christlichen", sondern mit evangelischen oder katholischen
Mitteln (vgl. Zeitablauf:
Um 1900).
1936
27.3.1936 – Pfarrer Bertram
aus Nürnberg, Anhänger der Bekennenden Kirche und NSDAP-Mitglied,
denunziert einen jüdischen Bürger bei der Gestapo und verdächtigt ihn, ein
kritisches Gedicht geschrieben zu haben. Es stellt sich
aber heraus, dass ein Deutscher, ein Mann namens Georg, der Verfasser ist. Dieser
wird daraufhin verhaftet. (Vollnhals, a.a.O., S. 239 ff.)
Anmerkungen:
1) Das Opfer der Denunziation beschwert sich 1948 über den Freispruch Bertrams durch
die alliierte Spruchkammer. Bertram wird auch deshalb freigesprochen,
"da er nach einer Weisung der Kirchenleitung" zu der Denunziation "verpflichtet
gewesen sei" (vgl. Zeitablauf:
28.4.1948).
2) Der Autor Clemens Vollnhals hat die Namen der Betroffenen geändert.
8.5.1936 – Der evangelische Reichskirchenausschuss lässt bei den Landeskirchen
die Namen aller "nichtarischen Pfarrer" erheben. Auch ohne formelle
Einführung des Arierparagraphen in manchen Kirchen werden in den folgenden Jahren
alle Betroffenen entlassen.
Mai 1936 – Der Stürmer zitiert Adolf Hitlers Mein Kampf: "Die
Juden sind keine Religionsgemeinschaft."
Anmerkung:
Mit einer solchen Aussage lassen sich trotz formeller "Religionsfreiheit" bestimmte
Religionsgemeinschaften von der Religionsfreiheit ausklammern, diskriminieren und
verfolgen, eine Methode, die in den 80er- und 90er-Jahren wieder von kirchlichen
Sektenbeauftragten angewendet wird.
28.5.1936 – Die Vorläufige Kirchenleitung der Bekennenden Kirche beklagt in
einer geplanten Denkschrift an Hitler zahlreiche Einschränkungen der kirchlichen
Arbeit.
In einem der Abschnitte kritisiert sie, dass Hitler die religiöse "Würde des Volkspriesters"
zukommt, "ja des Mittlers zwischen Gott und Volk".
Anmerkung:
Die Mittlerschaft zwischen Gott und Volk hatten sich seit Jahrtausenden nur die
Priester und Pfarrer selbst zugesprochen. Jesus von Nazareth sprach davon aber nicht.
Nach der Lehre des Jesus, des Christus, braucht der Mensch keinen Mittler zu Gott,
das Reich Gottes ist "in" jedem Menschen selbst.
Juni 1936 – Die ursprüngliche
Fassung der Denkschrift vom 28.5.1936 wollte Hitler auch
darauf hinweisen, dass "ein Antisemitismus", "der zum Judenhass verpflichtet",
gegen das christliche Gebot der Nächstenliebe verstößt (zit. nach Denzler/Fabricius,
a.a.O., S. 160 f.). Doch die Bekennende Kirche streicht den Satz für die
nachfolgende Kanzelabkündigung heraus. Ebenfalls herausgestrichen wird die Passage
über das Leid in den KZs.
Anmerkung:
Auch wenn die später gestrichene Passage gegen den Judenhass aus guten Motiven formuliert
wurde – selbst ein engagierter kirchlicher Antisemit hätte sie unter Umständen befürworten
können. Denn für viele gilt: Ja zur Judenverfolgung, aber nicht aus Hass!
Eine zu dieser Einstellung vergleichbare Haltung ist auch aus der Inquisition
bekannt. Der Inquisitor beteuert, dass er nichts gegen sein Opfer habe und es sogar
liebe. Und Folterungen konnten damit begründet werden, dass die einem "unbußfertigen"
Opfer angeblich drohende ewige Verdammnis viel schlimmer sei.
Oktober 1936 – Die im Sinne der Bekennenden Kirche "intakten"
evangelischen Landeskirchen in Bayern, Württemberg und Hannover distanzieren sich
auch von den übrig gebliebenen Passagen der Denkschrift an Hitler, in der die
Einschränkung kirchlicher Arbeit beklagt wird. Stattdessen lassen die Landesbischöfe
Hans Meiser, Theophil Wurm und August Marahrens von allen Kanzeln das Zusammenstehen
"unserer Kirche" "mit dem ganzen deutschen Volk" verkünden.
(zit. nach Vollnhals, a.a.O.,
S. 131)
1936 – Wilhelm Halfmann,
Oberkonsistorialrat und leitender Pastor der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein,
verfasste "im Auftrag der Bekennenden Kirche eine Schrift zur Judenfrage Die
Kirche und der Jude. Darin begrüßte er – unter Berufung auf
Martin Luther – die Verfolgung der Juden durch
den nationalsozialistischen Staat, da die Juden ... Feinde des Christentums
und der christlichen Völker seien"
(shz.de, 13.1.2014).
Wörtlich schreibt Oberkonsistorialrat Halfmann: "Die Kirche hat nicht die Aufgabe,
in die Judengesetzgebung des Dritten Reiches einzugreifen. Vielmehr werden
wir von der Kirche aus der bald zweitausendjährigen Erfahrung mit den Juden
sagen müssen: der Staat hat recht." (Wilhelm Halfmann, Die Kirche und der Jude, S. 13, zit.
nach idea-spektrum Nr. 31/32/2006)
Halfmann war gleichzeitig "Förderndes Mitglied der SS"
(Wikipedia, Stand: 21.1.2014).
1946 wurde er dann zum evangelisch-lutherischen Bischof für Holstein befördert und
setzte sich sogleich für die Begnadigung von Nazi-Kriegsverbrechern ein.
Bis heute [2021] ehrt die evangelisch-lutherische
Kirche den fanatisch antisemitischen Bischof z. B. durch den beliebten Veranstaltungsort Bischof-Halfmann-Saal in Rickling (siehe
bei http://landesverein.de),
auch wenn allmählich die Stimmen nach einer Umbenennung stärker
werden.
1936 – Das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern veröffentlicht
ein Gebet Adolf Hitlers unter der Überschrift Ein Wort des Führers:
"Herr, du siehst, wir haben uns geändert. Das deutsche Volk ist nicht mehr
das Volk der Ehrlosigkeit, der Schande, der Selbstzerfleischung, der Kleinmütigkeit
und Kleingläubigkeit. Nein, Herr, das deutsche Volk ist wieder stark in seinem Willen,
stark in seiner Beharrlichkeit, stark im Ertragen aller Opfer. Herr, wir lassen
nicht von dir. Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches
Volk und Vaterland." (Evangelisches Sonntagsblatt, Jahressammelband, S. 158)
1936 – Die Apologetische Centrale der Evangelischen Kirche hat
seit 1933 unter der NS-Diktatur ihr Archiv mit ihren Urteilen über "Sekten"
und anderer Weltanschauungs-Gruppierungen, die sie als für Kirche und
Staat "gefährlich" betrachtet, nahezu verdoppelt. Im Volksmund
spricht man manchmal vom "Giftschrank". Bereits seit 1933
war die Kirche hier stolz, eng mit der Gestapo
zusammenarbeiten zu können, sowie auch mit dem Reichsinnenministerium und
dem Reichspropaganda-Ministerium, was für die Kirchenmänner offenbar auch ein
Ansporn war, den Nazis immer mehr Material zu liefern.
Damit legt die Evangelische Kirche mit ihren der Verleumdung dienenden
"Untersuchungen" und ihren "Gutachten" eine wesentliche Grundlage dafür, dass
neben den Juden auch diese Gemeinschaften von der NS-Diktatur erfasst und
daraufhin verfolgt werden, bei den Juden bis hin zum Holocaust.
Der Historiker Horst Junginger schreibt: "Waren es 1931 etwa 150 und zwei Jahre
später etwa 250 religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften, über
die eine Datensammlung angelegt worden war, erfasste das Archiv 1936 ungefähr
500 als ´gefährlich` geltende Gruppierungen."
(Horst Junginger,
Aktuelle Fragen der Vergangenheitspolitik: Am Beispiel der
apologetischen Publizistik des Protestantismus, Tübingen o.J., S. 35 f., zit.
nach publikationen.universitaet-tuebingen.de, unter Berufung auf Matthias
Pöhlmann, Kampf der Geister, Stuttgart 1998, S. 220)
16.1.1937 – Der Evangelisch-Lutherische Landeskirchenrat in
München versendet das Gutachten Die evangelische Gemeinde und die Judenfrage,
das Landesbischof Meiser 1926 als Rektor des Predigerseminars geschrieben hat, an
alle evangelischen Dekanate. Im Anschreiben dazu heißt es: "Es ist selbstverständlich,
dass sich der Herr Landesbischof nicht auf jede Formulierung des Artikels auch jetzt
noch festlegen würde ... Wenn aber in der Agitation Anwürfe gegen den Herrn Landesbischof
wegen des Artikels gemacht werden, sollen die Herren Dekane Einblick in den wahren
Sachverhalt haben, damit falsche Behauptungen richtig gestellt werden können"
(zit. nach "Er liebte seine Kirche", a.a.O., S. 60, Anm. 32; Auszüge aus dem Gutachten:
siehe im Anhang). Vermutlich wurden von nationalsozialistischer
Seite einige Passagen angegriffen, die sich judenfreundlich deuten lassen.
Anmerkung:
Gemäß der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre ist es Aufgabe der Kirche, auch den Staat
ethisch zu belehren.
Viele Deutsche sind neidisch, wenn einzelne Juden
vermögender sind als sie.
Doch im Unterschied zu den Beurteilungen im Gutachten des Landesbischofs machen
viele Bürger positive Erfahrung mit jüdischen Mitbürgern.
Dafür gibt es zahllose Beispiele, von denen – stellvertretend für viele – auf zwei
kurz hingewiesen wird:
Beispiel Dr. Arnold Loevry aus Ansbach: "Er war eine ´Seele
von Mensch` und ein kompetenter Arzt zugleich. Man sagt, dass er einer der wenigen
Ärzte war, die ärmere Menschen – auch Christen – kostenlos behandelten. Eigentlich
ging jeder gern zu ihm ... Und auch die Kinder mochten ihn besonders gern, weil
er immer Schokoladenplätzchen austeilte." (Diana Fitz, a.a.O., S. 92)
Beispiel Ludwig Dietenhöfer aus Ansbach: "Wie sehr sich die Juden im
Vereinsleben engagierten, beweist auch die Großzügigkeit von Ludwig Dietenhöfer,
der in seiner Funktion als Kassier des Sportvereins viele Fahrten und Veranstaltungen
aus eigener Tasche finanzierte. Er galt – wie das Gros der Ansbacher Juden – als
einwandfreier Geschäftsmann und hochanständig." (Diana Fitz, a.a.O., S. 88)
Im Gutachten ihres lutherischen Landesbischofs lesen die evangelischen
Ansbacher aber über die Ethik der Juden pauschal vor allem Negatives, z. B.: "Mag die
Moral der Juden nichts anderes sein als stinkende Unmoral ..."
Ludwig Dietenhöfer flieht 1936 von Ansbach zunächst nach Nürnberg und
wandert später nach Israel aus. Arnold Loevry emigriert 1937 von Ansbach nach New
York. Landesbischof Meiser wird 1951 Ehrenbürger von Ansbach.
Ab 1937 – Juden dürfen an deutschen Universitäten keinen Doktortitel mehr erwerben.
27.1.1937 – Dank und Fürbitte für Adolf Hitler in den evangelischen Gottesdiensten: Das Fürbittengebet soll folgendermaßen lauten: "Wir danken Dir, Herr, für alles, was Du in Deiner Gnade ihm bisher zum Wohle unseres Volkes hast gelingen lassen ... Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser."
Ab 1937 – Bedingt durch das Bekenntnis zum Nationalsozialismus
auch innerhalb der "Bekennenden Kirche" werden die "Deutschen Christen"
von der NS-Diktatur ab 1937 immer weniger beachtet.
Die Bekennende Kirche gewinnt an kirchlichem Einfluss.
Anmerkung:
Ab 1939 steht in der Bekennenden Kirche die Kriegsbegeisterung im Vordergrund. Gleichzeitig
beginnt der Holocaust an den Juden.
Mitte Februar 1937 – Das
jüdischstämmige evangelische Kirchenmitglied Friedrich Weißler stirbt im
KZ Sachsenhausen an den Folgen von schlimmen Folterungen. Der ehemalige Landgerichtsdirektor
von Magdeburg trat zu Beginn des Dritten Reiches der Bekennenden Kirche bei und
arbeitete dort seither als Jurist. Im Jahr 1936 wird er von der Bekennenden Kirche
wegen vermeintlichen "Vertrauensbruchs" unehrenhaft entlassen, weil er angeblich
die oben erwähnte Denkschrift (siehe z. B. Juni 1936)
in die Schweiz gebracht haben soll. Spätere Untersuchungen ergaben aber, dass er damit überhaupt
nichts zu tun hatte. Die "Bekennende Kirche" hatte jedoch auf diese Weise ihr "rassisches"
Problem "gelöst", denn Friedrich Weißler stammte eben aus einer
jüdischen Familie.
Die Märkische Allgemeine
schreibt: "Die evangelische Kirche unternahm keinen Rettungsversuch, im Gegenteil
rückte sie von Weißler ab. [Der Gründer der Bekennenden Kirche, Pastor Martin] Niemöller
wird mit den Worten zitiert: ´Gegen Weißler muss sofort ein klarer Strich gezogen
werden.` Erst 70 Jahre nach der Ermordung des Kirchenmanns bekannte die Evangelische
Kirche in Deutschland: ´Wir tragen als Kirche schwer an dem, was Friedrich Weißler
angetan wurde`" (18.2.2012).
Und man müsste hinzu fügen: Nicht nur an dem, was Friedrich Weißler angetan wurde.
Auch an Zehntausenden, ja Hunderttausenden und Millionen anderen Opfern, die unmittelbar
oder mittelbar auch durch das Verhalten der Kirche ums Leben kamen.
Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) bedauerte, dass Weißler erst
im Jahr 2005 mit einer Gedenktafel mit der Aufschrift "Von seiner Kirche verlassen"
in Sachsenhausen bedacht wurde. (Der Tagesspiegel, 20.2.2005)
Juni 1937 – Das nationalsozialistische Kampfblatt Der
Stürmer beklagt: "Vielfach kommt es auch vor, dass sich der Jude nach außen
hin von seinem Geschäft zurückzieht und dafür einen so genannten ´Deutschen` als
Strohmann einsetzt. Er gibt ihm das Geld und die nötigen Anleitungen dazu,
wie die Öffentlichkeit zu täuschen ist." (Ausgabe Nr. 26)
Weiterhin heißt es: "Um zu vermeiden, dass Nationalsozialisten irrtümlich mit Juden
Geschäfte machen, bringt der Stürmer immer wieder Meldungen über jüdische Firmen."
Anmerkung:
50-60 Jahre später wenden kirchliche Sektenbeauftragte dieselbe Methode an, indem
sie Firmen öffentlich brandmarken, die angeblich oder tatsächlich in Beziehung
einer so genannten "Sekte" stehen.
1937 – Der bekannte evangelische Theologieprofessor Werner Elert fordert die biologische Reinhaltung deutschen Blutes: "Es braucht kaum hinzugefügt werden, dass der Christ aus diesem Grunde, gerade weil er sich hier dem Schöpfer verpflichtet weiß, mit entschlossenem Ernst auch für die biologische Reinhaltung des deutschen Blutes einzusetzen hat, die heute durch unsere Gesetzgebung gefordert und gefördert wird." (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 68 f.)
1937 – Auch die beiden späteren prominenten Kirchenführer Otto
Dibelius (Ratsvorsitzender der EKD von 1949-1961) und Martin Niemöller (Präsident
der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau 1947-1966) fordern in ihrem Buch
Wir rufen Deutschland zu Gott die Reinhaltung des Blutes.
Im Eingangskapitel heißt es zunächst über Italien: "Der Faschismus hat von Anfang
an eine positive Einstellung zum Christentum genommen" (S. 13). Und dann
weiter über die Deutschen: "Dass wir der Stimme unseres Blutes treu bleiben und
damit Gottes Willen erfüllen – darauf kommt es an. Das bedeutet zunächst, dass wir
unser Blut rein halten." (S. 26, zit. nach idea-spektrum Nr.
32/33/2006)
1937 –
Evangelisches
Lexikon: "Aufhebung der politischen Gleichberechtigung" der Juden
und "womöglich ihre Entfernung aus dem Wirtsvolk überhaupt". Pfarrer
Dr. Kurt Hutten, ab 1970 in der Evangelischen Kirche Deutschlands erster
offizieller "Beauftragter für religiöse Minderheit", war auf diesem Gebiet schon
in der NS-Zeit unumstritten der kirchlich renommierte Fachmann. Als
Geschäftsführer des Evangelischen Presseverbandes Württemberg schrieb er den
Fachartikel über "Juden" im evangelischen
Calwer Kirchenlexikon,
Band 1. Eine Lösung der "Judenfrage" sei
laut dem 1937 erschienenen Lexikon dahingehend möglich: "Aufhebung der
politischen Gleichberechtigung, Ausgliederung der Juden aus der völkischen
Bluts- und Kulturgemeinschaft, Stellung unter Fremdrecht und womöglich ihre
Entfernung aus dem Wirtsvolk überhaupt".
Weiter forderte der Pfarrer und Doktor der Theologie im Lexikon die "Ausrottung"
aller jüdischen Einflüsse in Deutschland. (Kurt Hutten, Die Judenfrage,
in: Calwer Kirchenlexikon, Bd. 1, Stuttgart 1937, S. 980-986, zit. nach
Horst Junginger,
Aktuelle Fragen der Vergangenheitspolitik: Am Beispiel der
apologetischen Publizistik des Protestantismus, Tübingen o.J., S. 39)
1937 – Der evangelisch-lutherische Kreisdekan und Oberkirchenrat D. Otto Bezzel aus Bayreuth, der der Bekennenden Kirche und dem Führungsstab Meisers
in München angehört, fordert in einer Predigt in der Erlöserkirche in Bamberg: "Die
Juden sind die Zerstörer und gehören hinausgepeitscht"
(zit. nach Evangelisches Sonntagsblatt in Bayern Nr. 42/1988, S. 15).
Von einer Beanstandung der Forderung durch den Landesbischof ist nichts bekannt.
Ca. ein Jahr später beginnt mit der Reichspogromnacht das "Hinauspeitschen" der
jüdischen Mitbürger bzw., wie es sein Pfarrerkollege Dr. Kurt Hutten im
evangelischen Lexikon im gleichen Jahr formulierte, "ihre Entfernung aus dem
Wirtsvolk überhaupt".
Anmerkung:
Wie Pfarrer D. Hutten machte auch Kreisdekan D. Otto Bezzel nach dem 2.
Weltkrieg weiter kirchliche Karriere. Im Jahr 1947 wird er zum Personalreferenten der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern befördert. Damit ist er neben den Landesbischöfen Hans Meiser (bis
1955) bzw. Hermann Dietzfelbinger (ab 1955) der einflussreichste Mann der Kirchenleitung
nach dem Krieg.
20.7.1937 – Landesbischof Meiser
untersagt einem anderen evangelischen Kirchenmitglied jüdischer Herkunft den Besuch
der Männerabende, die dieser bis dahin viele Jahre regelmäßig besuchte. Den
Gottesdienst und andere Veranstaltungen könne er aber weiter besuchen. Der
Mann war seit 1905 Mitglied in der evangelischen Kirche und zählte zu den aktivsten
Mitarbeitern. Vor der endgültigen Entscheidung des Landesbischofs untersagte ihm
bereits Oberkirchenrat Schieder in Absprache mit den Pfarrern vor Ort den Besuch
der Männerabende.
Nachdem am 10.10.1937 ein Pfarrer (Name nicht mit genannt) bei einem "Bekenntnisgottesdienst" der
"Bekennenden Kirche" predigte, dass "Ehen zwischen Juden und Ariern Sünde
seien", tritt der Deutsche jüdischer Herkunft, der mit einer Deutschen "arischer"
Herkunft verheiratet ist und mit ihr drei gemeinsame Kinder hat, aus der Kirche
aus. (Vollnhals, a.a.O., S. 245)
Zu Beginn des Jahres 1937 hatte Landesbischof Meiser sein Gutachten zur
Judenfrage von 1926 erneut versenden lassen. Darin wendet auch er sich deutlich
gegen Ehen zwischen Deutschen und Juden. Meiser wörtlich: "Gott hat jedem Volk
seine völkische Eigenart und seine rassischen Besonderheiten doch nicht dazu gegeben,
damit es seine völkische Prägung in rassisch unterwertige Mischlingsbildungen
auflösen lässt." (vgl. Anhang)
Anmerkung:
Auch der in Sachsenhausen ermordete bekennende Protestant jüdischer Herkunft Friedrich
Weißler (siehe Mitte Februar 1937) lebte in einer
solchen "unterwertigen Mischlingsbildung", da er mit der Tochter eines evangelischen
Pfarrers "arischer" Herkunft verheiratet war. Und selbst wenn eine "arische" Frau
– hypothetisch gesprochen – mit Jesus von Nazareth verheiratet gewesen wäre, wäre
ihre Ehe aufgrund der Herkunft des Ehemannes lt. Landesbischof Meiser eine solche
"rassisch unterwertige" Verbindung gewesen.
August 1937 – Der Vertreter des Landesbischofs der
Bremischen Evangelischen Kirche ruft dazu auf, Aktivitäten von Zeugen Jehovas
umgehend an die Gestapo zu melden. (Inge Marßolek /
René Ott, Bremen im Dritten Reich, Bremen 1986, S. 495, Anm. 105; zit. nach
Garbe, a.a.O., S. 10)
9.10.1937 – Adolf Hitler untersagt es der
Kirche, Kirchengebäude nach nationalsozialistischen "Kämpfern" zu
benennen – In Bremen-Sebaldsbrück wird der Grundstein für die evangelische Horst-Wessel-Kirche
gelegt. "Der Bremer Landesbischof der Deutschen Christen rechtfertigte diese seltsame
Namensgebung damit, die Kirche habe den Anspruch darauf, den Pfarrersohn ´Horst
Wessel als den ihrigen zu bezeichnen`. Diese Vereinnahmung des Nazi-Heiligen möchte
Hitler indes nicht dulden, der es mit einem Führererlass untersagte, ´dass kirchliche
Gebäude nach Kämpfern und Helden der nationalsozialistischen Bewegung benannt werden`."
(Süddeutsche Zeitung, 9.9.2009; Artikel von
Johannes Wilms, der das Buch von Daniel Siemens, Horst Wessel, Tod und Verklärung
eines Nationalsozialisten, München 2009, bespricht; zu Horst Wessel siehe
hier)
1938
Das ganze Jahr über – Zahlreiche weitere Verordnungen zur "Ausschaltung" der Juden, z. B. das Verbot, sich neu als Arzt oder Rechtsanwalt niederzulassen
Ab 1938 – Juden können nicht mehr Mitglieder der Evangelischen Kirche werden. Der kirchliche Arierparagraph wird in den meisten evangelischen Kirchen auch auf die bloße Mitgliedschaft ausgedehnt (in Thüringen z. B. ab dem 10.2.1939). Das evangelische Programm der "Judenmission" wird damit allmählich eingestellt. In evangelischen Landeskirchen wird stattdessen damit begonnen, evangelisch getaufte Juden auszuschließen.
Februar 1938 – Die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel
lässt zwei Zettel drucken, die bei jedem Auftrag und bei jeder Lieferung beigelegt
werden müssen:
1.) "Der Auftrag ist nur erteilt unter der
Voraussetzung, dass die Lieferfirma rein arisch ist."
2.) "Ich versichere, dass die von mir vertretene Firma arisch
ist."
12.3.1938 – Anschluss Österreichs an Deutschland
16.3.1938 – Österreichs Juden werden vom Stimmrecht ausgeschlossen, in ganz Österreich beginnt nun eine Verhaftungswelle gegenüber Juden.
18.3.1938 – Huldigungsgebet von Landesbischof Meiser an seinen
"Gott" für Adolf
Hitler anlässlich des Anschlusses von Österreich an das Deutsche Reich
– "Wir
danken Dir dafür, dass Du dem Führer und Reichskanzler gnädiges
Gelingen zu seiner entschlossenen Tat gegeben und zur Freude
unseres Volkes wieder zusammengefügt hast, was Menschen getrennt
hatten. Wir bitten Dich, lass Deine Gnade auch weiterhin über
unserem Volke walten ... Schütze und erhalte den Führer auch weiterhin
durch Deine starke Hand; verleihe ihm weise Gedanken und
erleuchte ihn, dass er in Deiner Furcht unser geeintes Land
regiere.
Wir bitten Dich auch für die Söhne unseres Volkes, die für das
Vaterland
die Waffen tragen."
(Amtsblatt der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 18.3.1938, S. 43, ca. 1 1/2 Jahre
vor Beginn des Weltkriegs; zit. nach
Dietrich Küssner, Der christliche Staatsmann, Düsseldorf 2021, S. 98)
Dazu schreibt der Historiker und Evangelische Theologe Dietrich Küssner über den
Bischof der "Bekennenden Kirche": "Man
kann sich kaum des Eindrucks erwehren,
dass hier der Lieblingsbischof Hitlers betet."
18.5.1938
– Landesbischof Meiser erlässt
aufgrund des analog zum nationalsozialistischen "Ermächtigungsgesetz"
entworfenen kirchlichen "Ermächtigungsgesetzes" von
1933 freiwillig und ohne dazu gedrängt zu werden ein Kirchengesetz über den
Treue–Eid aller evangelischer Pfarrer der bayerischen Landeskirche auf Adolf Hitler. Das Ermächtigungsgesetz ermöglicht es Meiser seit 1933, kirchliche
Gesetze ohne Zustimmung anderer Kirchengremien zu erlassen oder zu ändern. Das von Bischof Meiser neu
erlassene Kirchengesetz lautet:
"Die Pfarrer der bayerischen Landeskirche haben als Träger eines öffentlichen Amtes
folgenden Eid zu leisten:
´Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden: Ich werde dem Führer
des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die
Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott
helfe ...` Das Gesetz tritt sofort in Kraft. Ev.– Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser."
Anmerkung: Der
Treue-Eid auf Hitler wird in allen deutschen evangelischen Kirchen als neues Gesetz
eingeführt – auch in denen, wo die Kirchenleitung ganz oder überwiegend zur "Bekennenden
Kirche" gehört wie eben in Bayern. Damit bekennt diese Kirche hier eindeutig
und unmissverständlich, wem sie gehorcht (!)
und die Treue (!) hält, wer also folglich ihr "Herr" ist, dem sie sich in
Gehorsam unterwirft. In ihrer Barmer
Theologischen Erklärung hatte sie sich noch offiziell angeblich zu Christus
als ihrem "Herren" bekannt. Abgesehen vom
Gegensatz dieser beiden Mächte "Hitler" und "Christus" ist
beides zusammen auch laut ihrer
eigenen Bibel nicht möglich, in welcher der Satz von Jesus von Nazareth
dokumentiert ist: "Niemand kann zwei Herren dienen"
(Matthäusevangelium 6, 24).
Nur theoretisch ergänzt der Treue-Eid auf
Adolf Hitler also den formalen Treue-Eid auf "Christus", praktisch ersetzt er
ihn.
Allerdings hatte die Kirche auch zuvor schon nicht Christus gedient und ist ihm
auch zuvor schon nicht gefolgt, sondern den lutherischen Lehren und Martin Luther,
dessen Lehre ebenfalls vielfach im Gegensatz zu Christus steht.
Außerdem verlangen alle evangelischen Kirchen von den Pfarrern einen Ariernachweis,
wonach kein "jüdisches" Blut in ihren Adern fließen darf, auch wenn einige den Arierparagraphen nicht offiziell einführen.
Faktisch wird er in der Kirche durchgehend angewandt.
1938 – Pfarrer Karl Steinbauer (1906-1988)
lehnt den Treue-Eid auf Hitler und die Einreichung eines Ariernachweises ab
und bekommt deshalb Predigtverbot, weshalb ihm später in der Nachkriegszeit
entsprechende Ehrungen zuteil werden. Ein Protest
dagegen, dass die Juden ins KZ abtransportiert werden, ist unseres Wissens nach
aber auch von ihm nicht bekannt; allerdings eine Beschwerde, dass unter den
Opfern auch jüdischstämmige
Kirchenmitglieder sind. Von heutigen Kirchenvertretern wird gerne hervorgehoben,
dass Steinbauer 1939 selbst ins KZ muss; allerdings als einziger evangelischer
Pfarrer aus Bayern und auch nur für einige Monate. Auch aus anderen evangelischen Landeskirchen gibt es nur
wenige Pfarrer im KZ. Nach Kriegsausbruch drängt es Pfarrer Steinbauer für
Hitler-Deutschland in den Krieg, und er meldet sich aus dem KZ
freiwillig, um mit der Waffe in der Hand als Soldat dienen zu dürfen.
Dies stellt er nach 1945 so dar: "Ich wollte in der Zeit der Kriegsnot als Soldat Schulter
an Schulter mit meinen Brüdern und Schwägern und allen Deutschen stehen." Und Landesbischof
Meiser setzte sich in einem Brief an die Gestapo für diesen Wunsch Steinbauers
ein, an der Kriegsfront töten zu dürfen. Steinbauer,
der Meiser als Bischof für seine Kirchenpolitik heftig kritisierte, solle das KZ in Richtung
Front verlassen dürfen.
Landesbischof Meiser wörtlich: "Ich kenne Steinbauer als aufrechten Deutschen,
... dessen Vaterlandsliebe, Lauterkeit und Tapferkeit groß sind" (zit. nach Evangelisches
Sonntagsblatt Nr. 36/2006).
Die Nazis sind gerührt, und Steinbauer dankt es offenbar mit Tötungen von vielen
Russen. "Nur" von Soldaten? Dem Pfarrer wird für seine "Leistungen" an der Ostfront auf jeden Fall
das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse verliehen. Nach dem
Krieg hilft Steinbauer mit, die Nazi-Pfarrer Keller und Herold vor Gericht zu verteidigen.
(Mensing, a.a.O., S. 32.107; Vollnhals, a.a.O.,
S. 264.274)
Anmerkung: Von den sehr wenigen
Pfarrern, die zeitweise in Konzentrationslagern waren, sind die meisten römisch-katholische
Priester. Unter den sehr wenigen evangelischen Pfarrern wird von der Kirche oft auf
Paul Schneider, bekannt als der "Prediger von Buchenwald", verwiesen, der dort seit
1937 gefangen war und 1939 anscheinend an einer Medikamentenvergiftung ums Leben kam. Allerdings hätte
Schneider das KZ zuvor sofort als freier Mann verlassen können, wenn er seinem
Ausweisungsbefehl
aus der so genannten Rheinprovinz Folge geleistet hätte.
17.6.1938 – Alle Juden müssen als zweiten Vornamen
"Israel" bzw. "Sara"
verwenden, wenn der erste Vorname nicht in dem Runderlass des Innenministeriums
als jüdischer Vorname aufgeführt ist.
Anmerkung:
Ein beliebter Vorname dieser Zeit bei Deutschen ist z. B. der Doppelname Adolf Martin
– Adolf wie Adolf Hitler, Martin wie Martin Luther.
1938 – Die Zwei-Klassen-Gesellschaft aus Nichtjuden = Ariern und Juden wird immer mehr ausgeweitet. Juden werden in immer größerer Geschwindigkeit immer mehr Rechte entzogen.
6.7.1938 – Auflösung jüdischer Grundstücks- und Immobilienagenturen sowie jüdischer Heiratsvermittlungsinstitute, die an Nichtjuden vermitteln (vgl. Konzil von Basel im Jahr 1434: Juden dürfen nicht als Unterhändler bei Verträgen zwischen Christen, insbesondere nicht als Vermittler von Ehen auftreten)
25.7.1938 – Deutsche dürfen nicht mehr zu jüdischen Ärzten (vgl. Trullanische Synode im Jahr 692).
31.7.1938 – Jüdische Testamente, die das "gesunde Volksempfinden" beleidigen, dürfen für nichtig erklärt werden (vgl. 3. Laterankonzil im Jahr 1179: Juden dürfen zum Christentum übergetretene Glaubensbrüder nicht enterben).
September 1938 – Die vier Landesbischöfe der Bekennenden Kirche Hans Meiser, August Marahrens, Theophil Wurm und Julius Kühlewein entlassen vier leitende Pfarrer, ebenfalls aus der Bekennenden Kirche, aus dem Dienst. Die vier Pfarrer hatten für einen geplanten Gottesdienst angesichts der Kriegsgefahr ein allgemeines Bußgebet verfasst, das vor allem "die Wehrmacht vor kriegerischen Exzessen warnen sollte" (Landesbischof Wurm, zit. nach Juden-Christen-Deutsche 3/I, a.a.O., S. 54; Vollnhals, a.a.O., S. 131). Auch die "Pfarrerbruderschaft" der "Bekennenden Kirche" lehnt das Gebet ab. Der Krieg selbst wurde von keiner der innerkirchlichen Konfliktparteien als "unchristlich" betrachtet, was alle letztlich als "unchristlich" entlarvt.
5.10.1938 – Jüdische Pässe werden mit dem Aufdruck "J" versehen.
Oktober 1938 – Kennzeichnung jüdischer Geschäfte – Die Schaufenster werden mit dem Wort "Judengeschäft" beschmiert.
8.11. / 9.11. / 10.11.1938 – Die Ermordung des Nazi-Diplomaten Ernst
Eduard vom Rath in Paris durch einen jüdischen Bürger löst in Deutschland die
Reichspogromnacht bzw. Reichskristallnacht aus – Die Synagogen werden
in Brand gesteckt ...
(siehe Landesbischof Sasse)
Anmerkung:
... so wie es Luther in der Schrift
Von den Juden und ihren Lügen
fordert: Man soll ihre "Synagoga oder Schulen mit Feuer anstecken ... unserem Herrn
und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien".
(vgl. vorne: Luther;
vgl. auch Konzil von Oxford im Jahr 1222: Verbot des Synagogenbaus)
Es folgen:
Massenverhaftungen von Juden
Erste Massendeportationen in Konzentrationslager
Vielfach Panik unter den Betroffenen
Die jüdische Bevölkerung Deutschlands wird zu einer "Sühneleistung"
von einer Milliarde Reichsmark verurteilt.
Zu dem Ereignis wird in der Kirche und in der kirchlichen Presse überwiegend
geschwiegen. Nur einzelne Pfarrer protestieren. Lediglich in einem Entwurf
eines "Fürbittgebets" von den "Landesbruderräten" der Bekennenden Kirche wird der
Juden gedacht. Doch welcher Betende hat auch etwas gesagt oder getan? Sehr viele
Kirchenführer begrüßen im Gegenteil das Geschehen der Reichspogromnacht und die folgende Verschärfung
der Judenverfolgungen bzw. reagieren sogar begeistert (siehe 23.11.1938).
12.11.1938 – Verordnung zur Wiederherstellung des
Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben, z. B. in Nürnberg:
"Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen
Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9., und 10. November
1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen
Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen. Die Kosten der Wiederherstellung tragen
die Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen." (zit. nach:
Juden in Nürnberg, Presse- und Informationsamt 1993, S. 54)
In Bamberg und anderen Orten müssen die Israelitischen Kultusgemeinden auch
den anschließenden Abriss ihrer demolierten und verkohlten Synagogen bezahlen.
23.11.1938 – Landesbischof
Martin Sasse aus Eisenach (1890-1942) veröffentlicht ein Buch mit einer
Auswahl aus Martin Luthers Buch Von den Juden und ihren Lügen mit dem
Titel
Martin Luther über die Juden – Weg mit ihnen! (Freiburg
1938). Auf Seite 2 schreibt der lutherische Kirchenführer dazu im Vorwort:
"Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in
Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volke wird zur Sühne für die Ermordung des
Gesandtschaftsrates vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf
wirtschaftlichem Gebiete im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der
gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt.
... In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der
Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann,
der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der
Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines
Volkes wider die Juden."
Anmerkung:
Diese Schrift des Bischofs ist auch "als Argumentationshilfe für die
Thüringer Pfarrerschaft" gedacht.
Von der Schrift Landebischof Sasses werden 150.000 Stück verkauft.
Dass einer der amtierenden Landesbischöfe der Proklamation des "Amtsbruders"
Sasse widersprochen hat, ist nicht bekannt.
Das Buch Martin Luthers Von den Juden
und ihren Lügen erfährt auch durch andere Neuauflagen zahlreiche Verbreitung,
z. B. durch die Volksausgabe von Hans-Ludolf Parisius. Luther fordert darin z. B.
das Verbrennen der Synagogen, das Zusammenfassen der Juden in Lagern, die Zwangsarbeit
und Todesstrafen bei öffentlicher Religionsausübung (siehe vorne:
Martin Luther – Nationalsozialisten).
Ab November 1938 – Weitere Massendeportationen von Juden in Konzentrationslager
24.11.1938 – Das offizielle Organ Kirchliches Amtsblatt für Mecklenburg veröffentlicht ein Mahnwort zur Judenfrage. Kein "christlicher" Deutscher könne die Maßnahmen gegen die Juden im Reich "bejammern" (zit. nach nach ekd.de). Mit solchen und ähnlichen "Mahnworten" feuert die Evangelische Kirche die Obrigkeit an, auch die weiteren Forderungen Luthers in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen zu erfüllen, was dann Zug um Zug auch geschieht.
28.11.1938 – Die Lokalbehörden werden ermächtigt, Juden
an bestimmten Tagen von den Straßen zu verbannen (vgl. 3. Synode von Orleans
im Jahr 538: Juden dürfen sich in der Karwoche nicht auf der Straße zeigen und
Luthers Forderung in Von den Juden und ihren Lügen, "dass man den Juden das
Geleit und Straße ganz und gar aufhebe ... Sie sollen daheim bleiben").
3.12.1938 – Zwangsarisierung jüdischen Haus- und
Grundbesitzes
Juden müssen Häuser und Grundstücke zu Spottpreisen verkaufen. Wer vor 1938 ein
"Judenhaus" kaufte, wurde noch als "Judenfreund" verschrien. Jetzt bedienen sich
immer mehr dank der "günstigen" Angebote. Umgekehrt ist es nicht erlaubt, den jüdischen
Mitbürgern zu verkaufen (vgl. Synode von Ofen im Jahr 1279: Christen ist es nicht
erlaubt, Grund und Boden an Juden zu verkaufen oder zu verpachten).
Hier wurde von den Nationalsozialisten aus wirtschaftlichen Gründen die Forderung Martin Luthers abgemildert.
Dieser hatte nämlich sogar gefordert, "dass man" – gleich den Synagogen auch "ihre
Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre". Nach wenigen Wochen wurden dann die nun ehemaligen Hausbesitzer auch von dort
vertrieben.
12.12.1938 – Pfarrer
Heinrich Grüber, der sich für getaufte Juden einsetzt, schildert den evangelischen
Bischöfen, darunter Landesbischof Meiser, auf dem Kirchentag in Berlin-Steglitz
die Lage in den Konzentrationslagern. Der Kirchentag wird gebeten, eine Erklärung
dazu zu verabschieden. Die Bischöfe hörten Grüber zwar eine Zeitlang zu, gingen
dann aber zur "Tagesordnung" über, ohne eine Erklärung zu verabschieden. Grüber
schreibt:
"Vielleicht schilderte ich den versammelten Bischöfen die
Misshandlungen, denen KZ-Häftlinge ausgesetzt wurden, etwas zu
ausführlich. Ich hörte jedenfalls, wie einer der Würdenträger sagte:
´Wir müssen nun langsam zum zweiten Punkt der Tagesordnung übergehen.` Der Vorsitzende der Konferenz, Bischof Theophil Wurm ... geleitete
mich zur Tür und sagte: ´Ich danke Ihnen im Namen der Brüder und wünsche Ihnen und
Ihrer Arbeit Gottes Segen.` Das war eine der ganz großen Enttäuschungen, die ich
erlebt hatte." (zit. nach Juden-Christen-Deutsche, Band 1)
28.12.1938 – Juden müssen in bestimmten Häusern konzentriert
werden.
Anmerkung:
... so ähnlich wie es Luther in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen
fordert, "dass man ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre ... Dafür
mag man sie etwa unter ein Dach oder einen Stall tun".
(vgl. vorne: Luther;
vgl. auch die Synode von Narbonne im Jahr 1050. Gemäß dem Synodenbeschluss ist es
Christen nicht erlaubt, bei Juden zu wohnen)
1939
Januar
1939 – Die evangelischen Landeskirchen setzen
je einen Pfarrer für die "Betreuung" von "nichtarischen"
Christen ein, die flächenmäßig sehr große bayerische evangelische Landeskirche
zwei (wohl wegen der großen Entfernung von Ober- oder Unterfranken nach München).
So gab es eine "Hilfsstelle für nichtarische Christen" in Nürnberg und eine in München,
doch zur Verdeutlichung: nicht etwa für Juden, sondern nur für die eigenen Kirchenmitglieder
jüdischer Herkunft.
Der Nürnberger Leiter, Pfarrer Hans-Werner Jordan (1908-1978), der ein jüdisches
Großelternpaar hatte, bezeichnete diese "Hilfsstellen" Landesbischof Meiser gegenüber
jedoch als "Morphium für das Gewissen der Kirche" und beklagte mangelnde Unterstützung.
Ein nicht selbst im Sinne der NS-Gesetzgebung "belasteter" Pfarrer wie er (der als
"Halbjude" galt) hätte weit mehr bewirken können. Dieser stand auch bereit. Doch
Pfarrer Karl Nagengast, der bereits ehrenamtlich in diese Richtung arbeitete, "bootete
die La ndeskirche aus, ohne ihn überhaupt aör
Dass die beiden Hilfsstellen zusammen die Auswanderung von 126 jüdischstämmigen
Protestanten organisierten, wird später Landesbischof Hans Meiser als angebliches
"Verdienst" angerechnet und als Argument für die Beibehaltung der "Meiserstraßen"
genannt. Angeblich hätte er 126 "verfolgten Menschen" "das Leben gerettet"
(Landesbischof Johannes Friedrich, zit. nach
Süddeutsche Zeitung, 12.7.2007).
Den 100. Geburtstag Jordans ließ man demgegenüber "verstreichen". (Evangelisches
Sonntagsblatt Nr. 13, 29.3.2009; mehr dazu siehe
hier)
Zur Gesamtsituation: "Der Forschungsstand lässt erkennen, dass die große
Mehrheit der Christen jüdischer Herkunft von den evangelischen Mitchristen kaum
etwas zu erwarten hatte. Sie teilte auch in dieser Hinsicht das Schicksal der
Juden ... Der betroffene Personenkreis dürfte etwa 400.000 umfasst haben ... Niemand
weiß bis heute, wie viele Christen jüdischer Herkunft unter den Ermordeten waren."
(dpa-Meldung vom 8.12.1998 anlässlich der Buchankündigung von Ursula Büttner,
Martin Greschat, Die verlassenen Kinder der Kirche, Göttingen 1998)
Ab 1939 – Immer mehr Orte sind "judenfrei", die Grundstücke sind in "arischen Besitz" übergegangen.
Februar 1939 – Juden müssen ihre Juwelen und Schmuckgegenstände
abliefern ...
Anmerkung:
... wie es Luther in der Schrift Von den Juden und ihren Lügen fordert: "...
nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold". (vgl. vorne:
Luther)
März 1939 – Godesberger Erklärung der evangelischen Landeskirchenleiter,
Deutschen Christen sowie Pfarrern und Laien aus anderen kirchlichen Kreisen. Die
Erklärung wendet sich indirekt gegen den politischen Machtanspruch des Vatikan und
stellt die politische Macht des Nationalstaates gemäß der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre
(siehe Anhang) heraus. Sie ist von elf Kirchenführern
unterzeichnet und wird am 4.4.1939 im
Gesetzblatt
der Deutschen Evangelischen Kirche
abgedruckt. Darin heißt es:
"Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare Gegensatz zum Judentum."
Und: "Indem der Nationalsozialismus jeden politischen Machtanspruch der
Kirchen bekämpft und die dem deutschen Volke artgemäße nationalsozialistische Weltanschauung
für alle verbindlich macht, führt er das Werk Martin Luthers nach der weltanschaulich-politischen
Seite fort und verhilft uns dadurch in religiöser Hinsicht wieder zu einem wahren
Verständnis christlichen Glaubens." (zit. nach Ernst Klee, Die SA Jesu Christi,
Die Kirche im Banne Hitlers, S. 139)
Frühjahr 1939 – Der evangelische Theologe
Dietrich Bonhoeffer schreibt an den englischen Bischof George Bell, dass er
nicht dagegen protestiert, dass in Deutschland immer mehr Männer zum
Kriegsdienst einberufen werden.
Bonhoeffer wörtlich: "So würde ich meinen Brüdern [in der Bekennenden Kirche] einen
ungeheuren Schaden zufügen, wenn ich in diesem Punkt Widerstand leistete."
Über die Situation im Frühjahr 1939 schreibt der Biograph Eberhard Bethge
(1909-2000): "Konnte
Bonhoeffer mit einer Kriegsdienstverweigerung seine jetzt so angeschlagene ... Bekennende
Kirche belasten, so sie das weder gutheißen noch decken wollte? Tatsächlich gingen
bei Kriegsausbruch aus den Reihen der Bruderräte [der Bekennenden Kirche]
Blätter an die Theologen in Kasernen und Schützengräben, in denen es hieß, Kriege
seien nicht die Sache des einzelnen, sondern der Regierungen, und man
solle getrost ein guter Soldat sein." (zit. nach Eberhard Bethge, Bonhoeffer, Rowohlts
Monographien, Reinbek 1976, S. 72)
Die Bekennende Kirche befürwortete also den Angriffskrieg Deutschlands und Dietrich
Bonhoeffer widersprach nicht. Bonhoeffer hatte die Zugehörigkeit zu dieser Kirche
schon 1936 als heilsnotwendig bezeichnet. Wörtlich: "Wer sich wissentlich von
der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil"
(zit. nach Prof. Dr. theol. Rainer Mayer, zit. bei
idea-spektrum Nr. 15, 13.4.2016). Damit stellte der angesehene Theologe die
evangelische Kirche höher als die Friedenslehre des Jesus von Nazareth und blieb
auf diese Weise immer ein "treuer Sohn" der evangelischen Kirche.
Ab 1940 arbeitet Bonhoeffer dann beim deutschen Geheimdienst und ist dort aktiv
an einem "militärischen Widerstandskreis" gegen Hitler beteiligt. Dafür "ließ er
sich von der BK [Bekennenden Kirche] für ein, wie wir heute sagen würden, ´Sonderpfarramt`
freistellen. Die BK blieb also seine Kirche!"
(Prof. Dr. Mayer, a.a.O.). Wegen Beteiligung
an den Umsturzplänen wird er 1943 verhaftet und kurz vor Kriegsende, am 9.4.1945
im KZ Flossenbürg hingerichtet.
März 1939 – Der Leiter der Nürnberger "Hilfsstelle für nichtarische Christen" (siehe
hier),
Pfarrer Hans-Werner Jordan, fordert von Landesbischof Hans Meiser wenigstens ein
öffentliches Eintreten für "nichtarische Christen" ein, also für Juden, die sich
vom Judentum lösten und sich stattdessen zum katholischen oder evangelischen Christentum
bekehrten. Meiser tat es nicht.
22.4.1939 – Die
Junge Kirche (Halbmonatsschrift
für reformatorisches Christentum), die Zeitschrift
der "Bekennenden Kirche", sendet eine Ergebenheitsadresse an Adolf Hitler
zu dessen 50. Geburtstag:
"Es ist heute dem Letzten offenbar geworden, dass die Gestalt des Führers, mächtig
sich durchkämpfend durch alle Welten, Neues mit innerem Auge schauend und seine
Verwirklichung erzwingend, auf den wenigen Seiten der Weltgeschichte genannt ist,
die den Anfängern einer neuen Zeit vorbehalten sind. Die deutsche Sendung in
der Völkerwelt ist von einer mächtigen und festen Hand die Waagschale neu in der Geschichte
geworfen ... Wir bitten Gott, den Führer zu segnen." (Junge Kirche, Heft 8 vom
22.4.1939, zit. nach idea-spektrum Nr. 31/32/2006)
6.5.1939 – Elf evangelische Landeskirchen gründen im Gasthof
der Wartburg in Eisenach das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen
Einflusses auf das kirchliche Leben, im Volksmund "Entjudungsinstitut"
genannt.
"Ein Förderkreis mit Mitgliedern aus dem gesamten Deutschen Reich unterstützte
die Arbeit finanziell. Die elf Gründer- und Trägerkirchen waren: Altpreußen, Sachsen,
Nassau-Hessen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Mecklenburg, Pfalz, Anhalt, Oldenburg,
Lübeck und die neudeutsche Evangelische Kirche in Österreich ... In zahlreichen
Arbeitskreisen waren fast 200 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter tätig, unter
ihnen Professoren, Pfarrer, Lehrer, Schriftsteller, die teilweise aus den Landeskirchen
stammten, die ursprünglich die Institutsgründung nicht unterstützt hatten." (Heinrich
W. Hebeler in: Israel heute Nr. 26/2005)
31.5.1939 – Die Bekennende Kirche unter der Federführung der Landesbischöfe
Hans Meiser und Theophil Wurm gibt als Antwort auf die Godesberger Erklärung der
Deutschen Christen vom 4.4.1939 eine eigene öffentliche Erklärung heraus, in der
es heißt: "Die Evangelische Kirche ... fordert von ihren Gliedern treuen Dienst
in dieser [staatlichen] Ordnung und weist sie an, sich in das völkisch-politische
Aufbauwerk des Führers mit voller Hingabe einzufügen."
Weiter heißt es darin: "Im
Bereich des völkischen Lebens ist eine ernste und verantwortungsbewusste Rassenpolitik
zur Reinerhaltung unseres Volkes erforderlich." (zit. nach Hans Erler, Ansgar
Koschel, Der Dialog zwischen Juden und Christen, Frankfurt am Main, New York 1999,
S. 135 f.)
Mai / Juni 1939 – 937 Juden fliehen von Hamburg mit dem Schiff St. Louis
in Richtung Kuba und USA. Doch ihre Einreise wird von beiden Ländern und
von weiteren westlichen Staaten verweigert. "Der Westen will die jüdischen Flüchtlinge nicht"
(spiegel.de, 17.2.2017). Sie müssen
zurück nach Europa und kommen nach zähen Verhandlungen zunächst in Belgien unter,
das jedoch ca. ein Jahr später von der deutschen Wehrmacht überrannt
wird. "Am Ende starben mindestens 254 der früheren Passagiere in NS-Vernichtungslagern",
die meisten in Auschwitz. In den USA stemmte sich der damalige Außenminister und
spätere Friedensnobelpreisträger (wg. seiner Verdienste um die Gründung der UNO)
Cordell Hull gegen die Aufnahme der jüdischen Flüchtlinge und setzte sich durch.
Ein Foto von 1935 zeigt ihn zusammen mit seiner Frau bei seinem Kirchenbesuch in
einer römisch-katholischen Kirche.
1.9.1939 – Deutschland beginnt mit dem Angriff auf Polen den 2.
Weltkrieg – Die evangelischen
und katholischen Bischöfe schwören die Soldaten auf den Krieg ein. So ruft der
vom Papst ernannte römisch-katholische Militärbischof Franz Justus Rarkowski
dazu auf: "In
ernster Stunde, da unser deutsches Volk die Feuerprobe der Bewährung zu bestehen
hat und zum Kampfe um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte
angetreten ist, wende ich mich als Katholischer Feldbischof der Wehrmacht an
euch Soldaten, die ihr in diesem Kampf in der vordersten Front steht und die
große und ehrenvolle Aufgabe habt, die Sicherheit und das Leben der deutschen
Nation mit dem Schwerte zu schützen und zu verteidigen
… Der tapfere Aufblick zum Allmächtigen macht euch zu Soldaten, die
unüberwindlich sind. Jeder von euch muss jetzt Kämpfer sein, nicht nur mit der
Waffe in der Hand, sondern auch mit einem starken, tapferen und gläubigen
Herzen. Wer als Soldat den Kampf für sein Vaterland jederzeit in Ehren bestehen
will, muss ein Herz besitzen, das Gott selbst gefestigt und gewappnet hat."
(Verordnungsblatt des katholischen Bischofs der Wehrmacht, 1.9.1939, zit. nach
militaerseelsorge-abschaffen.de)
Seine Exzellenz Bischof
Rarkowski war als so genannter "Apostolischer Pronotator" am 11. August
1936 mit der Leitung der katholischen Militärseelsorge gemäß Art. 27 des 1933
abgeschlossenen und noch heute [2024] gültigen Reichskonkordats Deutschlands mit
dem Vatikan eingesetzt. Am 7. Januar 1938 hatte ihn Papst Pius XI. dann auch zum
Feldbischof der Wehrmacht in Deutschland ernannt.
Ab 1.9. / 15.9.1939 – Die als staatsfeindliche "Sekte" von Staat und Kirche verfolgten Zeugen Jehovas verweigern den Kriegsdienst. Sie berufen sich auf das Gebot "Du sollst nicht töten". Der erste Kriegsdienstverweigerer in Deutschland, ein Zeuge Jehovas, wird am 15.9.1939 im KZ Sachsenhausen hingerichtet.
Kriegsjahre ab 15.9.1939 – Von den ca.
15,5 Millionen zum Kriegsdienst einberufenen Protestanten und Katholiken aus dem
Altdeutschen Reich (ohne Österreich, Sudetenland und eroberte Gebiete)
verweigerten maximal 10 Katholiken und zwei Protestanten, dazu zwei weitere
Evangelische, die dafür Sanitätsdienst leisteten. Im Jahr 1939 waren 94,5 % der
Einwohner evangelisch oder katholisch. Die Anzahl der Verweigerer unter
Kirchenmitgliedern ist damit großzügig geschätzt 0,0001 %, also jeder
Einmillionste. Diese von der katholischen und der lutherischen Kriegslehre und
von den kirchenamtlichen Anfeuerungen zum Zweiten Weltkrieg abweichenden
Mitglieder wurden – bis auf die beiden Sanitäter – hingerichtet, während die
später "gefallenen" Soldaten bis heute in den Kirchen als Helden geehrt werden.
Deutlich höher ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer außerhalb der beiden
Großkirchen. Insgesamt werden von nun an mindestens 282 Zeugen Jehovas wegen
Kriegsdienstverweigerung hingerichtet, sowie neun Adventisten und 27 weitere
Nichtkirchenmitglieder aus "religiösen" bzw. weltanschaulichen Gründen,
eventuell Bürger ohne Konfession bzw. konfessionslose Christen.
Ausführliche
Untersuchungen zu den Kriegsdienstverweigerern finden Sie in einem
Anhang nach dem Literaturverzeichnis:
Ab September 1939 – Kriegsbegeisterung in der Bekennenden
Kirche. Die Kritik an der Kirchenpolitik der Nationalsozialisten nimmt stark
ab.
September 1939 – Juden
wird der Besitz von Rundfunkgeräten verboten
21.9.1939 –
Juden dürfen nur noch in Judenvierteln wohnen.
So hat es auch die Kirche seit
dem Mittelalter mit der jüdischen Bevölkerung gehalten (z. B. lt. Beschluss der
Synode von Breslau im Jahr 1267).
29.9.1939 –
Die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei sendet allen Landeskirchen
eine Kanzelabkündigung zum Erntedankfest am 1.10.1939 zu. Darin wird Gott für die "reiche
Ernte auf Feld und Flur" gedankt und für die "nicht
weniger reiche Ernte" auf den polnischen Schlachtfeldern
(zit. nach Süddeutsche Zeitung, 26.11.1998).
Weiter heißt es über Gott: "Wir danken Ihm, dass
ER unseren Waffen einen schnellen Sieg gegeben hat." (zit. nach Vollnhals, a.a.O.,
S. 131)
Anmerkungen:
1) Die deutsche Wehrmacht verübte auch Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung.
2) In Bayern weist Landesbischof Meiser alle evangelischen Pfarrer an, die Kanzelabkündigung
zu verlesen.
22.10.1939 – Zeugen Jehovas legen eine Flugschrift mit dem Titel Krieg oder
Frieden? vor die Tür eines evangelischen Vikars aus dem Münsterland.
Der Vikar verständigt sofort die Polizei und teilt mit, wer nach seiner Meinung
als Täter in Frage kommen könnte. (Bundesarchiv R 60 II/33, Bl. 2-5; zit. nach
Garbe, a.a.O., S. 10)
30.10.1939 – Landesbischof Meiser und der Landeskirchenrat
geben Richtlinien für die evangelische Verkündigung im Krieg heraus.
In den Richtlinien heißt es:
"Wir spüren hinter dieser ernsten Wirklichkeit Gottes gewaltige Hand ...
Wir haben den einzelnen wie die Gemeinde vor allem stark zu machen, dass sie wirklich
tun können, was ihre Pflicht und Schuldigkeit ist, dass sie tapfer und treu sein
können in dem Stande, in den sie der Herr berufen hat." (zit. nach Amtsblatt,
a.a.O.)
Anmerkung:
Bischöfe, die Mitglieder des Landeskirchenrates und ein Großteil der übrigen Amtsträger,
die von den Kanzeln über den Krieg predigen, sind selbst vom Kriegsdienst befreit.
Viele Pfarrer melden sich allerdings aus Kriegsbegeisterung freiwillig an die Front.
November 1939 – Nach dem fehlgeschlagenen Attentat
auf Adolf Hitler am 8.11.1939 durch Georg Elser im Bürgerbräukeller in München
[stattdessen wurden acht Anhänger Hitlers getötet] läuten in ganz Deutschland die
Kirchenglocken zu "Dankgottesdiensten" für die Bewahrung des Führers. "Nuntius Cesare
Orsegnio überbringt die persönlichen Glückwünsche von Papst Pius XII."
(Evangelisches Sonntagsblatt Nr. 46, 15.11.2009)
Adolf Hitler und die Parteispitze der NSDAP hatten den Versammlungsort wegen schlechten
Wetters früher als geplant verlassen, um zurück nach Berlin zu reisen.
Speziell die evangelische "Bekennende Kirche" ist entsetzt über das
Attentat und lässt in ihrem Organ Junge Kirche verlauten:
"Der frevelhafte Anschlag
auf das Leben des Führers in München hat ... alle Kreise des deutschen Volkes mit
tiefem Entsetzen und Empörung erfüllt ... Im Interesse des ganzen deutschen Volkes
und aller Aufrechtdenkenden in der Welt liegt es, dass die Urheber des Attentates
gefunden und gerecht bestraft werden und dass es gelingt, die intellektuellen Anstifter
nachzuweisen ... Im Verfolg dieses Attentates hat sich das nationalsozialistische
Deutschland noch fester und zum Siege entschlossen um seinen Führer geschart."
(Junge Kirche, zit. nach idea-spektrum Nr. 31/32/2006)
Anmerkung:
Der Schreiner und Uhrmacher Johann Georg Elser aus Königsbronn bei Heidenheim
war ein Einzeltäter, der 1938 zu der Überzeugung kam, nur durch den Tod Hitlers
den aufziehenden 2. Weltkrieg verhindern zu können. Elser war Mitglied der Naturfreunde.
Er wurde nach einem zunächst geglückten Fluchtversuch an der Schweizer Grenze festgenommen
und kam als "besonderer Schutzhäftling" in das KZ Sachsenhausen und von dort ins
KZ nach Dachau. Nach dem "Endsieg" war ein Schauprozess gegen ihn geplant. Auf persönliche
Anordnung von Adolf Hitler wurde er am 9.4.1945 in Dachau erschossen.
Der berühmte Pfarrer und Kirchenpräsident der Bekennenden Kirche, Martin Niemöller,
verleumdet Elser nach 1945 öffentlich als angeblichen "SS-Mann", der im Auftrag
der NSDAP ein fingiertes Attentat durchgeführt hätte. Dabei stützten er und einige
andere sich nur auf Gerüchte. In einem Brief an den bekannten Theologen Niemöller
drückt die Mutter des Attentäters am 20.4.1946 "ihre Verzweiflung aus über
die falschen Anschuldigungen gegen ihren Sohn" (Ev. Sonntagsblatt Nr. 46, 15.11.2009).
Elsers Familie wurde geschmäht, wie schon zuvor von den Nazi-Behörden, und seiner
Schwester Maria Hirth, die man nach dem Attentat ebenfalls verhaftete, wurde von
den Behörden der Bundesrepublik im Jahr 1951 Haftentschädigung verweigert. Der Nazi-Staat
hatte 1943 schon Elsers ganzes Vermögen und sein Erbe beschlagnahmt. Die ZEIT schreibt:
"Gegen das Wort eines Kirchenpräsidenten kann sich eine einfache Handwerkerfamilie
nur schwer wehren." (Nr. 2/2003)
Die Kirche war sehr schnell wieder in alten Ehren, und Gegner des NS-Regimes wie
Johann Georg Elser, die mit der Kirche, außer dass sie formal durch deren Säuglingstaufe
Mitglied wurden, nichts zu tun hatten, werden bis heute in der Bundesrepublik Deutschland
nur wenig bis kaum beachtet (im Unterschied z. B. zu dem römisch-katholischen Adligen
Graf von Stauffenberg, dessen Attentat ca. 4 1/2 Jahre später ebenfalls scheiterte
und dem protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der in diese Attentatspläne
eingeweiht war). Wenigstens der Verleumdung Elsers wurde später von Historikern
widersprochen. Elser hatte schon 1933 den Hitlergruß verweigert und war immer ein
Gegner des Regimes. Seine Mutter "Marie Elser starb 1960. Die späte Rehabilitierung
ihres ... Sohns hat sie nicht mehr erlebt."
30.12.1939 – Juden wird die Benutzung von Speisewagen der Bahn untersagt (vgl. Synode von Elvira im Jahr 306: Verbot der gemeinsamen Speiseeinnahme von Juden und Christen); vgl. Martin Luther: "Ich sollte mit einem solchen verteufelten Maul essen, trinken oder reden? So möchte ich aus der Schüssel oder Kannen mich voller Teufel fressen und saufen, so mache ich mich gewiss damit teilhaftig aller Teufel, die in den Juden wohnen." (siehe vorne: Martin Luther – Nationalsozialisten)
1939/1940 – Der Pfarrersohn Friedrich Wilhelm Kritzinger erarbeitet als Ministerialdirektor die Verordnung gegen Volksschädlinge und die Abwicklung des Einzugs des Vermögens der exekutierten Juden. Am 20.1.1942 nimmt er an der Wannsee-Konferenz in Berlin teil, welche die "Endlösung der Judenfrage" beschließt. Danach wird er zum Leiter der NS-Staatskanzlei befördert.
1940
Frühjahr 1940 – Konfirmandenprüfung in der Evangelischen Kirchengemeinde Karlsruhe-Rüppurr. Der Pfarrer fragt: "Wie hat unser Führer Adolf Hitler in seiner
letzten Rede unseren Reformator Martin Luther bezeichnet?" Der Konfirmand antwortet:
"Einen großen Deutschen." Die Prüfung ist damit bestanden. (Zeugenaussage
liegt vor)
15.4.1940 – Bekanntmachung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zum Führergeburtstag am 20.4.1940: "Das ganze deutsche Volk fühlt sich an diesem Tage in besonderer Weise mit dem Manne verbunden, der das Geschick des Großdeutschen Reiches mit starken Händen durch die Fährnisse des Krieges steuert. Die Gemeinden unserer Landeskirche gedenken seiner in freudigem Dank und ernster Fürbitte. Sie geloben aufs Neue, den Dienst, zu dem sie der Herr berufen hat, mit ganzer Treue auszuführen. Sie sehen darin ihren Beitrag zum Werke des Führers, dass sie durch die Botschaft von Jesus Christus den deutschen Menschen hinführen zu den Quellen aller Kraft, ihn stark machen für den Kampf, ihn freudig machen zu allem Opfer ... Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser."
Mai 1940 – Der Stürmer über die Juden:
"Ihr Gott ist das Geld."
Anmerkung:
Dies ist ein Vorwurf, den auch evangelische und katholische Sektenbeauftragte 50-60
Jahre später sinngemäß gegenüber den Glaubensgemeinschaften machen, die von ihnen
bekämpft werden.
2.6.1940 – Landesbischof Meiser hält die Festpredigt
zum 50jährigen Jubiläum der Rummelsberger Diakonie. Darin nimmt der Landesbischof
zu den Überfällen Deutschlands auf Frankreich, Belgien und die Niederlande Stellung
und zu der Besetzung Dänemarks und Norwegens:
"Auf den Schlachtfeldern Flanderns, wo so oft schon Völker um ihr Schicksal gerungen
haben, haben unsere Heere einen Sieg errungen, wie er ähnlich in der Geschichte
der Völker nicht gefunden wird ... Wir beugen uns vor der Größe dieser Stunde;
wir stehend anbetend vor unserem Gott, der die Geschicke der Völker so majestätisch
lenkt. Wir gedenken voll Ehrfurcht derer, die so Großes so kühn planten, und derer,
die es so tapfer und wagemutig vollbrachten." (zit. nach Bericht über die Feier
des fünfzigjährigen Bestehens der Diakonenanstalt Rummelsberg;
zit. nach Gerhard Wehr, Gutes tun und nicht müde werden, München 1989, S. 175)
16.6.1940 – Der bekannte Erlanger Theologieprofessor,
Universitätsprofessor und Luther-Experte Paul Althaus (1888-1966) sieht in den Siegen Deutschlands
im Krieg "Gottes Gericht" über die Kriegsgegner kommen:
"Wir bewundern in tiefstem Danke den Führer und die Soldaten. Aber wir erschauern
ehrfürchtig, da wir den gewaltigen Schritt des Herrn der Geschichte spüren. Immer
ist er am Werke. Aber heute sehen wir seine Hand, die oft so verborgene und stille,
mächtig ausgereckt über unserem Vaterlande, über Europa; … Hält Gott nicht Gericht?
Nimmt er nicht Rache, auch wenn wir und unser Führer das gar nicht gewollt haben?"
(zit. nach Adolf Joachim Diestelkamp, Das Tier aus dem Abgrund, Dessau
1993, S. 245) Im Jahr 1959 wurde Paul Althaus
mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.
26.6.1940 – Landesbischof Meiser und der evangelische Landeskirchenrat rufen die Gemeinden dazu auf, "Adolf Hitler, dem Schöpfer und obersten Befehlshaber der sieggekrönten Wehrmacht", zu danken und für einen "baldigen Endsieg" zu beten. (Amtsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern rechts des Rheins)
Ab 1940 – Deportationen von Juden nach Osten in Gettos
30.6.1940 – Einer der leitenden Verantwortlichen der Bekennenden Kirche, Landesbischof August Marahrens aus Hannover, gibt in einem Telegramm an Hitler der Hoffnung Ausdruck, dass "in ganz Europa unter Ihrer Führung eine neue Ordnung entstehe". (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 24)
1933-1945 – "´In der NS-Zeit
wurden in ganz Deutschland 600 Kirchen neu errichtet`" (Die Kuratoren der Ausstellung
"Aus dem Geist der Zeit. Berliner Kirchenbauten im Nationalsozialismus", zit. nach
taz.de, 2.11.2013). "1940
stellte der Architekt Otto Bartning fest, dass ´die beiden christlichen Kirchen
noch im vergangenen Jahr neben dem Staat und vor der Industrie die größten Bauherren
gewesen waren.`" (zit. nach taz.de,
2.11.2013)
Juli 1940 – Juden werden als Fernsprechteilnehmer ausgeschlossen.
Sie dürfen kein Telefon mehr besitzen.
1940 – Ein Gedächtnisprotokoll über die
Ordnung der evangelischen Kirche im Warthegau an der polnischen Grenze
aus dem Jahr 1940 soll nach kirchlichen Angaben die "streng geheime" Vorstellung
in Adolf Hitlers Parteikanzlei (Leiter: Martin Bormann) für das Verhältnis von Staat
und Kirche nach dem Krieg widerspiegeln. Demnach sollten die staatlich privilegierten
Kirchen dezentralisiert und zu normalen Vereinen werden. Die staatlichen Subventionen
an die Kirchen sollten gestrichen werden, und die Kirchen dürften nur noch ihre
Kirchengebäude als Eigentum behalten. Dieses schillernde Dokument dient der Kirche
seit 1945 dazu, an der Legende einer angeblichen Opferrolle im nationalsozialistischen
Staat zu stricken. Ein teilweise ähnlicher Inhalt steht in einer Geheimen Kommandosache
des Sicherheitsdienstes RFSS vom 15.2.1938 (wo es jedoch auch um eine "Bekämpfung
des Sektenwesens" geht, welche die Kirche sonst einvernehmlich mit dem NSDAP-Staat
durchführte) und in einem Brief von Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei
der NSDAP, aus dem Jahr 1941. Der Entwurf für den Warthegau wird von Kirchenvertretern
gelegentlich sogar als Modell einer "Endlösung" der Kirchenfrage
nach dem Krieg gedeutet (so z. B. in: Kirchen- und Theologiegeschichte in
Quellen, Band V, Hrsg. Heiko A. Obermann u. a., Neukirchen 1999, S. 141; Geheime
Kommandosache auf S. 141-144; Brief von M. Bormann auf S. 145-147 und Protokoll
auf S. 156 f.). Damit wird versucht, das Thema zumindest sprachlich auf
eine Stufe mit der so genannten "Endlösung
der Judenfrage" durch den Holocaust zu stellen. Es
ist jedoch sehr zweifelhaft, inwiefern es sich bei den vorhandenen Dokumenten wirklich
um ausgereifte Pläne handelt, die das gesamte Deutsche Reich betreffen würden und
denen von maßgeblicher Seite bereits zugestimmt worden sei. Außerdem ist bei der
engen Verflechtung von Nationalsozialismus und Kirchen mehr als zweifelhaft, ob
ein solches "Modell" auch nur annähernd eine Chance gehabt hätte.
Anmerkung:
Und inwiefern dies darüber hinaus eine heutige Verhöhnung der tatsächlichen
Opfer ist, mag jeder selbst entscheiden.
September 1940 – Der Stürmer wirft den Juden vor,
den Glauben für wirtschaftliche Ziele zu missbrauchen: "Die Juden sind nämlich
gar keine Glaubensgemeinschaft, sondern ein Bund zur Vertretung wirtschaftlicher
und politischer Interessen."
Anmerkung:
Ein Verleumdungsmuster, das ca. 50-60 Jahre später wieder von kirchlichen Sektenbeauftragten
gegen andere Glaubensgemeinschaften eingesetzt wird (vgl. Zeitablauf:
Mai 1936).
24.12.1940 – Juden müssen als Ersatz für die den Mitgliedern
der NSDAP auferlegten Parteispenden eine "Sozialausgleichsabgabe"
zahlen.
1941
April 1941 – Lebensmittel, welche Juden aus dem
Ausland zugeschickt bekommen, werden von ihren Lebensmittelrationen abgezogen.
April 1941 – Die ehemals evangelische Familie Kusserow aus Bad Lippspringe, die sich den Zeugen Jehovas angeschlossen hat, wird wegen ihres Glaubens enteignet, die Familienmitglieder kommen ins KZ. Für den Fall, dass sie ihrem neuen Glauben wieder "abschwören" und z. B. wieder evangelisch werden, wird ihnen die Entlassung aus dem KZ zugesichert. Dies tun sie nicht. ("Lila Winkel", a.a.O.)
22.6.1941 – Deutschland greift die Sowjetunion an. Beim so genannten "Unternehmen Barbarossa" dringen drei Millionen deutsche Soldaten in Russland ein und starten den bisher zerstörerischsten Feldzug der Geschichte mit am Ende 27 Millionen Opfern in der Sowjetunion, zu ca. 70 % Russen.
Sommer 1941 – Beginn der alliierten Fliegerangriffe auf Deutschland
Juli 1941 – Sofortige Massenerschießungen von verhafteten Juden
30.7.1941 –
Bischof August Marahrens von der Bekennenden Kirche beglückwünscht Adolf Hitler
im Namen des Geistlichen Vertrauensrats der Deutschen Evangelischen Kirche zum
Überfall auf die Sowjetunion und sichert ihm die
"unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen
Christenheit des Reiches"
zu.
Wörtlich: "Der GVR der DEK, erstmalig seit Beginn der Entscheidungsschlacht
im Osten versammelt, versichert Ihnen, mein Führer, in diesen hinreißend bewegten
Stunden aufs Neue die unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen
Christenheit des Reiches. Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im
eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden
Waffengange gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen
Kultur auf. Das deutsche Volk und mit ihm alle seine christlichen Glieder danken
Ihnen für diese Tat ... Die DEK ... ist mit allen ihren Gebeten bei Ihnen und bei
unseren unvergleichlichen Soldaten, die mit so gewaltigen Schlägen daran gehen,
den Pestherd zu beseitigen, damit in ganz Europa unter Ihrer Führung eine neue Ordnung
entstehe." (Evangelisches Zentralarchiv I/1662, Blätter 211 und 212)
Anmerkung:
In der Folge dieses von der lutherischen Kirche befeuerten Krieges wurden 27.000.000 Bürger der Sowjetunion
getötet,
hauptsächlich Russen und etwa zu gleichen Teilen Soldaten und Zivilisten. Vgl.
dazu, was der evangelische Pfarrer Adolf Schettler über die russischen Soldaten
und ihren furchtbaren Todeskampf in den
Sümpfen der Masurischen Seen im 1. Weltkrieg schrieb.
1.9.1941 – Einführung des Judensterns
(vgl.
4. Laterankonzil im Jahr 1215: Juden müssen ein Unterscheidungszeichen an ihrer
Kleidung tragen)
3.9.1941 – Erste Probevergasungen mit "Zyklon B" in Auschwitz
15.9.1941 – Allen Juden vom 6. Lebensjahr an wird es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne Judenstern zu zeigen. Und Juden dürfen nur noch mit schriftlicher polizeilicher Erlaubnis ihren Wohnort verlassen.
September 1941 – Gemeinsame Erklärung zur Anordnung
über die Einführung des Judensterns der Landeskirchen Sachsen, Hessen-Nassau,
Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck: "Als Glieder der deutschen
Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen evangelischen Landeskirchen
und Kirchenleiter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der u. a. die
Reichspolizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt-
und Reichsfeinde notwendig gemacht hat. Wie schon Dr. Martin Luther
nach bitteren Erfahrungen die Forderung erhob, schärfste Maßnahmen gegen die
Juden zu ergreifen, und sie aus deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung Christi bis zum
heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer
eigennützigen Ziele missbraucht oder gefälscht. Durch die christliche Taufe wird
an der rassischen Eigenart eines Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen
Sein nichts geändert." (zit. nach U. Dreyer in: idea-spektrum
Nr. 11/1996)
Vgl. Luthers Spott über die Taufe von Juden: "Wenn ich einen Juden taufe,
will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen und ihn hinab
stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams." (Tischreden Nr. 1795; zit.
bei Landesbischof Martin Sasse, Martin Luther über die Juden – Weg mit ihnen! Freiburg
1938, S. 14)
Ab Oktober 1941 – Deportationstransporte deutscher Juden in die Vernichtungslager; Massenvergasungen
24.10.1941 – Verbot freundschaftlicher Beziehungen von Deutschen zu Juden
31.10.1941 –
Der evangelische Theologe und Volkswirtschaftler Dr. Georg Leibbrandt,
Leiter des "Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete", beklagt in einem
Brief an den Reichskommissar im Ostland, Hinrich Lohse, "dass der
Reichskommissar Ostland Judenexekutionen in Libau untersagt habe. Ich
ersuche in der betreffenden Angelegenheit um umgehenden Bericht".
Der
Reichskommissar rechtfertigt sich im Antwortbrief vom 15.11.1941, dass er nur
die "wilden Judenexekutionen in Libau" untersagt habe, nicht die staatlichen,
und er vergewissert sich, "dass alle Juden im Ostland liquidiert werden sollen."
(Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof
Nürnberg, 14. November 1945 – 1. Oktober 1946, Bd. XI, München / Zürich 1984. S.
609)
Anmerkung:
Am 20.1.1942 nimmt
Dr. Georg Leibbrandt an der Wannsee-Konferenz in Berlin teil, auf der die endgültige
und totale "Lösung der Judenfrage" durch vollständige Exekutionen bekräftigt wurde.
Ein Gerichtsverfahren gegen den Theologen wird 1950 eingestellt. Dr. Leibbrandt
stirbt ohne Vorstrafe im Ruhestand 1982 in Bonn.
40er-Jahre – Während sich die meisten Pfarrer und Bischöfe
nach dem Krieg damit heraus zu reden versuchten, sie hätten vom Holocaust überhaupt
nichts gewusst, gibt Pfarrer Heinrich Uhrhan aus Bayreuth 35 Jahre später,
im Jahr 1980, zu, davon gewusst zu haben. Ein SS-Offizier hätte ihm damals minutiös
berichtet, wie in Polen "Unmengen von jüdischen Männern, Frauen, Jugendlichen
und Kindern umgebracht" würden. Pfarrer Heinrich Uhrhan weiter: "Am folgenden
Sonntag habe ich auf unserer Kanzel nicht für die Juden geschrieen, sondern über
das, was ich nun wusste, geschwiegen aus Angst um mein Leben, aus Sorge um
meine Frau und unsere drei kleinen Kinder und aus Verantwortung gegenüber dem Offizier,
der bei mir ´gebeichtet` hatte." (zit. nach Evangelisches Sonntagsblatt Nr. 1/2011
vom 2.1.2011)
Pfarrer Uhrhan schrieb 1982 für die lutherische Zeitschrift
Quatember zudem eine Rezension
des Buches von SS-Pfarrer Hans-Friedrich Lenz, Sagen Sie Herr Pfarrer, wie
kommen Sie zur SS? Der Titel der Rezension: Zwischen SS und Bekennender Kirche. (quatember.de,
siehe Literaturverzeichnis)
Herbst 1941 – Ein junger evangelisch-lutherischer
Pfarrer, damals "Pfarrvikar"
genannt, unterrichtet an der Front, wie man aus dem Hinterhalt Menschen umbringt.
Der Vikar, gleichzeitig Hauptmann der Wehrmacht, berichtet: "Dann ziehe ich
mit dem ersten ´Jäger` los und entdecke in meinem Fernglas in einem schmalen Durchblick
in etwa 400 m Entfernung einen russischen Soldaten, der dort offenbar den Verkehr
regelt. Ich sage zu meinem Mann: ´So, den schießt du ab!` Darauf er: ´Nö, dös ko
i net; der kämpft ja net. Bloß a so abknall´n, dös geht do net.` Und ich: ´Wann
du´s net kannst, tue ich es. Gib mir dei Jagdgewehr her!` Und ich schieße – und
treffe – und mein Hannes sagt: ´Jetzt, wo du mir dös vorgemacht hast, jetz ko i´s
a.` Und ich gebe ihm das Gewehr wieder und lass ihn weiter ´jagen` und gehe hinein
in meinen Unterstand und lege mich auf meinen Platz, dass mich niemand beobachten
kann, weil mir so übel ist und ich weinen muss: Nicht darüber, dass ich einen Russen
angeschossen, vielleicht sogar getötet habe; aber – ich habe einem Menschen sein
Gewissen zerstört, und das ist furchtbar. Und dennoch – wäre ich wieder in derselben
Lage, so machte ich es trotz allem wieder genauso." (zit. nach Mensing, a.a.O.,
S. 207)
Anmerkung:
Die Rechtfertigungsworte des Pfarrers, der sich freiwillig an die Front gemeldet
hatte, stammen sehr wahrscheinlich aus der Zeit nach 1945.
29.9.1941 – Unter der Leitung des evangelischen SS-Kommandanten
Otto Ohlendorf führte die SS in Zusammenarbeit mit der deutschen Wehrmacht das
Massaker von Babi Jar an über 33.000 Juden aus dem benachbarten Kiew in der
Ukraine durch. Die jüdischen Einwohner mussten sich dazu auf die Leichen der zuvor
Erschossenen in einer großen Grube legen und wurden dann selbst erschossen.
SS-Mann Kurt Werner, einer der Männer, die nahezu pausenlos mordeten, erinnert
sich beim Nürnberger Kriegesverbrecherprozess 1947: "Mir ist heute noch in
Erinnerung, in welches Entsetzen die Juden kamen, die oben am Grubenrand zum ersten
Mal auf die Leichen in der Grube hinuntersehen konnten. Viele Juden haben vor Schreck
laut aufgeschrieen. Man kann sich gar nicht vorstellen, welche Nervenkraft es
kostete, da unten diese schmutzige Arbeit auszuführen"
(zit. nach ntv.de,
29.9.2016). Insgesamt gab
der evangelische Kommandant im Laufe seiner SS-Karriere Befehle für ca. 90.000 Ermordungen
und berief sich seinerseits auf Befehle, die er erhalten hatte.
5.12.1941 – Erster Einsatz der berüchtigten Gaswagen,
bei welchen die Auspuffgase ins Wageninnere gelenkt werden, bis alle Businsassen
tot sind.
7.12.1941 – Die Luftwaffe Japans zerstört den US-amerikanischen Marinestützpunkt
Pearl Harbor auf Hawai. Einen Tag später erklären die USA Japan den Krieg.
Am 11.12.1941 erklärt Deutschland auch den USA den Krieg. Damit waren die
USA in den Weltkrieg verwickelt, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung dort gegen
den Kriegseintritt war. Adolf Hitler betrachtete durch den Angriff Japans auf die
USA den Krieg praktisch schon als "gewonnen". Doch erst Ende 1942 kam es zu ersten
direkten Konfrontationen beider Heere in Nordafrika.
22.12.1941 – Die Kirchenkanzlei
der Deutschen Evangelischen Kirche fordert alle evangelischen
Landeskirchen auf, die kirchlich getauften
Juden aus allen evangelischen Kirchen "auszuscheiden",
wie dies die Thüringer Landeskirche durch ein Kirchengesetz bereits beschlossen
hat. Wörtlich heißt es:
"Der Durchbruch des rassischen Bewusstseins in unserem Volk, verstärkt durch
die Erfahrungen des Krieges und entsprechende Maßnahmen der politischen Führung,
haben die Ausscheidung der Juden aus der Gemeinschaft mit uns Deutschen bewirkt
... Wir bitten daher im Einvernehmen mit dem Geistlichen Vertrauensrat der Deutschen
Evangelischen Kirche* die obersten
Behörden [aller Landeskirchen], geeignete Vorkehrungen zu treffen, dass die getauften
Nichtarier dem kirchlichen Leben der deutschen Gemeinde fernbleiben. Die getauften
Nichtarier werden selbst Mittel und Wege suchen müssen." (Kirchliches Jahrbuch Nr. 482, zit. nach
Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Band V, Hrsg. Heiko A. Obermann u.
a., Neukirchen 1999, S. 163)
Anmerkung: Zu dieser Zeit wurden in den deutschen
Städten die evangelisch und katholisch "getauften Nichtarier" zusammen mit den übrigen
Juden schon seit Monaten zu den Massenvergasungen verschleppt. Die oberste Kirchenleitung
gab ihnen praktisch noch eine Art "Hausverbot" mit ins letzte Reisegepäck kurz vor
ihrer Ermordung.
* Der
"Geistliche Vertrauensrat" wurde am 31.8.1939 ins Leben gerufen mit den Mitgliedern:
Dr. Friedrich Werner (Kirchenkanzlei), Landesbischof August Marahrens (Landeskirche
Hannover), Landesbischof Walter Schulz (Landeskirche Mecklenburg), Oberkonsistorialrat
Johannes Hymmen (Altpreußische Union, Berlin), Professor Dr. Otto Weber (Reformierte
Kirche, Göttingen). Ob sich bis 1941 an der Besetzung etwas geändert hat, ist uns
nicht bekannt.
1942
Januar 1942 – Die noch
verbliebenen Juden müssen alle Pelz- und Wollsachen bei den
deutschen Behörden abliefern.
20.1.1942 – Die Wannsee-Konferenz
beschließt die "Endlösung" der "Judenfrage" – Der bereits in Gang befindliche
Massenmord an allen Juden wird endgültig legitimiert, neu besprochen und koordiniert.
Leiter der Wannsee-Konferenz ist Reinhard Heydrich, der im Juni 1942 an den Folgen
eines Attentats in Prag sterben sollte, seine rechte Hand ist der Lutheraner Adolf
Eichmann (siehe auch 1960).
Adolf Eichmann hatte bereits seit 1941 alle größeren Vernichtungslager besucht,
um Rationalisierungsmethoden bei der Ermordung von Menschen zu entwickeln.
Für die Wannsee-Konferenz entwirft Adolf Eichmann die Rede von Reinhard Heydrich.
Darin unterscheidet Heydrich zwischen "natürlicher Verminderung" durch brutale Zwangsarbeit
einerseits und "Sonderbehandlung" (sofortige Tötung) andererseits. Adolf Eichmann
führt auch das Protokoll.
Zu den Teilnehmern der Wannsee-Konferenz gehören neben Adolf Eichmann auch weitere
in der Kirche groß gewordene bzw. dort zugehörige Täter wie
Dr. Alfred Meyer, der "für die Schaffung
einer einheitlichen Reichskirche plädierte" (Gerhard
Besier (Hrsg.), Zwischen "nationaler Revolution" und militärischer Aggression,
München 2001, S. 49), oder Erich Neumann ("in
einer evangelischen Familie geboren"), Heinrich Müller ("Gestapo-Müller"; "in einer
katholischen Familie geboren") oder Wilhelm Stuckart ("wurde christlich erzogen"),
der den bekannten Kommentar zur deutschen Rassegesetzgebung,
also zu den Nürnberger Gesetzen, geschrieben hatte
(zit. nach der jeweiligen Wikipedia-Seite; Stand: 20.1.2012).
Oder der Pfarrersohn Friedrich Wilhelm Kritzinger
und der evangelische Theologe Dr. Georg Leibbrandt.
Und ein Täter heißt sogar Martin Luther. Der Unterstaatssekretär Martin
Luther trägt auf der Wannsee-Konferenz die
"Wünsche und Ideen des Auswärtigen Amtes zur
vorgeschlagenen Gesamtlösung der Judenfrage in Europa"
vor; also wie der Völkermord aus Sicht des Außenministeriums am sinnvollsten
durchzuführen sei. Auch bei seinem berühmten Namensvetter, dem Reformator Martin
Luther, deutete sich bereits diese "Endlösung" im Ansatz an (siehe
hier).
6.2.1942 – Landesbischof Theophil Wurm aus Stuttgart protestiert in einem
Schreiben an die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei in Berlin dagegen, dass evangelische
Kirchenmitglieder jüdischer Herkunft nicht als vollwertige Evangelische behandelt
und teilweise aus der Kirche ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang rechtfertigt
er aber die Rassegesetzgebung des NS-Staates und weist ausdrücklich auf die evangelischen
Inspiratoren dieser Weltanschauung hin:
"Von keiner evangelischen Kirche ist dem Staat das Recht bestritten worden,
zum Zwecke der Reinhaltung des deutschen Volkes eine Rassegesetzgebung durchzuführen.
Führende Männer der evangelischen Kirche ... haben einst zuerst auf
die Gefahren hingewiesen, die dem deutschen Volk aus der jüdischen Überfremdung
auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellen Gebiet drohen."
(zit. nach idea-spektrum
Nr. 31/32/2006)
12.3.1942 – Der
württembergische Landesbischof Theophil Wurm aus Stuttgart erläutert dem Nazi-Reichskirchenminister,
warum die Kirche zum Völkermord an den Juden weitgehend schweigt:
"Die christlichen Kirchen haben in der Ablehnung solcher Dinge große Zurückhaltung
geübt, um der feindlichen Propaganda keinen Stoff zu liefern." (zit. nach Klee,
Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 154)
1942 – Die Rheinische Landeskirche verrät den Nationalsozialisten das Versteck
ihres jüdischstämmigen Pfarrers Ernst Flatow. Ernst Flatow wird darauf hin von
der Gestapo erst ins Warschauer Ghetto verschleppt und später in Treblinka vergast. (spiegel.de, 18.2.2008; siehe auch oben:
1933)
Mai 1942 – Juden wird es verboten, Hunde, Katzen oder Vögel als Haustiere zu halten.
Juni 1942 – Beginn der Massenvergasungen von Juden im Konzentrationslager Auschwitz
1933-1942 – Die Bekennende Kirche deutet die Judenverfolgung
und Judenvernichtung "theologisch". Dazu schreibt der Historiker Manfred
Gailus in seinem Werk Protestantismus und Nationalsozialismus:
"Was unter Hitler an sichtbarer Judenverfolgung bis hin zur Deportation geschah,
konnte in BK-Kreisen – im Sinne vorherrschender Deutungsmuster theologisch korrekt
– als neue Bestätigung eines bereits biblisch fixierten jüdischen Schicksals gedeutet
werden." (zit. nach Verrat unter Brüdern, einestages.spiegel.de, 17.2.2008)
22.7.1942 – Die "Umsiedlung" der noch lebenden Juden im größten europäischen
Ghetto, dem Warschauer Ghetto, ins polnische Treblinka begann, weil es in Warschau
angeblich "zu viele Juden" gebe. Jeder Umsiedler durfte 15 kg Reisegepäck mitnehmen.
Die Reise erfolgte in Viehwaggons. Alle "Umsiedler" wurden in Treblinka ermordet.
Ingesamt wurden alleine in Treblinka mehr als 700.000 Menschen ermordet.
1942 und 1943 – Der evangelisch-lutherische Pastor und frühere
Propst von Neumünster und Segeberg Ernst Szymanowski (der sich ab 1941 "Ernst
Biberstein" nennt) befiehlt als Chef des Einsatzkommandos 6 in Rostow/Ukraine
die Ermordung von 2000 bis 3000 Menschen, meist Juden. Szymanowski wechselte bereits
1936 vom kirchlichen Dienst in die SS, behielt aber seine Amtsbezeichnung "Pfarrer"
bei. Vor dem Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg leugnet er später weitgehend seine
Taten und gibt vor, bei Massenmorden lediglich dabei gestanden zu sein. Die Gaswagen
hielt er "aus humanitären Gründen für angebrachter" als Maschinengewehr-Salven:
"Sie ist menschlich angenehmer. Die Leichen machen einen ruhigen und friedlichen
Eindruck."
Auf die Frage des Gerichts nach möglichen Zeremonien oder Gebeten vor der Hinrichtung
der Juden erklärt der Theologe: "Ich bin auch als Pfarrer nicht verpflichtet, Menschen
zu bekehren. Es ist nicht meine Art, mich aufzudrängen. Außerdem muss ich hier ein
Wort anführen, das vielleicht nicht ganz der Würde des Gerichts entspricht: ´Man
soll Perlen nicht vor die Säue werfen.`" (Der Spiegel, 13.12.1947)
Anmerkung: Der Lutheraner Ernst
Biberstein wird 1948 als Kriegsverbrecher zunächst zum Tode verurteilt, 1955 dann
aber zu lebenslanger Haft begnadigt. Im gleichen Jahr bittet er seine Landeskirche,
sich für seine Freilassung einzusetzen. Und im Jahr 1957 wird er dann auf Antrag
der evangelischen Landeskirche Schleswig-Holsteins tatsächlich freigelassen und
wieder in den kirchlichen Dienst bei der Kirchenverwaltung in Neumünster übernommen.
Dort bleibt er eine Zeitlang beschäftigt, bevor er wieder außerhalb der Kirche verschiedenen
Arbeiten nachgeht. Die Kirche, die den ehemaligen Propst im Jahr 1957 wieder anstellte,
bezweifelte die Urteilsfähigkeit des Nürnberger Gerichtshofs.
Herbst 1942 – Die deutsche Wehrmacht rückt im Osten bis nach Stalingrad vor.
9.9.1942 – Vorschlag der Parteikanzlei der NSDAP an das
Justizministerium, Juden die Erhebung von Zivilklagen zu verbieten (vgl.
3. Laterankonzil im Jahr 1179: Juden dürfen Christen nicht anklagen und können nicht
Zeugen gegen Christen sein)
11.9.1942 – Der evangelisch-lutherische Pfarrer
Friedrich Wilhelm Auer aus Larrieden/Franken schlägt in einem Brief an den Herausgeber
des Nazi-Blattes Der Stürmer, Julius Streicher, vor, für jeden deutschen
Zivilisten, der durch alliierte Bombenangriffe ums Leben gekommen ist, zehn Juden
aufzuhängen. Ein weiterer Vorschlag: "Wenn der Feind nicht
innerhalb 24 Stunden unsere Friedensbedingungen annimmt, wird eine
Bartholomäusnacht veranstaltet und kein Jude verschont. Schade
ist es um keinen." (zit. nach Mensing,
a.a.O., S. 209)
Anmerkung: Bei der so genannten "Bartholomäusnacht"
– benannt nach dem Namenstag des Bartholomäus – vom 23.8. auf den 24.8.1572 wurden
in Frankreich Tausende von protestantischen Hugenotten ermordet.
Die Nazis erfüllen die Forderung des Pfarrers nach Vollzug der "Endlösung" innerhalb
nur einer Nacht noch nicht. Anfang 1945 predigt Pfarrer Auer dann, dass der Heiland
"dem Weltgeschehen eine wunderbare Wendung geben könne", den Sieg Nazi-Deutschlands
im Krieg.
Auch Pfarrer Auer (Jahrgang 1877) wird von der Kirchenleitung zusammen
mit anderen Pfarrern, darunter auch alle NSDAP-Pfarrer, 1945 pauschal
gerechtfertigt.
Er geht 1945 in Ruhestand und stirbt nach 25 Jahren bei vollen
Ruhestandsbezügen im Jahr 1970 (siehe auch
Pfarrer Alfred Schemmel,
SS-Offizier im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau).
Foto: Die evangelisch-lutherische Kirche in Larrieden.
Dort entwickelte Pfarrer Friedrich Wilhelm Auer seine Massenmord-Vorstellungen.
31.12.1942 – Wie zahllose andere evangelische Pfarrer mobilisiert ein Pfarrer aus Oberfranken die Kirchengemeinde in seiner Silvesterpredigt für den Einsatz an der Ostfront. (Mensing, a.a.O., S. 208)
1943
Januar 1943 – Der evangelisch-lutherische Pfarrer und SS-Hauptsturmführer
Alfred Schemmel (*1905) tritt als einer der Offiziere im
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau seinen Dienst an. Damit übernimmt er als SS-Kommandeur maßgeblich
Verantwortung für das Quälen und die Ausmerzung von Hunderttausenden von Menschen
in den letzten Monaten der so genannten "Endlösung". Nach dem Krieg verschweigt
er seine "Arbeit" als Massenmörder im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und ist
als lutherischer Theologe und Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
in der Bamberger Erlöserkirche "ein sehr mächtiger und wichtiger Mann in Bamberg"
(sein Sohn lt. Fränkischer Tag, 23.9.2017). Pfarrer Schemmel stirbt 1987
in allen kirchlichen "Würden". "Aus einem erfüllten Leben" habe "Gott
der Herr" ihn angeblich "in sein Reich heimgeholt", wie es in einer der Todesanzeigen
hieß.
(Siebenbürgische Zeitung, 15.5.1987;
siehe auch
die Massenmorde durch den ranghohen evangelischen Propst
und Konsistorialrat Dr. Hoff)
Foto: Ein Berg von Brillen. Sie blieben von den jüdischen Opfern übrig, die in Auschwitz-Birkenau ausgemerzt wurden. Einer der verantwortlichen Offiziere im Vernichtungslager war Pfarrer Alfred Schemmel. (Bundesarchiv, Bild 183-R69919, Creative Commons Lizenz)
1.2.1943 – Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern – Bekanntmachung: Betreff: "Judenmatrikeln": "Nach dem im Kirchl. Amtsblatt Nr.1 bekannt gegebenen Runderlass des Reichsjustizministeriums und Reichsministers des Innern vom 28.12.1942 Ziff.3c sind die von kirchlichen Stellen aufbewahrten Register über Personenstandsfälle von Juden an das Reichssippenamt Berlin abzuliefern. Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser."
Februar 1943 – Das deutsche Heer kapituliert in Stalingrad.
Februar 1943 – Eine 61jährige Bäuerin aus der Nähe von Hilpoltstein/Bayern
wird wegen einer kritischen Bemerkung denunziert und zu 16 Monaten Haft
verurteilt. Der evangelische Gemeindepfarrer Herold, Mitglied der NSDAP,
Träger des goldenen Parteiabzeichens und Vertreter der "Bekennenden Kirche", stellt sich auf die Seite
der Denunzianten (vgl. den späteren Freispruch für Pfarrer Herold; Zeitablauf:
1948).
Anmerkung:
Vgl. auch Martin Luthers Aufforderungen zu Denunziation in
Der Theologe Nr. 3 – So spricht Martin Luther – so spricht
Jesus von Nazareth / Martin Luther
droht Bürgern mit der Todesstrafe, die z. B. einen Angehörigen einer "Sekte" nicht
denunzieren, der ohne offiziellen Auftrag der Kirche predigt. /
Für den Prediger selbst fordert Luther ohnehin
die Todesstrafe.
22.2.1943 – Die Studenten Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst werden in München enthauptet. Die beiden Geschwister Scholl wurden von einem Hausmeister der Universität einige Tage vorher dabei ertappt, Flugblätter gegen den Krieg ausgelegt zu haben.
Ostern 1943 – Eine Gruppe evangelischer Kirchenmitglieder schreibt an Landesbischof
Hans Meiser: "Als Christen können wir es nicht länger ertragen, dass die Kirche
in Deutschland zu den Judenverfolgungen schweigt" (zit. nach Denzler/Fabricius,
a.a.O., S. 165 f.). Landesbischof Meiser in Bayern
und alle anderen evangelischen Kirchenleitungen in Deutschland schweigen jedoch
weiter.
Anmerkung:
Dass die Mitglieder daraufhin vielleicht aus der Kirche ausgetreten wären, ist jedoch nicht bekannt.
16.7.1943 – Landesbischof
Theophil Wurm will sich nach langem Schweigen in einem Brief an Hitler wenigstens
für die so genannten "privilegierten" Nichtarier
einsetzen. Das sind evangelische oder katholische Juden. Also
jüdischstämmige Bürger, die sich zum konfessionellen Christentum bekehrten und
sich in der evangelischen oder katholischen Kirche haben kirchlich taufen lassen.
"Im Namen Gottes und um des deutschen Volkes willen sprechen wir die dringende
Bitte aus, die verantwortliche Führung des Reiches wolle der Verfolgung und
Vernichtung wehren, der viele Männer und Frauen im deutschen Machtbereich ohne gerichtliches
Urteil unterworfen werden. Nachdem die dem deutschen Zugriff unterliegenden Nichtarier
in größtem Umfang beseitigt sind, muss auf Grund von Einzelvorgängen befürchtet
werden, dass nunmehr auch die bisher noch verschont gebliebenen so genannten privilegierten
Nichtarier erneut in Gefahr sind, in gleicher Weise behandelt zu werden." (zit.
nach Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 153)
Zu diesem Zeitpunkt sind die Menschenvernichtungen
in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka aber schon weitgehend und
flächendeckend vollzogen.
Heinz Brunotte von der evangelischen Kirchenkanzlei schreibt: "Von der Mitte
des Jahres 1943 an schweigen die Akten der Kirchenkanzlei. Mit der Verschleppung
der letzten deutschen Juden in die Vernichtungslager erlosch das Problem einer kirchlichen
Betreuung evangelischer Nichtarier." (zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi,
a.a.O., S. 154)
1943 – Der Antisemitismus in den Predigten der Mehrheit der Pfarrer geht jedoch unvermindert weiter. Z. B. predigt am 18.7.1943 ein evangelischer Pfarrer über "die Juden, diese geschworenen Christushasser." (zit. nach Mensing, a.a.O., S. 203)
20.7.1943 – Der hannoversche Landesbischof August Marahrens
von der Bekennenden Kirche fordert die unbedingte Hingabe aller Kirchenmitglieder
und der ganzen Bevölkerung für den Krieg:
"Wir stehen in einem unseren ganzen Einsatz fordernden Krieg, und dieser
Krieg muss in unbedingter Hingabe frei von Sentimentalität geführt werden."
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 24 f.)
25.7.1943 – Die Luftangriffe auf Hamburg
beginnen unter dem Namen Operation Gomorrha. Eine der noch wenigen in der Stadt
lebenden jüdischen Frauen, Margarete Oestreicher, wird mit ihrer siebenjährigen
Tochter Marione aus dem Luftschutzbunker hinaus geekelt. Stimmen aus dem Bunker:
"Es sind Juden". "Schmutziges Stück Vieh" (vgl.
Martin Luther). "Denk an uns, Vati"
(Die Tochter des Blockwarts, der entscheidet, wer in den Bunker darf, und die ihre
ehemalige jüdische Freundin und ihre Mutter hinaus werfen will). "Die werden doch
sowieso deportiert. Ich habe den Befehl selbst gesehen." "Ein Grund mehr, sie rauszuwerfen."
"Die Juden haben uns verkauft. Sie haben den Engländern gesagt, wo sie die Bomben
abwerfen sollen.")
Doch Margarete Oestreicher geht mit ihrer Tochter nicht vom Bunker zur Sammelstelle
Moorweide für die Deportation in die Vernichtungslager, wie ihr befohlen wurde.
Der Zug fährt ohne sie ab, und ihnen gelingt die Flucht in Richtung
Süddeutschland. Am 3.8.1943 sind weite Teile der Stadt Hamburg zerstört. Ihre Tochter Marione beschrieb ihre Erinnerungen in dem Buch Marione Ingram: The Hands of
War: A Tale of Endurance and Hope, from a Survivor of the Holocaust, New York 2013.
(einestages.spiegel.de, 26.7.2013)
3.8. / 22.8.1943 – Der Aufstand der restlichen Häftlinge im Konzentrationslager Treblinka bringt wenigen die gelungene Flucht, den meisten die sofortige Exekution. Am 22.8.1943 werden noch einmal alle jüdischen Neuankömmlinge in Treblinka sofort vergast. Dann bauen die Beamten und Arbeiter das Lager ab, weil es keine Juden mehr gibt, die man dort hätte ermorden können.
29.9.1943 – Der ranghohe evangelische Propst
zu Berlin, Konsistorialrat Dr. Walter Hoff (* 1890), schreibt seinem Berliner
Amtskollegen, Oberkonsistorialrat Fichtner, am 29. September 1943, dass er
"in Sowjetrussland eine erhebliche Anzahl von Juden, nämlich viele Hunderte,
habe liquidieren helfen" (zit. nach einestages.spiegel.de, 11.2.2013).
Anlass ist sein Ärger darüber, dass ein Schreiben seines Amtskollegen an die tötenden
und mordenden evangelischen Pfarrer an der Front zu weichlich sei, um "seine Amtsbrüder
im Wehrmachtdienst mit den wahren seelischen Aufbaukräften ... auszurüsten". Auch
kritisiert er, dass dieser alttestamentliche jüdische Psalmen zitiere. (Die
Zeit, 12.2.2013)
Zeugenaussagen legen jedoch nahe, dass es sich nicht nur um eine "Hilfe" beim Morden
handelte, sondern dass der ranghohe Kirchenmann dabei die führende Rolle inne hatte.
Russische Zeugen nennen als einen der "Hauptbeschuldigten" einen "Dr. Gof"
oder "Dr. Hof" oder "Dr. Hoff". Der evangelische Amtsträger habe demzufolge auch
Hinrichtungen von russischen Bürgern "geleitet", die er verdächtigte, "antideutsch"
tätig zu sein. Übereinstimmend damit rühmt sich Propst Dr. Hoff ab 1943 im evangelischen
Kirchenamt in Berlin seiner "Einsätze" gegen "Partisanen" und "Spione". In diesem
Zusammenhang ist auch die Hinrichtung von 786 jüdischen Bürgern einer Stadt in Weißrussland
dokumentiert.
Nach dem Krieg behauptet der hohe evangelische Würdenträger aber plötzlich,
die von ihm verübten Massenmorde, die er 1943 zugegeben hatte, nur "erfunden" zu
haben. Zwar wird er aufgrund der Unglaubwürdigkeit seiner Aussage zwischenzeitlich
kirchlich suspendiert, allerdings nie vor Gericht gestellt und schließlich mit allen
pfarrerlichen und "geistlichen" Rechten und Pflichten wieder als Pfarrer und Seelsorger
eingesetzt. Nach seiner Pensionierung in der Bundesrepublik Deutschland erhält auch
er die vollen Pensionsbezüge. "1960, zu seinem 70. Geburtstag, sandte ihm das Landeskirchenamt
Hannover fromme Segenswünsche: ´Gottes Güte und Freundlichkeit hat Sie durch
gute und schwere Jahre bis zum heutigen Tage treu geleitet ... Aus den
Erfahrungen seiner Wohltaten in Ihrem Leben werden Sie gewiss in die Worte des
Psalmsängers einstimmen: ´Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von
allen deinen Taten und sage von den Werken deiner Hände.`"
(zit. nach Die Zeit, 12.2.2013)
Dr. Walter Hoff lässt sich in Hamburg nieder und stirbt schließlich
1978 als evangelischer Pfarrer in vollen kirchlichen Würden, obwohl die evangelische
Kirche in Berlin sein Schreiben von 1943 kannte, in dem er die Massenmorde zugab.
Als Ruhestandspfarrer widmete er sich vor allem seinem Hobby, der Ahnenforschung.
Die Untersuchungen, denen zufolge es nahe liegend ist, dass Pfarrer Dr. Hoff "an
den Massenerschießungen beteiligt gewesen" war
(einestages.spiegel.de),
werden nach seinem Tod eingestellt.
Die Zeit schreibt in diesem Zusammenhang über die "Berliner Nachkriegskirche
unter Bischof Otto Dibelius": "Sie deckte einen Mann, der den Engländern als
Kriegsverbrecher galt und der mutmaßlich am Holocaust beteiligt war ... und
es stellt sich durchaus die Frage, ob hier nicht kirchlicherseits so etwas wie
Strafvereitelung im Amt stattgefunden hat. Man ließ den Fall auf sich beruhen,
kehrte die Dinge unter den Teppich, wie so vieles in der Ära Dibelius."
Doch nicht nur Landesbischof Dibelius handelt so. Nahezu alle ranghohen evangelischen
Würdenträger tricksen sich so vertuschend aus ihrer Verantwortung. Ausnahmen sind
nicht bekannt.
(Siehe dazu auch die
Enttarnung des einflussreichen
lutherischen Pfarrers Alfred Schemmel als verantwortlichen SS-Offizier im Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau erst im Jahr 2017.)
16.10. / 17.10.1943 – Die Synode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union
verteidigt das Morden und Töten im Krieg als Ausnahme des 5. Gebots im
Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre (siehe Anhang).
Das Ermorden von Alten, Kranken und Angehörigen anderer Rassen sei jedoch kirchlich
nicht erlaubt.
"Gott hat den Menschen den Auftrag gegeben, den Mörder, den Übertreter seines
Gebotes, zu töten. Er hat die Obrigkeit zu diesem Zweck als Dienerin der Gerechtigkeit
eingesetzt ... dass solche Befehle [zur Hinrichtung] zur Erhaltung des Lebens in
der Gemeinschaft der Menschen und Völker notwendig sind, offenbart den Fluch der
Sünde ... Über die Tötung des Verbrechers und des Feindes im Kriege hinaus ist
dem Staat das Schwert nicht zur Handhabung gegeben. Vernichtung von Menschen,
lediglich weil sie Angehörige eines Verbrechers, alt oder geisteskrank sind oder
einer anderen Rasse angehören, ist keine Führung des Schwertes, das der Obrigkeit
von Gott gegeben ist."
(zit. nach Denzler/Fabricius, Christen und Nationalsozialisten,
Frankfurt/M. 1993, S. 317 f.)
Anmerkungen: 1) "Gott" hat
den Menschen nicht den Auftrag gegeben, Mörder zu töten, und Er hat auch nicht den
Krieg gelehrt. Die Amtskirchen haben Ihm das nur unterstellt. Denn das 5. Gebot
heißt "Du sollst nicht töten" – ohne Ausnahme.
2) Wird damit von der Synode auch die Judenvernichtung nachträglich kritisiert?
Wenn ja, dann wurde aber ein Zeitpunkt gewählt, zu dem ein solcher Beschluss sowieso
nichts mehr nützte. Denn der Holocaust ist Ende 1943 bereits vollzogen;
siehe z. B.
hier.
Doch von den jüdischen Mitbürgern trauen sich die Vertreter der Bekennenden Kirche
ohnehin gar nicht zu sprechen. Zudem werden diese in der Gesellschaft vielfach als
"Verbrecher" am deutschen Volk verleumdet, und Martin Luther betrachtet schon
die Durchführung jüdischer Gottesdienste als todeswürdige Verbrechen (vgl.
Luther: "...dass
man ihnen verbiete, bei uns ... öffentlich Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu
lehren bei Verlust Leibes und Lebens ...").
So lässt sich die Judenvernichtung
trotz dieses Beschlusses von 1943 im Rahmen der Bekennenden Kirche auch als Tötung
von angeblichen "Verbrechern" legitimieren.
20.12.1943 – Der evangelische Landesbischof Wurm unterbricht sein gezieltes Schweigen zur Judenvernichtung (siehe 12.12.1938, 12.3.1942 und 16.7.1943) und schreibt nach Vollstreckung des Völkermords an Reichsminister Lammers, "... dass wir Christen diese Vernichtungspolitik gegen das Judentum als ein schweres und für das deutsche Volk verhängnisvolles Unrecht empfinden ... Unser Volk empfindet vielfach die Leiden, die es durch die feindlichen Fliegerangriffe ertragen muss, als Vergeltung für das, was den Juden angetan wurde" (zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 154). Die Worte werden von Landesbischof Theophil Wurm in der kommenden Zeit offenbar öffentlich nicht wiederholt. Sie bleiben ein Einzelfall.
1944
1.1.1944 – Aufruf zur Jahreswende des Präsidenten und späteren
Bischofs der Thüringer Evangelischen Kirche Hugo Rönck:
"Über Jahrhunderte hinweg mahnt uns das Vermächtnis Martin Luthers: ´Solch wunderliche
Zeiten sind jetzt, dass ein Volk den Himmel eher mit Blutvergießen gewinnen
kann, denn anders sonst mit Beten` ... Heil Hitler" (Thüringer Kirchenblatt Nr.
1/1944). Siehe auch
hier.
Anmerkung:
Der von den Kirchen maßgeblich mit angeheizte Krieg führte die Menschen auch in
Scharen zurück in die Kirche. So sagt z. B. der damalige Offizier Günther Strahl
in einem Interview: "Je länger der Krieg dauerte, je christlicher wurden die Gedanken
und je voller die Kirchen" (zit. nach Weihnachtsbaum und Hakenkreuz, Dokumentation,
MDR 2002). Bischof Hugo Rönck erhält nach dem Krieg 1947 wieder eine Pfarrstelle
in Eutin und bleibt dort (vergleichbar wie bei nahezu allen kirchlichen Tätern) bis zu
seinem Ruhestand 1976 unangefochten im Amt. Er stirbt ohne Vorstrafe und bei vollen
Pensionen im Jahr 1990.
18.4.1944 – Bekanntmachung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern: Seelsorge an Sterbenden: "Wir leben in einer Zeit des großen Sterbens ... In einer solchen Zeit wächst der Kirche die Aufgabe zu, die Menschen an den Tod zu mahnen, sie aber auch zu lehren, wie Christen sterben sollen." Es folgt ein Hinweis auf die Bibelstelle, "dass Christus unser Leben und Sterben Gewinn ist ... Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser". (zit. nach Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
20.7.1944 – Das vom katholischen Adligen Claus Schenk Graf von Stauffenberg (*15.11.1907) und anderen geplante und durchgeführte Attentat auf Adolf Hitler scheitert.
23.7.1944 – Predigt des Präsidenten
und späteren Bischofs der Thüringer Evangelischen Kirche Hugo Rönck. Er
vergleicht Luther und Hitler:
"Kaum wüsste man neben dem Thüringer Bauernsohn Martin Luther noch einen anderen
Deutschen zu nennen, der so wie Adolf Hitler in begnadeter, schöpferischer Vollmacht
berufen war, seiner Zeit und kommenden Jahrhunderten den Stempel seines wahrhaft
revolutionären Wesens aufzuprägen." (Thüringer Kirchenblatt Nr. 15/1944)
30.7.1944 – Die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei
und der Geistliche Vertrauensrat der Evangelischen Kirche (Mitglieder
siehe hier) bekunden, dass sich
das deutsche Volk "mit Empörung und Abscheu" von der Tat des 20. Juli 1944 abwendet,
und sie huldigen den Führer Adolf Hitler mit Treue-Telegrammen. Wörtlich heißt es:
"Aus tiefem Herzen danken wir dem Allmächtigen für die Errettung des Führers und
bitten ihn, Er möge ihn weiterhin in seinen Schutz nehmen. Mit dieser Bitte soll
sich das Gelöbnis neuer Treue und der Entschluss verbinden, uns ernster
noch als zuvor der unerbittlichen Forderung der Zeit zu unterwerfen, für die der
Führer rastlos sein Alles einsetzt. – Die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei
und der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche haben nach dem
Anschlag auf das Leben des Führers in Treuetelegrammen an ihn den Dank gegen Gott
für die gnädige Bewahrung Ausdruck verliehen." (Das Evangelische Deutschland,
30.7.1944)
Anmerkung:
Die auch von der Kirche unter Hinweis auf die Befehle des Führers geforderte Fortsetzung
des Krieges wird weiteren Hunderttausenden Menschen das Leben kosten
(zur Vermutung, Landesbischof Meiser hätte das Attentat befürwortet, siehe
hier).
August 1944 – Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern verschickt einen antisemitischen Vortrag des Tübinger Theologieprofessors
Gerhard Kittel als
"Berufshilfe" an alle evangelischen Pfarrer (Vollnhals, a.a.O.,
S. 132).
"Zu diesem Zeitpunkt wusste
er [Landesbischof Meiser] aber schon, was sich in den Vernichtungslagern in Osteuropa
abspielte." (Thomas Greif in: Evangelisches Sonntagsblatt Nr. 20/2009)
1945
27.1.1945 – Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee der Sowjetunion. Es waren dort nur noch wenige Überlebende dem Siechtum überlassen.
13.2. / 14.2.1945 – Bei den alliierten Luftangriffen auf
Dresden kommen ca. 25.000 Menschen ums Leben. Zerstört wird dabei auch
die evangelisch-lutherische Frauenkirche, aus der – wie aus allen deutschen evangelischen
Kirchen – jahrelang Predigten für den Krieg gehalten worden sind. Die Ruine
der Kirche dient deshalb später in der DDR als ein "Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung".
Eine Bombe wirft auch das große Denkmal von Martin Luther, dem "Propheten
der Deutschen" (siehe
hier),
vom hohen Sockel
(SLUB
Dresden/Abt. Deutsche Fotothek, www.deutschefotothek.de/Richard Peter sen.;
Luther im Bild rechts unten am Boden) –
ein Symbol dafür, wohin die Lehre Martin Luthers gegenüber den jüdischen
Mitbürgern und die Lehre und das Tun der evangelischen Kirche führten und führen.
15.4. / 16.4.1945 – Die Engländer befreien das Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Dazu der britische Militärrabbiner Hardman über seine Erlebnisse:
"Als wir weiterliefen, begegneten wir dem, was mir die Überlebenden des
Holocaust zu sein schienen – eine wankende Masse dunkler Haut und Knochen, zusammengehalten
nur durch filzige Lumpen. ´Mein Gott, die Toten gehen`, schrie ich laut, aber ich
erkannte meine Stimme nicht wieder. ´Sie sind nicht tot`, sagte das Mädchen. ´Aber
sie werden es bald sein.`" (zit. nach Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal,
Frankfurt 1994, S. 13 f.)
Anmerkung:
Trotz äußerer Hilfe sterben alleine in Bergen-Belsen in den nächsten Monaten 13.000
Lagerinsassen, die das Kriegsende zunächst überlebten, an den Folgen der Haft.
3.5.1945 – Die US-Amerikaner befreien das
Konzentrationslager Mauthausen. Ein US-Soldat über die Menschen dort:
"Ihre Beine und Arme waren wie Stöcke mit
´riesigen angeschwollenen Gelenken
... Ihre Augen lagen so tief in den Höhlen, dass es aussah, als ob sie blind
wären`, erinnert er sich. Wenn sie sich bewegten, war dies mit einer schleichenden
Langsamkeit, die sie aussehen ließ wie riesige lethargische Spinnen. Viele lagen
in ihren Kojen wie Tote." (zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 15)
8.5.1945 – Kapitulation der NS-Regierung Deutschlands
Ab Mai 1945 – Die Siegermächte beginnen mit Prozessen gegen
Nazi-Verbrecher. Aus Unkenntnis über die Haltung der evangelischen Kirche in den
vergangenen Jahren und in der Gegenwart bitten die Amerikaner am Beginn ihrer
Ermittlungen immer wieder die evangelische Kirche um Hilfe und fragen deren
Pfarrer um Rat. Dies wird von Kirchenführern schamlos ausgenutzt, um einerseits
Verbrechen von Kirchenmitgliedern und Amtsträgern zu rechtfertigen und die Betroffenen
so zu "entlasten" und um andererseits Gegner der Kirche zu bezichtigen und durch
die Militärregierung verurteilen zu lassen.
Beispiel Coburg/Bayern: Der evangelische Dekan setzt sich für den Nazi-Kreisleiter
ein, da er auch ein "Verfechter kirchlicher Interessen" war. Bei
einem Lehrer, der kein NSDAP-Mitglied war, betreibt der lutherische Dekan aber
die Entlassung aus dem Dienst. Der Grund: Der Lehrer hatte während
der Nazi-Zeit die Kirche (!) scharf angegriffen.
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 135)
9.5.1945 – Die USA bitten Landesbischof Meiser um Zusammenarbeit
und um Personalvorschläge "für höhere und höchste Staatsämter".
So bringt die Evangelisch-Lutherische Kirche z. B. den Vizepräsidenten des Landeskirchenrates,
Oberkirchenrat Dr. Hans Meinzolt, gleich als "Staatsrat im Kultusministerium" unter.
Damit ist ein Kirchenmann ab 1945 oberster Verwaltungsbeamter der neuen bayerischen
Staatsregierung (Vollnhals, a.a.O., S. 135 f.). Ähnliches geschieht
auch in anderen Regionen Deutschlands. Die Kirche ist sofort wieder "obenauf".
10.5.1945 – Landesbischof Theophil Wurm hält in Stuttgart
einen "Gottesdienst" und rechtfertigt das Verhalten der
Kirche:
"Es hat von Seiten der beiden christlichen Kirchen nicht an Versuchen gefehlt, die
Regierung an ihre Verantwortung vor Gott und vor den Menschen zu erinnern. Aber
diese Mahnungen wurden entweder nicht beachtet oder als Einmischung in staatliche
Angelegenheiten zurückgewiesen." (zit. nach Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O.,
S. 160)
11.5.1945 – Landesbischof Theophil Wurm: "Nicht klagen
und anklagen, sondern vergeben und helfen ist das Gebot der Stunde."
(zit.
nach Klee, Die SA Jesu Christi, a.a.O., S. 160)
Anmerkung:
So engagiert sich Landesbischof Wurm z. B. ab 1951 im Vorstand der Stillen Hilfe
für Kriegsgefangene und Internierte, Seite an Seite mit Gudrun (genannt "Püppi")
Himmler, der Tochter des gefürchteten SS-Chefs Heinrich Himmler (später Gudrun
Burwitz, verstorben am 24.5.2018). Die "Stille Hilfe"
gilt als "getarnte Nazi-Organisation",
"die noch heute diskret aber wirkungsvoll die Drähte im braunen Netzwerk zieht".
(Abendzeitung Nürnberg, 5.4.2006)
Ab 1945 –
"Rom ist in den Nachkriegsjahren der beliebteste Wallfahrtsort flüchtiger Nazis.
In der Ewigen Stadt finden sie Unterschlupf und falsche Papiere zur Flucht ins
Ausland" (Ernst Klee, in: Persilscheine und falsche Pässe, Frankfurt am Main
1991, S. 25).
Diese Fluchtwege nennt man später "Klosterrouten" bzw. "Rattenlinie".
Zu den NS-Schwerverbrechern, die dank des Einsatzes der Kirche
nie zur Rechenschaft gezogen werden, gehören neben dem bekannten Auschwitz-Arzt Dr.
Josef Mengele z. B. die beiden SS-Ärzte Dr. Aribert Heim und Dr. Hans Eisele.
Dr.
Hans Eisele, Arzt in den KZs in Mauthausen und Buchenwald, stirbt 1967 in
Ägypten (S. 130). Dr. Heim stirbt dort
unbehelligt erst 1992. Dr. Eisele, der aus einer bewusst römisch-katholischen Familie
stammt, stellt sich immer als "überzeugten Christen" dar. Er hatte 300 Häftlinge
ermordet, sowie experimentelle Operationen ohne Betäubung an Häftlingen durchgeführt
und hat auch anderweitig Häftlinge misshandelt und gequält.
Die Verbrechensliste von Dr. Aribert Heim, der ebenfalls in Mauthausen und
Buchenwald sowie im KZ Sachsenhausen seine grässlichen Menschenversuche vor allem
an jüdischen Bürgern durchführte, ist noch länger. Auch er ist als Österreicher
wahrscheinlich Katholik. Er hat Hunderte von Juden durch Spritzen von Benzin direkt
ins Herz eigenhändig ermordet und hat Häftlingen unbetäubt Organe heraus geschnitten
und ist den Berichten zufolge dabei mit besonderer Heimtücke vorgegangen, indem
er die Häftlinge z. B. ahnungslos ließ. Nach dem Krieg verhilft die Kirche dann
aber auch ihm, "Dr. Tod" oder "Schlächter von Mauthausen" genannt, erfolgreich zur
Flucht.
Der Spiegel schreibt über seine
Taten wie folgt:
"Einen Wiener Juden soll Heim vor einen Spiegel gezerrt haben: ´Schau dir doch deine
Nase an, so etwas kann unser Führer nicht brauchen.` Der Mann habe darauf bitterlich
weinend um sein Leben gefleht, er müsse seine alte Mutter versorgen. Heim tötete
den Häftling mit einer Injektion ins Herz. Der Leiche wurde der Kopf abgenommen,
um ihn auszukochen. Nach einigen Tagen zeigte Heim einem Besucher stolz seine Trophäe:
´Da schau, wäre um den schönen Kopf doch schade gewesen, dass er verbrannt wird.`
Einem anderen getöteten Häftling soll Heim, so ein Zeuge, ´große Hautstücke aus
Rücken und Brust` geschnitten haben, weil darauf ein Schiff tätowiert war. Die Haut
wurde, erinnert sich der Zeuge, gegerbt, um daraus einen Lampenschirm für den Lagerkommandanten
zu fertigen. Auf welch perverse Art Heim seine Opfer ermordete, bezeugte 1975 auch
Karl Lotter, der als Pfleger im KZ-Krankenrevier arbeiten musste. Er schildert den
Fall eines jungen Tschechen, der mit einer eitrigen Infektion am Bein auf die Station
kam. Heim habe ihn auf seinen durchtrainierten Körper und sein makelloses Gebiss
angesprochen. Freundlich plauderte er mit dem Mann über die Heimat, bevor er ihn
narkotisierte. Doch statt das verletzte Bein zu operieren, habe Heim mit einem schnellen
Schnitt die Bauchdecke des Tschechen aufgeschlitzt und sich an den Eingeweiden des
Patienten zu schaffen gemacht. Anschließend entfernte er die Hoden des jungen Mannes,
schälte eine Niere, nahm die zweite heraus: alles zu Übungszwecken. Die Spruchkammer
Berlin kam in einem Sühneverfahren 1979 zu dem Schluss: Heim ´weidete sich an der
Todesangst seiner Opfer`" (Nr. 35/2005).
Zur Rechenschaft gezogen wird er dafür nie. Die Kirche hatte ihm, wie gesagt, zur
Flucht verholfen.
Juni 1945 – Martin Niemöller, der Vorsitzende des Pfarrernotbundes
und einer der Sprecher der "Bekennenden Kirche", erläutert, wie er sich
aus dem "Prominenten-Bunker" im KZ Dachau heraus (mit besseren Bedingungen als in
anderen KZs) bei Kriegsausbruch freiwillig zur Kriegsmarine meldete. Er habe
als Lutheraner für sein Vaterland kämpfen müssen. Eine demokratische
Regierungsform komme für die Deutschen aus seiner Sicht nicht in Frage:
"The Germans like to be governed" (= "Die Deutschen möchten regiert werden").
(zit. nach Ernst Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 11)
Anmerkung:
Die Nationalsozialisten ließen Pfarrer Martin Niemöller 1939 jedoch nicht an die
Front zum Töten. Pfarrer setzten sie lieber dafür ein, um die Bevölkerung entsprechend
auf Kriegskurs zu bringen. 1947 wird Martin Niemöller Kirchenpräsident der Evangelischen
Kirche von Hessen-Nassau. Zusammen mit den Landesbischöfen Hans Meiser, Theophil
Wurm und anderen ist er 1945 auch Mitbegründer der EKD, der Evangelischen Kirche
in Deutschland.
Seit 1945 – Landesbischof Meiser setzt sich engagiert
auch für
Kriegsverbrecher ein. Immer mehr Kriegsverbrecher wenden sich deshalb an den
Bischof. Auch Meiser selbst bleibt bis zu seinem Ruhestand 1955 als Landesbischof
unangefochten im Amt und rechtfertigt sein eigenes Verhalten in allen Punkten.
6.7.1945 – Bitte von SS-Sturmbannführer Dr. Matuscyk,
die SS-Männer in die Seelsorge einzuschließen, damit sie dem Volke nicht
verloren gehen.
"An Seine Excellenz Landesbischof Meiser ..."
Die SS-Männer seien "geblendet von dem Strohfeuer eines nationalen Aufstiegs"
gewesen.
"... wir sollten der auserlesene Orden der Nation sein ..." Nun müssten die SS-Männer
"den Weg zum Kreuz Christi wieder zurückfinden ... Was Körper und Geist anbetrifft,
so stellte die SS im großen und ganzen eine gute Auslese dar".
Der "ergreifende Bericht" erinnert die Leitung der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern an den Ruf des Paulus: "Komm herüber und hilf uns." Deshalb soll
alles geschehen, was getan werden kann. Landesbischof Meiser vermeidet wegen der
amerikanischen Militärregierung eine direkte Antwort, lässt aber Dr. Matuscyk das
Christuswort ausrichten: "Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus stoßen."
(zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 11 f.)
20.7.1945 – Auf Initiative der Evangelischen Kirche
erfolgt ein scharfer Protest von Landesbischof Meiser und Kardinal Faulhaber
gegenüber der Militärregierung. Die Forderungen:
– Keine pauschale Verurteilung ehemaliger Parteigenossen der NSDAP
– Keine pauschale Verurteilung von SS-Leuten
– Freilassung der inhaftierten Bankiers und Industriellen
Die Kirchenführer beklagen, "wie schwer diese Industriellen, zum Teil
höheren Alters, unter den Entbehrungen der Gefängnisse und ihre Familien unter dieser
Trennung leiden" (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 14). Das unsagbare
Leid in den jüdischen Familien war Landesbischof Meiser einige Jahre zuvor jedoch
kein einziges Wort wert, und er kritisierte deswegen andere scharf, die wenigstens
überlegten, hier vielleicht etwas zu sagen (siehe 23.9 - 26.9.1935).
Sommer 1945 – Nur wenige jüdische Bürger überleben den Holocaust. Sie leben
in Lagern, z. T. hinter Stacheldraht in den früheren Konzentrationslagern, zusammen
mit anderen DPs (= Displaced Persons = Menschen, die aufgrund des Krieges ihren
Wohnsitz verloren hatten).
Die jüdischen Lagerbewohner leiden unter dem Antisemitismus von deutschen
Lagerinsassen.
Sie bekommen oft zu wenig Nahrung oder Kleidung.
24.8.1945 – Bericht des amerikanischen Kommissars Harrison über die Situation der Juden in den Lagern: "Viele jüdische Displaced Persons hatten Ende Juli nichts anderes zum Anziehen als ihre Konzentrationslager-Kleidung – ein hässlicher gestreifter Pyjama –, während andere es verständlicherweise als Schikane betrachteten, dass man sie sogar zwang, deutsche SS-Uniformen zu tragen ... Abgesehen davon, dass sie die Gaskammern, Foltern und andere Formen des gewaltsamen Todes nicht mehr fürchten müssen, hat sich wenig verändert." (zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 36)
1945 – Landesbischof Meiser unterstützt die Verteidigung der deutschen Kriegsverbrecher. Er spricht sich z. B. mit Dr. Dix ab, Verteidiger der Kriegsverbrecher der IG-Farben. Dix an Meiser: "In der grundsätzlichen Frage, die wir in Fischen besprachen, werde ich mich melden, sobald die prinzipiellen Unterlagen für den Flick-Prozess vorliegen." (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 69)
1945 / 1946 – Kircheneintrittsbewegung in Deutschland – Viele sprechen nun von der "Stunde der Kirche".
4.9.1945 – Der evangelisch-lutherische Dekan Dr.
Georg Merz aus Würzburg (im Amt seit 1942) erklärt, dass der Zusammenbruch der NSDAP und ihrer Weltanschauung
bei vielen Menschen als "dumpfes Empfinden" "eine Zunahme der Achtung vor der Kirche"
zur Folge hat. Und zumindest "ganz wenige" kämen auch über dieses Empfinden hinaus,
das Dekan Dr. Georg Merz wörtlich so beschreibt:
"Dass sich die Kirche nicht umzustellen braucht, dass ihre gottesdienstliche
Ordnung, ihre Lieder, ihr Katechismus die gleichen bleiben, ob nun das Hakenkreuz
Hoheitszeichen einer Stadt ist oder das amerikanische Sternenbanner, empfinden
sicherlich die meisten als einen Abglanz der Ewigkeit, die dem Werk der
Kirche Gehalt und Bestand gibt." (Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Landeskirchenrat,
Berichte, Bericht des Dekanats Würzburg, zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 134)
Anmerkung: Dr. Georg Merz gründet 1947 dann
in Westmittelfranken, eben noch evangelische Hochburg der NSDAP, die
evangelisch-lutherische Augustana-Hochschule Neuendettelsau für zukünftige
evangelische Theologen und Pfarrer. In
Neuendettelsau erhielt die NSDAP bereits 1932 66,4 % der Wählerstimmen, und
dort behauptete der ärztliche Leiter der evangelischen Fürsorge-Heime Dr. Rudolf Boekh im
Jahr 1937, Schwerbehinderte seien eine "Verzerrung des menschlichen Antlitzes" und
"dem Schöpfer zurückzugeben", also zu ermorden. Wie Dr.
Boekh war Dr. Merz zuvor in den evangelischen
Behinderten-Einrichtungen in Bethel
tätig. Und Pfarrer Hans Lauerer, der Rektor der Behinderten-Einrichtungen,
verteidigt die Auslieferungen der Anvertrauten für deren Ermordung 1939 mit der
Lehre Martin Luthers. 1953 erhält er dann das Bundesverdienstkreuz, und bis
heute sind Einrichtung nach ihm genannt. So wird die Lehre von Dr. Merz, "dass
sich die Kirche nicht umzustellen braucht" auch an Beispielen in seiner
unmittelbaren Umgebung anschaulich.
8.9.1945 – Hermann Vogel, während der NS-Zeit
Regierungsdirektor
im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, nach Kriegsende aus dem Staatsdienst
entfernt, schreibt an Landesbischof Meiser:
Der Nationalsozialismus sei schließlich "gestützt auf demokratische Wahlzettel"
formal legal zur Herrschaft gekommen. Die Entfernung aus dem Dienst sei Unrecht.
"Ist diese Verfolgung nicht fast schlimmer wie die Verfolgung Andersdenkender
durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933?"
(zit. nach Klee, Persilscheine,
a.a.O., S. 17)
10.9.1945 – Die jetzt veröffentlichte Gefallenenliste vom 27.4.1945 im Amtsblatt der Ev.-Luth. Kirche in Bayern hat eine neue Überschrift: Statt "Im Dienst für Führer und Vaterland haben ihr Leben hingegeben", heißt es jetzt: "In den letzten Kriegsmonaten sind gefallen". Der Nachsatz mit der Verhöhnung von Christus ist gleich geblieben: "Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er [Christus] sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. 1. Joh. 3, 16; D. Meiser."
1945 – Matthäus Karrer, ehemaliger NSDAP-Ortsgruppenleiter,
schreibt im Namen aller inhaftierten NSDAP-Ortsgruppenleiter, darunter viele evangelische
Gemeindeglieder, an Landesbischof Meiser:
Schmerzlich empfänden sie nun, dass niemand gegen das Unrecht ihrer Internierung
die Stimme erhebe. Wir erkennen nicht an, "dass unsere untergeordnete
Tätigkeit der Vergeltung wert ist". (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O.,
S. 17 f.)
1945 – Ehemalige Gestapo-Beamte, darunter evangelische Gemeindeglieder, schreiben an Landesbischof Meiser: "Grundsätze des Berufsbeamtentums wie Pflichterfüllung, Gehorsam, Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit waren uns Richtschnur bei allen unseren Amtshandlungen." Von Verbrechen hätten sie angeblich erst aus der Zeitung erfahren. (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 18 f.)
1945 – Ein evangelischer SS-Unteroffizier aus Hammelburg schreibt an Landesbischof Meiser: "Alles, was man uns vorwerfen kann, ist ein politischer Irrtum." Von den Verbrechen hätten sie angeblich erst aus Presse und Rundfunk erfahren. (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 19)
Kommentar des Schriftstellers Ralph Giordano zu allen Selbstrechtfertigungen: "Es war zum Gotterbarmen." (zit. nach: 50 Jahre das Beste vom "Stern" aus dem Jahr 1951; erschienen 1997)
Oktober 1945 – Ein vom Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
in Auftrag gegebenes Gutachten des früheren Leiters der Apologetischen Centrale
in Berlin und damaligen Dekans von Erlangen, Walter Künneth, wird veröffentlicht.
Künneths Gutachten behandelt die Nazi-Vergangenheit von evangelischen Pfarrern.
Er kommt dabei zu dem pauschalen Ergebnis:
Der Beitritt von Pfarren zur NSDAP sei "aus einer ethisch einwandfreien,
das Beste erstrebenden Gesinnung erwachsen". Ein "klares kompromissloses
Eintreten" der Kirche "für ihre Pg.-Geistlichen" (Anmerkung: =
Parteigenossen-Geistlichen = NSDAP-Geistlichen) sei als "stellvertretender
Kampf für das ganze Volk" zu werten. Die Kirche dürfe nicht
schweigen, wenn die Amerikaner versuchten, auch nur einen NSDAP-Pfarrer zu verurteilen.
Wenn z. B. Wehrmachtsoffiziere oder andere Nazi-Funktionäre der "Erfüllung
ihrer Staatsbürgerpflichten" gemäß der Bibel nachgingen, sei dies
christlich gerechtfertigt. Künneth wörtlich: "Was 1933 kirchlich erlaubt war,
kann 1945 kirchlich nicht verboten sein." (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S.
142 f.)
Anmerkung:
Im Jahr 1933 hatte Künneth selbst in einem für die Evangelische Kirche Deutschlands
geschriebenen Gutachten die "Ausschaltung der Juden als Fremdkörper im Volksleben"
gefordert (siehe Zeitablauf: 1933).
Walter
Künneths Gutachten sind jeweils wegweisend für die Haltung der Kirche zu diesem
Thema. 1946 wird Walter Künneth zum Honorarprofessor für Evangelische Theologie an der
Universität Erlangen ernannt, 1953 zum ordentlichen Professor, wo er bis zu seiner
Emeritierung im Jahr 1969 und darüber hinaus lehrt. Die Evangelisch-Lutherische
Kirche in Bayern verleiht ihm den Ehrentitel "Kirchenrat".
Und vom Freistaat Bayern erhält Künneth den Maximiliansorden für Wissenschaft und
Kunst und den Bayerischen Verdienstorden. In der Todesanzeige des Freistaats Bayern
für Künneth bezieht sich Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU)
nur auf die theoretische weltanschauliche Auseinandersetzung Künneths mit dem
NS-Politiker Alfred
Rosenberg über die lutherische Lehre und Dr. Edmund Stoiber erklärt: "Walter
Künneth war ein Mann der Heiligen Schrift. Aus ihr schöpfte er
den Bekennermut und die Unerschrockenheit, die er der nationalsozialistischen
Ideologie und dem Zeitgeist nach 1945 entgegensetzte." (Süddeutsche Zeitung, 29.7.1997; vgl. Zeitablauf:
1935)
16.10.1945 – Der Berichterstatter der Bayerischen Staatsregierung Etzel schreibt an den ersten Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, dass in den Kirchen Stimmung zugunsten der Nazis gemacht werde. Am Beispiel seiner Beobachtungen in Bamberg berichtet er, die Pfarrer versuchten "falsches Mitleid" zu erregen. Ein katholischer Pfarrer mache z. B. "aus Nazis Märtyrer". Die öffentliche Meinung werde durch die "Klerikalen" "vergiftet und zersetzt". (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 139)
19.10.1945
– Der
Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird nach Verlesen des allgemein
gehaltenen so genannten Stuttgarter Schuldbekenntnisses vor Vertretern
des Weltkirchenrats als Gesprächspartner wieder international anerkannt. In dem
Bekenntnis heißt es:
"Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft,
der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden
hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."
Das Bekenntnis ist unter anderem unterzeichnet von den Landesbischöfen Hans Meiser
und Theophil Wurm, dem Berliner Bischof und späteren EKD-Vorsitzenden Otto Dibelius
und dem späteren Kirchenpräsidenten Martin Niemöller.
Zum Stuttgarter Schuldbekenntnis sagt Martin Niemöller
am 27.5.1971: "Bei uns in der evangelischen Christenheit Deutschlands
ist das Stuttgarter Schuldbekenntnis zunächst ohne ein vernehmbares Echo geblieben,
hat vielmehr erheblichen und sehr lauten Widerspruch gefunden, und zwar von allen
Seiten ... Man hätte wohl erwarten dürfen, dass sich die Unterzeichner der Stuttgarter
Erklärung in ihrer Verkündigung für die hier bezeugte Schuld offen, klärend und
aufklärend eingesetzt haben würden. Aber das ist leider, aufs Ganze gesehen, unterblieben.
Und so endete diese ... Schulderklärung als ein für die Christenheit in Deutschland
fast bedeutungsloses Intermezzo und wurde als ein gelungener taktischer Schachzug
registriert, durch den sich die Evangelische Kirche in Deutschland ihre ökumenische
Anerkennung wieder verschafft hatte. Der neue Anfang, von dem die Erklärung so hoffnungsvoll,
zuversichtlich und entschlossen gesprochen hatte, blieb denn auch aus" (Vortrag
im evangelischen Gemeindehaus in Wetzlar-Niedergirmes). Die Juden
werden ohnehin mit keinem Wort erwähnt.
Der Historiker Stephan Linck beobachtet eine "´ganz harte Abwehrmentalität`" "in
der Reaktion der hiesigen Landeskirchen auf das ´Stuttgarter Schuldbekenntnis.`"
(shz.de, 13.1.2014; in einer Buchbesprechung von Stephan Link, Neue Anfänge?, Kiel
2013)
Anmerkung: Der ehemalige evangelische
Kirchenpräsident Niemöller (1892-1984) distanzierte sich auch von der Rüstungspolitik
der Bundesrepublik Deutschland, der westlichen Staaten und zunehmend auch der
Entwicklung in der
Evangelischen Kirche, deren Synode er zwar den Rücken kehrte, denn ihr "traute
er Reformfähigkeit ihr nicht mehr zu"
(Wikipedia – Stand: 3.11.2023).
Er blieb jedoch Mitglied und schuf damit die
Voraussetzung für seine spätere Vereinnahmung, z. B. durch die kirchliche Verleihung einer Martin-Niemöller-Medaille. 1974 wurde er als Pazifist auch Vorsitzender der
Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner, Anfang der
80er-Jahre war er Mitinitiator des Krefelder Appells für den Verzicht auf die
Stationierung von US-Atomraketen in Europa und für den Stopp des weltweiten
Rüstungswettlaufs. Auch blieb er gegenüber der Politik des Staates Israel sehr
distanziert und zeigte Verständnis für die "arabische" Position: "Inwiefern
aber die Evangelische Kirche eine positive Aufgabe und ein positives Interesse
am Staate Israel haben soll oder darf, ist mir bis zur Stunde schleierhaft", so
Niemöller.
(zit. nach Gerhard Gronauer, Der Staat Israel im westdeutschen
Protestantismus, Göttingen 2013, S. 182)
5.11.1945 – General Dwight D. Eisenhower an US-Präsident Harry Truman über die Situation der überlebenden Juden in den Konzentrationslagern: "... kann ich Ihnen versichern, dass die meisten unbefriedigenden, von Harrison angeführten Zustände, nicht mehr bestehen". (zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 44; vgl. Zeitablauf: 24.8.1945)
28.11.1945 – Brief des Landsberger Stadtrates für das Wohnungsamt
an den Staatskommissar für die Betreuung der Juden in Bayern, Hermann Aumer:
"Der Expansionstrieb der hiesigen Juden und deren Methoden zur Erlangung
ihrer Ziele nimmt Formen an, die über kurz oder lang zu einer nicht wieder gutzumachenden
Episode führen, das zu verhindern sämtliche verantwortlicher Stellen vordringlichste
Aufgabe sein dürfte."
Nach Auflistung der unbestätigten Anschuldigungen heißt es: "Hier kann nur rücksichtslosester
Zugriff durch das Wohnungsamt Abhilfe schaffen, wie bereits durchgeführt, da ansonsten
die ganze Vorstadt in kürzester Zeit ein Getto sein würde." (zit. nach Königseder/Wetzel,
a.a.O., S. 219 f.)
28.11.1945 – Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD)
vergleicht in einem Offenen Brief an die Christen in England die geplante Verschiebung
der deutschen Ostgrenze mit dem Holocaust:
"Das deutsche Volk auf einen noch engeren Raum zusammenzupressen und ihm die
Lebensmöglichkeiten möglichst zu beschneiden, ist grundsätzlich nicht anders zu
bewerten als die gegen die jüdische Rasse gerichteten Ausrottungspläne Hitlers."
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 39)
21.12.1945 – Der Landrat des Kreises Wolfratshausen beschuldigt
die Juden, besonders intensiven Schwarzhandel zu treiben und damit ein Vermögen
zu verdienen: "Der Geldbesitz der Genannten geht bei den Einzelnen in die Zehntausende."
(zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 136;
lt. der Buchautoren eine
"absurde Verleumdung")
US-General Clay stellt richtig, die jüdischen Displaced Persons fallen,
"verglichen mit anderen Displaced Persons oder gar der deutschen Bevölkerung, nicht
besonders auf".
1946
Landesbischof Hans Meiser beklagt das
"Unrecht"
gegenüber KZ-Personal:
Zahlreiche Betroffene wurden, "ohne befragt zu werden, als Soldaten zum Lagerdienst
abkommandiert", wo sie "Befehle zu vollziehen hatten". "Eine Reihe von sehr ordentlichen
Gemeindegliedern der verschiedenen Kirchen waren unter ihnen, auch ein Diakon."
(zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 59 f.)
15.3.1946 – Landesbischof Hans Meiser erklärt, dass
das allgemein gehaltene Stuttgarter Schuldbekenntnis "den Trost der Vergebung"
vorbereiten will. Ein Wort über die Kriegsschuld lehnt er ausdrücklich ab.
"Die Propaganda ... hat sich nun aber der Erklärung bemächtigt und den Eindruck
erweckt, als habe die Kirche vor dem Forum der Welt Stellung zur Schuldfrage genommen
... Die Stuttgarter Erklärung nimmt nicht zur Frage der politischen Kriegsschuld
als solcher Stellung ... Die Stuttgarter Erklärung scheidet die Kirche nicht
vom Volk, sondern nimmt Kirche und Volk solidarisch zusammen ... Die Stuttgarter
Erklärung will gegen den Hass der Vergeltung den Trost der Vergebung setzen und
so dem Geiste Gottes Raum geben, der neue Gemeinschaft schenkt. München, 6. März
1946. Ev.-Luth. Landeskirchenrat; D. Meiser." (Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche
in Bayern)
April 1946 – Der in
Bayern eingesetzte US-Captain Alfredt Pundt beklagt, die Evangelisch-Lutherische
Kirche sabotiere bewusst die Ahndung von Nazi-Verbrechen und Vergehen der
evangelischen Pfarrer. Er bittet um mehr Personal, um dennoch wirkungsvoll Aufklärungsarbeit
leisten zu können. Als Notmaßnahme beschließt die Militärregierung schließlich, zehn
der schlimmsten Fälle bei den Nazi-Pfarrern auszuwählen. Doch Landesbischof Meiser
und die Kirchenleitung rechtfertigen auch diese zehn mit Nachdruck und bekämpfen
alle Versuche, auch nur einen Nazi-Pfarrer juristisch zu belangen. (Vollnhals,
a.a.O., S. 148; vgl. Pfarrer Keller; 25.9.1946)
In der
Süddeutschen Zeitung
vom
17.7.2018
fasst der Redakteur Thomas Radlmaier Teile des Gespräches mit dem Pfarrer und
Historiker Björn Mensing wie folgt zusammen: "Innerhalb der Organisation Kirche
musste niemand Rechenschaft ablegen. Im Rahmen der staatlichen Entnazifizierung
musste kein einziger kirchlicher Mitarbeiter seinen Dienst quittieren. Selbst
die bekannten NSDAP-Mitglieder durften während der Überprüfung weiter arbeiten,
was eigentlich verboten war. Eine politische Belastung war kein Grund, jemanden
zu kündigen. Im Gegenteil: Die Kirchenleitung stellte Zeugnisse aus, um Kollegen
bei der Entnazifizierung zu schützen. Es seien bewusst Dinge verheimlicht und
gefälscht worden, sagt Mensing."
Anmerkung:
Damit verhielt sich die evangelische Kirche typisch.
Im Jahr 2018, mehr als 70 Jahre nach Kriegsende, erhielt nun Pfarrer Björn Mensing von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Aufgabe, die
Vergangenheit der evangelischen Kirche in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Wer dabei
die Lehre Martin Luthers zugrunde legt und die ethischen Folgen kennt, die schon
der Reformator selbst gezogen hatte
(z. B. hier),
wird in den Untaten der Amtsträger keine grundsätzlichen Abweichungen von diesem
System erkennen können, sondern eine zeitgemäße Erfüllung. So wie es die elf
evangelischen Kirchenführer in ihrer Godesberger Erklärung
vom März 1939 bekannten: Der Nationalsozialismus "führt ... das Werk Martin
Luthers nach der weltanschaulich-politischen Seite fort und verhilft uns dadurch
in religiöser Hinsicht wieder zu einem wahren Verständnis christlichen Glaubens"
(zit. nach Ernst Klee, Die SA Jesu Christi, Die Kirche
im Banne Hitlers, S. 139), wobei das Wort
"christlich" ein Missbrauch ist. "Lutherisch" wäre das richtige Wort.
26.4.1946 – Schreiben der von Landesbischof Meiser mit gegründeten
EKD an die Amerikanische Militärregierung gegen das Gesetz zur Befreiung
von Nationalsozialismus und Militarismus:
"Dabei waren Handlungen und Gesinnungen, die heute verurteilt werden,
vom damaligen Gesetzgeber als rechtmäßig und gut eingeschätzt. Hierdurch
wird das Rechtsempfinden erschüttert und von den Angeklagten eine Rechtseinsicht
verlangt, die man nicht erwarten kann."
"Die christliche Kirche muss darauf aufmerksam machen, dass das Gesetz durch diese
seine Grundhaltung nicht geeignet ist, das Gewissen des deutschen Volkes zu treffen."
"Zahlreiche Parteigenossen sind im Anfang der Entwicklung aus idealistischen Motiven
in die Partei eingetreten, etwa weil sie sich ... eine Überwindung von Freidenkertum
und Atheismus von einem Erstarken der nationalsozialistischen Bewegung versprochen
hatten ... Es gab auch vielerlei sachliche Gründe, die einen Austritt aus der Partei
verboten, z. B. den Pfarrern, die sich ihr Recht zur Erteilung von Religionsunterricht
in der Schule so lange wie irgend möglich erhalten mussten ..."
(zit. nach Amtsblatt
der Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
April 1946 – Landesbischof August Marahrens aus Hannover
verteidigt die SA. Die SA-Männer seien Opfer gewesen.
"Sie erstrebten lediglich eine Erneuerung des deutschen Volkes auf vaterländischer
Grundlage und wurden durch die spätere Entwicklung bitter enttäuscht. ... Weil sich
hier eine Möglichkeit der christlichen Verkündigung bot, fanden sich auch überzeugte
Christen und Theologen zur Mitgliedschaft in der SA bereit ..." (zit. nach Klee,
Persilscheine, a.a.O., S. 16)
Anmerkung:
Die SA war spätestens seit 1932 als gewalttätige Truppe bekannt, die z. B. in Versammlungen
Andersdenkender einbrach. Die SA-Männer schlugen auf die Anwesenden ein und ermordeten
auch gezielt politische Gegner (vgl. Zeitablauf: September 1933).
Vgl. dazu: Landesbischof August Marahrens und Kirchen-Vizepräsident Hahn eröffneten
1934 in Bevensen eine neue Theologenschule der Hannoverschen Landeskirche,
deren Lehrgänge sogar unter der Leitung eines SA-Führers stehen mussten (vgl. Zeitablauf:
20.1.1934; siehe auch Klee, Die SA Jesu Christi,
a.a.O., S. 72).
29.4.1946 – Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Verleumdungs-Blattes
Der Stürmer, beruft sich bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen auf
"seinen großen Lehrer" Martin Luther: "Dr.
Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn
dieses Buch [Von
den Juden und ihren Lügen] in Betracht gezogen würde. In
dem Buch ´Die Juden und ihre Lügen` schreibt Dr. Martin Luther, die Juden
seien ein Schlangengezüchte, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle
sie vernichten!" (zit.
nach Fritz May, Israel zwischen Blut und Tränen, Der Leidensweg des jüdischen Volkes,
Aßlar 1987, Bd. 3, S. 94 f.; siehe auch Der Theologe
Nr. 28 – Martin Luther – der größte Antisemit seiner Zeit)
Vgl. Martin Luther: Er schrieb zwar nicht direkt "vernichten", doch er sprach
davon, sich der "teuflischen Last der Juden" zu "entladen" und schrieb z. B.:
"... und gehe mit ihnen um nach aller Unbarmherzigkeit wie [angeblich] Mose
tat in der Wüste und schlug dreitausend tot, dass nicht der ganze Haufen verderben
musste."
(zit.
nach Hans-Jürgen Böhm, Die Lehre Martin Luthers,
Ein Mythos zerbricht, Eigenverlag, Postfach 53, 91284 Neuhaus, S. 235)
Anmerkung:
Im Evangelischen Sonntagsblatt heißt es dazu, dass "manche Zeitgenossen [bereits]
in den 1920er Jahren" in Julius Streicher "gar einen ´neuen Luther` erkannt
haben wollen". (Nr. 15/2008)
Ende April 1946 – Generalleutnant Lucius D. Clay teilt
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit, dass die Kirche seine Erwartungen
enttäusche:
"Beispielsweise kann ein Geistlicher für ein Verbrechen ins Gefängnis geworfen werden
und damit an der Ausübung seiner üblichen Funktionen verhindert werden. Dies würde
nicht als eine Beeinträchtigung der Rechte der Kirche angesehen ... Die
Amerikanische Militärregierung hat von Anfang an der vollkommenen religiösen
Freiheit ihre volle Unterstützung geliehen. Sie hat jedoch von den
Kirchenführungen erwartet, dass sie mithelfen, alle diejenigen aus führenden
Stellungen in Deutschland zu beseitigen, die sich mit einer Parteiorganisation
verbunden haben, die den Gesetzen Gottes nur äußerste Verachtung
entgegengebracht und die Menschenrechte mitleidlos zu Boden getreten haben." (zit. nach Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
2.5.1946 – Die Antwort der Evangelischen Kirche Deutschlands
(EKD)
an Lucius Clay ist wie immer selbstgerecht: "Die Entfernung vieler Menschen aus
Ämtern ... zerstört wieder das langsam wachsende Rechtsempfinden ...
Die Verkündigung der Kirche, die sich um eine echte Umkehr des Volkes und eine
wirkliche Reinigung vom Geist des Nationalsozialismus müht, wird durch viele der
heutigen Maßnahmen erheblich erschwert." (zit. nach Amtsblatt der Evang.-Luth.
Kirche in Bayern)
1946 – Den evangelischen Pfarrern wird von der Kirche, der EKD, nun sogar verboten,
an der so genannten "Entnazifizierung" mitzuwirken.
Juni 1946 – Die Militärregierung
ist machtlos gegenüber der Weigerung der evangelischen Kirche, Nazi-Pfarrer gemäß
den Kriterien der Behörden aus dem Dienst zu entlassen. Allein in Bayern fallen
156 Pfarrer und Kirchenangestellte in die höchste "Entlassungskategorie".
Doch Landesbischof Meiser, der nach wie vor die alleinige und uneingeschränkte
Gesetzes- und Entscheidungsvollmacht in der Kirche inne hat, rechtfertigt
alle 156 Betroffenen.
Im Unterschied dazu hat die römisch-katholische Kirche die Urteile der Militärregierung
in Bezug auf ihre Priester akzeptiert. (Vollnhals, a.a.O., S. 156)
Juli 1946 – Landesbischof Meiser gibt seine Führervollmachten in der Kirche an die neu gewählte Landessynode zurück mit der Versicherung, er habe sie nie missbraucht, vielmehr stets "zum Wohl unserer Kirche" benutzt. (zit. nach Erlanger Nachrichten, 27.8.1993)
1946 –
Konrad Adenauer, 1945 Mitbegründer und seither Vorsitzender der CDU, über die
Schuld der Bischöfe:
"Im übrigen hat man aber auch gewusst – wenn man auch die Vorgänge in den Lagern
nicht in ihrem ganzen Ausmaße gekannt hat –, dass die persönliche Freiheit, alle
Rechtsgrundsätze mit Füßen getreten wurden, dass in den Konzentrationslagern große
Grausamkeiten verübt wurden, dass die Gestapo, unsere SS und zum Teil auch unsere
Truppen in Polen und Russland mit beispielloser Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung
vorgingen. Die Judenpogrome 1933 und 1938 geschahen in aller Öffentlichkeit. Die
Geiselmorde in Frankreich wurden von uns offiziell bekannt gegeben. Man kann also
wirklich nicht behaupten, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst habe, dass die nationalsozialistische
Regierung und die Heeresleitung ständig ... gegen die einfachsten Gebote verstießen.
Ich glaube, dass, wenn alle Bischöfe alle miteinander an einem bestimmten
Tage öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Stellung genommen hätten, sie vieles
hätten verhindern können.
Das ist nicht geschehen, und dafür gibt es keine Entschuldigung."
(zit. nach Spiegel Nr. 34/1998)
Anmerkung: Es hat auch kein
Bischof um Verzeihung gebeten. Eine gemeinsame Kanzelabkündigung in dem von Adenauer
genannten Sinne stand nie zur Diskussion.
Weil es zwischen den Verbrechen der Nationalsozialisten
(die ja zu weit über 90 % Protestanten und Katholiken waren) und den Interessen
der Kirchenführer letztlich Gemeinsamkeiten gab?
1946 – Landesbischof Meiser stellt sich und die so genannte
"Bekennende Kirche", der er angehört, in einem Flugblatt als Widerstandskämpfer
gegen die Nazis hin. Das Flugblatt lässt er in hoher Auflage verteilen.
"Der Kampf der BK [= Bekennenden Kirche] ... ging fort, solange das Dritte Reich
bestand, und erweiterte sich gleichzeitig zu einem Kampf für Recht und Gerechtigkeit
im Leben des ganzen Volkes und gegen alle Bedrückung und Vergewaltigung insbesondere
gegen das Unrecht der Konzentrationslager, gegen die Ermordung von Geisteskranken
und gegen die Verfolgung und Ausrottung der Juden" (vgl.
dazu den Beleg des Gegenteils z. B. bei Zeitablauf: 23.9.-26.9.1935;
12.12.1938).
Der Kirchenhistoriker Carsten Nicolaisen schreibt
dazu ca. 50 Jahre später: "... ein peinliches, der Wirklichkeit nicht standhaltendes
Dokument. ... Die Bekennende Kirche hat sich in ihrer Mehrheit geradezu leidenschaftlich
dagegen gewehrt, sich in die politische Opposition zum nationalsozialistischen Staat
drängen zu lassen." (zit. nach: Er liebte sein Kirche, a.a.O., S. 57)
25.9.1946 – Der evangelisch-lutherische NS-Pfarrer Keller wird
freigesprochen. Keller
trug das goldene NSDAP-Parteiabzeichen. In einem parteiinternen Beurteilungsbogen
heißt es 1936 über ihn: "Kämpfer der alten Garde, zuverlässig und einsatzbereit
..." Und in einem Bericht einer studentischen Burschenschaft wurde ihm 1936 bestätigt,
dass "sein unerschrockener Glaube an die nationalsozialistische Idee" Menschen mitreißen
konnte (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 268 f.). Innerhalb der Kirche war Keller ein
Anhänger der Bekennenden Kirche, man sprach von einem "Bekenntnispfarrer". Letzteres
ist mit ausschlaggebend für den Freispruch. Keller warb unter den Pfarrern auch
für die NSDAP. Mehrfach hielt er als Referent einen kämpferisch
antisemitischen Vortrag auf Pfarrkonferenzen. Dabei warnte Keller vor der "völligen Weltherrschaft"
des Judentums. 1946 legt Keller 23 kirchenamtliche eidesstattliche Erklärungen
zu seiner Rechtfertigung vor. Demnach hätte er seit 1930 "Widerstand" gegen die
nationalsozialistische Weltanschauung geleistet.
Anmerkung: Der Autor Clemens Vollnhals
hat den Namen des Betroffenen geändert.
Ab 1946 – In Schleswig-Holstein setzt sich der 1946
neu gewählte Bischof Wilhelm Halfmann für die
Begnadigung von Nazi-Kriegsverbrechern und SS-Schergen ein. Sein Einsatz trug
auch zur Begnadigung von Carl Oberg bei, der als Polizeiführer von Paris 70.000
Juden verhaften und deportieren ließ. Bischof Halfmann selbst hatte 1936 als damaliger
Leiter der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein in der Schrift
Die Kirche und der Jude
die Judenverfolgungen des NS-Staates theologisch gerechtfertigt. Er starb 1964 unangefochten
im Bischofsamt. Noch 1958 rechtfertigte er sein Verhalten und beschimpfte die "Juden"
pauschal als "Christusmörder". (shz.de, 13.1.2014)
1947
Der evangelisch-lutherische Generalfeldmarschall Wilhelm List,
Wehrbefehlshaber auf dem Balkan, Militärverwaltung "Südost" und in dieser Eigenschaft
auch für Wehrmachtsverbrechen auf dem Balkan verantwortlich, wendet sich an die
Evangelische Kirche in Deutschland mit der Bitte um Hilfe für seine Verteidigung.
Die EKD reagiert positiv und schreibt über List: "Hat Eintreten der Kirche
voll verdient."
Dazu Landesbischof Meiser unter Aktenzeichen 5.12.1947
/ LKA Stuttgart, D1/308: List habe "in jeder
Weise dem Dienst des Heeresgeistlichen die Wege geebnet".
Und am 14.4.1948 schreiben die Landesbischöfe Meiser und Wurm über List, dass
er sein Amt "stets so zu führen bestrebt war, dass er es vor Gott,
seinem Gewissen und vor aller Öffentlichkeit jederzeit zu rechtfertigen
vermochte" (Clemens
Vollnhals, Die Hypothek des Nationalprotestantismus, in: Geschichte und Gesellschaft
1/1992, S. 60). List kommt "krankheitshalber" frei.
(zit. nach Klee, Persilscheine,
a.a.O., S. 168)
1947 – Auch ehemals höchste Nazi-Verantwortliche nutzen das
von den Kirchen maßgeblich zu verantwortende Klima der Selbstrechtfertigungen, um
in eine Opferrolle zu gelangen, z. B. Hans Fritzsche, Ministerialdirektor im
NS-Propagandaministerium und Chef-Rundfunkkommentator im Dritten
Reich:
"Ich bin von Verbrechern vom Schlage eines Hitler oder Goebbels getäuscht worden.
Ich bin geistig genauso missbraucht worden, wie viele andere körperlich." (zit.
nach Spiegel Nr. 5/1947)
1947 – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern setzt sich für Lutz Graf
Schwerin von Krosigk ein, Reichsfinanzminister von 1932-1945 und nach
Hitlers Selbstmord vom 2.5.1945 bis zu seiner Verhaftung am 23.5.1945 als "Leitender
Minister" offizieller deutscher Regierungschef mit eigenem Kabinett. Er wurde
bei den Nürnberger Prozessen zu 10 Jahren Haft verurteilt. Schwerin von Krosigk
war für die Enteignung der verfolgten Juden zuständig und war zumindest am 12.9.1938
auch Teilnehmer der berüchtigten Gesprächsrunde im Reichsluftfahrtministerium
mit Goebbels und Göring. Dort wurden Maßnahmen der Judenverfolgung besprochen.
Pfarrer Schuster von der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Dachau schreibt
an Landesbischof Meiser: "Schwerin von Krosigk war ein aktives Mitglied
der evangelischen Kirche, der sonntäglich in die Kirche ging, seine Kinder in den
Kindergottesdienst schickte und zu Konfirmationen im Namen der Gemeinde die Konfirmanden
in der Kirche ansprach."
Landesbischof Meiser verspricht Kirchenrat Rusam am 19.4.1949, ein Gnadengesuch
einzureichen. Krosigk kommt frei und lebt bis zu seinem Tod im Jahr 1977 unangefochten
in Freiheit. (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 9 f.171)
11.5.1947 – Landesbischof Meiser rechtfertigt das Denken
"des deutschen Volkes" und bittet die evangelischen Christen im Ausland
um Nahrungsmittelhilfe, um eine "Hungerkatastrophe"
abzuwenden.
Meiser schreibt dazu: "Liebe Brüder in Christus! 2 Jahre nach Niederwerfung
des Nationalsozialismus sieht es [das deutsche Volk] noch Ungezählte unter kaum
zu ertragenden Härten der Entnazifizierung und Internierung leiden. Die Massenaustreibungen
aus dem Osten und die Zwangsverschleppungen nach dem Osten vermag es mit den Grundsätzen
der Menschlichkeit nicht in Einklang zu bringen. Die derzeitige Grenzziehung im
Osten muss ihm [dem deutschen Volk] als eine dauernde Bedrohung seiner Existenz
erscheinen. Dies alles führt zu einer radikalen Erschütterung des Rechtsgefühls,
zu einer sich stetig steigernden Erbitterung, zu peinlichen Vergleichen zwischen
einst und jetzt, zu billigem Spott über die ´Ideale der Demokratie` und zu einer
billigen Rechtfertigung des vergangenen Systems ..."
(zit. nach Amtsblatt der Evang.-Luth.
Kirche in Bayern)
13.6.1947 – Die von der Hungerkatastrophe
(siehe 11.5.1947)
bedrohten evangelischen Christen im Inland fordert Landesbischof Meiser
gleichzeitig zu Spenden für den Wiederaufbau von Kirchengebäuden auf:
"Wir fordern hiermit alle Pfarrämter und Kirchengemeinden, die hierzu in der Lage
sind, auf, aus freien, ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Spenden für den
Wiederaufbau der beiden Nürnberger Kirchen zu leisten ... D. Meiser."
(zit.
nach Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern)
1947 – Der evangelisch-lutherische Theologieprofessor Walter
Künneth, der sich 1933 für Judenverfolgung und Krieg aussprach und mittlerweile
als Honorarprofessor in Erlangen lehrt, veröffentlicht das Buch Der
große Abfall. Darin wirft er den Nazis vor, von Gott abgefallen zu
sein. Künneth spricht von "Imitation der Katholischen Kirche".
Der Führer sei dem Papst vergleichbar, die Nazi-Hierarchie sei
ähnlich wie die römisch-katholische Hierarchie gebildet. Für das System des bedingungslosen
Gehorsams und den "Orden der
SS" seien die Jesuiten Vorbild gewesen.
Künneth wörtlich: "Die durch die Machtherrlichkeit der katholischen Kirche einst
ausgelösten Jugendträume Hitlers finden in dem tief gegliederten Pyramidenbau der
nationalsozialistischen Anti-Kirche ihre Erfüllung." (Der große Abfall, Hamburg
1947, S. 142; Vergleich mit der katholischen Lehre: S. 142-145)
Anmerkung:
Adolf Hitler war bis zu seinem Tod katholisches Kirchenmitglied und zahlte,
solange er steuerpflichtig war, immer
pünktlich seinen Kirchenbeitrag (Spiegel online, 16.12.2004). Er wird nie
exkommuniziert.
1947 – Das vom Bruderrat
der Evangelischen Kirche in Deutschland am 8.8.1947 verfasste Darmstädter
Wort wird von der EKD abgelehnt. In dem abgelehnten Darmstädter Wort
heißt es zum Beispiel:
"Wir haben es versäumt, die Sache der Armen und Entrechteten ... zur Sache der Christenheit
zu machen." (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 158)
Die Juden werden ohnehin nicht erwähnt, und es werden auch in dieser Gruppe weiterhin
Vorwürfe gegen sie erhoben. Wegen der Selbstkritik wird die Erklärung im "Bruderrat"
nur von wenigen Mitgliedern verabschiedet und findet auch nur "eine geringe Resonanz,
die überwiegend negativ ausfiel". (zit. nach Mensing, a.a.O. S. 218; vgl. Zeitablauf:
1933; 1934)
Der ehemalige nationalsozialistische Pfarrer Eduard Putz erklärt beim
nachfolgenden Delegiertentreffen: "Wir können das nicht von den Kanzeln verkündigen."
Die Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, lehnt die Erklärung wegen der Selbstkritik
sowieso ganz ab.
Pfarrer Eduard Putz war von 1935-1954 durchgehend evangelischer Pfarrer in Fürth
und wurde 1954 zum Dekan in Erlangen befördert. 1972 trat er in den Ruhestand,
1990 ist er in Erlangen in allen pfarrerlichen Würden verstorben.
14.12.1947 – Der überzeugte Lutheraner Dr. Wilhelm von Ammon wird im
Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess zu 10 Jahren Haft verurteilt. Er war unter anderem
1943 als Ministerialrat im Reichsjustizministerium an Hunderten von geheimen Todesurteilen
gegenüber Bürgern aus den von Deutschland besetzten Gebieten beteiligt. 1951 wurde
Dr. Ammon bereits begnadigt. 1957 setzte er seine juristische Karriere als Leiter
der Lutherischen Landeskirchenstelle in Ansbach (bis 1978) und als Buchautor
fort
(Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vom 20. November
1971, München 1978). Ab Mitte der 60er-Jahre
bekam er für seine Zeit als Ministerialrat zusätzlich eine Pension ausbezahlt.
(Wikipedia, Stand: 24.11.2013)
1948
1948 – Das von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Auftrag gegebene Buch Apokalyptisches Wetterleuchten erscheint im kirchlichen Selbstverlag. Das Buch mit Geleitwort von Landesbischof Meiser aus dem Jahr 1947 hat nach den Worten seines Verfassers Heinrich Schmidt, seit 1942 Kirchenrat, eine "apologetische Pflicht" zu erfüllen, nämlich die Rechtfertigung der Kirche gegenüber dem Vorwurf, sie hätte im Dritten Reich versagt. (Mensing, a.a.O., S. 216 f.)
28.4.1948 – Nazi-Opfer Georg schreibt an die Berufungskammer II Nürnberg-Fürth. Der
Grund für das Schreiben ist der Freispruch des evangelisch-lutherischen Nazi-Pfarrers
Bertram (vgl. Zeitablauf: 1936), dessen Denunziation
Georg einst ins Gefängnis brachte. Georg hatte 1936 ein kritisches Gedicht verfasst.
"Es macht gerade auf positive Christen einen niederschmetternden Eindruck, dass
die Geistlichen, die so viel von Schuld und Sühne reden, mit gewundenen Erklärungen
und komplizierten Ausdeutungen kommen, statt offen und mannhaft ihre Schuld einzugestehen
und deren Folgen ebenso willig auf sich zu nehmen wie andere Pg (= Parteigenossen
= NSDAP-Mitglieder), für die es keine zwei Berufungen gibt. Wenn die vorgesetzte
Kirchenbehörde zu dieser die christliche Bruderliebe verleugnenden Tat [= die Denunziation]
aufgefordert hat, dann gehört sie mit Fug und Recht ebenso vor die Spruchkammer
... Es wird mir ewig ein Rätsel bleiben, dass so viele Pfarrer an einer
Partei Gefallen finden konnten, deren Radau-Antisemitismus und wüstes
Geschrei auf den Straßen ´Juda verrecke!` jedem anständigen Deutschen die
Schamröte ins Gesicht trieben."
(zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 249)
Ab 1945 – Die Frage der Wiedergutmachung für Opfer der Nazi-Herrschaft wird
in der kirchlichen Presse verschwiegen. In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern wird die "Wiedergutmachung" an Opfern ebenfalls nie zum
Thema gemacht. (Vollnhals, a.a.O., S. 140)
15.7.1948 – Der niedersächsische Innenminister beschuldigt die immer noch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen lebenden Juden, es würden monatlich illegal 200 Tonnen Kaffee in das Lager geschleust. Diese Bewohner hatten den Holocaust überlebt. Der zuständige britische Offizier spricht von absurden Anschuldigungen. Würden die Anschuldigungen stimmen, hätte jedes an einen jüdischen Überlebenden gerichtete Paket, auch ein Paket für Kinder, 500 kg Kaffee enthalten müssen. (zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 207)
1948 – Hans-Ulrich Rudel, evangelischer Pfarrerssohn und ehemaliger
NS-Kampfflieger und der höchstdekorierte deutsche Soldat, flieht vor der Strafverfolgung
wegen Kriegsverbrechen nach Rom. Im Rückblick schreibt er über die Hilfe der
katholischen Kirche für hochrangige Nazi-Kriegsverbrecher durch die so genannte
"Rattenlinie", vor allem eine kirchliche Fluchthilfe für die Verbrecher nach Südamerika:
"Man mag sonst zum Katholizismus stehen, wie man will. Was in diesen Jahren durch
die Kirche, vor allem durch einzelne menschlich überragende Persönlichkeiten innerhalb
der Kirche, an wertvollem Menschentum unseres Volkes gerettet worden, oft vor dem
sicheren Tode gerettet worden ist, soll billigerweise unvergessen bleiben." (zit.
nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 26)
November 1948 – Freispruch für den evangelisch-lutherischen
NSDAP-Pfarrer Herold aus der Nähe von Hilpoltstein/Bayern: Herold war auch Leutnant
der Wehrmacht und trug das goldene NSDAP-Parteiabzeichen "mit Stolz", wie er selbst
bei dem Verfahren zugibt. Kirchliche Gegner nannten ihn den "BK-SS´ler"
(= den Bekennenden-Kirche-SS´ler), was er als "Auszeichnung" verstand (Vollnhals,
a.a.O., S. 263 f.). Der Gemeinderat des Ortes, an dem Herold zuletzt
die Pfarrstelle inne hatte, schreibt 1947: "Es wird allgemein zum Ausdruck gebracht,
dass wir keinen Nazi-Pfarrer mehr auf der Kanzel haben wollen."
Landesbischof Meiser rechtfertigt aber den Pfarrer und lobt ihn wegen seines Einsatzes
für die "Bekennende Kirche". Sein Verhalten war "kirchlich
einwandfrei". (zit. nach Vollnhals, a.a.O., S. 258 ff.; vgl. Herolds Verhalten
bei der Denunziation einer Bäuerin: Zeitablauf: 1943)
1948 – Die meisten als "Entnazifizierung" bezeichneten
Verfahren durch die alliierten Siegermächte werden abgeschlossen. Die Maßnahmen
gelten – hauptsächlich wegen des Widerstands der Evangelischen Kirche – als gescheitert. Endgültig eingestellt werden die Verfahren im Jahr 1951 (siehe
Zeitablauf).
1949
Die evangelisch-lutherische Kirche finanziert
in Nürnberg in der Mannertstraße zusammen mit der Caritas ein Büro zur rechtlichen
"Behandlung" von Kriegsverbrechern.
Büroleiter ist Dr. Heinrich Malz, ehemaliger SS-Obersturmbannführer und 1944 persönlicher
Referent von Ernst Kaltenbrunner, dem Vollstrecker der "Endlösung"
(zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 79 ff.).
Dr. Heinrich Malz wurde nach dem Krieg zunächst
selbst per Fahndungsliste als Kriegsverbrecher gesucht. Doch er verbringt bald einen
friedlichen Lebensabend in der evangelisch-lutherischen Diakonieanstalt in Rummelsberg.
(Abendzeitung Nürnberg, 5.4.2006)
Dr. Malz, Leiter des kirchlichen Büros zur Verteidigung von
Kriegsverbrechern, 1949: "So offensichtlich verbrecherisch"
sei der "Führerbefehl" zur Judenvernichtung wegen der besonderen
Bedingungen, "unter denen die kriegerische Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus
geführt werden musste", nicht gewesen.
Er lehne es ab, "ein Strafgericht über jene als gerechtfertigt anzusehen,
die in einer untergeordneten Befehlslage zum Vollstrecker von Befehlen wurden."
(zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 80)
1949 – Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach in Deutschland: 23 % der Deutschen haben eine "demonstrativ-antisemitische" und "gefühlsmäßig-ablehnende" Haltung gegenüber Juden.
28.5.1949 – Der Parlamentarische Rat verabschiedet das
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Darin heißt
es:
"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat oder Herkunft, seines
Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder
bevorzugt werden ..."
(Art. 3 Abs. 3)
"Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet."
(Art. 4 Abs. 1 und 2)
Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Nürnberg-St.
Jobst im Stadtteil Erlenstegen dient als Spenden-Waschanlage zugunsten
von NS-Verbrechern.
Spenden gehen zur "Förderung der historischen Arbeiten" ein und werden "Für
historische Aufgaben an Dr. Malz" wieder ausgebucht. Die Gelder gehen an Dr. Malz
bzw. an den rechtsextremen Anwalt Dr. Rudolf Aschenauer (der 1980 in seinen "Eichmann-Memoiren"
den Holocaust bezweifelte) und von ihm vertretene inhaftierte NS-Verbrecher. Zu
den Spendern gehören Firmen wie Krupp, Stahlbau Rheinhausen, Siemag, Ruhrgas A.G.,
Stahl & Eisenbau. (zit. nach Klee, Persilscheine, a.a.O., S. 80 f.)
1950
Der Bamberger Flüchtlingsausschuss wehrt sich in einer Petition
gegen die Unterbringung von Juden zusammen mit deutschen Heimatvertriebenen,
"da es den Heimatvertriebenen nicht zugemutet werden kann, mit Elementen unter einem
Dach zu wohnen, die zu hohem Prozentsatz kriminell sind, keiner geregelten Arbeit
nachgehen und denen weder an einer sittlichen Einordnung noch an einer Respektierung
der staatlichen Autorität liege".
Dazu der römisch-katholische Bamberger Oberbürgermeister, der sonst von
"Gottesfurcht und Nächstenliebe" spricht: Die Juden seien die "Hauptwanzenträger",
die "in einem der großen noch nicht verwendeten Stallgebäude unterzubringen" seien.
(zit. nach Königseder/Wetzel, a.a.O., S. 220 f.; vgl. dazu
Luthers Forderung, die Juden in Ställen unterzubringen)
27.4.1950 – Erstmals formulierte die Synode der EKD in Berlin-Weißensee
wenigstens eine Mitschuld am Holocaust: "Wir sprechen es aus, dass wir durch Unterlassen
und Schweigen vor dem Gott der Barmherzigkeit mitschuldig geworden sind an dem Frevel,
der durch Menschen unseres Glaubens an den Juden begangen worden ist." (zit. nach
Tagesspiegel, 8.11.2000)
Dieser Erklärung waren auf der Synode heftige kontroverse Debatten vorausgegangen,
und sie sollte für die nächsten 50 Jahre auch die offenbar einzige dieser Art bleiben.
Von einer Schuld wegen der Verbreitung des Antisemitismus, wegen der Verfolgungsaufrufe
Martin Luthers und deren Verbreitung oder wegen aktiver Verleumdung und Diskriminierung
bis hin zum Aufruf zur Verfolgung ist sowieso nicht die Rede. Erst im Jahr 2000
ergänzt die Synode in Braunschweig einen weiteren Aspekt, den der "Tradition".
Die Kirche sei auch "durch ihre unheilvolle Tradition der Entfremdung und
Feindschaft gegenüber den Juden hinein verflochten in die Vorgeschichte und Ermöglichung
der systematischen Vernichtung des europäischen Judentums." (Süddeutsche Zeitung,
8.11.2000)
"Von Scham und Busse kaum eine Spur. Das sagen neue Forschungen
über evangelische Theologie zur Nazizeit",
heißt es in einer Radio-Reportage des Schweizer Radio und Fernsehens im Jahr
2019. (srf.ch, 8.11.2019)
PS: Dass man gegenüber den als "Sekten" gebrandmarkten religiösen
Minderheiten jedoch die unheilvolle Tradition von Verleumdung, Diskriminierung bis
hin zur beruflichen Existenzverzichtung ungeniert fortsetzt, wird nicht erwähnt.
24.5.1950 – Der evangelische Pfarrer und SS-Oberscharführer
Lenz sagt als Zeuge in dem Prozess über die ca. 4000 Toten des KZ
Hersbruck zugunsten des letzten Lagerkommandanten Schwarz aus:
Lenz erklärt: "Nach deutschem Recht war er kein Mörder", er duldete allerdings Morde
und Grausamkeiten, weil er im "Befehlsnotstand" war. Der Kommandant wurde zum Tod
verurteilt. Pfarrer Lenz, der auch der Bekennenden Kirche angehörte, arbeitete als
Kommandaturschreiber im KZ und wurde bereits zuvor freigesprochen.
(Hans Friedrich Lenz, Sagen Sie Herr Pfarrer, wie kommen Sie zur
SS? Gießen 1982, S. 145-148.155-157)
1950 – Trotz ihrer maßgeblichen
Schuld bzw. Mitschuld an der Hitler-Diktatur, am Weltkrieg und am Holocaust erhebt
sich die Evangelische Kirche auch nach dem Krieg sogleich wieder gegenüber religiösen
Minderheiten. Pfarrer Dr. Kurt Hutten (1901-1979), der 1937 verlangte, dass
die Judenfrage womöglich nur durch "deren
Entfernung aus dem Wirtsvolk" – womit der die Deutschen meinte – lösbar sei, veröffentlicht
nun das neue evangelische
Standardwerk gegen "Sekten" mit dem Titel
Seher, Grübler, Enthusiasten. Darin erklärt
er: "Die Sekten ... sind Töchter der Kirche. Und die Kirche als Mutter muss sich
fragen, ob sie nicht selbst schuld daran trage, dass diese Töchter entstanden
sind und so aus der Art schlugen" (zit. nach Dr. Reinhard Hempelmann;
Zum 100. Geburtstag von Kurt Hutten, EZW, 3/2001).
Da ist es gerade erst ca. zehn Jahre her, dass die von der Kirche bekämpften und
für ihre Kriegsdienstverweigerung verurteilten Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern
ermordet wurden.
Zehn weitere Jahre später wird Pfarrer Dr. Kurt Hutten zum ersten Leiter der
"Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" ernannt, der Nachfolgerin
der Apologetischen Centrale im Dritten Reich, die in Zusammenarbeit mit dem Reichspropaganda-
und dem Reichsinnenministerium Materialen zur Bekämpfung von Juden und Sekten erarbeitete
(siehe hier).
Und 1970 wird er der erste offizielle "Beauftragte für religiöse Minderheiten"
der EKD.
1951
1951 – Schließung fast aller Lager mit jüdischen Bewohnern
bis 1951 und Auswanderung der Mehrheit der jüdischen Überlebenden
31.1.1951 – Die Amerikaner unter John McCloy
amnestieren alle NS-Verbrecher bis auf sieben, die am 7.6.1951
hingerichtet werden. Die
sieben Hinrichtungen lösen eine bundesweite Protestwelle aus. Die "Ausrufung der
deutschen Kollektivunschuld" (Ralph Giordano) wird gefordert.
Umfragen ergeben, dass eine modifizierte Nazi-Regierung die Wahlen in
Deutschland gewinnen würde. (Ralph Giordano in: 50 Jahre das Beste vom ´Stern`
– 1951; Hamburg 1997)
Bilanz der so genannten "Entnazifizierung": Sie brachte das Gegenteil des Erwünschten. Nämlich "Entstrafung statt Sühne, Rehabilitierung statt Haftbarmachung. Mehr noch: In manchen Behörden und Ämtern war die Zahl ehemaliger NSDAP-Mitglieder höher als während der NS-Herrschaft selbst." (Giordano, a.a.O.)
1.10.1951 – Beispiel Stadtoldendorf: Alle "Entnazifizierungsakten"
werden verbrannt, einschließlich des vollständigen Mitgliederverzeichnisses
der NSDAP und ihrer Gliederungen. ("... denn alles, was Rang und Namen hat, steht
darin") (Giordano, a.a.O.)
1951 – Der mögliche Hintergrund der Begnadigung fast aller Kriegsverbrecher:
Warum wurden 1951 die meisten verurteilten Kriegsverbrecher in die Freiheit entlassen
und erhielten ihr Vermögen zurück? Es war Bundeskanzler "Adenauers
Bedingung für Remilitarisierung und Westintegration der Bundesrepublik", so
z. B. die Historikerin Susanne Willems. (zit. nach: Der entsiedelte Jude, 2002;
zit. nach Netzeitung, 1.6.2005)
Anmerkung:
Seit CDU-Kanzler Adenauer wuchsen auch die Subventionen an die beiden Großkirchen
in unermessliche Höhen, obwohl das neue Grundgesetz seit 1949 (Artikel 140 in
Verbindung mit Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung) bestimmte, die Staatsleistungen
an die beiden Großkirchen durch eine entsprechende Gesetzgebung der Länder "abzulösen".
Diese Gesetze führten aber – im Gegensatz zu dem beabsichtigten Sinn des Artikels
– dazu, dass die Kirchen bis heute immer mehr staatliche Gelder bekamen
(vgl.
stop-kirchensubventionen.de).
1951 und folgende Jahre – "Das größte Wiedereingliederungswerk für Täter ..., das es je gegeben hat. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden sie nicht nur straffrei davonkommen, sondern ihre Karrieren auch unbeschadet fortsetzen" (z. B. der Kommentator der Nürnberger Gesetze, Globke, als Staatssekretär der Bundesregierung). (Giordano, a.a.O.)
Die Legende vom "sauberen Wehrmachtsrock": "1951 wird das Fundament für die kollektiven Lebenslügen einer Verdrängungsgesellschaft gelegt." (Giordano, a.a.O.)
1952
Erneute Umfrage des Instituts für Demoskopie
in Allensbach:
34 % der Deutschen haben eine "demonstrativ-antisemitische"
und "gefühlsmäßig-ablehnende" Haltung gegenüber Juden (gegenüber
1949 eine Steigerung um 11 %).
14.8. / 16.8.1952 – Ein Skandalprozess,
den der katholische CSU-Gründer und Justizminister Josef Müller ("Ochsensepp")
gegen den jüdischen Staatskommissar Philipp Auerbach führt (Staatskommissar
von 1946-1951), endet damit, dass Auerbach zu Unrecht zu 2 1/2 Jahren Haft und zu
einer Geldstrafe verurteilt wird. Darauf hin bringt sich Auerbach aus Verzweiflung
um.
Zuvor war Philipp Auerbach auch mit Landesbischof Hans Meiser aneinander
geraten. Meiser forderte in nahezu beispielloser Instinktlosigkeit den jüdischen
Staatskommissar auf, "in gleicher Weise wie für die jüdischen Opfer auch für die
Insassen der Internierungslager einzutreten" (Süddeutsche Zeitung, 21.10.2008),
also für NS-Kriegsverbrecher, die große Abscheulichkeiten begangen hatten. Auerbach
antwortete wörtlich: "Ich glaube, dass ihre Hinweise auf die grundsätzliche Haltung
der christlichen Kirche einige Jahre früher bestimmt besser angebracht gewesen wären",
worauf sich Landesbischof Hans Meiser empörte und auf die teilweise Betreuung von
evangelischen Kirchenmitgliedern jüdischer Herkunft (!, also nicht etwa jüdisch
Gläubigen) durch die Kirche hinwies.
1956
8.6.1956 – Landesbischof i. R. Meiser
stirbt im Alter
von 75 Jahren. Auf dem Grabstein steht: Dilexit Ecclesiam (= Er liebte
seine Kirche).
Anmerkung: Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern hat bis heute seinen Sitz in München in der viele Jahre nach Landesbischof
Meiser benannten Meiserstraße, die mittlerweile in Katharina-von-Bora-Straße
umbenannt wurde (wobei unberücksichtigt blieb, dass sich Martin Luther nach seiner
Heirat auch unter dem Einfluss seiner Frau zu einem furchtbaren Gewaltmenschen entwickelte,
der die Hinrichtung aller Andersdenkenden forderte;
siehe dazu Der Theologe Nr. 3).
In Pullach, Schwabach, Schwandorf, Pfaffenhofen an der Ilm, Weiden, Bayreuth, Kulmbach
und Ansbach sind jedoch weiterhin Straßen nach dem antisemitischen Landesbischof
benannt. Die Stadträte von Ansbach, Bayreuth und Weiden haben sich dabei mehrheitlich
ausdrücklich zu ihren Meiserstraßen bekannt.
Anders in Nürnberg. Anfang 1999 wies der Verkehrsausschuss des Nürnberger Stadtrats
zunächst einen Überprüfungsantrag einer Grünen-Stadträtin zurück, in dem es darum
ging, die Bischof-Meiser-Straße umzubenennen. Einen ähnlichen Antrag
hatten "Die Grünen" bereits 1998 in München eingebracht. Im Januar 2007 wird die
Bischof-Meiser-Straße in Nürnberg dann doch in Spitalgasse umbenannt, nachdem der
öffentliche Druck größer wurde.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sprach sich im Hinblick auf das Gesamtwerk
Meisers zuvor grundsätzlich gegen Umbenennungen aus (z. B. durch Oberkirchenrat
Martin Bogdahn oder Synodenpräsident Dieter Haack), zog ihre Widersprüche aber schließlich
zurück. In Bayreuth bedankt sich die Kirche in einem Brief von Oberkirchenrätin
Dorothea Greiner beim Stadtrat dafür, "dass er sich bei seiner Entscheidung von
einem differenzierteren Bild Bischof Meisers hat leiten lassen" (Evangelisches
Sonntagsblatt Nr. 1/2011 vom 2.1.2011). Der
Bayreuther Stadtrat lehnt die Umbenennung ab und bekennt sich zur Hans-Meiser-Straße.
Die Kirche hat auch eigene Einrichtungen nach dem antisemitischen Landesbischof
benannt, z. B. die Bischof-Meiser-Häuser in Hof an der Saale und Berolzheim bei
Bad Windsheim. Das ehemalige Meiser-Haus in Neuendettelsau trägt allerdings seit
2006 nicht mehr den Namen Hans Meisers. In München-Obermenzing wurde jedoch am 3.5./4.5.2008
der evangelische Gemeindesaal neu in "Hans-Meiser-Saal" umbenannt (siehe
hier).
Inwiefern Meiser als Person ein typischer
"Sohn der Kirche" war, erklärt der Theologieprofessor Berndt Hamm im
Jahr 2008 im Hinblick auf Meisers Lebenswerk. Professor Hamm führt aus, dass
Meiser den "Rückhalt der Kirche" verloren hätte, wenn er
sich tatsächlich gegen den NS-Staat gewandt hätte. Der Kirchenhistoriker Hamm wörtlich: "Bischof
Meiser und sein Stab setzten kirchenpolitisch um, was die überwältigende Mehrheit
der Pfarrer und Gemeinden dachten und wünschten. Hätte er sich in regimekritischer
Weise gegen das antisemitische Rassedenken, gegen Brutalität, Gewalt, Terror und
Missachtung aller christlich-ethischer Prinzipien durch den NS-Staat gewandt, wäre
ihm wohl der Rückhalt der Kirche verloren gegangen"
(Süddeutsche Zeitung, 21.10.2008).
Doch es ist auch nicht ansatzweise bekannt, dass dies für Meiser je ein Thema
gewesen wäre.
1956 – Der evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Bautz veröffentlicht das Buch Verderbliche Irrlehren
über für die Kirche unliebsame religiöse Minderheiten, die als "Sekten" verleumdet
werden. Bereits 1955 zog er in dem Buch
Die Zeugen Jehovas:
eine Darstellung ihrer Geschichte und Lehre und ihre Beurteilung im Lichte der Bibel
gegen die Zeugen Jehovas zu Felde. Noch kurz zuvor wurden ca. 1500 Zeugen Jehovas
unter der Allianz von Nationalsozialisten und Kirche ermordet. Bautz begründet 19
Jahre später das Werk Biografisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL)
(31 Bände, je Band 210,00 €; Stand: 2010).
1959
Dezember – Anschlag auf die Kölner Synagoge als Auslöser
einer neuen antisemitischen Welle in Deutschland: Es folgen innerhalb der nächsten
vier Wochen 470 antisemitische Vorfälle. Mit dem Generationenwechsel in den 60er-Jahren
geht der Antisemitismus aber zunächst zurück. Seit Januar 1959 leisten einige Freiwillige
in der Aktion Sühnezeichen Hilfsdienste z. B. in Israel oder Polen.
Nachdem der Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, von Agenten des Staates Israel
aus Argentinien nach Israel entführt wurde, bemüht sich die Kirche darum, dass
Adolf Eichmann nicht in Israel vor Gericht kommt, sondern vor ein Internationales
Gericht gestellt wird. Der evangelische Superintendent von Linz in Österreich
(wo Eichmann durch berufliche Versetzung seines Vaters aufgewachsen war), Wilhelm
Mensing-Braun, schreibt an Bundeskanzler Konrad Adenauer, dass Adolf Eichmann sich
durch eine "grundanständige Gesinnung", ein "gütiges Herz" und "große Hilfsbereitschaft"
auszeichne. Der Vertreter der EKD bei der Bundesregierung, Bischof Hermann Kunst,
leitet das Schreiben seines Amtsbruders Mensing-Braun wohlwollend und mit der Kommentierung
weiter, das Votum für Eichmann sei "mindestens interessant"
(spiegel.de, 21.8.2011).
Ob sich die deutsche Regierung darauf hin beim Staat Israel für Milde gegenüber
Eichmann eingesetzt hat, ist nicht bekannt. Adolf Eichmann wird 1962 in Jerusalem
hingerichtet. Adolf Eichmann war neben Reinhard Heydrich der Drahtzieher der Wannsee-Konferenz,
bei der die "Endlösung" der "Judenfrage" forciert wurde (siehe
hier).
60er- und 70er-Jahre
60er- und 70er-Jahre – Der
Antisemitismus schwelt weiter, doch die so genannte "Sektenbekämpfung"
rückt in den Vordergrund.
In der NS-Zeit übte Pfarrer Walter Künneth als Leiter der berüchtigten "Apologetischen Centrale"
die Funktion eines "Sektenbeauftragten" aus und schrieb z. B. antisemitische
Gutachten. 1960 wurde Pfarrer Dr. Kurt Hutten der Leiter der Nachfolge-Organisation,
der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen in Stuttgart (seit 1997 in
Berlin). Pfarrer Dr. Kurt Hutten hatte sich bereits 1950 mit dem Werk
Seher, Grübler, Enthusiasten
als so genannter "Sektenexperte" profiliert, was einem modernen "Inquisitor" gleichkommt
(siehe hier).
1962 veröffentlicht dann der evangelische Pfarrer und spätere Dekan Dr. Friedrich
Wilhelm Schluckebier seinen Sektenspiegel
über die "Sekten" in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Er ist
eine Zusammenfassung von Publikationen, die der Theologe bereits seit 1956 veröffentlichte.
Darin schreibt Pfarrer Dr. Friedrich Wilhelm Schluckebier:
"Es ist die Ursehnsucht des Menschen, ... auch die Katastrophen der Zukunft
zu überdauern, bis einmal dieser armen ausgebluteten Erde endlich Friede und ihren
Menschen ein Leben in Glück, Harmonie und Wohlstand beschieden sei. Diese
Utopie hetzte viele geistige Opfer ihrer Zeit in die Schreckens- und
Glücksvisionen der Zeugen Jehovas, der Adventisten und Mormonen."
(Sektenspiegel, Evangelischer Presseverband
Kurhessen Waldeck, e.V., Kassel 1962, S. 189, mit einem Geleitwort von Bischof D.
Adolf Wüstemann)
Das von dem Propheten Jesaja und auch Jesus von Nazareth angekündigte
Friedensreich bzw. "Reich Gottes" gilt der Kirche also einmal mehr als "Utopie",
zu dem "Opfer" hin "gehetzt" würden.
Doch noch erscheine die "Gefahr" für die Kirche überschaubar. Denn:
"Die kirchliche Traditionsgebundenheit des Hessen ist eine Ausstrahlung
seines konservativen Stammescharakters, geformt durch Jahrhunderte lange
strenge Erziehung durch die landesfürstliche Kirchen- und Polizeizucht ... Gewiss ist
jedenfalls, dass diese Voraussetzungen, oberflächlich aufs Ganze gesehen, sektiererische
Neigungen nicht begünstigen." (S. 16)
Den ersten kirchenamtlichen "Sektenbeauftragten" ernennt die
evangelische Kirche dann jedoch bereits zwei Jahre nach der Veröffentlichung von
Schluckebiers Sektenspiegel.
Im Jahr 1964 führt die Evangelisch-Lutherische Kirche
in Bayern dieses Kirchenamt wieder offiziell ein und ernennt Pfarrer Friedrich-Wilhelm
Haack von der Lutherkirche in Hof an der Saale zum ersten Nachkriegs-Sektenbeauftragten, zuerst nebenamtlich,
ab 1969 dann hauptamtlich. Im selben Jahr 1964 wird in Hof an der Saale auch eine
Straße nach dem fanatischen Nazi-Pfarrer und Judenbekämpfer Dr. Ernst
Dietlein neu benannt.
Und 1965 legt der evangelische Deutsche Verband
für Gemeinschaftspflege und Evangelisation (Gnadauer Verband) das Buch
Sieben Sekten des Verderbens von 1917 bzw. 1931 wieder auf. Diesmal allerdings
"nur" unter dem Titel Sieben Sekten.
Auch der Antisemitismus und die Abneigung gegenüber der jüdischen
Gedankenwelt schwelt weiter innerhalb der Kirche, obwohl es ja nur noch wenige Juden
in Deutschland gibt. So schreibt etwa Dr. Friedhelm Wilhelm Schluckebier in seinem
Sektenspiegel
auch über "judaistisch-gesetzliche Sektenlehren" (S. 43)
oder er verweist auf seine Abhandlung Sabbat der Juden oder Sonntag der
Christen? (S. 68)
Doch das kirchliche "Feindbild" verlagert sich jetzt Jahr für Jahr mehr auf die
"Sekten".
1967
Der Sektenbeauftragte und Pfarrer
Friedrich-Wilhelm Haack führt in Bayern eine Sektenumfrage der Landeskirche
durch. Pfarrer Haack bezieht sich zunächst auf die letzte Umfrage von 1930 (siehe
Zeitablauf) und erklärt: Die nichtkirchlichen
Gemeinschaften müssen "bekannt" sein, "wenn die Kirche ´in diese pluralistische
Gesellschaft` ihre Botschaft weitergeben und ihren Dienst erfüllen soll".
Die jeweils aktualisierten Umfrageergebnisse dienen in den folgenden Jahren für
umfangreiche Medien-Kampagnen gegen bestimmte Gruppen, und sie werden auch staatlichen
Behörden mit der Aufforderung überreicht, Maßnahmen gegen diese "Konkurrenz" zu
den Kirchen zu ergreifen. (Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern, Jahrgang 1967, S. 327)
In einem
Brief gibt Pfarrer Haack später zu: "Wenn Sie bei mir auf Inquisition
tippen, dann liegen Sie natürlich richtig! Sehen Sie, auch die Inquisition ist
moderner geworden und hält sich auch an die Grundsätze der fairen Berichterstattung.
Nur sind ja oft die unterschiedlichsten Ansichten im Umlauf, was denn nun fair ist
und was denn unfair sei." (zit. nach
Brief an Harry Radegeis vom 30.4.1986)
In seiner Erläuterung zur Sektenumfrage rät der Sektenbeauftragte: "Zur
Beschaffung von Informationen empfehlen sich besonders Oberschüler und
Jugendkreise. Diese kommen oft besser an die notwendigen Informationen
heran als die Kirchenvorsteher."
(zit. nach Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche
in Bayern, Jahrgang 1967, S. 327)
In den 70er-Jahren baut sich zuerst ein Netz
evangelischer "Sektenbeauftragter" in allen evangelischen Landeskirchen auf, in
den 80er-Jahren zieht die katholische Kirche mit "Sektenbeauftragten" in ihren Diözesen
nach. Bald wird dann das Netz der modernen "Inquisitoren" noch engmaschiger gezogen,
und es gibt nun auch konfessionelle "Sektenbeauftragte" einzelner Kirchenkreise
und Dekanate. Vor allem in den 90er- Jahren nimmt die Zahl der "Sektenbeauftragten"
noch einmal erheblich zu.
Zudem kommen immer mehr "staatliche Sektenbeauftragte"
hinzu.
Auf diese Stellen berufen Behörden und Kommunen ebenfalls Vertreter der
evangelischen und katholischen Kirche. Eventuelle Ausnahmen sind nicht bekannt. In Linz/Oberösterreich
wird im Frühjahr 2000 sogar der bisherige Sektenbeauftragte der römisch-katholischen
Kirche zum staatlichen Sektenbeauftragten der oberösterreichischen Landesregierung
ernannt.
Verschiedene Maßnahmen werden in der Bevölkerung durchgeführt.
Hier wird nur skizzenhaft darauf hingewiesen, da dies ein Thema für eine eigene
Untersuchung wäre (teilweise
erfolgt in Der Theologe Nr. 12).
Zu den Maßnahmen gehören z. B.:
Öffentliche Vorträge von Kirchenvertretern,
bei denen religiöse Minderheiten verleumdet werden
Planmäßige Negativdarstellungen
anderer Gruppen im staatlich finanzierten konfessionellen Religionsunterricht an
staatlichen Schulen
Negative Stellungnahmen durch
staatliche Vertreter, die ebenfalls der evangelischen oder katholischen Kirche angehören
Negative Medienkampagnen
Bei allen Maßnahmen werden vielfach Unwahrheiten
verbreitet.
Aufgrund der Unwahrheiten und Verleumdungen
erfolgen weitere Maßnahmen gegen Gemeinschaften, gegen Einzelpersonen oder gegen
Betriebe, in denen diese arbeiten, z. B.:
Behördliche Verbote, Informationsstände oder Büchertische aufzustellen
Verweigern oder Streichen
von öffentlichen Zuschüssen
Benachteiligungen von Privatpersonen
und Geschäftsleuten durch Behörden und Gerichte
Berufsverbote (Menschen müssen
öffentlich erklären, keiner so genannten "Sekte" anzugehören, um bestimmte Berufe
ausüben oder Aufgaben oder Rechte wahrnehmen zu können)
Aufruf zum Boykott von Geschäften
Kündigung von Geschäftsbeziehungen,
Benachteiligung bei Kreditvergaben o. ä.
Rufmordkampagnen gegen Firmen,
indem man sie in die Nähe von "Sekten" bringt (weil sie z. B. Geschäftsbeziehungen
zu Firmen unterhalten, denen man ebenfalls vorwirft, mit einer "Sekte" in Verbindung
zu stehen)
Verbot, Waren auf den dafür
vorgesehenen Messen und Märkten zum Verkauf anzubieten, Verweigerung von Standplätzen,
Kündigung von Markt- und Messeständen
Untersagung von Anzeigenschaltungen
Weitere Werbeverbote (z. B.
Verbote, Plakate aufzuhängen)
Ablehnung von Vermietungen
Erfassen von Anhängern religiöser
Minderheiten durch so genannte "Bürgerinitiativen" (vgl. "Sektenumfrage" der Kirche)
und Finanzierung dieser privaten Inquisitions-Initiativen durch staatliche Zuschüsse
Forderungen nach Kennzeichnungspflicht
des religiösen Bekenntnisses in bestimmten Bereichen, z. B. in Verkaufsläden, obwohl
die Angestellten z. B. gar nicht das Bekenntnis des Geschäftsführers teilen und
vieles mehr ...
Vgl. dazu das Buch der beiden Professoren Gerhard Besier (Ev. Theologie)
und Erwin K. Scheuch (Soziologie), Die neuen Inquisitoren – Religionsfreiheit
und Glaubensneid, Zürich/Osnabrück 1999 (2 Bände), und das Buch des ehemaligen
Professors für Katholische Theologie und Religionsphilosophie,
Hubertus
Mynarek, Die neue Inquisition –
Sektenjagd in Deutschland, Mentalität, Motivation, Methoden kirchlicher und staatlicher
Sektenbeauftragter, Marktheidenfeld 1999.
Oben skizzierte Maßnahmen werden immer von beiden großen Kirchen veranlasst.
In der evangelischen Kirche steht im Hintergrund dieser Kirchenpolitik die
Zwei-Reiche-Lehre, die von Luther entwickelte Lehre eines Neben- und Miteinander
zwischen Kirche (als Repräsentant des Reiches zur Rechten Gottes) und Staat (Reich
zur Linken Gottes), in letzter Konsequenz zwischen evangelischer Kirche und totalitärem
Staat, wie es in der NS-Zeit auch praktiziert wurde. Dies wird näher erläutert im
Anhang.
1996
Die Chefredakteurin
des Evangelischen Sonntagsblattes in Bayern,
Johanna Haberer, gibt ein Buch über Landesbischof Meiser heraus mit dem Titel
Er liebte seine Kirche. Darin schreibt der evangelische Oberkirchenrat
Bogdahn: "Oberstes Ziel Meisers war der Erhalt der Kirche. ... In seiner Liebe
zu seiner Kirche sah sich Meiser zur Lieblosigkeit gegenüber Schwachen und Hilfsbedürftigen
gezwungen. ... Es ist bedauerlich, dass Meiser kaum Rechenschaft über die zwölf Jahre
als Bischof in der Zeit des Nationalsozialismus abgelegt hat." (Er liebte seine
Kirche, München, 1996, S. 14)
1997
1997 – Die Weigerung der Bewohner von
Gollwitz/Brandenburg, 60 russischstämmige Juden aufzunehmen, entfacht die Diskussion
um den "Antisemitismus in Deutschland" neu. Einer der Wortführer der Bevölkerung,
Horst Schmidt, ehrenamtlicher Mitarbeiter im evangelischen Kirchenrat des Ortes,
sagt im Hinblick auf den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis: "Soll
der Bubis doch die 60 Juden zu sich nehmen, genug Häuser hat er ja!"
(Süddeutsche Zeitung, 10.7.1997)
1998
24.8.1998 – Der Staatsrechtler Prof. Dr. jur. Martin Kriele von der Universität Köln wendet sich mit einer öffentlichen Erklärung gegen die "Verfolgung" religiöser und weltanschaulicher Minderheiten in Deutschland. Martin Kriele fragt: "Warum beschränkt man sich nicht darauf, gegen rechtswidriges Handeln, das gewiss auch bei Minderheiten vorkommt, mit rechtlichen Mitteln einzuschreiten?" (Brief liegt vor)
September 1998 – Einer der Ärzte im KZ Auschwitz,
Hans Münch, rechtfertigt sein früheres Verhalten als SS-Arzt:
"Ich kenne keinen frei lebenden Juden. Ich kenne nur Ausschwitz-Juden ... Juden
auszumerzen, das war eben der Beruf der SS damals ... Ich habe viele Leute gerettet,
dadurch, dass ich ein paar Leute umgebracht habe ... Ich konnte an Menschen Versuche
machen, die sonst nur an Kaninchen möglich sind ... Ein widerlicher Mensch ...,
hat ausgeschaut wie ein Jud ... Das waren ideale Arbeitsbedingungen, eine exzellente
Laborausrüstung ... Die ganze Mannschaft marschierte ins Gas ... Das war die übliche
Therapie [bei Seuchenbekämpfung] ... Mengele und die anderen schickten uns ihr Material,
Köpfe, Leber, Rückenmark, was eben so anfiel ... Das war Dienst, und Dienst war
Dienst, und Schnaps war Schnaps ... Das geht ganz schnell, ruhig an einem Platz
zu leben, an dem Hunderttausende Menschen vergast werden. Das hat mich nicht belastet
... Ostjuden, ein furchtbares Gesindel ... Die Frau ... diese widerliche kleine
Jüdin ... Sie müssen wissen, das Umbringen von Leuten, das war so selbstverständlich
wie, dass man um soundso viel Uhr das und das zu tun hat ... Ein paar Häftlinge
herauspicken, die sonst ins Gas gehen. Dadurch habe ich mir ein gutes Gewissen verschafft."
(Der Spiegel, 28.9.1998)
Anmerkung:
Auf dem damals aktuellen Foto im "Spiegel" sitzt Hans Münch vor einem Kruzifix,
einem Symbol der Kirche (zur tiefenpsychologischen Bedeutung siehe
hier).
September 1998 – Die Jüdin Tikva Bat Shalom
aus Jerusalem stellt in einem Brief an die Zeitschrift Der Theologe heraus,
dass "der Gott der Kirche nichts mit dem GOTT" zu tun hat,
"der Himmel und Erde schuf". Sie schreibt: "Die Kirche nahm sich besonders
all das [aus der Bibel] heraus, was gegen Juden zu verwenden war ... Worte GOTTES,
mit denen Er Seine Kinder schalt. Begegneten den Kirchenchristen aber Verheißungen,
die der Ewige Seinem Volk zugesagt hat, so bezogen sie diese auf die Kirche."
(shalom_j@netvision.net.il)
22.11.-27.11.1998 – Die Synode der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern gibt hinsichtlich des Holocaust zu, "mitverantwortlich
für das antijüdische Denken und Handeln" gewesen zu sein,
"die es möglich gemacht oder zumindest toleriert haben,
dass die Verbrechen ... möglich wurden". Sie erklärt weiter, dass die lutherische
Kirche "sich von jedem Antijudaismus in lutherischer Theologie zu distanzieren"
habe und dass "es zu den ureigensten Aufgaben der Kirche" gehöre, "sich von jeglicher
Judenfeindschaft loszusagen". Die Fortsetzung der kirchlichen "Mission" an Juden
ist – wie in anderen evangelischen Kirchen auch – umstritten.
Am Eingang des Tagungsgebäudes verteilt die Gruppe Freie
Christen ein Flugblatt mit dem Titel Es liegen noch mehr Leichen im Keller.
Darin heißt es:
"Nach über 50 Jahren entschuldigt sich die Lutherkirche für den Völkermord an den
Juden. Und wo bleibt die Entschuldigung für die Wiedertäufer, Bauern [im Bauernkrieg]
und Hexen, die ... Luther ebenfalls auf dem Gewissen hat?!" Auch auf außerkirchliche
Prediger, deren Hinrichtung Luther forderte, wird verwiesen. Es heißt weiter: "Mit
der Entschuldigung gegenüber den jüdischen Mitbürgern – so wichtig und so überfällig
sie war – kann die Lutherkirche nicht darüber hinwegtäuschen, wie hohl die moralische
Fassade ist, mit der sie die Öffentlichkeit täuschte. Keiner anderen Organisation
mit einem derartig blutigen Vorbild [Luther] würde man erlauben, sich in Gesellschaft
und Staat so ungeniert als moralische Autorität aufzuspielen ... Wo bleibt die Entschuldigung
für den Vernichtungsfeldzug, den dieselbe Kirche heute wieder gegen Andersgläubige
führt? Gegen unbescholtene Mitbürger, die sie mit Hilfe ihres Einflusses in Rundfunkräten
und Zeitungsredaktionen gesellschaftlich ausgrenzt und wirtschaftlich in den Ruin
treibt, was nachweisbar geschieht" (vgl. Zeitablauf:
70er-, 80er-, 90er-Jahre).
Hinsichtlich des Eingeständnisses einer Mitschuld gegenüber den jüdischen Bürgern
heißt es weiter:
"Haben die Seelen von Millionen ermordeter Juden dieser Kirche schon verziehen?
So lange dies nicht der Fall ist, bleibt sie an ihre Opfer gebunden und in ihre
schwere Schuld verstrickt ... Mit wohlfeilen Resolutionen kann sich die Lutherkirche
weder von der Welt noch vor Gott aus der Affäre ziehen. Wo bleibt der Versuch der
Wiedergutmachung? Wer an einem Völkermord mitschuldig ist, sollte sich von Aktienpapieren
und Kunstschätzen trennen, um wenigstens an den Nachkommen der Opfer einiges wieder
gutzumachen." (Freie Christen für die Verfassung, Hiltrud Beil, Max-Braun-Straße
4, 97828 Marktheidenfeld)
An eine Wiedergutmachung denkt die Kirche aber nicht. Synodenpräsident Dieter Haack
spricht sich z. B. dafür aus, die nach dem Antisemiten Hans Meiser benannten Straßen
nicht umzubenennen. Und Landesbischof Hermann von Loewenich erklärt, dass auch weiterhin
das Bildnis des antisemitischen Bischofs im Amtszimmer des amtierenden Landesbischofs
hängen wird.
29.11.1998 – Die Würzburger Zeitung Prima-Sonntag weist unter der Überschrift Wo liegt der Ursprung des Holocaust? auf die "erschreckende Ausstellung" Ecclesia und Synagoga hin. Mit Hinweis auf Darstellungen in der kirchlichen Kunst heißt es: "So entstand aus dem Willen der christlichen Kirche, das Judentum in der geistigen und weltlichen Welt abzulösen, eine tödliche und erschreckende Macht der Symbole, die bis heute noch ... greift."
Dezember 1998 – In Deutschland mehren sich die Stimmen, das Thema "Holocaust" ruhen zu lassen. Gleichzeitig wächst "eine neue Qualität" des Antisemitismus. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass z. B. ein Mitglied des Zentralrats der Juden ca. 50-80 antijüdische Reaktionen im Monat bekommt, die zunehmend "schamloser" werden. Außerdem: "Fast bei jedem öffentlichen Auftritt, ob es um das Holocaust-Mahnmal oder die Entschädigung der Zwangsarbeiter geht, wird er drei- bis viermal gefragt, ob man sich in Deutschland ´das` immer noch anhören müsse." "Das erlebt er jetzt alles auch in bürgerlichen Kreisen, von Menschen, die Anzug und Schlips und manikürte Fingernägel haben." (7.12.1998)
1999
März / April 1999 – Die führenden Vertreter
der Evangelischen Kirche befürworten die Beteiligung Deutschlands am Kosovo-Krieg
der NATO. Die Kirche betrachte den Krieg aufgrund ihrer "verantwortungspazifistischen
Haltung" als äußerstes Mittel (Landesbischof Wolfgang Huber aus Berlin), bzw. er
gelte als "einzig wirksames letztes Mittel" nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen
(der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Manfred Kock). Und die Frau des bei den NATO-Truppen
in Mazedonien eingesetzten evangelischen Militärpfarrers Herbert Kampmann spricht
aus, was so manche denken und bekennt im Zusammenhang des Krieges: "Ich teile das Gottvertrauen
meines Mannes." (zit. nach idea-spektrum Nr. 13/1999)
Anmerkung:
Zum Vergleich: Auch im 2. Weltkrieg wurden die Angriffe Deutschlands von der Kirche
befürwortet. Und auf dem Koppelschloss der Soldaten war der Satz eingraviert: "Gott
mit uns!" (vgl. Zeitablauf: 1939 ff.)
März/April 1999 – Eine Bürgerinitiative Freie
Christen für den Christus der Bergpredigt wendet sich "an alle christlichen
Politiker" mit dem Aufruf: "Distanziert Euch vom Krieg oder nennt Euch nicht
christlich!" (lt. Transparent am 3.4. in Berlin)
In einem Offenen Brief heißt es dazu: "Jesus von Nazareth ... war
ein konsequenter Pazifist, der Feindesliebe predigte und das Töten unter keinen
Umständen erlaubte ... Glauben Sie im Ernst, dass Jesus von Nazareth Cruise
Missiles und Tornados losschicken würde, um den Frieden herbeizubomben? ... Was
Sie jetzt unterstützen, dient nicht der Beendigung einer humanitären Katastrophe,
sondern ist ein Beitrag zur Eskalation des Tötens. Wir machen Sie darauf
aufmerksam, dass Sie den christlichen Namen auf grobe Weise missbrauchen und das
Volk dadurch täuschen. Sie geben vor, dass es einen ´christlichen Krieg` geben könne. In
Wirklichkeit verhöhnen Sie damit Christus. Die Kirchen sind aufgrund ihrer
unchristlichen blutigen Geschichte nicht mehr in der Lage, Sie darauf
hinzuweisen. Deshalb tun wir es ..."
Auf Rückfrage gibt einer der Verantwortlichen, der katholische Theologe und heute
konfessionslose Ex-Religionslehrer Moris Hoblaj aus Kroatien, folgende Antwort:
"Welches Vorbild geben die Politiker, die sich ´christlich` nennen, dem jugoslawischen
Präsidenten? Wenn die Milliarden für den Krieg stattdessen unmittelbar den Kosovo-Albanern
in Jugoslawien zugute kämen – vielleicht würde dann auch der serbische Regierungschef
seine Politik ändern." (Freie Christen für den Christus der Bergpredigt,
Postfach 1443, 97864 Wertheim)
Sommer 1999 – Eine Initiative Ein Mahnmal für
die Millionen Opfer der Kirche wird gegründet. Die Initiatoren schreiben:
"Der Holocaust an den Juden im Dritten Reich wäre ohne die Jahrhunderte lange Vorbereitung
durch kirchliche Verleumdungen und Lügen undenkbar gewesen." Namentlich genannt
wird Martin Luther. Als weitere Opfer neben den Juden werden unter anderem erwähnt:
"Heiden", Kreuzzugsopfer, Inquisitionsopfer, Indianer, "Hexen", Sklaven und
– in
jüngerer Zeit – von Pfarrern und Priestern "missbrauchte Kinder". In dem Aufruf
heißt es: "Diese Verbrechen dürfen sich niemals wiederholen. Deshalb fordern wir,
ein Mahnmal für die Opfer zu errichten als sichtbares Zeichen gegen das Vergessen.
Das Denkmal soll ein Zeichen des Erinnerns, des Gedenkens und der Scham
setzen, ein Zeichen unserer Trauer, auch ein Zeichen unserer Geschichte. Die ehemalige
Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth stellte in der Aussprache des Deutschen Bundestages
zum Holocaust-Mahnmal die Frage: ´Wie haltet ihr es mit den anderen Opfern?` Die
Antwort für eine große Anzahl von Opfern soll dieses Mahnmal darstellen." (kirchenopfer.de
– 30.7.1999)
21. Jahrhundert
Ab 2000, v. a. ab Herbst 2001 – Die zunehmende Eskalation
von Gewalt im Palästinakonflikt führt in Deutschland zwar zur verstärkten Kritik
an der Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern in den von
Israel besetzten Gebieten. Doch die vielfach unaufgearbeitete Geschichte des
Dritten Reiches trägt entscheidend mit dazu bei, dass auch sachgerechte Kritik als
"Antisemitismus" verdächtigt oder gar gebrandmarkt wird.
Gleichzeitig wird die Kriegsvorbereitung der Regierung
der USA gegen den Irak (Blut für Öl; Der Spiegel Nr.
3/2003) nahezu ohnmächtig beobachtet. Und selbsternannte Sprecher in
der "Friedensbewegung" wie die Ex-Grünen-Vorsitzende Jutta Ditfurth bemühen sich,
engagierte Kriegsgegner wie z. B. den ehemaligen katholischen Theologieprofessor
Dr. Hubertus Mynarek aus der Bewegung ausschließen zu wollen, weil sie ihn zu Unrecht
des "Antisemitismus" verdächtigt. (Junge Welt, 4.12.2002)
Anders als im Kosovo-Krieg sprechen die deutschen Großkirchen Anfang 2003 zwar meist ein vorläufiges Nein zum Krieg, das jedoch aus taktischen Gründen nicht stabil ist (siehe dazu Der Theologe Nr. 6). Die größte evangelische Kirche in den USA, die Baptisten, ermuntern den US-Präsidenten Bush zum Krieg, da die Bedingungen für einen "gerechten Krieg" nach der Lehre der Kirche bereits "übererfüllt" seien. Regierungsvertreter der USA kündigten zudem an, jederzeit auch wieder Atombomben werfen zu können.
Anmerkung:
Der EKD-Vorsitzende, Landesbischof Karl Otto Dibelius, erklärte in der Broschüre
Militärkirche oder kirchlicher Friedensdienst (Potsdam 1957), selbst "die
Anwendung einer Wasserstoffbombe sei vom christlichen Standpunkt aus nicht einmal
eine so schreckliche Sache, da wir alle dem ewigen Leben zustreben". Wenn eine solche
Bombe eine Million Menschen töte, so erreichten die Betroffenen "umso schneller
das ewige Leben". (zit. nach Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland, Beck-Verlag, München 1999, S. 259)
23.6.2002 – Professor Ernö Lazarovits aus Budapest, Mitglied des
Ungarischen Zentralrats der Juden und Überlebender des Holocaust warnt die österreichischen
Politiker vor der Diskriminierung religiöser Minderheiten. In einem Brief an
Bundespräsident Dr. Klestil und an den Landeshauptmann von Oberösterreich Pühringer
schreibt Professor Lazarovits:
"Zwar lebe ich in Ungarn, aber ich habe auch schon einige Zeit in Oberösterreich
´gelebt`, von 1944-1945 in Mauthausen, wo ich am 4. Mai 1945 von der US-Armee befreit
wurde. Auch bei der heurigen Gedenkfeier in Mauthausen hatte ich wieder Gelegenheit,
die Mahnung an die Menschen zu wiederholen. Rein menschlich gesehen könnte ich auf
Grund meiner Erlebnisse aus jener Zeit zumindest einen gewissen Groll gegenüber
Österreich(ern) empfinden, soweit eben Ihr Land für die Geschehnisse verantwortlich
zu machen ist. Dass mein Herz aber nicht von Groll geleitet wird, sondern von der
Sehnsucht nach Versöhnung und Verständigung, ist der Grund dafür, dass mir durch
den Herrn Bundespräsidenten Dr. T. Klestil im Jahr 2000 das ´Große Ehrenzeichen
der Republik Österreich` verliehen wurde ... und von Deutschland erhielt ich das
´Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland`. Dennoch ist mir etwas
geblieben aus diesen leidvollen Erfahrungen des Konzentrationslagers –
nämlich eine gewisse Sensibilität und Sorge für Menschen, die wegen ihrer
religiösen Überzeugungen angefeindet werden. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es
mit der Judenverfolgung so begonnen hat, dass man uns zuerst schlecht gemacht
hat, was im weiteren den Vorwand lieferte, die wohl auch Ihnen bekannten
nächsten Schritte zu setzen. Heute werden
Gedenkfeiern abgehalten und bei jeder dieser Veranstaltungen wird beschworen: so
etwas darf nie wieder passieren!! Dem kann man nur beipflichten, jedoch muss man
besonders ´den Anfängen wehren`. Mit großer Beunruhigung muss ich daher
feststellen, dass mit der, von der Katholischen Kirche und dem Land
Oberösterreich herausgegebenen CD-ROM mit dem Titel ´Auf der Suche nach
dem Sinn` eine Behandlung von Andersgläubigen praktiziert wird, die man im
Ansatz als kollektives Schlechtmachen bezeichnen kann, so wie man uns seinerzeit
den ´Judenstern` umhängte. Damals waren es ´nur` die
Juden, heute sind es ´nur` die ´Sekten` – wo ist der Unterschied? ... Bitte verzeihen
Sie, wenn ich als Mitglied des Internationalen Christlich-Jüdischen Rates meine
tiefe innere Besorgnis so direkt zum Ausdruck bringe ... Mit freundlichen Grüßen
aus Ungarn."
(Kopie des Briefes liegt vor)
2005 / 2006
10.5.2005 – In Berlin wird das Holocaust-Mahnmal
eingeweiht.
Doch über die Verantwortung der evangelischen und auch der katholischen Kirche
am Holocaust wird geschwiegen.
2012
19.1.2012 – Über acht Jahre nach seinem Tod am 28.12.1993
werden neue Details aus der Biografie des bekannten evangelische Theologen Otto
Michel und Gründers des so genannten Institutum Judaicum (1957) in Tübingen
bekannt. Die Zeit schreibt u. a. vom "Lügensockel", auf dem er nach dem
2. Weltkrieg seine Biografie aufgebaut hatte.
"Denn Michel hatte sowohl der NSDAP angehört (der er gleich zweimal beitrat, 1930
vorübergehend und 1933 endgültig) wie auch der SA (er trat ihr 1933 bei und schied
1936 aus gesundheitlichen Gründen aus). Doch öffentlich hat er das zeitlebens verschwiegen.
Selbst in seiner 1989 erschienenen Autobiografie Anpassung oder Widerstand
verliert er darüber kein einziges Wort. Schlimmer noch: Dieser joviale
Prediger, der von der Kanzel herab gern polternd Aufrichtigkeit forderte, stilisierte
sich bei Bedarf zum Widerständler – weil er seit 1933 der Bekennenden Kirche
angehört hatte. Wie viele Protestanten damals sah er aber die Bekennende Kirche
nicht als Alternative zum Nationalsozialismus, sondern zu den Deutschen Christen."
(19.1.2012)
Außerdem war Otto Michel im Besitz einer Thorarolle, die der
beim Holocaust ermordete jüdische Bürger Josef Zwi Spiro der Synagoge im polnischen
Zgierz gestiftet hatte. Der rechtmäßige Erbe dieser Rolle wollte nun Nachforschungen
über den deutschen Professor anstellen. Doch die Universität Halle verhängte
ausgerechnet an
einem 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, eine Aktensperre.
Sie wolle "keine Daten über Michel preisgeben, die ´unter dem Schutz des Gesetzes
stehen und der ausdrücklichen Erklärung der Töchter des Verstorbenen widersprechen`".
Doch der Religionswissenschaftler Horst Junginger bekam vor der Aktensperre Einsicht
und fand z. B. folgende Bekenntnisse des renommierten Theologen: "´Politisch
habe ich niemals einer anderen Partei angehört als der NSDAP`, schrieb dieser
1939. Und: ´Ich habe 1933-1936 in drei verschiedenen aktiven Stürmen der SA Dienst
getan, obwohl ich zeitlich ein nicht unbeträchtliches Opfer bringen musste. Aber
ich war gern in der SA und verdanke ihr manche schöne Erinnerung.` Später, nach
dem Krieg, wird Michel dann von sich behaupten: ´Ich bin wohl der Hallenser Dozent
und Assistent, der den stärksten Widerspruch, auch öffentlich, gegen den Nationalsozialismus
geleistet hat.`"
Weiter heißt es in Der Zeit: "Der heutige Nahost-Korrespondent
Johannes Gerloff, Jahrgang 1963, der in Tübingen Theologie studierte und Michel
auf einer seiner letzten Studienfahrten nach Israel begleitete, ahnte von dessen
brauner Vergangenheit nichts. Aber auch Gerloff ist von den Neuigkeiten nicht überrascht,
weil er das Image der Universität kennt. Tübingen gehörte in der Nazizeit zu den
schlimmsten Lehranstalten Deutschlands. Von 1940 bis 1943 übernahm Michel dort die
Stellvertretung von Gerhard Kittel, Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament.
Kittel gehörte zu jenen Akademikern, die den Antisemitismus und die ´Endlösung`
intellektuell legitimierten."
Wie ging es nach dem Krieg mit Otto Michel weiter? Seine NS-Vergangenheit hätte
freilich "seiner neuen Karriere schaden können. So blieb nur die selbst gestrickte
Legende des christlichen Widerständlers. Ein posthumer Gedenkband für ihn aus dem
Jahr 2003 trägt den Titel Ich bin ein Hebräer."
(Die Zeit Nr. 4, 19.1.2012)
Das Beispiel von Otto Michel ist nur eines von vielen
mit ganz ähnlichen Inhalten. Obwohl der Holocaust "zu 99 %" von Kirchenchristen
zu verantworten ist, stilisierten sich Kirchenvertreter nach dem 2. Weltkrieg zu
"Widerständlern" um und schieben den Holocaust heute dreist den "Gottlosen" in die
Schuhe (siehe oben).
2013
28.6.2013
– In einem Ratsbeschluss vom 28.6.2013 entschied der Stadtrat von Hof an der
Saale zunächst mit überwältigender Mehrheit (36:8 Stimmen), die nach dem
fanatischen antisemitischen Agitator und lutherischen Pfarrer Dr. Ernst Dietlein benannte Dr.-Dietlein-Straße
in Hof nicht umzubenennen.
Nach Protesten von Wissenschaftlern, jüdischen Mitbürgern und vielen anderen revidierte
der Stadtrat dann am 29.11.2013 seinen Entschluss und entschied, die Straße
stattdessen nach
einem anderen evangelischen Pfarrer zu benennen, nach dem heute als
"vorzeigbaren" "Alibi-Pfarrer" für die Zeit des Dritten Reiches geltenden
Dietrich Bonhoeffer. Die Straße war am 7.1.1964,
am zehnten Todestag Dr. Dietleins, ihm zu Ehren Dr.-Dietlein-Straße benannt
worden.
"Aus der Sicht des Hofer Stadtarchivars Arnd Kluge war der
Hofer Pfarrer, Lehrer und Stadtarchivar Ernst Dietlein ´bis zum Ende des Regimes
ein überzeugter Nationalsozialist` und ´der Prototyp eines nationalsozialistischen
´Kämpfers` an der ´Heimatfront`" (br.de, 16.10.2012).
Oft ist er als "kämpferischer Redner für die Idee des Nationalsozialismus aufgetreten"
und sein "radikaler Antisemitismus" war bekannt (Sonntagsblatt Nr. 27/2013).
In Dietleins berüchtigter Chronik der Stadt Hof bezeichnete er seine Heimatstadt
unter anderem als "starkes nationalsozialistisches Bollwerk" (frankenpost.de, 29.6.2013). Aus
dieser Stadtchronik hatte Pfarrer Dr. Dietlein
alle Persönlichkeiten jüdischer Herkunft gestrichen und auch nach 1945 nicht
wieder eingefügt.
Kritiker von Pfarrer Dr. Dietlein wiesen unter anderem darauf hin, dass die
Einstufung Pfarrer Dietleins durch die Evangelisch-Lutherische Kirche nach dem
Krieg als "Mitläufer" "wider besseres Wissen" erfolgte. Mit anderen Worten: Die Kirchenführung
hatte – wie so oft – gelogen. Deren Landesbischof Hans Meiser, ebenfalls ein
rassischer Antisemit, hatte alle evangelisch-lutherischen
Pfarrer Bayerns, einschließlich aller überzeugten Nazi-Pfarrer,
pauschal für ihr Verhalten während der NS-Diktatur
gerechtfertigt. Dazu gehört auch Pfarrer Friedrich-Wilhelm Auer, der 1921 –
schon Jahre vor der NS-Zeit – dazu aufrief, jüdische Geschäfte zu boykottieren
und der später in Anspielung auf die Bartholomäusnacht (als 1572 in Frankreich die
Hugenotten durch Katholiken massakriert wurden) von der NS-Regierung die Ermordung aller
Juden in einer Nacht gefordert hatte.
Der evangelisch-lutherische Dekan Günther Saalfrank hatte
den ursprünglichen Stadtratsbeschluss als "weise" gelobt, den Namen Dr.-Dietlein-Straße
beizubehalten und eine Informationstafel, die auch Kritik enthalte, anzubringen.
Er sprach – wie kirchenüblich – von vermeintlich "anderen Seiten des Pfarrers". Eine Umbenennung wäre seiner Ansicht nach einem "Unwerturteil" gleichgekommen
(br.de, 28.6.2013)
– ein Argument, mit dem
auch der brutale Judenverfolger Martin Luther
immer wieder kirchlich gerechtfertigt wird.
Später änderte der Dekan ein wenig seine Meinung mit der Begründung, dass durch das "Votum des Vorsitzenden der israelitischen
Kultusgemeinde" vor Ort eine "neue Lage" entstanden sei. Der lokale Kirchenführer wollte
die Umbenennung nun aber ausdrücklich "nicht generell als historisches
Unwerturteil gegenüber Dr. Ernst Dietlein"
"verstehen".
(zit. nach http://www.dekanat-hof.de)
Hierzu grundsätzliche ergänzende Anmerkung zur so genannten
Bekennenden Kirche: Auch im Fall von Pfarrer Dr. Ernst
Dietlein versuchen Verantwortliche in der Kirche, ihm mit dem Hinweis, er sei während
der meisten Zeit des Dritten Reiches der so genannten "Bekennenden Kirche" zuzuordnen
gewesen, einen kirchlichen "Persilschein" auszustellen. Wie in dieser Studie mehrfach
nachgewiesen, ist die so genannte "Bekennende Kirche" aber
in keiner Weise eine Opposition zur NSDAP gewesen,
im Gegenteil (z. B. hier).
Sie machte sich lediglich für ein vom Staat unabhängiges evangelisch-lutherisches Bekenntnis
und eine unabhängige Erledigung innerkirchlicher Angelegenheiten stark
und unterschied sich damit in den 30er-Jahren von den evangelisch-lutherischen "Deutschen Christen",
die eine stärkere Zusammengehörigkeit von NSDAP und lutherischer Kirche anstrebten
(mehr dazu z. B. hier).
Dabei kam es sogar vor, dass Vertreter der Bekennenden Kirche Vertreter der Deutschen
Christen wegen zu großer Judenfreundlichkeit denunzierten.
Die Position der "Bekennenden Kirche", der auch Dietrich Bonhoeffer
angehörte, wurde ab Ende 1934 von Adolf Hitler und den
Nationalsozialisten grundsätzlich akzeptiert,
auch wenn es gelegentlich zu kleineren Konflikten kam. Die Nationalsozialisten
konnten sich dabei vor allem auf die Kriegsbefürwortung dieser Kirche verlassen und
darauf, dass weder der Holocaust an den Juden noch Behinderten-Ermordungen
von dieser "Bekennenden Kirche" kritisiert würden, wie in dieser und
einer weiteren Studie
ebenfalls an vielen Beispielen dargelegt. Das Bestreben der heutigen
Kirchenführung, dass dem Tun und Reden Dr. Dietleins weiterhin historischer Wert
zugemessen wird, gilt logischerweise auch für jeden anderen ihrer Amtsträger,
was allerdings auch bedeutet: Alles, was nicht gesühnt und von den Opfern
vergeben ist, bleibt Gegenwart.
2018
Die vielfach im Widerspruch
zu UNO-Beschlüssen gerichtete Politik der Regierungen Israels und der USA
(Ausweitung jüdischer Siedlungen auf besetztem palästinensischen Gebiet oder Reklamierung des
völkerrechtlich palästinensischen Ost-Jerusalem mit der al-Aqsa-Moschee als Teil des Staates
Israel) und im Jahr 2018 zum Beispiel auch Erschießungen von Demonstranten, darunter
Jugendliche, am Grenzzaun von Israel zu Gaza durch Scharfschützen, führten
erneut zu Kritik
an der Politik der israelischen Regierungen auch in der deutschen Bevölkerung. Gegner dieser Kritik
wenden jedoch ein, diese sei Teil und Ausdruck eines neuen
"Antisemitismus". Mit dieser Haltung setzt man sich jedoch auch der Gefahr
aus, das unsägliche grausame Leid der
Holocaust-Opfer für die Rechtfertigung einer Politik zu funktionalisieren,
die dem in UN-Resolutionen niedergelegten Völkerrecht widerspricht.
2019
29.12.2019 / 1.1.2020 –
Ein weiterer Anlauf
gegen das lutherische Geschichtsklitterungs-Bollwerk in Bayreuth:
Hans-Meiser-Straße soll umbenannt werden –
"Nach rund zehn Jahren ist in Bayreuth die
Diskussion um die Hans-Meiser-Straße – benannt nach dem umstrittenen ersten
bayerischen Landesbischof Hans Meiser (1881-1956) – neu aufgeflammt", schreibt
das Sonntagsblatt (sonntagsblatt.de, 29.12.2019). Ein Antrag der GRÜNEN
und Unabhängigen wurde dazu im Stadtrat eingereicht. Angestoßen wurde das Thema
von einem Leserbrief eines ehemaligen Richters an die Zeitung Nordbayerischer
Kurier in Bayreuth. "Wenn eine Stadt heute noch einen Antisemiten mit der
Widmung einer Straße ehre, zeige sie, ´dass sie keine Konsequenzen aus der
Vergangenheit ziehen will und dass sie nach wie vor Antisemitismus und Rassismus
verharmlost.`" (zit. nach sonntagsblatt.de, 29.12.2019)
In der Dokumentation Der Theologe Nr. 11 ist Wesentliches und einiges
Wissenswerte mehr zu Bischof Meiser zusammen getragen, was bisher bekannt
geworden ist, auch Diskussionen in den Jahren ab 2006.
Statt schwer deutbare Notizen als Entlastung für den Bischof zu
interpretieren, wie es seither manchmal geschah, um die Meiserstraßen auch künftigen Generationen zuzumuten, wäre
es endlich an der Zeit, auch die unzähligen Morde an behinderten Kindern in den
Einrichtungen der evangelischen Diakonie in Bayern während der Regentschaft
Meisers weiter aufzuarbeiten.
Das bedeutet zum
Beispiel, was Bischof
Meiser selbst davon wusste, wie er handelte und wie er Dokumenten zufolge auch aktiv tätig war,
um die Verbrechen nach 1945 zu vertuschen.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu:
"Bayreuth – das sich mit seiner NS-Vergangenheit nie so schonungslos
auseinandergesetzt hat wie Nürnberg – hat sich [2010] anders entschieden [für
die Beibehaltung des Straßennamens Hans-Meiser-Straße]. Und wird neun Jahre
danach erneut eingeholt von der Meiser-Debatte. Diesmal war es ein Leserbrief im
Nordbayerischen Kurier, der die Diskussion hat entflammen lassen. Es
braucht keine prophetischen Fähigkeiten, um zu ahnen, dass dieser Meinungsstreit
die Stadt immer wieder einholen wird. Zu Recht." (sueddeutsche.de,
16.12.2019)
Immer mehr Bürger wachen auf und lassen sich von der Kirche
und ihren Denkmälern nicht mehr den Blick
auf die Geschichte und Gegenwart der Konfessions-Organisationen
verbiegen, die den guten Namen "Christus" für äußere Religionszwecke
missbrauchen, jedoch Seine Lehre vielfach in ihr Gegenteil verkehrten und weiter
verkehren. Dass
kirchliche
Mörder oder Kriegstreiber aus den letzten ca. 1700 Jahren
auch heute noch als Heilige verehrt werden, wie
es in der
Vatikankirche geschieht, oder als Namenspaten für öffentliche Straßen und Plätze
von allen Bürgern geehrt werden sollen,
beweist auch, dass sich kirchliches Denken in seinem Wesen nicht geändert hat. Was früher
offen ausagiert wurde, tragen die Täter heute vielfach unter ihren Kutten und Talaren, da die staatliche
Gesetzgebung in unserer Zeit dem inquisitorischen Wirken manche Riegel vorgeschoben hat.
Anhang:
Der Katholik Adolf Hitler und die Ökumene:
Martin Luther "als das größte deutsche Genie", "ein Riese"
–
adolf-hitler_martin-luther.htm
Sowohl die "Deutschen Christen" als auch die "Bekennende Kirche" unterstützen mehr oder weniger die Judenverfolgungen. Der Gehorsam gegenüber Hitler ist für beide kein Widerspruch zum evangelischen Bekenntnis. In Konflikt zum Staat kommt die "Bekennende Kirche" nur dort, wo sie im Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre auf der Selbstständigkeit der Landeskirchen gegenüber der Reichskirche beharrt und wo sie am evangelischen Bekenntnis aus dem 16. Jahrhundert festhält und keine Änderungen vornimmt, wie es die "Deutschen Christen" tun. Nach kurzer Auseinandersetzung im Jahr 1934 akzeptieren der "Führer" Adolf Hitler und die Nationalsozialisten die Grundposition von Landesbischof Meiser und gleich gesinnten Kirchenführern, und sie erkennen die Selbstständigkeit der drei evangelischen Kirchen in Bayern, Württemberg und Hannover an. Diese drei zählen deshalb zu den gemäß der lutherischen Lehre "intakt" gebliebenen, in den anderen Landeskirchen gibt es so genannte "bekennende" Flügel bzw. "Bruderräte".
Für die jüdischen Mitbürger wirken sich die innerkirchlichen Auseinandersetzungen kaum aus. Trotz der Aussage Meisers von 1926, "Judenmission" statt "Judenpogrom", werden in den beiden Lagern der evangelischen Kirche Maßnahmen der Judendiskriminierung und -verfolgung gefordert oder befürwortet.
Umgekehrt werden die "missionierten" Juden in der Kirche nur als "Evangelische zweiter Klasse" anerkannt – mit weniger Rechten. Schließlich nimmt man sie teilweise überhaupt nicht mehr auf, bzw. es wird ihr Ausschluss gefordert bzw. sie wurden bereits ausgeschlossen. Während in der Kirche noch darüber diskutiert wird, werden sie trotz ihres evangelischen Glaubens bereits vergast – zusammen mit der großen Mehrheit der übrigen Juden –, was die Diskussion über einen generellen Ausschluss aus der Kirche schließlich erübrigt.
Zum Holocaust schweigen die evangelischen Kirchen – nach deren eigenen Worten, um die Nazis vor Kritik aus dem Ausland zu schützen. Nur Landesbischof Wurm aus Württemberg formuliert schließlich im Juli 1943 nach langem Schweigen ein Protestwort. Doch abgesehen von der Frage, ob ein einzelnes "Protestwort" ohne Konsequenzen überhaupt etwas nützt – ist es ein schicksalhafter "Zufall", dass es erst erfolgte, als z. B. die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka schon eingeebnet waren? Siehe dazu auch eine Stellungnahme von Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Vorbemerkung: Hans Meiser ist im Jahr 1926 Leiter des Predigerseminars der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und bildet dort die angehenden evangelischen Pfarrer aus. 1928 wird er zum Oberkirchenrat ernannt und 1933 zum ersten Bischof dieser Kirche. Meiser schreibt das "Gutachten" also zu einer Zeit, in der die Juden in Deutschland noch nicht verfolgt werden und frei von jedem Druck oder Zwang durch die Nationalsozialisten. In der Sonderausgabe von theologe.de über Landebischof Meiser lesen Sie wesentliche Aussagen des Gutachtens in Auszügen.
Die Nationalsozialisten haben nach
anfänglichem Bekenntnis zum kirchlichen Christentum den Antisemitismus von seinen
kirchlichen Wurzeln zu lösen versucht. Dies hat es der Kirche erleichtert, sich
nach 1945 als "Opfer" darzustellen, anstatt sich als Anstifter bzw. Vorläufer zu
erkennen.
Doch die "Endlösung" des Holocaust steht
in vieler Hinsicht in Verbindung zum evangelischen und katholischen Glauben.
Mehrere Jahrhunderte lang werden die Juden als angebliche "Christusmörder" verfolgt.
Zu unterschwelligen Rachegefühlen kommt aber noch ein wesentlicher Aspekt der kirchlichen
Lehre hinzu, der die Verfolgung bis zum Tod erst begründet: Der katholische und
der evangelische Glaube wähnen sich gemäß ihrer Dogmen und Bekenntnisschriften im
Besitz der alleinselig machenden Wahrheit, und katholische und evangelische Kirche lehren
bis heute eine ewige Verdammnis für viele Andersgläubige. Deshalb lautet
eine wesentliche Frage auch: In welcher Beziehung stehen der Holocaust und die
Lehre von der ewigen Verdammnis?
In der Vergangenheit wurden Millionen
der vermeintlich ewig Verdammten auf Veranlassung der Kirche auch hingerichtet.
Der kirchliche Glaube an die ewige Verdammnis ihrer Opfer trägt dabei
entscheidend zum Abbau der Hemmschwelle gegenüber Folter und Mord bei. Was seien schon die
paar Minuten Qual auf dem Scheiterhaufen gegenüber dem ewigen Höllenfeuer, das Gott
angeblich dem Opfer sowieso bald bereitet? Das vermeintlich "Positive" dabei aus
kirchlicher Sicht: Die Hingerichteten können andere Katholiken und Evangelische
nicht mehr "verführen", und ihr qualvoller Tod ist auch eine Abschreckung für Schwankende.
Und außerdem hätte ihnen die Kirche die große Chance gegeben, sich noch in letzter
Minute, während die Flammen z. B. schon am Körper hoch züngeln, zum kirchlichen
Glauben zu bekehren und auf diese Weise ihrer angeblichen ewigen Verdammnis zu
entgehen (vgl. dazu auch Der Theologe Nr. 19).
Zu den vermeintlich ewig Verdammten und in vielen Pogromen zuvor Verfolgten gehören
gemäß der Lehre Martin Luthers auch die jüdischen Mitbürger – und zwar dann, wenn
sie nicht zum Christentum übertreten.
Anmerkung:
Nach römisch-katholischer Lehre zählt es bis heute sogar zu den "unfehlbaren" Glaubenswahrheiten,
dass jüdische Mitbürger "dem ewigen Feuer" verfallen, wenn sie die katholische Kirche
kennen gelernt haben und nicht vor ihrem Tod in diese übergetreten sind. Der Beleg
dafür findet sich im offiziellen römisch-katholischen Lehrbuch Neuner/Roos, Der
Glaube der Kirche, Regensburg 1971, 13. Auflage 1992, Lehrsatz
Nr. 381. So gesehen wäre der Holocaust aus
römisch-katholischer Sicht nur das vergängliche irdische Feuer vor dem unvergänglichen
"ewigen Feuer" gewesen, wobei die Juden in Deutschland gemäß dieser
Lehre vor jenem bewahrt worden
wären, wenn sie kurz vor ihrer Vergasung oder Erschießung noch die Religion ihrer
katholischen Peiniger angenommen hätten. Hätten sie stattdessen die Religion ihrer
evangelischen Peiniger angenommen, hätte ihnen das nach römisch-katholischer Lehre
auch im Jenseits womöglich nichts genützt, denn unter die laut
Lehrsatz Nr. 381
"von der Einheit Getrennten" lassen sich auch die Evangelischen zählen. Und im Diesseits hatte es den jüdischen Mitbürgern
sowieso nichts genützt, wenn sie evangelisch oder katholisch geworden sind, wie
ja auch in der Dokumentation deutlich wurde. Sie wurden von den Kirchen in der Regel
fallen gelassen und von den Machthabern genauso umgebracht wie alle anderen Juden.
Für beide Großkirchen ist die Bibel verbindliches, reines und abschließendes Gotteswort. Zu Unrecht werfen sie z. B. manchen religiösen Minderheiten "Antisemitismus" vor, während sie selbst in der Geschichte zu den schlimmsten Antisemiten gehörten (siehe z. B. diese Ausgabe des "Theologen") und sich bis heute nicht von dem furchtbaren Antisemiten Martin Luther (Antisemitismus und Kirche – Martin Luther und die Juden) oder dem rassischen Antisemiten Hans Meiser distanzieren. Stattdessen stellt die evangelisch-lutherische Kirche vor allem Martin Luther weiter als Vorbild hin. Auch haben sich die Kirchen bis heute nicht von nachfolgenden Bibelstellen distanziert, von denen sie sich in der Vergangenheit u. a. zu wüstem Antisemitismus inspirieren ließen und zur geistigen Vorbereitung des Holocaust. Sollen z. B. nachfolgende Stellen wirklich verbindliches, reines und abschließendes Gotteswort sein? Und wenn ja, kann dann ausgeschlossen werden, dass sich Kirchenanhänger irgendwann wieder darauf berufen?
"Als sie [die Juden] aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er [Paulus] die Kleider aus und sprach zu ihnen: ´Euer Blut komme über euer Haupt." (Apostelgeschichte 18, 6)
Paulus: "Siehe aber zu: du heißest ein Jude ... Nun lehrst du andere, und lehrst dich selber nicht; du predigst, man solle nicht stehlen, und du stiehlst; du sprichst, man solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe; dir gräuelt vor den Götzen, und du raubest Gott, was sein ist; du rühmest dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes; denn ´eurethalben wird Gottes Name gelästert unter den Heiden`, wie geschrieben steht." (Römer 2, 17.21-24, nach der Lutherübersetzung von 1964; diese Bibelstelle wurde von der evangelischen Kirche schon einmal korrigiert, indem sie die einzelnen Vorwürfe mit Fragezeichen versehen hat; bei dem schwerwiegenden Vorwurf am Schluss wurde die Bibelstelle jedoch nicht verändert)
Paulus: "Was Israel sucht, das hat es nicht erlangt; die Auserwählten [als die sich die Mitglieder der Kirche später betrachten] aber haben es erlangt. Die andern sind verstockt, wie geschrieben steht (Jesaja 29, 10): ´Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, dass sie nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis auf den heutigen Tag.` Und David spricht (Psalm 69, 23-24): ´Lass ihren Tisch zur Falle werden und zu einer Schlinge und ihnen zum Anstoß und zur Vergeltung. Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen, und ihren Rücken beuge allezeit.`" (Römer 11, 7-10)
Paulus: "Aber was mir Gewinn war [die jüdische Lehre und Überlieferung], das habe ich ... für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden ..., und ich erachte es für Dreck ..." (Philipper 3, 8)
Paulus: "Die haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen Feind ... Aber der Zorn Gottes ist schon in vollem Maße über sie gekommen." (1. Thessalonicher 2, 15 f.)
Paulusschüler: "Denn es
gibt viele Freche, unnütze Schwätzer und Verführer, besonders die aus der Beschneidung,
denen man das Maul stopfen muss, weil sie ganze Häuser verwirren und lehren, was
nicht sein darf ..." (Titus 1, 10 f.; die evangelisch-katholische Einheitsübersetzung
verwendet für "die aus der Beschneidung" die sinngemäße Formulierung "die aus dem
Judentum kommen"; Luther schreibt "die aus den Juden")
Unser Vorschlag: Wenn es den Kirchen mit ihrer Distanzierung vom Antisemitismus
ernst ist, dann sollten sie sich zumindest von den oben ausgewählten Bibelstellen
distanzieren und diese aus den "Gottesworten"
herausnehmen oder sie zumindest korrigieren.
Immer wieder hörte und hört man
im evangelischen Bereich von der "Zwei-Reiche-Lehre",
wenn es um das Verhältnis von Staat und Kirche geht. Doch wieso zwei Reiche,
Staat und Kirche? Mit welchem Recht stellt sich eine Kirche als ein zweites
Reich neben den Staat? Welche Auswirkungen hat das für die anderen Religions-
und Glaubensgemeinschaften in diesem Staat?
Mit Berufung auf diese "Zwei-Reiche-Lehre"
lehnen namhafte evangelische Theologieprofessoren z. B. die Weimarer Demokratie
ab und bejahen die NS-Diktatur (z. B. Paul Althaus, Werner Elert). Die Bundesrepublik
Deutschland ist vom Grundgesetz her ein demokratischer Rechtsstaat, kein Gebilde
aus "zwei Reichen", Staat und Kirche genannt. Doch
im evangelischen Religionsunterricht werden die Schüler auf Staatskosten (!) nach wie vor in der "Zwei-Reiche-Lehre"
unterwiesen, einem Modell, das weder in einer Demokratie entwickelt wurde noch für
eine Demokratie taugt, wie nachfolgende Überlegungen verdeutlichen.
Wie wird nach dem Modell der
"Zwei-Reiche-Lehre" regiert? Dazu im
Jahr 1998 der Landesbischof i. R. Leich, von 1986-1990 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Thüringen:
"Einerseits regiert Gott mit dem Evangelium durch die Prediger
der Kirche, um durch den Glauben Menschen auf ewig zu retten, andererseits mit dem
Gesetz durch die Obrigkeit, um die Bösen zu strafen und das friedliche Zusammenleben
der Bürger zu sichern. Die eine Regierweise gilt im Reich Gottes, die andere im
Reich der Welt. Aber in beiden ist ein und derselbe Herr am Werk." (zit. nach
idea spezial Nr. 3/1998, S. 24)
Handelt Gott also unterschiedlich, je nachdem, ob er im "Reich Gottes" (dem
angeblichen "Reich
zur Rechten Gottes") tätig ist oder im "Reich der Welt" (dem
angeblichen "Reich zur Linken Gottes")?
Nach evangelischer Lehre wäre das so.
Ein weiterer Aspekt dieser Zwei-Reiche-Lehre ist die gegenseitige Förderung der beiden
Reiche untereinander: Das von der Kirche repräsentierte "Reich zur Rechten Gottes"
helfe, vereinfacht gesprochen, dem "Reich zur Linken Gottes", dem Staat, die äußere
Ordnung aufrecht zu erhalten, wie diese von den Staatsbevollmächtigten eben verstanden wird. Die Kirche gibt dabei ethische Richtlinien vor. Und
das "Reich zur Linken", der Staat, hilft umgekehrt der Kirche, damit diese
ihren kirchlichen
Glauben verbreiten und ihre Interessen in der Gesellschaft durchsetzen kann.
In dieser evangelischen Konzeption ist kein Platz für die Religionsfreiheit mehrerer
einander gleich geordneter Glaubensgemeinschaften, wie es Kennzeichen einer
Demokratie ist, auch wenn es nicht an Versuchen
von Theologen fehlte, ihre Zwei-Reiche-Lehre auf den demokratischen Rechtsstaat zu übertragen und
weitere Religionsgemeinschaften zu tolerieren (wie zuletzt die jüdischen Gemeinden
und kleinere Gemeinschaften, die sich an evangelische Vorstellungen angepasst haben).
Von evangelischer Seite unbehelligt bleibt auch der römisch-katholische Glaube,
der ja "reformiert" wurde und mit dem man sich in der
ökumenischen Bewegung arrangiert
hat. Nach der Zwei-Reiche-Lehre werden Andersgläubige aber
grundsätzlich als Störung dieses Zusammenspiels von Staat und Kirche gesehen. Sie gelten
bei Luther allein wegen ihres anderen Glaubens als "Aufrührer" und sollen deshalb
hingerichtet werden. Denn diese Art von "Aufruhr", so Luther, bedeute eine Gefahr
für den Staat.
Dieses kirchliche Denken hat sich bis in unsere Zeit hinein fortgepflanzt. Dabei
geht es jedoch nicht um eine "Gefahr für den Staat", wie Kirchenvertreter heucheln,
sondern faktisch um eine Gefahr für den Machtanspruch und den Einfluss der Kirche,
da es für diese in einer freiheitlichen Demokratie damit eine Konkurrenzsituation gibt
und da ihre einseitige Bevorzugung und massive
Subventionierung bzw. Finanzierung durch den Staat infrage
gestellt wird. Deshalb werden andere Gemeinschaften als eine "Gefahr" für die Kirche
betrachtet, v. a., wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Und so beschwören
Kirchenvertreter und kirchliche Lobbyisten in der Politik (fast 100 % aller
Politiker in der Bundes- und in den Landesregierungen und die große Mehrheit der
Politiker mit Abgeordnetenstatus sind Kirchenlobbyisten) immer wieder die so
genannte "Partnerschaft" zwischen
Staat und Kirche, während Andersgläubige als "Sekten" verleumdet und bekämpft
werden und bei ihnen nach einem Eingreifen des Staates gerufen wird. Eben das
ist "Zwei-Reiche-Lehre", aber der Gegensatz zum deutschen Grundgesetz und einer
freiheitlichen Demokratie.
Denn nach dem deutschen
Grundgesetz dürfte der weltanschaulich neutrale Staat die Großkirchen gar nicht bevorzugen
und viele kleinere Gemeinschaften diskriminieren oder benachteiligen. So stellt
sich für die Staatsbevollmächtigten hierbei auch die Frage: Halten sie sich an
ihre Verfassung und verzichten sie auf die Diskriminierung von Minderheiten? Ist er also ein wirklicher Rechtsstaat?
Oder verhält er sich verfassungswidrig und unterstützt die Kirche bei der Bekämpfung
von Minderheiten, wie er es schon oft in der Geschichte getan hat. Ist er also ein
verkappter Kirchenstaat?
Staat und Kirche sind bis heute vielfach verfilzt (siehe auch
Der Theologe Nr. 23). Und ihr starkes heutiges
Engagement in Politik und Gesellschaft begründet die Kirche heute oft damit, dass
sie es in der Nazi-Zeit leider versäumt hätte, den Staat mehr zu beeinflussen. Doch
das ist eine von mehreren Geschichtsklitterungen, denn der Einfluss der evangelischen
Kirche auf den NS-Staat war weit größer als heute zugegeben, wie auch "Der
Theologe Nr. 4" anhand zahlreicher einer unübersehbaren Fülle von Nachweisen darlegt.
Dennoch schreibt z. B. Ex-Landesbischof Herman von Loewenich (1931-2008) über einen seiner Vorgänger,
Landesbischof Hans Meiser (1881-1956): "Es ist offensichtlich, dass er einem Verständnis der
lutherischen Zwei-Reiche-Lehre verhaftet war, das Staat und Kirche strikt trennte,
obwohl nach heutiger Auffassung Luther den Staat auch der Herrschaft und dem Gebot
Gottes unterstellte" (Er liebte seine Kirche, a.a.O., S. 11). Was heißt das
aber nun praktisch? Hier wird dem Staat letztlich mit dem Machtanspruch der Kirche gedroht,
denn was die "Herrschaft Gottes" und "seine Gebote" bedeuten, dafür reklamiert die
Kirche für sich – zu Unrecht – die rechte Auslegung.
Und was wäre denn geschehen, wenn Landesbischof Meiser die lutherische Zwei-Reiche-Lehre
mehr auf diese Weise verstanden hätte wie sie sein Nachfolger von Loewenich in
späterer
Zeit verstand? Wie weit hätte der nationalsozialistische Staat bei der Judendiskriminierung
bzw. -verfolgung denn gehen dürfen, wenn er sich einem angeblichen "Gebot Gottes"
unterstellt hätte, welches von den evangelischen Kirchen an ihn herangetragen worden
wäre?
Zur Erinnerung: Der evangelisch-lutherische Oberkirchenrat Otto Bezzel forderte
1937 z. B. das "Hinauspeitschen" der Juden. Und die Kirche hat bei der Judenverfolgung
nur angemahnt, dass die "Ausschaltung der Juden als Fremdkörper im Volksleben"
(lt. Gutachten des damaligen "Sektenbeauftragten" Walter Künneth 1934)
auf christliche Weise zu geschehen hätte.
Was ist damit genau gemeint? Das KZ-Personal
war überwiegend katholisch oder evangelisch, und alle Verantwortlichen haben dort
nichts getan, womit sie zu ihrer Kirche in Widerspruch geraten wären.
Martin Luther steckte mit seiner Zwei-Reiche-Lehre
einst den Rahmen für Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden und andere religiöse Minderheiten
ab. Und so fordert Luther neben der Verfolgung und teilweisen Hinrichtung der Juden
die Hinrichtung von Andersgläubigen, von so genannten "Wucherern", von Prostituierten,
von als Hexen verleumdeten Frauen, von Predigern ohne amtskirchlichen Auftrag, und
er droht Bürgern den Tod an, die diese nicht denunzieren. Im Sinne der Zwei-Reiche-Lehre
erklärt Luther auch, dass der Christ dem Staat als Henker dienen kann. Und genau
so ist es im Dritten Reich vielfach gewesen. Das evangelische Personal in den KZs
bzw. in den Vernichtungslagern hat sich z. B. damit gerechtfertigt, sich den Opfern
gegenüber nicht bösartig verhalten zu haben. Und das führt schließlich zu der Frage:
Ist ein evangelischer Henker vielleicht höflicher und zuvorkommender mit den Opfern
als ein Henker, der keiner der beiden Großkirchen angehört? Wie weit darf ein evangelischer
Judenverfolger gehen? Ist er im Unterschied zu nichtkirchlichen Antisemiten nur
"frei von Hassgefühlen und Racheinstinkten", wie es der Theologe und
Sektenbeauftragte Walter Künneth 1934 in seinem Gutachten über die "Ausschaltung
der Juden" formuliert? Und was hat das Opfer davon, wenn es ohne
Hass statt mit
Hass verfolgt, womöglich gefoltert und ermordet wird?
Die Kirche handelt heute verfassungswidrig,
wenn sie den Staat erneut zur Diskriminierung Andersgläubiger drängt oder es ihr
gelingt, ihre Lobbyisten sogar als "staatliche Sektenbeauftragte" zu
installieren. Sie handelt
allerdings – wie in der NS-Zeit – treu ihrer eigenen Zwei-Reiche-Lehre, die letztlich
im Widerspruch zur Verfassung eines demokratischen Rechtsstaates steht, der die
Religionsfreiheit einander gleich gestellter Glaubensgemeinschaften garantiert.
Sind die kirchlichen Bekenntnisse zu den Grundwerten der demokratischen
Verfassung heute also nur Lippenbekenntnisse oder Arrangements mit dem Staat?
Danach sieht es aus, denn die Institutionen Kirche haben Erfahrung damit, sich
jedem neuen Zeitgeist anzupassen. Die
Wurzeln für kirchliche Intoleranz und Verfolgung Andersdenkender
erkannt sind damit jedoch weder bereut noch bereinigt, was auch der Antwort auf
die Frage deutlich wird: Hat man sich bei den Verbrechen auf Betreiben
der früheren Amtsträger je um eine Wiedergutmachung
bemüht? Doch haben die Kirchenverantwortlichen nicht wenigstens einen
kleinen Bewusstseinswandel
in einigen Bereichen vollzogen? Oder sind es immer noch die gleichen, damals und
heute und immer noch im gleichen Modus, damals und heute?
Zwar versucht man heute z. B., die Reste damaliger jüdischer Gemeinden und neue
jüdische Gemeinden als Verbündete zu
gewinnen. Doch mit dieser eher bequemen "Sympathiewerbung" macht man
auch nichts anderes als das, was in der Gesellschaft durchgehend seit 1945
geschehen ist.
Gerne wird heute auch daran erinnert, dass auch in der NS-Zeit innerhalb der Kirche
"manches Positive" geschah, und hier ist man mit Fleiß bestrebt, weiter
Beispiele zu präsentieren, auch für "manches Positive" dort heute. Doch welchem Gesamtziel diente
und dient dann dieses
Positive? Wer steuert das Kirchenschiff und wohin? Und wem nützt "Positives",
das auf dem Deck des Schiffes geschehen mag, das Richtung Abgrund steuert? Oder
in einem anderen Bild gesprochen: Wenn man merkt, dass ein Zug in die
falsche Richtung fährt, nützt es nichts, innerhalb des Zuges die Richtung zu
wechseln und in Richtung der hinteren Waggons zu laufen.
Zu der Frage, ob die Kirchenverantwortlichen in den Spuren des Jesus, des
Christus, gehen, haben wir auch anderweitig deutlich Fakten aufgezeigt, z. B.
bei
verrat-an-jesus-dem-christus. Doch wenn die Kirchenführer nicht Christus folgen, wem folgen sie
dann?
Und was ist mit den Politikern? Lassen sie es zu, dass der Staat
nur im Schlepptau der Kirchenlehren und einer staatlichen Kirchenfinanzierung
gezogen wird? Oder schaffen es die Bürger wenigstens im 21. Jahrhundert,
die Taue zu kappen und mit dem Grundgesetz als Navigationsbuch selbst das Steuer
des Staatsschiffes in die Hand zu nehmen? Ohne von der Religion fremdbestimmt zu
sein.
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Die Stationen der sich anbahnenden Judenvernichtung sind überwiegend der Zeittafel in
Juden-Christen-Deutsche (siehe oben: Röhm)
entnommen, Band 1, S. 399-405. Einige der weiteren Informationen
entstammen der Zeittafel in Christen und Nationalsozialisten
(siehe oben: Denzler), S. 366-370
bzw. aus einer dpa-Meldung (zit. nach Hanauer Anzeiger vom
9.11.1998). Die Hinweise auf die katholischen Synodenbeschlüsse
finden sich ebenfalls in Juden-Christen-Deutsche, Band 1, S. 28-30.
Links:
Grabner-Haider, Anton, Die theologische Aufrüstung 1933-1945, Vier Teile,
c/o hpd.de, 29.9.2015 – 2.10.2015, u. a.
hpd.de/artikel/12228
(Dr. Anton Grabner-Heitner ist Professor für Religionsphilosophie
an der Universität Graz)
Fachliteratur zur
Kriegsdienstverweigerung im Dritten Reich:
(1) Moos, Reinhard: Vorwort in: Marcus Herrberger: Denn es steht geschrieben:
"Du sollst nicht töten!" Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter
dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939-1945),
Wien (2005), S. 5-9
(2) Mertens, A.: Katholische Kirche und Wehrdienstverweigerung im Zweiten
Weltkrieg; in: Hummel, K.-J./Kißener, M. (Hg.): Die Katholiken und das Dritte
Reich. Kontroversen und Debatten, Paderborn [u.a.] 2009, S. 197-215.
(3) Knab, J.: Katholische Kirche – Nationalsozialismus – Widerstand (2010)
[Erstveröffentlichung in: Aschbauer, I./Baumgartner, A./Girstmair, I. (Hg.):
Allein in der Tat ist die Freiheit – Freedom Lies in the Action Alone.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus religiöser Motivation – Resistance
Against National Socialism due to Religious Motivation. Wien: Edition Mauthausen
2010, S. 25-29] in: Bürger, P. (Hg): "Es droht eine schwarze Wolke". Katholische
Kirche und Zweiter Weltkrieg. Erster Band: Lesesaal – Diskussion – Impulse. pax
christi, Bundesvorstand und Kommission Friedenspolitik. Berlin: pax christi –
Deutsche Sektion e.V. (2015), S. 199-205
... nicht der Staat, oder wir,
seine Bürger. Über Jahrhunderte haben die Kirchen das Geld wehrloser Opfer [Juden,
Andersgläubige, "Hexen", Indianer usw.] geraubt, und auch heute noch bekommen sie
vom Staat [in Deutschland] jährlich ca. 20 Milliarden Euro Subventionen, die jeder
von uns mitzahlen muss. Die Kirchen waren auch die Wegbereiter des Antisemitismus,
dem Millionen jüdischer Mitbürger im letzten Jahrhundert zum Opfer fielen. Adolf
Hitler und Julius Streicher beriefen sich bei der Verfolgung der Juden auf Martin
Luther, der auf furchtbare Weise gegen jüdische Mitbürger hetzte (siehe dazu
Der Theologe Nr. 28). Nach dem antisemitischen
Landesbischof Meiser sind in vielen Städten noch immer Straßen benannt.
Und haben die Amtskirchen das Eigentum der auf ihr Betreiben Verfolgten und Ermordeten,
das sie vielfach beschlagnahmt hatten, an deren Nachkommen zurückgegeben?
Anmerkungen:
1) Bei den ca. 20 Milliarden Euro handelt es sich weder um die Kirchensteuer noch
um die weitgehende Staatsfinanzierung kirchlicher Sozialeinrichtungen in Caritas
und Diakonie (noch einmal ca. 50 Milliarden Euro jährlich). Es sind die zusätzlichen
Subventionen, die immer noch aus dem allgemeinen Steueraufkommen an die Kirchen
bezahlt werden.
2) Vgl. Martin Luther: Er fordert, dass man den Juden "nehme ...
alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold"
(siehe vorne).
Den Kirchen hingegen solle man Geld
geben.
Damit die ganze Wahrheit ans Licht kommt:
Im Jahr 2002 hielten die evangelischen
Landeskirchen immer noch Personalakten mit Informationen aus der Zeit des Dritten
Reiches verschlossen. Erst 50 Jahre nach dem Tod eines Amtsträgers wollen die Kirchen
Akteneinsicht ermöglichen, im Fall des 1956 verstorbenen Landesbischofs Hans Meiser
war dies also erst im Jahr 2006. Wir fordern: Immer gleich alle Archive öffnen!
Damit die ganze Wahrheit schneller ans Licht kommt!
PS: Noch immer gibt es
viele Hans-Meiser-Straßen und hängt das Bischof-Meiser-Porträt in der Amtsstube
des amtierenden Landesbischofs ...
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