Aktualisiert am 30.6.2022
Brief an die Nürnberger Nachrichten über die evangelisch-lutherischen Landesbischöfe Johannes Friedrich und Hans Meiser. Er erschien dort am 30.6.2006 unter der Überschrift "´Reiche Ernte` im Krieg" und wurde hier vom Autor geringfügig überarbeitet. Der Anlass: Der amtierende Landesbischof Johannes Friedrich setzte sich gegen zahlreichen Widerstand innerhalb und außerhalb der Kirche für die Beibehaltung der zahlreichen Meiserstraßen bzw. Bischof-Meiser-Straßen in Bayern ein (z. B. in München, Nürnberg, Ansbach, Bayreuth, Weiden, Kulmbach, Schwabach und Pullach).
Wenn Landesbischof Johannes Friedrich glaubt, sein Vorgänger Meiser habe
die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern „einigermaßen heil durch
das Dritte Reich gebracht“ (Nürnberger Nachrichten, 10.4.2006), dann
grenzt das schon an Zynismus. Oder was soll daran noch „heil“ sein, wenn
Meiser ab dem 18.5.1938 alle Pfarrer ohne Not zu folgendem Eid verpflichtet: „Ich
schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden: Ich werde dem Führer
des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein“?
Oder wenn er einem aktiven Kirchenmitglied wegen seiner jüdischen
Herkunft am 20.7.1937 – ebenfalls ohne Not – den Besuch der evangelischen Männerabende
verbietet? Oder am 29.10.1935 einen aus Thüringen stammenden Pfarrer
wegen seines jüdischen Vaters nicht in das Pfarrerdienstverhältnis
übernimmt?
Das Schicksal zahlloser evangelischer Kirchenmitglieder jüdischer
Herkunft war genauso schlimm wie das der übrigen jüdischen Mitbürger:
Sie kamen trotz ihres evangelisch-lutherischen
Glaubens und ihrer Kirchenmitgliedschaft in die Gaskammern. Trotz dieses
Sachverhalts setzte sich Landesbischof Meiser am
13.9.1935 nachdrücklich dafür ein, das Verhältnis der Kirche zu den
Nazis nicht durch die Thematisierung der „Judenfrage“ unnötig zu
belasten.
Andere Menschen, und auch hier überwiegend Kirchenmitglieder, sind an der Front
oder bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen. Viele ließen sich zuvor
von Leuten wie Landesbischof Meiser verführen, der am 29.9.1939
von den Kanzeln für die „reiche Ernte“ der deutschen Armee auf den
Schlachtfeldern in Polen danken ließ. Oder der die deutschen Soldaten zur
Tapferkeit aufrief und ihnen im Namen der Kirche am 30.10.1939
versicherte, dass „Gottes gewaltige Hand“ mit ihnen sei.
Und die Reihe der Opfer ließe sich noch erheblich erweitern, z. B. um
behinderte Mitbürger. Die Kirche kooperierte auch hier unter Berufung
auf die Staatslehre Martin Luthers mit den Nazis und lieferte die
„Schwächsten“ in den eigenen Reihen aus den Einrichtungen
der bayerischen Diakonie zur Ermordung aus, obwohl sich z. B. in Bethel in Nordrhein-Westfalen
zeigte, dass ein Protest die Ermordungen verhindert hat.
Was also meint Landesbischof Friedrich, wenn er sagt, Landesbischof Hans Meiser habe die
Kirche „einigermaßen heil durch das Dritte Reich gebracht“? Über wie
viel Tausend Leichen ist der Altlandesbischof dabei gegangen? Und wie
viel Leid hat er dabei zu verantworten? Doch es ist schon klar: Landesbischof Friedrich
meint bei diesem Plädoyer für die Verdienste Meisers natürlich nicht die
Menschen in der Kirche, sondern die Struktur der Kirche, die in der Tat
„heil“ geblieben ist. Man könnte sagen: Die Struktur ist geblieben und auch am Denken hat
sich seither gar nicht so viel geändert. Wie Landesbischof Johannes
Friedrich heute, so dachte auch sein Vorgänger Meiser früher offenbar nicht so sehr an die Menschen, die
dieser Kirchenpolitik zum Opfer fielen.
Und so knüpft die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in
Bayern leider bis heute an diese alten „Traditionen“ an und „bedenkt“ sie statt
sich davon zu distanzieren. So residiert sie auch selbstbewusst in der
Meiserstraße in München, während sich mancher Zeitgenosse dafür schämt,
in einer Straße zu wohnen, die diesen Namen trägt.
Dieter Potzel, Wertheim
Siehe dazu auch:
–
Der Theologe Nr. 11 – Der
Antisemit Hans Meiser als erster evangelischer Landesbischof Bayerns
– Interview mit D. Potzel, dem Autor dieser Zusammenstellung von Quellen und
Materialien über Landesbischof Meiser in der Abendzeitung Nürnberg vom
6.3.2006
Anmerkungen:
1) Auch Landesbischof Johannes Friedrich selbst steht im Zwielicht. So ließ er seine
"Weltanschauungsbeauftragten" Dr. Wolfgang Behnk und Michael Fragner
über religiöse Minderheiten heute herziehen (vgl. z. B.
theologe12.htm).
Ein Blick in die Geschichte
zeigt: In der Weimarer Republik und im Dritten Reich bekämpfte die
evangelische Kirche "Juden und Sekten" (siehe
theologe4.htm). Aus bekannten Gründen sind heute
nur noch die "Sekten" übrig geblieben.
2) Die Stadt Nürnberg benannte im Januar 2007 die
Bischof-Meiser-Straße schließlich in Spitalgasse um. Aufgrund des
anhaltenden Drucks zog die evangelische Kirche ihren Widerspruch zurück.
3) Die extrem evangelisch-lutherisch geprägte
Stadt Ansbach in der Nähe von Nürnberg hält jedoch an ihrer
Bischof-Meiser-Straße fest. Landesbischof Meiser ist dort Ehrenbürger.
An die verdienten und verfolgten Bürger jüdischer Herkunft wie
Dr. Arnold Loevry oder Ludwig
Dietenhöfer erinnert dort jedoch keine Straße.
Und der Verfasser des obigen Leserbriefes wurde 1996 mit fadenscheinigen
Gründen vom Marktplatz der Stadt vertrieben, wo er lange Zeit
unbeanstandet hochwertigste Nahrungsmittel aus kontrolliert-ökologischem
friedvollem Anbau zum
Verkauf angeboten hatte. Der Vorwand: Es gebe noch einen weiteren
Anbieter ähnlicher Waren, der näher an Ansbach wohne und dem keine
Konkurrenz gemacht werden sollte. Tatsächlich war
das Sortiment beider Anbieter sehr verschieden, und so nützte es auch
nichts, dass der Ausgegrenzte einen Zweitwohnsitz in unmittelbarer Nähe
von Ansbach eröffnete. Der eigentliche Grund für die Vertreibung war
nämlich der
urchristliche Glaube, der den evangelischen Seilschaften ein Dorn im
Auge war. Nur wenige Tage vor der Kündigung zog der lutherische
Sektenbeauftragte Dr. Wolfgang Behnk in Ansbach öffentlich über den
Glauben des Marktbetreibers her, was auch in der Zeitung zu lesen war. Der Geist Bischof Meisers, dessen Kirche einst
zum Beispiel auch das Verbot der Zeugen Jehovas
voran trieb, ist bis heute brutal lebendig in Ansbach.
4) Anlässlich der geplanten Umbenennung der Meiserstraße
in München drohte Landesbischof Johannes Friedrich der Stadt jetzt
sogar mit einer Klage. Und einige Kreise der Kirche wollten für die
Meiserstraße öffentlich demonstrieren. Dazu der damalige Münchener
Oberbürgermeister Christian Ude: "Es entspräche einer Tradition, wenn
die evangelische Kirche in Bayern die Belange ihrer Organisation
wichtiger nähme als die wirklich großen Probleme."
(Der Spiegel Nr.
29/2007)
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