Papst betet um Bewahrung
 vor gesundem Menschen–
verstand

Angriff auf Bildungseinrichtungen wie Universitäten, wissenschaftliche Institute und Schulen

Der Theologe Nr. 71, aktualisiert am 23.8.2022



Theologen als Durcheinanderbringer

Das komplizierte und absurde kirchliche Dogmengebäude

Papst: Das Schlimmste seien die "Irrlichter der Vernunft"

Ex-Papst Ratzinger: Glaube befreit Vernunft von "Verblendungen"

Worüber sprach der damalige Papst mit den deutschen Verfassungsrichtern?

Päpstliches Lob der "spirituellen Verrücktheit" – Soll der "kranke Menschenverstand" gefördert werden?

Wozu dann noch Psychiatrien?

Woran Katholiken glauben müssen

Wer nicht alles glaubt, soll in eine ewige Hölle

Martin Luther: Die Vernunft als "höchste Hure" des Teufels

"Ich glaube, weil es absurd ist"

Gott, die All-Intelligenz, hat keine Geheimnisse, nur die Kirche

Wissenschaft muss sich dem Dogma unterordnen

Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Galilei wurde nicht rehabilitiert

Es soll gegen das eigenständige Denken vorgegangen werden


Sollen die Universitäten und Schulen, wie sie heute noch üblich sind, geschlossen werden?

Priester und Schriftgelehrte haben "den Schlüssel der Tür zur Erkenntnis weg genommen"

Hat der Papst seinen gesunden Menschenverstand verloren?

Auf Christus ruht der "Geist der Wahrheit und des Verstandes, der Geist der Erkenntnis"

"Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen!"

Schatten über Europa: Die Bildungsfeindlichkeit der Kirche


Aufklärung und Menschenrechte gegen erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft

Gesunder Menschenverstand für die Kirche immer gefährlicher

Verbrechen mit dem Kruzifix in der Hand


Der Zustand dieser Welt – Haben die "Heiligen" auch ihren Verstand abgegeben?

Der gesunde Menschenverstand als Wegweiser zu Gott

Gott hat uns die Vernunft geschenkt

 



Am 20. April 2013 predigte der Papst in der Morgenmesse im Vatikan über den gesunden Menschenverstand, und er schloss seine Predigt laut Radio Vatikan mit den Gebetsworten: "Herr, befreie uns von der Versuchung des gesunden Menschenverstands." Dieses Gebet ist für uns der Anlass, einmal nachzufragen: Welche Geisteshaltung hat der Papst? Wie kommt er dazu, so zu beten? Was also bedeutet die "Versuchung des gesunden Menschenverstands", wie der Papst es nennt, für Kirchenmitglieder, für Politiker, für Wissenschaftler, Lehrer oder auch für andere Verantwortliche in Bildung und Erziehung? Der Papst betet hier also, dass uns der "Herr", also offenbar Jesus oder Gott, vor der Versuchung des gesunden Menschenverstands befreien möge. Normalerweise denkt man jedoch bei dem Wort "gesunder Menschenverstand" an etwas Positives.

Theologen als Durcheinanderbringer

Es ist auch etwas Positives, aber der Papst ist eben Theologe, und die Theologen sind meistens "Durcheinanderbringer", weil sie versuchen, Gott und Jesus, den Christus, mit ihrem Intellekt zu studieren. Das ist aber nicht möglich. Unzählige Gottsucher bezeugen: Man kann die Nähe Gottes im eigenen Herzen erfahren, wenn man Seine Gebote hält und tut, was Jesus lehrte, und dafür braucht es keine Theologie.
In dem angesprochenen Zusammenhang, wo es um den gesunden Menschenverstand ging, versuchte der Papst, wie es die Theologen immer tun, Jesus mit der Kirche zu vergleichen, ja mehr oder weniger gleich zu setzen, und die Warnung von Papst Bergoglio vor dem gesunden Menschenverstand war dann seine Schlussfolgerung aus diesem Vergleich. Die Einzelheiten der Predigt* würden an dieser Stelle zu weit führen. Wir haben sie geprüft, und man kann sie drehen, wenden, dehnen und interpretieren, wie man will. Entscheidend ist, was am Ende übrig bleibt und was dabei heraus kommt, und das ist eben diese päpstliche Warnung. Und da sollten die Alarmglocken läuten, denn hier wird ein kostbares Gut der Menschen, der gesunde Menschenverstand, von der Kirche als etwas letztlich Negatives dargestellt.  Doch mit Jesus hat das nichts zu tun.

Bevor wir näher auf das Thema "Gesunder Menschenverstand" eingehen, deshalb noch eine Vorbemerkung: Die Kirche vergleicht sich zu Unrecht mit Jesus von Nazareth: Jesus hat weder eine Kirche gegründet noch Theologen oder Priester gewollt noch Dogmen verkündet. Er hat auch nicht gesagt, dass man Kirchen aus Stein bauen soll. Jesus war ein vernünftiger und mutiger junger Mann des Volkes und verfügte mehr als alle anderen Seiner Zeitgenossen auch über gesunden Menschenverstand. Seine Gegner jedoch waren die damaligen Theologen und Priester, denen Jesus entgegen hielt: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten" (Matthäusevangelium, Kapitel 23). Und wie ist es heute?

Foto: Papst Bergoglio mit Adjutanten auf dem Balkon auf dem Petersplatz in Rom: "Gott" möge uns vor dem gesunden Menschenverstand bewahren (Creative Commons Attribution 3.0 Unported license c/o Wikimedia Commons; Tenan)

Das komplizierte und absurde kirchliche Dogmengebäude

Vergleicht man einmal das komplizierte Dogmengebäude der Kirche, dem ca. eine Milliarde Katholiken Gehorsam leisten müssen, dann zeigt sich: Das ist etwas völlig anders als das, was Jesus gelehrt hat. Es enthält zum Beispiel den Glauben an eine ewige Hölle, an eine Jungfrauengeburt Seiner Mutter Maria, an eine Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramts, an die Wunderwirkung von Reliquien, an eine angebliche Verwandlung einer Oblate in den Leib von Christus oder dass der Leib Seiner Mutter Maria nicht im Grab verwest sei, sondern direkt in den Himmel aufgefahren sei und, und, und ...  
Und auch wenn der Name "Jesus" hierfür verwendet wird – für immer mehr Menschen hat das nichts mehr mit Jesus zu tun, und sie betrachten die kirchlichen Dogmen als ein vielfach absurdes Lehrgebäude. Und deshalb sagen sie: "Jetzt schalten wir mal unseren gesunden Menschenverstand ein, und der sagt uns: ´Dies und vieles mehr, was die Kirche lehrt, das kann doch nicht stimmen.`" Und deshalb gehen sie auf Distanz. Und genau hier setzt nun der Papst an und warnt die Gläubigen. Und es treten ja tatsächlich viele Menschen jedes Jahr aus den großen Kirchen aus.

Und so wundert es nicht, dass in der Gebetsbitte des Papstes "Herr, befreie uns vor der Versuchung des gesunden Menschenverstands" auch eine Drohung liegt. Denn wer dieser Versuchung erliegt, so der Papst weiter, lebe angeblich nicht mehr in der "Gegenwart Gottes" (de.radiovaticana.va, 20.4.2013). Und das bedeutet nach der Lehre der Kirche auch: Er muss später in eine ewige Hölle und deshalb ist das eben auch eine schwerwiegende Drohung.
Der neue Papst hat ja kurz nach seiner Wahl schon viel von sich reden gemacht, der neue Papst Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien, nicht nur mit dem außergewöhnlichen Namen Franziskus, sondern auch mit kleinen Gesten, die Bescheidenheit und Volksnähe signalisieren sollten. So dachte sich vielleicht so mancher: Hat er sich vielleicht aus Versehen versprochen? Doch dann wäre sicher spätestens am Tag darauf ein Dementi erfolgt, zumal das offizielle Medium des Vatikans, Radio Vaticana, den zitierten Satz: "Herr, befreie uns von der Versuchung des gesunden Menschenverstands" sogar zur fett gedruckten Überschrift seiner Meldung gemacht hatte

Papst: Das Schlimmste seien die "Irrlichter der Vernunft"

Diese Aussage von Papst Bergoglio ist also wohl ernst gemeint. Das belegt auch ein anderes Zitat, das der Pontifex aus Argentinien als Kardinal von Buenos Aires in einem seiner Bücher geschrieben hat. Die Welt am Sonntag hat es am 14. April 2013 abgedruckt. Es lautet: "Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er sich von den ´Irrlichtern` der Vernunft führen lässt."
Das geht ja in die gleiche Richtung. Und da kann man sich schon die Frage stellen: Wenn die Vernunft also mit "Irrlichtern" in Verbindung gebracht wird und das Schlimmste" hervorbringen soll, "was einem Menschen passieren kann", dann kann man doch nur daraus schließen: Die Warnung des Papstes vor dem gesunden Menschenverstand war offensichtlich kein einmaliger Ausrutscher. Sondern hier kommt für mich eine grundlegende Überzeugung des obersten vatikanischen Kirchenführers zum Vorschein, wenn nicht sogar ein Grundthema der Vatikankirche schlechthin.

Ex-Papst Ratzinger: Glaube befreit Vernunft von "Verblendungen"

Das belegt auch ein kurzer Rückblick auf den Vorgänger Bergoglios, Papst Joseph Ratzinger, der zwar nicht so direkt vor der Vernunft warnt wie sein Nachfolger. Doch er unterwirft die Vernunft der katholischen Lehre. Das klingt dann so: Die Vernunft brauche, so Papst Ratzinger, als unentbehrliche Stütze den Glauben. Dieser – so wörtlich –  "befreit sie ... von ihren Verblendungen und ... ermöglicht der Vernunft, ihr eigenes Werk besser zu tun." (Ansprache vom 25.2.2012, zit. nach vatican.va)
Das heißt doch: Der frühere Papst Joseph Ratzinger hat seine geringe Wertschätzung der Vernunft des Menschen und des gesunden Menschenverstandes nur etwas intellektueller formuliert als heute Jorge Bergoglio.

Worüber sprach der damalige Papst mit den deutschen Verfassungsrichtern?

Zur Erinnerung: Papst Ratzinger besuchte im Jahr 2011 Deutschland. Er hatte sich damals zum Beispiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den deutschen Verfassungsrichtern im Freiburger Priesterseminar getroffen. Ging es damals vielleicht auch schon um dieses Thema? Dass also der katholische Glaube die Vernunft von ihren angeblichen Verblendungen befreien solle? Auf unsere Anfrage an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, erhielten wir ein am 21.5.2013 datiertes und von Dr. Wilfried Holz unterzeichnetes Schreiben mit der Antwort: "Bei dem Treffen zwischen dem Papst und Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts im September 2011 in Freiburg i.Br. handelte es sich lediglich um eine protokollarische Begegnung ohne inhaltlichen Austausch. Die Sie interessierenden Fragen des Verhältnisses von Glauben und Vernunft wurden folglich nicht erörtert." Das jedoch ist kaum vorstellbar. Da wird unter allerhöchsten Sicherheitsvorkehrungen ein deutschlandweit mit höchster Aufmerksamkeit registriertes Treffen organisiert, und dann soll dies "ohne inhaltlichen Austausch" gewesen sein. Dann würde es sich hier allein schon deswegen um eine massive Steuerverschwendung handeln. Vielleicht war es in der Tat kein inhaltlicher "Austausch" über die "Fragen des Verhältnisses von Glauben und Vernunft", sondern die katholischen Richter haben gemäß dem kirchlichen Rechtsbuch Codex Iuris Canonici, Canon 210 ("Alle Gläubigen müssen je nach ihrer eigenen Stellung ... das Wachstum der Kirche ... fördern") vom Papst entsprechende Anweisungen erhalten. Doch wie gesagt: Offiziell war es "lediglich" "eine protokollarische Begegnung".
So möchten wir an dieser Stelle auch wieder zu Papst Bergoglio zurück kommen, denn seine Aussagen über die Versuchung des gesunden Menschenverstands waren ja öffentlich. Doch von Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens kamen kaum Reaktionen. Wie ist das erklärbar?

Päpstliches Lob der "spirituellen Verrücktheit" – Soll der "kranke Menschenverstand" gefördert werden?

Die meisten Politiker haben sich wohl gescheut, einmal über das Gesagte wirklich nachzudenken. Dabei sollte man den Papst hier wirklich beim Wort nehmen. Wenn er also vor dem gesunden Menschenverstand warnt, was kann er dann stattdessen wollen? Vielleicht kommen wir der Sache ja näher, wenn man einmal fragt: Was ist das Gegenteil vom gesunden Menschenverstand? Was soll dann von der Kirche gefördert werden? Etwa der kranke Menschenverstand? Wir wissen es nicht, es ist nur eine Frage.
Laut Radio Vatikan hat der Papst an 16. Mai 2013 noch etwas in diese Richtung gesagt. Da lobte er in einer Ansprache den Apostel Paulus wegen seiner, so wörtlich "spirituellen Verrücktheit" (zit. nach de.radiovaticana.va). Es ist bezeichnend, dass es gerade diese Eigenschaft ist, welche der Papst an Paulus lobt.

Wozu dann noch Psychiatrien?

Wenn man diese Gedanken konsequent weiter verfolgt, dann ergeben sich daraus noch weitere Fragen: Dass religiöse Indoktrination zu schweren psychischen Schäden führen kann, ist heute unter dem Stichwort "ekklesiogene Neurosen" bekannt. In psychiatrischen Einrichtung leben viele Menschen, die aufgrund ihrer kirchlich-religiösen Vorstellungen, ihrer Höllenängste, mit den Leben nicht mehr zurecht kamen und darüber buchstäblich, wie der Volksmund sagt, den Verstand verloren haben. Und in diesen Einrichtungen versucht man den Menschen zu helfen, dass sie wieder ihren gesunden Menschenverstand finden. Wenn jetzt aber der Papst eine ganze Gesellschaft ohne gesunden Menschenverstand will, denn er betet ja um die Befreiung vom gesunden Menschenverstand, dann muss man sich doch zugespitzt die Frage stellen: Betet der Papst hier für eine flächendeckende Gehirnwäsche? Und wenn das eintreten würde, wozu bräuchte man dann noch eigene psychiatrische Einrichtungen, in denen die Menschen ihren gesunden Menschenverstand wieder finden könnten? Das wäre dann ja gar nicht erwünscht.

Woran Katholiken glauben müssen

Es geht aus unserer Sicht nicht darum, irgendeinem unserer Mitmenschen seinen Glauben oder seine moralische Integrität abzusprechen. Jeder kann und soll selbstverständlich glauben, was er möchte. Es ist aber durchaus angebracht, Aussagen von Institutionen und deren Vorstehern kritisch zu hinterfragen und natürlich auch die Dogmen und Lehrsätze einer Religion. Und bei der katholischen Kirche ist es so, dass die Dogmen der Kirche in dicken Büchern fertig ausformuliert sind, und dass sie im Grunde auch für jeden Katholiken verbindlich sind. Das muss von jedem geglaubt werden. Das ist zum Beispiel schon so ein Dogma: dass es eine ewige Hölle gibt für jeden, der nicht an alle kirchlichen Dogmen glaubt. Ist das nicht absurd, wenn man sich das vorstellt? Oder wie soll man es nennen, wenn geglaubt werden muss, dass Jesus keinen leiblichen Vater hatte? Oder wenn man glauben muss, dass alle Menschen bei ihrer Zeugung als Embryo mit einer Erbsünde befleckt worden sein sollen und dass sie schon alleine deshalb später in eine ewige Hölle sollen, wenn sie nicht spätestens am Ende ihres Lebens die so genannten Gnadenmittel der Kirche in Anspruch nehmen? Wie kann man es nennen, wenn man glauben soll, dass es nötig sei, schon Babys diese angebliche Erbsünde zu vergeben, oder wenn man lehrt, dass einzig Maria von dieser Erbsünde ausgenommen sein soll? Das sind aber jetzt nur einige wenige, spontan herausgegriffene Beispiele für das, was die Vatikankirche, der Papst Bergoglio vorsteht, in ihren umfangreichen Dogmensammlungen aufgelistet hat. Nur an den gesunden Menschenverstand darf man nicht glauben.

Wer nicht alles glaubt, soll in eine ewige Hölle

Nun könnte man zwar sagen: Papier ist geduldig, und es steht ja jedem Katholiken frei, solche Aussagen für wahr zu halten oder nicht. Und die anderen ca. sechs Milliarden Menschen braucht es ja ohnehin nicht zu interessieren. Die katholische Kirche sieht das aber anders. Nach katholischer Lehre muss nicht nur jeder Katholik, sondern im Grunde jeder Mensch alles ohne Ausnahme glauben, was die Kirche lehrt, wenn er nicht früher oder später in die angeblich ewige Hölle kommen will. Es ist jedem Katholiken daher nur zu empfehlen, einmal in einem Dogmenbuch zu lesen und das selbst nachzuprüfen. Dass tatsächlich alles geglaubt werden muss, geht unter anderem aus dem Lehrsatz Nr. 915 in der Dogmen- und Lehrsatzsammlung von Neuner und Roos hervor mit dem Titel Der Glaube der Kirche. Dort heißt es wörtlich:
"Wer da selig werden will, der muss vor allem den katholischen Glauben festhalten; wer diesen nicht in seinem ganzen Umfange und unverletzt bewahrt, wird ohne Zweifel ewig verloren gehen."

Dies hat zur Folge, dass beispielsweise auch die Protestanten ewig verloren gehen sollen. Und das ist entgegen der Meinung vieler Menschen immer noch der aktuelle Glaube der Kirche, trotz Ökumene. Die Päpste haben sie bis heute nicht geändert, sondern schweigen lieber darüber. Insofern wäre es durchaus empfehlenswert, nicht nur für Katholiken, sondern für alle Bürger, einmal in diesen Dogmensammlungen zu lesen. Insbesondere wären hier auch die Politiker gefragt, die bisher dafür gestimmt haben, dass der Staat den nicht gerade armen Institutionen Kirche Jahr für Jahr ungefähr 20 Milliarden Euro an Subventionen und Steuerbefreiungen zukommen lässt. Und wofür? Darf man der Kirche Milliardensubventionen geben, womit sie praktisch die Unvernunft unter die Leute bringen, wenn sie den gesunden Menschenverstand derart herabwürdigen? Da müssten doch auch einmal die Wähler aufwachen.
20 Milliarden Euro jährlich Staatssubventionen für beide deutschen Großkirchen, das zur Verdeutlichung. Da stellt sich natürlich auch die Frage: Wie hält es die evangelische Kirche mit dem gesunden Menschenverstand?

Martin Luther: Die Vernunft als "höchste Hure" des Teufels

Man könnte hier von einer Art "Ökumene" gegen den gesunden Menschenverstand sprechen. Ich denke hier zunächst an Martin Luther, der diese Art von Ökumene schon vorbereitet hat, als er sagte, die Vernunft ist eine Hure des Teufels. Wörtlich: Die Vernunft "ist die höchste Hure, die der Teufel hat". Oder: "Wer ... ein Christ sein will, der ... steche seiner Vernunft die Augen aus" (theologe3.htm).

Dazu passen auch die Pamphlete gegen den Humanisten Erasmus von Rotterdam. Luther bestritt ausdrücklich, dass der Mensch einen freien Willen hat. Er lehrte einen willkürlichen und strafenden Gott und manches mehr, was man als unvernünftig bezeichnen könnte, darunter auch eine angeblich ewige Hölle oder auch, dass der Glaube allein für das Seelenheil genüge, obwohl Jesus immer wieder auf das rechte Tun hinwies, nie auf einen bestimmten Glauben allein.
Hinzu kommt: Luther drohte jedem, der anders lehrte als er, Luther, mit der Todesstrafe – und wenn es der "Engel Gabriel vom Himmel" wäre theologe3.htm). Und in der Folgezeit bestreitet die lutherische Kirche beispielsweise bis heute, dass ein Mensch in Glaubensdingen einen freien Willen habe. Das ist sicher nur wenigen bekannt. Zusammenfassend kann man sagen: Auch die Evangelische Kirche verschließt sich von daher dem gesunden Menschenverstand.

"Ich glaube, weil es absurd ist"

An dieser Stelle weitere Fakten aus den katholischen Dogmensammlungen zum Thema "Vernunft und gesunder Menschenverstand". Das kann vielen helfen, die Warnung von Papst Bergoglio vor der Versuchung des gesunden Menschenverstandes besser einordnen zu können.
In der vorhin schon zitierten Dogmensammlung bei Neuner und Roos (siehe oben) ist unter Randnummer 55 zu lesen:
"Wer sagt, in der göttlichen Offenbarung gebe es nicht wahre Geheimnisse im eigentlichen Sinn, sondern die Glaubenssätze könnten durch die richtig gebildete Vernunft von den natürlichen Grundsätzen aus verstanden und bewiesen werden, der sei ausgeschlossen", also ewig verdammt.
Das heißt: Man gibt zu, dass man mit der Vernunft nicht weiter kommt. So wie ja auch in der Kirche der Antike ein Satz verbreitet wurde, der lautete: "Credo, quia absurdum", also: "Ich glaube, weil es absurd ist". Dieser verschiedentlich dem Kirchenheiligen Augustinus zugeschriebene Satz stammt offenbar von dem altkirchlichen Theologen Tertullian, ist aber bezeichnend für die Geisteshaltung vieler Kirchenoberer.
Und wenn darauf hin jemand einwendet, es handele sich also nur um Absurditäten, um Erfindungen, um Unwahrheiten, dann antwortet man mit dem nebulösen Begriff "Geheimnis". Und allen Menschen werden darüber hinaus ewige Höllenstrafen angedroht, die mit ihrer, so der Lehrsatz wörtlich "richtig gebildeten Vernunft" die angeblichen Geheimnisse der Kirche lüften möchten.

Gott, die All-Intelligenz, hat keine Geheimnisse, nur die Kirche

Es ist also die Kirche, die Geheimnisse hat, nicht Gott. Gott hat keine Geheimnisse, sondern Er lässt sich erfahren. Er möchte, dass wir Seine Werke verstehen. Jesus sprach vom Geist der Wahrheit, und Er wollte den Menschen damit auch den gesunden Menschenverstand näher bringen. Denn wie soll man ohne gesunden Menschenverstand erkennen, welches der "Geist der Wahrheit" ist?
Man kann sich immer wieder bewusst machen: Gott ist der All-Logos, die All-Intelligenz. Die ganze Schöpfung gibt Zeugnis von der göttlichen Logik, die auch der menschliche Verstand erfassen kann.
Etwas salopp gesagt: Gott ist schließlich kein Depp und Er will auch keine "depperten" Kinder! Oder kann man sich wirklich vorstellen, dass Gott, die All-Intelligenz, sich Kinder wünscht, die sich durch Aberglauben und starre Lehrsätze beschränken lassen? Er ist doch der Freie Geist, der uns als Seine freien Kinder sieht, die Ihm in ihrer Erfahrung immer näher kommen dürfen, indem sie Seine Gebote befolgen.  
Der ganze Kosmos zeugt von Verstand und Logik, so dass der Mensch die Größe Gottes erahnen kann. In diesem Sinne gilt im Gegensatz zu Papst Bergoglio: Welch ein Segen liegt im gesunden Menschenverstand, denn er ist für mich ein Wegweiser zu Gott, der All-Intelligenz. Denn man muss messen und wägen können, eigenständig denken können.

Wissenschaft muss sich dem Dogma unterordnen

Apropos "Wägen und Messen". Wie steht die Kirche eigentlich zur Wissenschaft?
Dazu ein weiteres Zitat aus der Dogmensammlung Der Glaube der Kirche von Josef Neuner und Heinrich Roos (siehe oben), und zwar den Lehrsatz mit der Randnummer 56:
"Wer sagt, die menschlichen Wissenschaften müssten mit solcher Freiheit behandelt werden, dass ihre Behauptungen … von der Kirche nicht verworfen werden könnten, auch wenn sie der geoffenbarten Lehre widersprächen, anathema sit", also "der sei verflucht".
Das heißt: das Dogma steht eindeutig über der Wissenschaft. Und das bedeutet: Der Wissenschaftler wird von der katholischen Kirche ewig in der Hölle verdammt, wenn er zu anderen Ergebnissen als die Kirche kommt.
Noch deutlicher wird es in der Randnummer 57
"Wer sagt, es sei möglich, dass man den von der Kirche vorgelegten Glaubenssätzen entsprechend dem Fortschritt der Wissenschaft gelegentlich einen anderen Sinn beilegen müsse als den, den die Kirche verstanden hat und versteht, der sei verflucht", der muss also laut Kirchenlehre später in eine ewige Hölle. Das heißt, der Fortschritt der Wissenschaft wird nur erlaubt, wenn er nichts an den Dogmen und bisher gültigen Kirchenlehren ändert.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Galilei wurde nicht rehabilitiert

Genau das war zum Beispiel der Fall bei Galileo Galilei. Galilei hatte herausgefunden, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, und er wurde deshalb im Jahr 1633 von der Inquisition zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Wie hartnäckig die Kirche an ihren Glaubenssätzen festhält, sieht man auch daran, dass der Konflikt der Kirche mit Galieo Galilei entgegen landläufiger Meinung immer noch nicht ausgestanden ist. Galilei wurde nämlich nicht von Papst Karol Wojtyla im Jahr 1979, also über 300 Jahre später, rehabilitiert, wie verschiedentlich falsch berichtet wurde. Johannes Paul II. kündigte lediglich eine "Überprüfung des Falles" an – auf die wir allerdings bis heute warten.
Papst Wojtyla tat also genau das, was in der Dogmensammlung von Neuner und Roos steht. Er wich nicht von den Verfluchungen und Verurteilungen der Vernunft ab, die dort stehen, und er sagte nie klar und deutlich "Die Kirche und ihre Dogmen haben hier geirrt". Und Papst Bergoglio macht das offensichtlich auch nicht. Aber wenn es in der Geschichte immer nach den Päpsten gegangen wäre, dann würden wir heute wohl immer noch glauben, dass wir auf der Erde auf einer Scheibe leben – um es einmal unverblümt zu formulieren.

Es soll gegen das eigenständige Denken vorgegangen werden

So mancher Kirchenfreund wendet hier ein: Die Verdammungsurteile mögen ja in den Büchern stehen. Aber heute wird niemand mehr auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
"Heute nicht mehr", so könnte man antworten. Doch die ungezählten Dogmen mit den Verfluchungen wurden nie zurückgenommen. Und wenn jetzt vor dem gesunden Menschenverstand gewarnt wird, soll offenbar wieder einmal gegen das eigenständige Denken vorgegangen werden.

Sollen die Universitäten und Schulen, wie sie heute noch üblich sind, geschlossen werden?

Umgekehrt: Wenn wir uns alle also ab jetzt an das Gebet des Papstes halten und der Versuchung des gesunden Menschenverstands widerstehen, dann hätte das doch Konsequenzen. Was soll jetzt kommen? Sollen die Universitäten bald geschlossen werden? Mit Ausnahme natürlich der theologischen Fakultäten, denn da spielt der Verstand keine oder eben nur eine untergeordnete Rolle, weil er sich zuallererst dem Dogma und dem kirchlichen Bekenntnis unterordnen muss. Nehmen wir doch den Papst mal beim Wort und denken weiter: Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Schulen, wie sie heute üblich sind, wenn doch die Versuchung des gesunden Menschenverstandes letztlich vom Teufel kommen soll? Das klingt vielleicht krass, aber wäre das nicht die logische Konsequenz, wenn man den Papst beim Wort nimmt? 
Doch die heute schon aktuelle Frage ist: Wie soll sich da der Staat verhalten? Darf der Staat zum Beispiel den konfessionellen Religionsunterricht an staatlichen Schulen finanzieren – denn das tut er mit sage und schreibe drei bis vier Milliarden Euro im Jahr –, damit Kinder und Jugendliche auf diese oder ähnliche Weise ebenfalls vor dem gesunden Menschenverstand gewarnt werden?

Priester und Schriftgelehrte haben "den Schlüssel der Tür zur Erkenntnis weg genommen"

Ein einziger Satz aus dem Munde eines Papstes kann also sehr viele Fragen aufwerfen. Hier soll nun gegenüber gestellt werden: Was sagen denn die wahren Gottespropheten dazu?
Zum Beispiel durch den Propheten Hosea: Durch ihn spricht Gott: "Mein Volk kommt um, weil ihm die Erkenntnis fehlt."
Und warum fehlt dem Volk die Erkenntnis? Dazu Hosea: "Weil du, [Priester], die Erkenntnis verworfen hast. (4, 6)
Und deshalb warnte auch Jesus von Nazareth vor den Priestern und Schriftgelehrten, und Er hielt ihnen Seine Weherufe entgegen. So heißt es in der Bibel der Kirche, im Lukasevangelium, Kapitel 11:
"Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Tür zur Erkenntnis weg genommen! Ihr selbst seid nicht hinein gegangen, und die, die hinein gehen wollten, habt ihr daran gehindert!" (Vers 52)
Wen hat nun Hosea und wen hat Jesus mit Seinen Weherufen gemeint? Haben sie nur die Priester und Schriftgelehrten ihrer Zeit gemeint? Dank des gesunden Menschenverstands kann man wissen, was und wer damit gemeint ist. Und immer mehr Menschen merken es aufgrund ihres gesunden Menschenverstands, wer heute damit gemeint ist.

Wenn man den Sachverhalt bis hierher einmal zusammenfasst: Jesus wirft den damaligen Theologen also vor, den Menschen die Erkenntnis weg genommen zu haben. Und heute warnt der oberste Theologe der Kirche die Menschen vor der Versuchung des gesunden Menschenverstandes? Oder vor den "Irrlichtern der Vernunft", wie wir gehört haben.
Es gibt also Parallelen zwischen Jesus und den Gottespropheten auf der einen Seite und den damaligen und heutigen Theologen auf der anderen Seite.

Hat der Papst seinen gesunden Menschenverstand verloren?

Wir möchten an dieser Stelle aber noch etwas genauer hinschauen: Wen hat der Papst mit seinen Worten genau gemeint?
Wörtlich kritisiert der Papst folgende Menschen: "Es sind Christen mit gesundem Menschenverstand, aber nicht mehr – sie gehen auf Distanz. Wenn wir so wollen: Satelliten-Christen ..."
Jorge Bergoglio meint damit offenbar die Menschen, die der Kirche zwar noch nicht den Rücken gekehrt haben, die aber kurz vor diesem Schritt stehen und innerlich längst auf Distanz gegangen sind, und zwar aufgrund des gesunden Menschenverstands. Das Bild der "Satelliten-Christen" beschreibt also wohl Christen, die das Zentrum der Kirche und des kirchlichen Glaubens nur in großem Abstand umkreisen wie ein Satellit z. B. die Erde umkreist anstatt richtig dazu zu gehören.
Der Papst selbst jedoch steht im Zentrum der Kirche mit ihren ganzen Dogmen. Bedeutet das, dass er zu den Menschen gehört, welche der Versuchung des gesunden Menschenverstand widerstanden hat? Oder anders gefragt: Hat er damit selbst seinen gesunden Menschenverstand verloren?
Wenn man die Fragen so pointiert formuliert, wird einem die Tragweite dieser Aussage von der Abkehr vom gesunden Menschenverstand erst so richtig bewusst, und es wird auch sicher gleich der Widerspruch kommen: "Nein. Also, das kann doch nicht sein." Aber wenn das nicht so ist, dann ist der Papst doch auch nur ein solcher Satelliten-Christ? Gemäß seinen eigenen Worten. Denn die Christen mit gesundem Menschenverstand sind für ihn ja nur "Satelliten-Christen".
Und so könnte man auch jeden Katholiken einmal fragen: "Sie sind Katholik? Müssen Sie sich dann auch vor Ihrem gesunden Menschenverstand hüten, wovon der Papst kürzlich sprach?"

Auf Christus ruht der "Geist der Wahrheit und des Verstandes, der Geist der Erkenntnis"

An dieser Stelle noch einmal zurück zu Jesus von Nazareth und den Gottespropheten zurück kommen. Jesus war ja ein eher einfacher Mensch aus dem Volk, von Beruf Zimmermann. Ein Mann ohne intellektuelle Bildung. Aber offenbar mit "gesundem Menschenverstand". Der Verstand und die Weisheit von Jesus kamen bei Ihm schon im Kindesalter zum Vorschein. Im Lukasevangelium der Bibel steht über den zwölfjährigen Jesus: "Und alle, die Ihm zuhörten, verwunderten sich über Seinen Verstand und Seine Antworten." (2, 47)
Und genau das war es ja auch, was der Gottesprophet Jesaja bereits einige Jahrhunderte vor dem Kommen von Christus angekündigt hatte:
"Auf Ihm [also auf dem Christus], wird ruhen der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn … Denn das Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser das Meer bedeckt." (Jesaja 11, 2)
Also: Die Gottespropheten, Jesus und die Weisheit und der Verstand. Das gehört zusammen.

"Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen!"

Und die damalige Priesterkaste, das waren die erbitterten Gegner von Jesus, gegen die Er bekanntermaßen deutliche Worte sprach, etwa:
"Sie sind blinde Blindenführer. Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen beide in die Grube." (Matthäus 15, 14)

Und auch der Gottesprophet Jesaja meinte die Priesterkaste, als er sagte:
"Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen." (Jesaja 5, 20)

Und wie zur Bestätigung dieser prophetischen Worte finden wir dann später im 16. Jahrhundert die Aussage von Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens, dem auch Papst Jorge Bergoglio angehört. Ignatius hat für die Jesuiten folgende Regel aufgestellt:
"Ich glaube, dass das Weiße, das ich sehe, schwarz ist, wenn die hierarchische Kirche es so definiert."
(Ignatius von Loyola, Die Exerzitien, übertragen von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1962, Nr. 365)
Trifft hier nicht genauso zu, was der Gottesprophet Jesaja über die Theologen seiner Zeit lehrte: "Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen."

Und ist es nicht wiederum der gesunde Menschenverstand, der mir erlaubt, das Weiße, das ich sehe, auch als weiß zu bezeichnen? Wir müssen diesen Verstand nur gebrauchen. Er befreit uns von den äußeren Religionen, die Jesus von Nazareth nie gewollt hat. Er, der große Liebe- und Weisheitslehrer, trat für den freien Geist ein, der in jedem von uns zu finden ist. Denn jeder Mensch ist ein Tempel des heiligen Geistes.

Schatten über Europa: Die Bildungsfeindlichkeit der Kirche

Um Gott näher zu kommen, benötigen wir keine Priester oder Pfarrer, keine heiligen Bibeln und keine Kirchen aus Stein. Das hat uns auch Jesus von Nazareth so vorgelebt. Er lehrte in der Bergpredigt, bei einem Konflikt zuerst den Balken aus seinem eigenen Auge zu ziehen, und sich erst dann mit dem Splitter im Auge des Nächsten zu beschäftigen. Auf diese Weise können Konflikte unter den Menschen friedlich gelöst werden, wenn jeder zuerst seinen eigenen Anteil an einem Konflikt in Ordnung bringt. Das ist Weisheit und Verstand.
Hier könnte jemand einwenden: "Ja, aber die Kirche beruft sich doch trotz der kritischen Papstworte zum gesunden Menschenverstand an anderer Stelle auch auf die Bildung. Und hat nicht die so genannte ´Kultur des Abendlandes` auch ihre Wurzeln in der Kirche, z. B. in den Klöstern als Bildungsstätten?"

So wird es oft behauptet. Aber bei näherem Hinschauen zeigt sich hier ein anderer Sachverhalt. Der Historiker Rolf Bergmeier hat in seinem Buch Schatten über Europa. Der Untergang der antiken Kultur (Aschaffenburg 2011) untersucht, weshalb die antike Hochkultur des weströmischen Reiches so unvermittelt unterging. Mitte des vierten Jahrhunderts gab es dort überall noch Schulen, Gymnasien, öffentliche Bibliotheken, Theater, und vieles mehr. Hundert Jahre später verfiel alles. Der Historiker kommt zu dem Schluss: Es war die Bildungsfeindlichkeit der Kirche.
Heute behaupten kirchliche Historiker, nur die Kirche mit ihren Klöstern habe die Kunst des Lesens und Schreibens durch das finstere Mittelalter hindurch bewahrt. Doch wer hat das Mittelalter denn so finster gemacht? Wer hat die Bauern in Unwissenheit gehalten und in feudale Abhängigkeit gebracht, sodass die Klöster immer reicher wurden? Wer?

Aufklärung und Menschenrechte gegen erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft

Das erinnert auch an das bekannte Lied "Sei wachsam" von Reinhard Mey, in dem es heißt: "Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm, ich halt sie arm!" Und das zieht sich dann durch die Geschichte bis heute.
Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurde von den Päpsten erbittert bekämpft. Das Zeitalter der Vernunft, wie es oft genannt wird, war eine Gegenbewegung zur Kirche. Philosophen wie Immanuel Kant, Jean Jacques Rousseau oder Voltaire lehrten im Gegensatz zu den Päpsten und kirchlichen Obrigkeiten und Theologen. Die Menschenrechte wie Rede- und Gedankenfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit mussten von aufrechten Männern und Frauen gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft werden. Die Päpste nannten solche Gedanken damals "Ungeheuerlichkeiten" oder "Wahnsinn". Und auch wenn die Päpste das heute nicht mehr so sagen, so bleibt doch die Frage, ob sie nicht auch heute noch den gesunden Menschenverstand mit großem Misstrauen beäugen. Die jüngste Äußerung von Papst Bergoglio ist dafür möglicherweise nur ein Indiz. Es ist nun mal eine Tatsache, dass man Menschen effektiver und im großen Stil in eine bestimmte Richtung lenken kann, wenn sie nicht so viel denken. 

Gesunder Menschenverstand für die Kirche immer gefährlicher

Könnte es von daher nicht sein, dass der gesunde Menschenverstand immer gefährlicher für die Kirchen wird, weil durch ihn auch immer mehr Fakten ihrer Vergangenheit ans Tageslicht kommen, die bekanntlich mit enormen Verbrechen belastet ist. Das ist eine Überlegung dazu.
Und eine weitere Überlegung ist: Immer mehr Menschen erfassen heute mit ihrem gesunden Menschenverstand, wie befremdlich die kirchlichen Lehren mitsamt ihren Höllendrohungen sind, und sie begreifen bzw. machen sich Gedanken, wem die Kirche in Wahrheit dient. Hierzu die Frage: Könnte das für die Kirche nicht zur Gefahr werden, in der Gesellschaft noch weiter an Einfluss zu verlieren? Wenn zum Beispiel den Menschen mehr bewusst wird, in welchem Ausmaß der heutige Reichtum der Kirche zum Beispiel auf Blutgeld gründet, früher durch Kreuzzüge erworben oder durch die Hinrichtung von Ketzern oder so genannten Hexen, deren Vermögen man eingezogen hat, dann sagen sie: "Der demokratische Staat kann die Kirche doch nicht Jahr für Jahr mit Abermillionen von Euro weiterhin dafür entschädigen, dass sie heute nicht mehr diese Macht ausüben kann." Außerdem: Alle die Verbrechen der Vergangenheit wurden im Namen des Kreuzes begangen. Den Gegnern der Kirche wurde vielfach noch auf dem Scheiterhaufen das Kruzifix vor die Augen gehalten, um ihren Widerstand zu brechen.

Verbrechen mit dem Kruzifix in der Hand

Und heute ist es so, dass ja auch Papst Bergoglio immer wieder auf den gekreuzigten Christus pocht, den wir uns vor Augen halten sollen. Er verwendet auch wieder den alten Kreuzstab seines Vorvorgängers Karol Wojtyla, auf dem Jesus in einer besonders grässlichen Weise am Kreuz hängend dargestellt ist. Außerdem: Mit diesem Kruzifix in der Hand wurden unzählige Verbrechen begangen. Aber sagt uns nicht gerade der gesunde Menschenverstand: Das Kreuz mit dem Corpus hat doch nichts mit der befreienden Lehre des Jesus von Nazareth zu tun. Weil Er so mutig war und der Priesterkaste die Wahrheit sagte, musste Er am Kreuz sterben. Alle andere, was man in diese Hinrichtung hinein gedeutet hat, ist intellektuelle Theologie. So stellt das Kreuz mit Corpus, das Kruzifix, doch in Wirklichkeit den angeblichen Sieg der Priester über Jesus dar, ihre vermeintliche Trophäe? Obwohl Jesus doch längst auferstanden ist.

Die freie Bewegung der ersten Christen verwendete folglich nur ein schlichtes Kreuz ohne Corpus, also ein Auferstehungskreuz, und kein Kruzifix mit Corpus. Denn Jesus, der Christus, ist auferstanden. Die Kruzifixe mit dem toten Mann am Kreuz kamen erst im Mittelalter auf. Und sie zeigen den zum Schweigen gebrachten Jesus, der nicht mehr helfen und nicht mehr reden kann. Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Der Zustand dieser Welt – Haben die "Heiligen" auch ihren Verstand abgegeben?

Dies ist ein Verständnis der Kreuzigung, so, wie man es auch ohne Dogmen und theologische Bildung betrachten würde, nämlich als ein furchtbares Geschehen. Und darauf hin kann man die Frage stellen: Wenn der tote Mann am Kreuz in Wirklichkeit ein Symbol dafür ist, dass Jesus schweigen soll, wie verhält es sich dann mit den so genannten Heiligen und Seligen? Das sind ja Menschen, an die sich die Gläubigen um Fürsprache wenden sollen, weil sie die katholische Lehre ja besonders gut umgesetzt haben sollen. Wie sah es denn bei ihnen mit dem gesunden Menschenverstand aus?

Nach Aussage des Papstes ist der gesunde Menschenverstands ja eine Versuchung. Die Schlussfolgerung daraus wäre: Haben die Seligen und Heiligen aus Sicht des Papstes dann dieser Versuchung widerstanden? Und wenn ja: Werden ihre Gebete vielleicht deshalb so wenig erhört? Oder anders formuliert: Ist der Zustand der Welt deshalb so, wie er ist, weil die angeblichen Fürsprecher ihren Verstand abgegeben haben? Eine sehr zugespitzte Kritik, wo man sicher geteilter Meinung sein kann. Aber bei diesem Thema geht es auch ums Eingemachte, zum Beispiel in der Frage: Was nützen Gebete dann überhaupt?

Der gesunde Menschenverstand als Wegweiser zu Gott

Gebete können nur dann etwas Positives bewirken, wenn der Betende auch selbst tut, wofür er betet. Aber abgesehen davon: Gott braucht keine Fürsprecher. Jedes Seiner Kinder kann sich direkt an Ihn wenden und wir dürfen Ihn, den Allerhöchsten, mit "Vater" ansprechen. Und die Frage ist doch: Will Gott, unser Vater, der Vater-Mutter-Gott, Seine Kinder, die Er doch liebt, in die Unwissenheit führen, wo sie nicht mehr zwei und zwei zusammenzählen können? Will Er blinde und unvernünftige Menschen – oder will Er aufrechte und geradlinige Söhne und Töchter Gottes, die auch kluge Analytiker sind?
Der gesunde Menschenverstand ist auf jeden Fall ein sehr guter Wegweiser zu Gott. Denn Gott gab den Verstand. Das ganze Universum bezeugt in seiner Logik die Größe und Weisheit Gottes. Doch die Menschen, die auf diese Weise Gott näher gekommen sind, wurden zu allen Zeiten von den kirchlichen Obrigkeiten bekämpft. Und leider gibt es immer noch viel zu viele Menschen, die zum Mitläufertum neigen. Hierzu passt das Bild von Lemmingen, die sich einen Abhang hinunter stürzen, weil ihre Anführer das ebenso getan haben. So ähnlich, wie es Jesus einst zu den damaligen Religionsführern sagte. "Sie sind blinde Blindenführer. Und wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in die nächste Grube fallen."

An dieser Stelle möchten wir allen Wissenschaftlern, allen Lehrern, aber auch allen Politikern und Richtern in unserem Land Mut machen und sagen: "Lassen Sie sich nicht einschüchtern oder mit frommen Sprüchen aus den klerikalen Spruchbeuteln einsalben, und gebrauchen Sie Ihren gesunden Menschenverstand!" Auch Jesus von Nazareth, der mutige jungen Mann, ließ sich nicht einschüchtern von den religiösen Obrigkeiten. Er hat die eingefahrenen Denkmustern Seiner Zeit aufgebrochen und war kein Mitläufer.
Immer mehr Menschen sind heute gerade aufgrund ihres gesunden Menschenverstands davon überzeugt, dass es Gott gibt. Hier könnte man zum Beispiel an moderne Physiker denken, die durch ihre Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten des Kosmos zu der Überzeugung gefunden haben, dass hinter allem eine höhere Macht steht, die alles am Leben erhält.
Auch das zeigt auf: Gott hat keine Geheimnisse. Und Er hat uns auch die Vernunft geschenkt, damit wir als freie Wesen erfassen können, wie logisch der gesamte Kosmos aufgebaut ist und wie groß Gott ist. Gott ist der All-Logos, die All-Intelligenz im Kosmos. Die Schöpfung gibt Zeugnis von dieser Logik, die nicht im Widerspruch zum echten menschlichen Verstand steht. Welch ein Segen liegt folglich im gesunden Menschenverstand, ein Segen für jeden Menschen. Er muss diesen Verstand nur gebrauchen.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, wir leben in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern in einer freiheitlichen Demokratie. Und keiner wird ernsthaft bestreiten können, dass Vernunft und gesunder Menschenverstand Werte sind, die zu einem friedlichen und toleranten menschlichen Zusammenleben beitragen, auch wenn verschiedene Religionen und Kirchen in einer Demokratie ganz unterschiedliche Gottesvorstellungen haben.
Unser Anliegen ist, klar aufzuzeigen: Der Glaube an Christus und an den Gott, den uns Jesus lehrte, stehen nicht im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Sondern beides gehört zusammen.
 



Anmerkung
:
* Nachfolgend eine Kommentierung von Einzelheiten der Predigt. Sie ist zum Verständnis dieser Ausgabe des Theologen nicht notwendig und kann von daher auch überlesen werden. Sie ist für diejenigen gedacht, die sich ausführlicher mit dem Thema beschäftigen möchten und in diesem Zusammenhang weitere Details wissen möchten: Papst Bergoglio hatte unmittelbar zuvor von Jesus gepredigt und darauf hingewiesen, dass viele Menschen damals auf Abstand zu Ihm gegangen sind. Der Papst legt dann diesen Menschen folgende Worte in den Mund: "Der Mann ist ein bisschen eigen, der sagt so harte Worte, da können wir nicht mehr mit ... Es ist ein großes Risiko, auf diesen Weg zu gelangen. Wir sind doch so ´vernünftig`, nicht wahr?" So wäre das notfalls noch nachvollziehbar, wenn man das Wort "vernünftig" hier ironisch auffasst. Nun passierte aber folgendes: Der Papst vergleicht im Anschluss daran die Menschen, die damals Distanz zu Jesus hielten, mit denjenigen Menschen, die heute in Distanz zur Kirche leben. Und er nennt diese Menschen dann "laue Christen", die der – so wörtlich – "Versuchung der weltlichen Klugheit erlegen sind". Und davor möge die heutigen Gläubigen eben der "Herr" bewahren. So weit der Papst. Doch das ist unseriös. Hier werden von einem Theologen zwei Dinge miteinander gleich gesetzt, die etwas völlig Unterschiedliches sind. Man kann doch die Menschen, die damals aus nur scheinbarer "Vernünftigkeit" – in Wirklichkeit aus Feigheit und Mitläufertum – heraus "gegen Jesus murrten" und "Anstoß an Ihm nahmen", wie der Papst sagt, nicht mit den Menschen vergleichen, die heute an der Kirche zweifeln und Anstoß an der Kirche nehmen. Ein solcher Vergleich ist überhaupt nicht seriös. Es ging bei Jesus damals um etwas völlig Anderes als in der Kirche heute, es sind ganz unterschiedliche Sachverhalte.

Und wenn Jesus damals "harte Worte" sprach, wie der Papst sagt, für wen waren denn die Worte "hart"? Es waren die damaligen Theologen, denen Jesus entgegen hielt: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten!". Und dann zählte Jesus auf, was bei den religiösen Obrigkeiten alles nicht stimmt. Und jeder, der das in Matthäus 23 nachliest, dem springen doch die Parallelen zwischen den damaligen Theologen in Israel und den heutigen Theologen der Kirche ins Auge. Und die Menschen damals, welche die Aggressionen der Theologen gegen Jesus mitbekommen hatten, ahnten natürlich, dass sich hier ein Konflikt auf Leben und Tod anbahnt. Denn die damaligen Theologen forderten bald die Todesstrafe für Jesus, die dann ja auch vollzogen wurde. Und deswegen hatten eben damals auch viele Menschen Angst und hielten Abstand zu Jesus anstatt sich mit Ihm zusammen mutig gegen die eigenen religiösen Obrigkeiten zu stellen. Doch was der Papst aus dieser damaligen Situation jetzt für die heutige Situation konstruiert, ist in seiner Verlogenheit schon dreist. Er vergleicht die Menschen damals, die Angst vor der Nachfolge Jesu hatten und sich von Ihm distanzierten, weil sie wussten, dass sie deswegen verfolgt werden könnten, mit den Menschen heute, die sich von der Kirche distanzieren, weil sie mit den kirchlichen Absurditäten, den bestialischen Höllendrohungen und den zahllosen Verbrechen von Priestern und deren systematischer Vertuschung, ja mit dem ganzen System Kirche und seinem unermesslichen Reichtum nicht einverstanden sind. Dieser Vergleich zwischen Jesus und Kirche ist unredlich. Denn das Eine hat mit dem Anderen auch religionsgeschichtlich nichts zu tun. Hätte Jesus damals diese Kirche gegründet, dann hätte Er sich selbst widersprochen. Denn Er lehrte auch: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes". Oder: "Ihr sollt euch nicht ´Rabbi` [Exzellenz, Eminenz, Hochwürden, Monsignore, Herr Pfarrer] nennen lassen, denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch {heiliger] Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist", und vieles mehr, was zur Kirche im völligen Widerspruch steht (siehe z. B. in Der Theologe Nr. 25).
Vielmehr gilt: Auf der einen Seite gehört zusammen: Jesus, die Gottespropheten, die Weisheit, die Vernunft und der gesunde Menschenverstand. Und auf der anderen Seite stehen: Die damaligen Theologen, die Kirche und ihre Theologen in allen Jahrhunderten bis heute, die Absurditäten, die Indoktrination durch Dogmen, die kirchlichen Verbrechen an Menschen und die Schändung an Natur und Tieren, die Unterwürfigkeit von Politikern gegenüber den Kirchenoberen und das Mitläufertum.

 

Der Text  kann wie folgt zitiert werden:
"Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel,
Ausgabe Nr. 71: Papst betet um Bewahrung vor gesundem Menschenverstand, Wertheim 2013, zit. nach theologe.de/papst_contra_gesunder_menschenverstand.htm, Fassung vom 23.8.2022; Copyright © und Impressum siehe hier.

 

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