Der Theologe Nr. 75, aktualisiert am 1.10.2024
Willkommen zu einer alternativen Stadtführung durch Würzburg. Wir werden die Stadt heute einmal von einer etwas anderen Seite beleuchten und auf andere Sehenswürdigkeiten hinweisen als das sonst üblich ist. Und wir beginnen den Rundgang auf dem Bahnhofsvorplatz von Würzburg.
Dieser Prinzregent war sehr katholisch. Er hat entschieden: Dieser Kilian soll sehr wichtig für die Identität der Stadt Würzburg sein. Denn mit diesem Mann, der vor 1300 Jahren gelebt hat, begann der Aufstieg Würzburgs zu einer bedeutenden Stadt des Mittelalters. Doch Geschichte besteht nun mal aus Geschichten, und nicht alle Geschichten sind wahr. Und deshalb werden wir uns im Verlauf des Rundwegs noch näher mit dieser Gestalt des Kilian beschäftigen und ergründen, wer er eigentlich gewesen ist.
Was macht ein Tourist, wenn
er neu in eine Stadt kommt? Er besorgt sich zunächst einen Stadtplan,
um sich zu orientieren. Am Würzburger Bahnhof ist auch eine große Tafel
mit Stadtplan aufgestellt. Was gleich auffällt: Wir sehen eine merkwürdige
Form. Das ist die Form einer Mütze (hier in gelben Konturen nach rechts liegend), und zwar einer Bischofsmütze. Wir
sehen hier, wie bis heute Straßen drum herum verlaufen. Als man im
Mittelalter die Stadtmauer (innerhalb des heutigen Ringparks) angelegt hat, hat man sie
bewusst in Form einer
Bischofsmitra gebaut – ein Ausdruck der Macht der Kirche über diese
Stadt.
Dieses
Denkmal auf der Juliuspromenade hat schon ein bisschen Patina angesetzt. Aber es ist noch
deutlich zu erkennen: Hier haben wir Julius Echter von Mespelbrunn, den
Fürstbischof von Würzburg. Er hat gelebt am Ende des 16., Anfang des 17.
Jahrhunderts, also am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Und sehr
vieles in der Stadt ist nach ihm benannt. Wir haben ein
Julius-Echter-Weißbier, die Juliuspromenade,
eine Echter-Apotheke, eine Echter-Galerie gleich gegenüber und wir haben
das Echter-Haus, das natürlich der Kirche gehört, wie so vieles
hier in Würzburg.
Und gleich gegenüber
blicken wir auf das imposante Julius-Spital, das Julius Echter erbauen ließ. Es ist bis heute in Betrieb.
Es hat nur einen kleinen "Schönheitsfehler": An dieser Stelle befand
sich zuvor
der Friedhof der Juden. Ein Friedhof ist für Juden etwas ganz
Kostbares, Unantastbares.
Und es gibt noch einen weiteren "Schönheitsfehler" bei Julius Echter: Er hat auch begonnen mit dem so genannten grausamsten "Hexenbrennen". Im Jahr 1617 hat er von der Kanzel im Würzburger Dom verkünden lassen, dass er in einem Jahr 300 "Hexen" hat verbrennen lassen. Auf dieses furchtbarste Verbrechen war er sehr stolz. Und er hat in seiner Diözese, in Gerolzhofen, sogar Verbrennungsöfen einrichten lassen – Verbrennungsöfen für "Hexen". Gerolzhofen war sozusagen die Sammelstelle, an die er die so genannten "Hexen" und Zauberer aus der Stadt bringen ließ. Und war das nicht eine Art Vorbild für spätere Verbrennungsöfen …. ?
Hier, im Juliusspital, wurden sogar Kinder eingesperrt und verhört, weil man sie für "Hexen" gehalten hat. Auch zahlreiche Kinder wurden in Würzburg umgebracht.
Noch im 20. Jahrhundert gab es in Franken einen Kinderreim, der verharmlosend lautete: "Julius Echter, Spitzbub-Schlächter!" Wer als Kind den Reim nicht verstand, der dachte vielleicht, Julius Echter sei ein "schlechter Spitzbube" gewesen. Es war aber gemeint: Julius Echter hat die "Spitzbuben" geschlachtet. Er war nämlich auch ein brutaler Kindermörder. Das alles ist aber bis heute nicht so wichtig für diese Stadt, denn man trinkt gemütlich weiter sein Echter-Weißbier, und solche Dinge werden bei Fremdenführungen meist nicht so gerne erwähnt.
In diesem "Hexenturm" (in der Nähe des Gerichtsgebäudes an der Ottostraße) wurden zahllose Hexen eingesperrt und gefoltert. Ihren Höhepunkt erreichte die "Hexenverfolgung", die hier besonders effektiv und im Reich als "Würzburgisch Werk" bekannt war, im 17. Jahrhundert unter Bischof Philipp Adolf von Ehrenberg. Er hat diese "Hexenverfolgung" persönlich vorangetrieben. Dabei sind in Würzburg über 900 Männer und Frauen verbrannt worden, manche bei lebendigem Leib.
Philipp Adolf von
Ehrenberg war übrigens ein Neffe des Bischofs Julius Echter, dem wir
bereits begegnet sind. Und dieser Onkel, Julius Echter, sorgte besonders
sorgfältig für die Erziehung seiner beiden Neffen – denn er hatte noch
einen weiteren. Dieser hieß Georg Fuchs von Dornheim. Auch dieser Neffe
wurde Bischof und einer der größten "Hexenbrenner" Deutschlands, nämlich
in Bamberg. In Bamberg kamen über tausend Menschen zu Tode. Dabei sind
die Menschen, die sich vor lauter Verzweiflung im Gefängnis selbst umgebracht haben, noch gar nicht mitgerechnet.
Die letzte "Hexe" Würzburgs wurde im Jahr 1749 umgebracht, das war die offenbar geistig verwirrte Priorin des Klosters Oberzell, Renata Maria Singer.
Es gibt ein Dokument,
welches belegt, dass alle Schichten der Bevölkerung von diesem Hexenwahn
betroffen waren. Dieser wurde schon im 15. Jahrhundert durch das Buch
Der Hexenhammer und durch die Hexenbulle des Papstes Innozenz
VIII. angeheizt. Und wenn diese Mühle einmal losging, dann gab es kaum
ein Entkommen. Das Würzburger Dokument trägt den Namen Verzeichnis der Hexenleut.
So zu Würzburg mit dem Schwert gerichtet und hernach verbrannt worden.
Es stammt aus dem Jahre 1629. Darin steht:
"Im ersten Brand 4 Personen, im mittleren die alte
Ankerswitwe, die Gutbrotin, die dicke Hökerin. Im anderen Brand 4
Personen: Die alte Beutlerin, zwei fremde Weiber, die alte Schenkin. Im
dritten Brand fünf Personen: Der Hungersleber, ein Spielmann, die
Kuhlerin, die Stierin, eine Prokuratorin, die Bürstenbinderin, die
Goldschmiedin. Im vierten Brand fünf Personen. Im fünften Brand acht
Personen … Im sechsten Brand sechs Personen … Im achten Brand sieben
Personen … im neunten Brand 5 Personen … Im 10. Brand drei Personen … Im
13. Brand 4 Personen, im 15. Brand zwei Personen, ein Knab’ von 12
Jahren, ein klein Mägdlein von 9 oder 10 Jahren, ein Geringeres, ihr
Schwesterlein; der Bernhard Mark, Vikarius am Domstift ist lebendig
verbrannt worden"
usw., usw.
Man hat sich daran gewöhnt, dass in vielen Hauptstädten Europas Obelisken stehen. Die größten stehen in Rom, aber auch in London oder in Paris gibt es welche. Auch hier in Würzburg steht einer. Doch was war ein Obelisk ursprünglich? Im alten Ägypten und im alten Babylon war es ein Symbol für die Gewaltherrschaft der Diktatoren. Ein Obelisk sieht ja aus wie eine Antenne, manche sagen auch: Sie standen möglicherweise in Verbindung mit ihren Vorfahren, die ihnen mitteilen konnten, wie sie ihre Gewaltherrschaft noch grausamer ausüben konnten.
Und es war gleichzeitig ein Symbol für
ein Hinrichtungsinstrument. Denn wer eine abweichende Meinung hatte, wer
gegen den Diktator war, der wurde gepfählt
– eine sehr grausame Hinrichtungsmethode. Aber in Würzburg stehe dieser Obelisk
wohl nur
rein zufällig, so denken manche.
Hier auf dem Marktplatz
der Stadt Würzburg – gleich hinter dem Obelisken – sehen wir auch die
Marienkapelle. Bis zum Jahr 1349 stand hier aber keine Kirche, sondern
hier befand sich das jüdische Ghetto. Die Juden mussten genau hier wohnen – das ist
nämlich die tiefste
Stelle des Würzburger Talkessels. Hier sind die Abwässer
durchgelaufen in den Fluss hinein. Hier waren die meisten Mücken, hier
waren Sümpfe usw. Dort haben die Juden leben müssen. Und genau hier
stand auch ihre Synagoge. Damals wurde die Gettoisierung der Juden
durch die antijüdische Ständegesellschaft und die römisch-katholische
Kirche vorangetrieben.
Im Jahr 1349 ist dann die Pest in Europa ausgebrochen, und man hat einen Sündenbock gesucht. Und das waren einmal mehr die Juden. In ganz Europa wurden in diesem Jahr die Juden umgebracht oder vertrieben, auch in Würzburg. Und man hat hier an der Stelle der Synagoge eine Kirche gebaut. Man hat dann gesagt, das sei eine "Sühnekirche". Doch wenn man jetzt annimmt, die Würzburger hätten damals gespürt, dass sie etwas Unrechtes gemacht hätten, dann wird man enttäuscht: Eine "Sühnekirche" ist es deshalb, weil man "Sühne" dafür leistete, dass man überhaupt an dieser Stelle Juden hat wohnen lassen.
Wenn Sie jetzt sagen, Sie verstehen diese Logik nicht, dann liegen Sie in diesem Fall richtig. Denn um diese bösartigen Perversionen nachvollziehen zu können, muss man wahrscheinlich viele Semester katholische Theologie studiert haben.
Die Marienkapelle wurde hauptsächlich von den Würzburger Bürgern gebaut. Die hatten eine gewisse Freiheit, wie sie den Bau gestalten wollten. Hier im Portal sehen wir oben Christus mit den zwei Schwertern der "Entscheidung", wie es heißt. Und darunter sehen wir das so genannte "Jüngste Gericht". Im unteren Feld links stehen "die zu Seiner Rechten", die in den Himmel aufgenommen wurden. Rechts stehen "die zu Seiner Linken", und die verschwinden dort in der Hölle. Im Höllenschlund sperrt rechts ein riesiger Drache sein Maul auf. Wenn wir mal etwas rüberschauen, fast in die Mitte, dann sehen wir ein faszinierendes Detail: Hier ist offenbar ein Bischof mit dabei, schräg nach links liegt er mit seiner Bischofsmütze! Wer ist das gewesen? Für die Würzburger ist es eindeutig: Das war Gerhard von Schwarzburg.
Bischof Gerhard von Schwarzburg (ca. 1335-1400) hat zweimal gegen die Bürger der eigenen Stadt Krieg geführt. Das erste Mal griff er zu den Waffen, als er zum Bischof ernannt wurde. Da wollten ihn die Bürger erst einmal gar nicht haben. Doch er hat seine Truppen gesammelt, hat die Bürger besiegt und wurde wie geplant Bischof. Dann gab es aber keine Ruhe, denn er hat hohe Steuern erhoben. Die Bürger haben sich irgendwann geweigert, diese Abgaben zu zahlen. Dann hat der Bischof sie exkommuniziert, das heißt, sie durften keine Messe mehr feiern, keine Beerdigung, keine Kinder taufen. Das war für die Menschen der damaligen Zeit eine schwere Strafe, denn sie haben ja geglaubt, dass sie in eine ewige Hölle müssen, wenn sie sich nicht kirchenkonform verhalten. Das hat die Kirche ihnen beigebracht über Jahrhunderte. Und sie war dann zutiefst erschrocken, dass sie jetzt – wenn sie sterben würden – demnach in die Hölle kommen müssten. Trotzdem haben sie "durchgehalten". Sie haben sogar versucht, die Festung zu erobern. Es hat nicht geklappt. Der Bischof hat Truppen gesammelt und hat die Stadt belagert, und es kam zur entscheidenden Schlacht im Januar 1400.
Es war bitterkalt, und der Bischof hat den Bürgern eine Falle gestellt: Es gab ein Lager mit Nahrungsmitteln außerhalb der Stadt am Friedhof von Bergtheim. Dort sind die Bürger hin, um dieses Lager zu erobern. Dort lagen jedoch die Reiter des Bischofs auf der Lauer und haben die Bürger besiegt. Ein Drittel der männlichen Einwohner der Stadt ist in diesem Krieg gefallen, und hinterher hat der Bischof furchtbarste Rache genommen. Er hat die Rädelsführer grausam umbringen lassen; und von da an war jede Bestrebung der Stadt nach Selbstständigkeit im Keim erstickt.
Ein kirchenfreundliches Sprichwort lautet zwar "Unter dem Krummstab ist gut leben". Aber für die Würzburger und sehr viele andere hat das nur selten gegolten. Das hinderte einen Zusammenschluss von Stadträten hauptsächlich aus der Grünen-Fraktion nicht daran, 2022 unter dem kirchenanbiedernden Motto "Besser leben unterm Bischofshut" Anträge für angebliche Verbesserungen in der Stadt auf den Weg zu bringen. Teil davon war, das Parken auf dem großen Talavera-Parkplatz in Zukunft kostenpflichtig zu machen, was gravierende negative Folgen für viele Berufspendler aus den Landkreisen und für Geschäftsinhaber in Würzburg gehabt hätte. Die Bürger hatten jedoch ein Einsehen und lehnten in einem Bürgerentscheid den Plan von angeblich "Besser leben unterm Bischofshut" mit großer Mehrheit von 76 % ab. In früheren Jahrhunderten haben sich die Würzburger sogar erheblich dagegen gewehrt, unter dem bischöflichen Krummstab zu leben oder vermeintlich "besser" zu leben. Einmal, im Jahr 1397, wollten sie sogar "Freie Reichsstadt" werden. König Wenzel aus Prag war damals zu Besuch in Würzburg, der deutsche König.
Er wurde
sehr feierlich empfangen, hier oben, im schönsten Saal des Rathauses,
der bis heute "Wenzelsaal" heißt. Und er hat der Stadt versprochen: Wir
machen euch zur Freien Reichsstadt.
Kurze Zeit später haben
ihn jedoch die Fürsten und Bischöfe in Frankfurt massiv unter Druck
gesetzt, und Wenzel musste seine Entscheidung zurücknehmen. Würzburg
wurde keine Freie Reichsstadt, konnte sich nicht selbst verwalten,
sondern es unterstand weiterhin der totalitären Herrschaft des
katholischen Fürstbischofs.
Hier kommen wir an einen ganz wichtigen Ort der Stadt, ein Ort wie ein Wohnzimmer, das ist die alte Mainbrücke. Das war früher nicht nur ein Ort der Verbindung zwischen zwei Ufern, sondern ein Versammlungsplatz, ein Platz des Austausches von Informationen, ein Gerichtsplatz. Und hier haben wir viele Figuren. Wo kennen wir eine Stadt mit so vielen Figuren auf der Brücke? Das ist zum Beispiel Prag. Diese beiden Städte haben tatsächlich einiges gemeinsam: Wir haben hier einen Talkessel mit einer Altstadt, wir haben die Brücke mit den vielen Figuren wie die Karlsbrücke in Prag.
Von der Alten Mainbrücke aus blicken wir hinauf zur Festung, ein weiteres Symbol der Herrschaft, das wäre in Prag der Hradschin; hier ist es die Marienfestung. Von unten aus gesehen rechts daneben sehen wir den Turm des Käppele, ein Kloster, das wäre in Prag Kloster Strachov. Es gibt also sehr viele Gemeinsamkeiten. Der Unterschied ist: In Prag ist die trutzige Festung oben das Symbol der Herrschaft des böhmischen Königs gewesen; hier ist sie das Symbol der Herrschaft der Fürstbischöfe. Und die Bischöfe waren es auch, die im 18. Jahrhundert diese Figuren auf die Brücke stellen ließen. Welche haben sie ausgewählt?
Wir haben vorhin gesagt: Geschichte, das sind Geschichten, da verbirgt sich etwas dahinter. Und dieser Frage wollen wir einmal nachgehen: Was haben diese Figuren zu erzählen?
Hier finden
wir zunächst Kilian wieder, den wir vorhin am Bahnhof gesehen haben. Hier
steht er auf der Brücke. Kilian war ein iro-schottischer Mönch, der im
7. Jahrhundert mit seinen zwei Gefährten nach Europa gekommen ist, und
sie haben ihre Form des Christentums hergebracht.
Das war keine katholische
Form, o nein, sondern es war ein keltisches Christentum: Das war
einigermaßen naturverbunden, sie haben den freien Willen des Menschen respektiert,
und die Iren haben damals aus freien Stücken, ohne Einflussnahme von
außen, das Christentum als ihre Religion angenommen.
Jetzt stellt sich aber
die Frage: Wie wurden aus diesen freien keltischen Christen "katholische
Heilige"? Da müssen wir jetzt noch einen Schritt weitergehen und eine
weitere Figur aufsuchen am Ende dieser Brücke.
Hier haben wir jetzt den Mann, der dafür gesorgt hat, dass Kilian die Hauptfigur geworden ist in dieser Stadt. Dieser Mann heißt Burkhard, ursprünglich ein Engländer, und er kam im 8. Jahrhundert hierher nach Würzburg, als erster Bischof dieser Stadt. Jetzt muss man sich vorstellen: Der saß damals oben auf der Festung, hat runtergeschaut und hat sich Gedanken gemacht: "Was mache ich nun mit ´meiner` Stadt? Was ich bräuchte, das wäre eine Wallfahrtskirche. Das würde Leute in die Stadt bringen, das würde Geld bringen."
Nur, woher nehmen und nicht stehlen? Und da hatte er eine raffinierte Idee: "Wenn ich eine Wallfahrtskirche bauen könnte, dann bräuchte ich dazu Knochen, möglichst von Märtyrern." Und wo soll die Kirche stehen, wo diese Knochen dann hinein sollen? Nicht da oben auf der Festung, sondern die soll hier unten mitten in der Stadt stehen, wo die Handelswege durchlaufen.
Und Burkhard ist mal in die Stadt hinunter gegangen, hat ein bisschen
gegraben und siehe da: Unter einem Pferdestall hat er tatsächlich ein
paar Knochen gefunden. Das war nun die Gelegenheit und Burkhard hat
verkünden lassen: "O Wunder, o Wunder! Das müssen die Knochen des
heiligen Kilian sein und seiner zwei Gefährten. Sie seien an dieser
Stelle ermordet worden." Da haben die Leute vermutlich geantwortet:
"Ermordet? Und ausgerechnet hier bei uns? Da wissen wir doch gar
nichts davon!"
Daraufhin hat Burkhard eine Legende erfunden, die ungefähr so
lautet:
Als nämlich diese drei iro-schottischen Mönche hier waren,
haben sie sich dem Herzog Gosbert vorgestellt. Und Herzog Gosbert hatte eine
Frau geheiratet, die hieß Gailana.
Es ist zwar historisch gar nicht
verbürgt, dass es diese Frau gegeben hat (ebenso wenig wie Kilians
angebliche Gefährten Kolonat und Totnan), aber die Legende besagt es
eben so. Und die Legende besagt
weiter, dass diese Gailana die Frau des zuvor verstorbenen Bruders von
Gosbert gewesen sei. Und angeblich hat Kilian daraufhin gesagt: "Das
geht nicht. Nach römischem Kirchenrecht darfst du die Frau eines
Verwandten, deines Bruders, nicht heiraten."
Doch nach germanischem Recht
musste Gosbert das tun, das wurde von ihm sogar verlangt, damit
alles in der Familie bleibt. Es war also ein Zwiespalt. Und als Gosbert
auf Reisen war, hat angeblich Gailana veranlasst, dass der Kilian
und seine zwei Gefährten umgebracht und im Pferdestall verscharrt worden
sind.
Soweit also die
Legende, die der Katholik Burkhard, erfunden hat, und er hat damit den
keltischen Christen Kilian zum katholischen Heiligen
umfunktioniert – und
zwar mit einer Legende, die 150-prozentig katholisch ist, denn sie
beinhaltet: Ein Katholik
lässt sein Leben dafür, dass das römische Kirchenrecht durchgesetzt
wird!
Wache Zeitgenossen werden spätestens hier misstrauisch: Das ist eigentlich zu katholisch, um wahr zu sein. Und in der Tat: Es ist äußerst unwahrscheinlich, das geben selbst katholische Historiker zu, dass Kilian ausgerechnet hier gestorben ist. Er ist vielmehr weiter gezogen nach Norddeutschland. Im Raum Paderborn gibt es weit mehr Kiliansstätten als hier in der Gegend. Aber bis heute erzählt man den Menschen in Würzburg diese Geschichte; und bis heute werden die Knochen, beziehungsweise die Häupter dieser drei angeblichen Märtyrer in Prozessionen durch die Stadt Würzburg getragen – jedes Jahr.
Jedes Jahr zu Fronleichnam macht sich eine Gruppe tausendprozentig überzeugter Katholiken auf zu einem kleinen Rundgang durch die Stadt. Mit im Gepäck sind damals wie heute die angeblichen Schädel von Kilian und seinen beiden Gefährten, denen von der katholischen Kirche eine segensbringende Wirkung zugeschrieben wird. Wer also glaubt, Reliquienkult sei Vergangenheit, der irrt. Überzeugte Katholiken glauben noch immer an die Heilswirkung der alten Gebeine. Die Überreste der Frankenapostel werden in einem Kristallglas-Schrein durch die Straßen getragen und den Bürgern zur Schau gestellt. Dass die Häupter aber wirklich von Kilian und Co. stammen, ist äußerst unwahrscheinlich. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Die feierliche Prozession mit dem Bischof endet im Würzburger Dom, wo unter dem Altar die restlichen Knochen angeblich der drei Märtyrer beigesetzt wurden.
Die Schädel aber liegen das Jahr über in dieser Kirche, im Neumünster. Und hier war angeblich auch der Pferdestall, in dem ihre Knochen auf wundersame Weise zum Vorschein gekommen sind. Wenn man allerdings Kirchenhistoriker fragt, auch katholische, wie es wirklich gewesen ist, wird man sehr schnell feststellen, dass diese ganze Geschichte wissenschaftlich nicht zu halten ist. Aber dem Volk erzählt man etwas anderes. Über die wahren Hintergründe dieses Geschehens wissen die wenigsten etwas; und so könnte man sagen: Geschichte ist doch meistens die Geschichte der Sieger – der Sieger, die sie in ihrem Sinne verändert und gefälscht haben, so wie sie es gerne gehabt hätten. Und in Würzburg, wer war hier der Sieger? Das war äußerlich eindeutig die katholische Kirche.
Zurück zu Burkhard auf der Alten Mainbrücke, der dazu, wie wir gesehen haben, einen wesentlichen Beitrag leistete. Er tat dies aber nicht nur in Würzburg, sondern weit darüber hinaus. Er steht nämlich noch aus einem anderen Grund hier auf der Brücke: Er hat dafür gesorgt, dass der Filz zwischen Staat und Kirche so richtig angefangen hat. Zu seiner Zeit hieß der Frankenherrscher Pippin, aber der hatte ein Problem: Sein Vater, Karl Martell, war nicht der legale Thronfolger. Er hatte sich den Thron geraubt. Um ihren Machtanspruch zu bekräftigen, wollten die Martells eine Legalisierung der Herrschaft erreichen. Und wer konnte dies tun? Der Papst! Denn der Papst hat sich schon damals angemaßt, staatliche Gewalt zu legitimieren. Im Jahr 751 ist Burkhard im Auftrag von Pippin folglich nach Rom gereist. Dort hat er dem damaligen Papst Zacharias eine Frage von Pippin übermittelt, und diese lautete: "Wer soll in einem Land regieren? Der, der offiziell Thronfolger ist oder der, der die Macht wirklich ausübt?" Zacharias hat ein bisschen darüber nachgedacht und dann wunschgemäß geantwortet: "Der soll die Macht haben, der sie auch wirklich ausübt." Und das war ja nur konsequent, denn mit dem, der die Macht nicht hat, kann die Kirche nun mal nichts anfangen!
Und hier steht er nun, der Pippin, für den Burkhard nach Rom gefahren ist, und der sich dann später vom Papst zum fränkischen König hat krönen lassen. Dieser Pippin hat sich noch etwas anderes unterjubeln lassen, nämlich die so genannte "Konstantinische Schenkung". Das war der größte Betrug der Weltgeschichte. Denn die päpstliche Kanzlei hatte in dieser Zeit eine Urkunde gefälscht, und darin stand sinngemäß: Kaiser Konstantin habe schon im 4. Jahrhundert dem Papst halb Italien zum Geschenk gemacht.
Das war zwar von vorne bis hinten gefälscht, aber Pippin hat es geglaubt. Und er hat daraufhin durch Kriege dafür gesorgt, dass diese Ländereien tatsächlich dem Papst unterstellt wurden. Er hat auf Verlangen des Papstes sogar Krieg gegen die Langobarden geführt, einen germanischen Volksstamm in Italien, der sich nicht dem Machtanspruch des Papstes beugen wollte. Er hat sie militärisch besiegt und anschließend dem Papst die Herrschaft über deren Gebiete überlassen. Durch diese "Schenkung" Pippins entstand der Kirchenstaat, der später bis auf die Fläche der heutigen Schweiz anwuchs und Italien über tausend Jahre lang zweiteilte. Das war also Pippins Gegenleistung dafür, dass der Papst seinen Herrschaftsanspruch legitimiert hatte.
Die Einmischung des Papstes in die Angelegenheiten der Thronfolge in Deutschland hat später dazu geführt, dass Bürgerkriege und Kriege in Deutschland begannen sowie Kämpfe zwischen Kaiser und Papst. Es gibt also viele Gründe, weshalb man sagen kann: Aus Sicht der Kirche hat Pippin es wirklich verdient, hier oben zu stehen. Nur aus Sicht der deutschen Geschichte muss man sagen: Pippin war einer der verhängnisvollsten Herrscher, man könnte auch sagen: einer der größten "Trottel", die je in Deutschland regiert haben.
Und weil wir gerade bei den Karolingern waren: Hier haben wir noch einen von dieser "Sorte". Hier haben wir Karl den Großen, den Sohn von Pippin, den wir gerade gesehen haben. Karl der Große war mindestens genauso brutal und angriffslustig wie sein Vater – vielleicht sogar noch mehr. Es gab kaum ein Jahr in seiner Regierungszeit, in dem er keinen Angriffskrieg geführt hat.
Er hat zum Beispiel auch die Sachsen mit Feuer und Schwert unterworfen. Und er hat sie gezwungen, Katholiken zu werden. Und wer dem Priester nicht gehorchte oder nicht fasten wollte, der wurde mit dem Tode bestraft. Karl der Große selbst hat aber nicht so gerne gefastet.
Und auch der "Heilige" Karl hat sich vom Papst zum Kaiser krönen lassen. Damit hat er aber Europa nicht geeint, wie man später immer wieder behauptet hat, sondern er hat es gespalten. Bis dahin gab es nur die byzantinischen Herrscher, die den Anspruch erhoben, in der Nachfolge der römischen Cäsaren Kaiser zu sein. Jetzt gab es zwei in Europa. Für die Romkirche war das natürlich gut, denn sie konnte auf die katholische Hälfte Europas nun einen Anspruch erheben und hat das auch getan. Die Päpste waren also sehr zufrieden mit ihm!
Und zufrieden war die Kirche auch mit diesem hier: Bischof Bruno, im 10. Jahrhundert Bischof von Würzburg. Nicht nur Kaiser waren im Mittelalter sehr kriegerisch; auch viele Bischöfe zogen sehr gerne mit den Kaisern in die Schlacht, haben oft auch ihre eigenen Truppen angeführt, wie zum Beispiel Bruno.
Und da war es nur folgerichtig, dass im Januar 1945
der damalige Bischof Matthias Ehrenfried in Würzburg einen Hirtenbrief
verlesen ließ, der sich unter anderem auch an die Soldaten seines
Bistums gerichtet hat. Obwohl die Niederlage Hitler-Deutschlands nur
eine Frage der Zeit war, wiegelten die Bischöfe die Soldaten weiter auf,
den Krieg fortzusetzen. So auch Bischof Matthias Ehrenfried von
Würzburg mit den Worten:
Man muss sich das vorstellen: Im Januar 1945, in aussichtsloser Lage, ruft ein katholischer Bischof die Soldaten auf, durchzuhalten und sich dem verbrecherischen Regime von Adolf Hitler weiterhin unterzuordnen. Das ist der (Un-)Geist der katholischen Kirche, die mit dem Pazifismus des Jesus von Nazareth noch nie etwas zu tun hatte!
Und wenn man schon nicht mit dem Segen der Kirche
in den Krieg ziehen kann, dann kämpft man wenigstens gegen die "Ketzerei".
Wie dieser hier: Karl Borromäus, im 16. Jahrhundert Erzbischof von
Mailand. Borromäus war ein glühender Gegenreformator. Sein Hauptanliegen
war die Ausrottung der Andersdenkenden, und er trug diesen Kampf bis in die höchstgelegenen Ort des
Engadins in der Schweiz. Seine fanatische Vorgehensweise war selbst bei den eigenen
Klerikern verhasst. 1583 hat er in einem Schweizer Alpental z.
B. zehn
Frauen und einen Mann bei lebendigem Leib verbrennen lassen.
Auf so einer katholischen Brücke darf natürlich einer nicht fehlen, der katholische Brückenheilige schlechthin, das ist Nepomuk. Wer ist Nepomuk gewesen? Er hat im 14. Jahrhundert gelebt und war der Generalvikar des Prager Erzbischofs. Er wurde von König Wenzel umgebracht. Nur: Warum wurde er umgebracht? Er soll umgebracht worden sein, weil er angeblich das Beichtgeheimnis bewahren wollte. Angeblich hatte er von der Frau des Königs einiges in der Beichte erfahren, das wollte er nicht preisgeben, deswegen wurde er von einer Brücke gestürzt und kam dadurch zu Tode.
Diese Legende über Nepomuk ist wieder eine sehr katholische Legende: Ein Mann stirbt, weil er angeblich das Beichtgeheimnis wahren wollte. Sie werden es schon ahnen, auch diese Legende ist frei erfunden. Richtig ist nur, dass Nepomuk tatsächlich zu Tode kam, und dass tatsächlich König Wenzel verantwortlich ist. Nur der Grund war ein ganz anderer: Es war ein Machtkampf zwischen Kirche und Staat. Der König wollte die Macht des Erzbischofs einschränken und teilte deshalb dessen Bistum. Der Erzbischof bekam aber davon Wind und setzte auf das neue Teilbistum einen seiner Leute. Der König war wütend – doch der Erzbischof war nicht greifbar; er hatte sich auf sein Landgut geflüchtet. Greifbar war aber Generalvikar Nepomuk, der wegen Hochverrats verurteilt wurde. Keine schöne Geschichte, aber sehr "katholisch" ist sie auch nicht gerade. Doch die Kirche weiß ja sehr gut, was man aus Leichen alles machen kann, und sie hat diese Leiche genommen, um das Beichtgeheimnis (vgl. hier), das ihr so wichtig ist, das aber mit Jesus von Nazareth nichts zu tun hat – das Sakrament der Beichte ist eine Erfindung der Kirche –, um dieses Beichtgeheimnis auf katholische Weise besonders aufzuwerten.
Wir sehen schon: Diese Brücke hier ist wie ein Laboratorium für katholische Geschichtsfälschung. Der einzige, der nicht ganz hier hineinpasst, das ist Josef, der leibliche Vater von Jesus von Nazareth. Der steht hier etwas verloren auf dieser Brücke herum, denn die Kirche hat ihm ja letztlich abgesprochen, der Vater seines natürlichen Sohnes Jesus zu sein. Die Kirche spricht ja immer viel von Familie, aber durch das Dogma der Jungfrauengeburt hat gerade sie die natürliche Familie abgewertet, indem sie die natürliche Zeugung eines Kindes als etwas Minderwertiges betrachtet – als etwas so Minderwertiges, dass sie es dem Sohn Gottes nicht zumuten wollte. Aber kann Gott Seine eigenen Naturgesetze außer Kraft setzen? Will Er das überhaupt?
Jedenfalls hat Jesus mit dem meisten von dem, was in dieser Stadt in Seinem Namen passiert ist, nichts, aber auch gar nichts zu tun! Und das gleiche gilt für Seine Eltern.
Und
die Mutter des Jesus haben sie Josef gegenüber gestellt. Doch sie nennen
sie gar nicht Maria, sondern "Patronin Frankens". Wenn wir genau
hinschauen, finden wir etwas Merkwürdiges: Eine echte Madonna scheint es
nämlich nicht zu sein, denn sie hat kein Jesuskind dabei. Außerdem hat
sie oben Sterne über dem Kopf, und unter ihren Füßen sehen wir einen Drachen, den sie gerade besiegt hat. Des Rätsels Lösung: In
Wirklichkeit soll das Maria in der Gestalt der "Frau aller Völker" sein
– aus der Geheimen
Offenbarung des Johannes am Ende der Bibel: Die Frau, die dem Drachen –
also dem Teufel – den Kopf zertritt. Man könnte auch sagen: die
Symbolfigur der göttlichen Weisheit.
Die Theologen haben
diese Frau jedoch einfach mit Maria, der Mutter von Jesus, gleichgesetzt
und daraus die katholische Kunstfigur "Maria" geschaffen.
Die Theologen
haben da ein einfaches Weltbild, und Frauen haben in der Kirche ja
ohnehin nichts zu sagen.
Die katholische Kunstfigur "Maria"
Und wie sieht es mit den Opfern der Kirche aus? Gibt man wenigstens ihnen heute eine Stimme? Schämt sich die Kirche deswegen, zeigt sie Mitgefühl mit den Opfern? Am besten überprüfen wir das im Dom. Dort fallen auf den ersten Blick die vielen eindrucksvollen Grabmal-Monumente auf. Doch es sind wiederum die Grabmäler von Tätern, eines neben dem andern und eines schöner und größer als das andere. Vielleicht werfen wir mal einen Blick darauf:
Hier im rechten Seitenschiff des Doms fällt uns eines der größten und prächtigsten Grabmäler auf: das Grabmal des Philipp Adolf von Ehrenberg, des mit Abstand größten "Hexenbrenners" von Würzburg. Nirgendwo ist allerdings etwas von einer Tafel zu sehen, mit der sich die Kirche von seinen Schandtaten distanzieren würde ...
Und hier ist sein Onkel,
Julius Echter, verewigt. Ein besonders kunstvoll gestaltetes Grabmal, direkt im Hauptschiff
gegenüber der Kanzel, von der er 1617 verkünden ließ, dass er allein in
jenem Jahr 300 angebliche "Hexen" hat umbringen lassen.
Und hier gleich nebenan ruht Johann Gottfried von Aschhausen, der direkte Nachfolger von Julius Echter. Er war gleichzeitig Bischof von Würzburg und von Bamberg – und hat in beiden Städten zahlreiche Menschen lebendig verbrennen lassen.
Lauter Grabmäler, lauter Denkmäler für die Täter, aber eines für ihre Opfer (und die Opfer anderer Bischöfe) suchen wir hier vergeblich.
Unterhalb des Kirchenschiffs, in der Krypta des Doms, befindet sich etwas ganz Besonderes: ein Grab, das ein dunkles Geheimnis birgt. Es ist das Grab des Bischofs Josef Stangl. Josef Stangl war im 20. Jahrhundert Bischof von Würzburg. Er hat im Jahr 1975 einen Exorzismus genehmigt, eine Teufelsaustreibung bei der Studentin Anneliese Michel aus Klingenberg.
Ein Jahr, nachdem der Bischof den Exorzismus angeordnet hatte, ist diese Studentin an totaler Entkräftung und Auszehrung gestorben. Infolge dieses düsteren mittelalterlichen Rituals war Anneliese am Ende völlig abgemagert und entstellt und starb. Sie wurde mit 23 Jahren in Klingenberg beigesetzt.
Stangl hat damals abgestritten, die junge Frau gekannt zu haben. Doch heute wissen wir: Er hat gelogen. Bischof Stangl wurde detailliert über den gesamten Verlauf des Exorzismus informiert. Dennoch hat er nicht eingegriffen. Rund 30 Jahre nach seinem Tod, im Jahr 2007, hat die Diözese Würzburg ein Gedenkjahr veranstaltet zum 100. Geburtstag dieses Bischofs, ohne jedoch diese düstere Seite auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Der Bischof hatte diesen Exorzismus, den er zu verantworten hatte, aber nicht lange überlebt. Wenige Jahre später ist er gestorben. Er hat gewusst, was er mit angerichtet hat, und es hat ihm womöglich selbst zugesetzt.
Man mag es kaum glauben, doch es gibt in Würzburg tatsächlich auch Mahnmale für Opfer der Kirche. Allerdings sind sie sehr gut versteckt. Hierher auf den Schottenanger in einen stillen Winkel von Würzburg verirrt sich kaum je ein Tourist. Doch ist hier Schreckliches passiert: Im 15. Jahrhundert ist hier eine Hinrichtung geschehen. Das Denkmal wurde von einer Privatperson gestiftet, dem ehemaligen Bürgermeister Zeitler von Würzburg. Auf diesem Denkmal steht folgendes zu lesen: "Hans Böhm, der Pfeifer von Niklashausen, kämpfte für seine Vision von göttlicher Gerechtigkeit und Gleichheit aller auf dieser Erde gegen Fronarbeit, Pfründenwirtschaft und Steuerungerechtigkeit seiner Zeit. Am 19. Juli 1476 wurde er hier, Marienlieder singend, als Ketzer und Volksaufwiegler verbrannt. Als Mann des Volkes und Revolutionär gegen den Zeitgeist geriet er in Konflikt mit der Obrigkeit."
Welche Obrigkeit ist hier gemeint? – Wiederum die Kirche, genauer: der Bischof von Würzburg. Der Pfeifer von Niklashausen aus dem Taubertal hat viele Menschen begeistert. Er hat von seinen Visionen gesprochen, dass alle Menschen gleich seien, und dass der Reichtum der Priester nicht Gottes Wille sei. Und es sei ungerecht, dass die Pfarrer und Priester so wohlhabend sind, viel reicher als das Volk.
Man könnte also sagen:
Der Pfeifer von Niklashausen war ein Vorbote des wachsenden
Selbstbewusstseins der Menschen, die gesagt haben: "Das kann nicht
Gottes Wille sein, wie es auf dieser Welt zugeht." Aber die
Gerechtigkeit unter den Menschen war eben noch nie ein Anliegen der
Kirche. Sie hat auch diesen mutigen jungen Mann auf
grausamste Art zum Schweigen gebracht.
Dieses Denkmal ist noch besser versteckt – man kann es nur zu Fuß erreichen. Es steht in einer Parkanlage unterhalb der Festungsmauern, ein wenig abseits des Fußweges von der Alten Mainbrücke hinauf zur Marienfeste – links im Hintergrund sieht man auf die Stadt hinunter. Kaum ein Tourist wird es finden, und auch den meisten Würzburgern dürfte es wohl nicht bekannt sein. Es erinnert an den Bauernkrieg des Jahres 1525.
Bauernkriegsdenkmal
Auch die Bürger der Stadt Würzburg haben sich an dieser Bewegung beteiligt. Es war ja kein reiner Bauernaufstand, sondern es ging dabei um die Gleichberechtigung aller Menschen, um die Reduzierung der drückenden Abgabenlast und um die Rechtsicherheit der Menschen gegenüber der Obrigkeit. Die Bauern haben versucht, die Festung zu erstürmen, sie sind aber an diesen dicken Mauern gescheitert und wurden besiegt.
Der damalige Würzburger Fürstbischof, Konrad von Thüngen, der sich auf die Festung geflüchtet hatte, hatte daraufhin grausame Rache an den Bauern genommen: Er hat 65 ihrer Anführer aufhängen lassen. Anschließend ist er in seinem Bistum von Dorf zu Dorf gezogen und hat in blutigen Strafgerichten weitere Hinrichtungen vornehmen lassen. Außerdem hat er den Rat und weitere Bürger der Stadt in der Festung einsperren und foltern lassen, insgesamt über 150 Menschen – unter ihnen auch der Bildhauer Tilmann Riemenschneider (1460-1531).
In der Zeit der Bauernkriege hat sich auch der Reformator Martin Luther auf die Seite der Obrigkeit geschlagen. Er hat die Obrigkeit aufgefordert, die Bauern zu unterdrücken: "Steche, schlage, würge hier, wer da kann!" Ihr Schicksal war damit besiegelt.
Man kann also sagen, wenn man dieses Denkmal ansieht: Ein junger Baum der Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit, der keimenden Demokratie wurde in diesem Krieg abgeschlagen. Und wer weiß, wie die deutsche Geschichte verlaufen wäre, wenn hier nicht die Kirche im Verbund mit der Obrigkeit diesen Zukunftskeim erstickt hätte.
Hier stehen wir nun im Innenhof der Marienfestung, und wir sehen hier etwas sehr Interessantes: eine Kirche mit einem runden Grundriss. Woher kommt das? Das ist nicht so häufig. Der Vorgängerbau dieser Kirche stammt aus dem frühen Mittelalter. Sie hatte Ähnlichkeit mit der Grabeskirche des Ostgotenkönigs Theoderich in Ravenna. Hier auf dem Berg siedelten damals die Thüringer, ein germanischer Volksstamm. Und die Thüringer waren keine Katholiken, sie waren arianische Christen, die der Lehre des Philosophen Origenes (185-254) folgten. Sie kannten die Reinkarnation. Ihre Priester durften heiraten und lebten von ihrer Hände Arbeit. Sie kannten keine Heiligenverehrungen, keine Reliquien, waren also mit ihrer Lehre zumindest näher am frühen Christentum als die Katholiken es je gewesen sind. Später aber wurden die Thüringer von den Franken besiegt. Die Franken jedoch waren katholisch, und auch diese so genannte "Ketzerei" der "Arianer" wurde blutig unterdrückt.
Wenn wir ein paar Schritte weitergehen, lohnt sich ein Blick nach oben: Der höchste Punkt der Stadt ist die Festung, und der höchste Punkt der Festung ist eine Statue wiederum von Maria – allerdings wieder verfremdet als "Frau aller Völker" im Strahlenkranz.
Weshalb ist die Marienverehrung in Würzburg so stark? Hier lohnt sich ein Blick auf den Namen von Würzburg (lat. Herbipolis). Im August werden bis heute im katholischen Unterfranken so genannte "Würzbüschel" gesammelt. Man sagt, das sei ein katholischer Brauch. Doch dieser Brauch lässt sich zurück auf die Verehrung der germanischen Liebesgöttin Freya zurückführen. Würzburg war in germanischer Zeit ein Zentrum der Verehrung dieser Liebesgöttin. Die Marienverehrung hat insgesamt ihren Ursprung in der Verehrung der großen antiken Muttergöttinnen: Diana, Artemis, Isis usw. – oder auch der germanischen Freya.
Es handelt sich hier also um eine Art religiöses Recycling durch den Katholizismus. Man hat die große Muttergöttin verwandelt in Maria, denn sie sollte eine Lücke füllen. Das Wissen um den liebenden Vater-Mutter-Gott war im frühen Christentum noch vorhanden. Doch dieses Wissen wurde durch die katholische Kirche unterdrückt. Es passt nicht zur Lehre einer ewigen Verdammnis, die die Kirche einführte, um die Menschen in Angst und Schrecken zu halten. Die Menschen waren nun verzweifelt, sie hatten Angst vor der Hölle – und haben Trost gesucht bei einer Muttergöttin. Deswegen dieses Recycling.
Hier von der Festung aus hat man einen sehr schönen Blick auf Würzburg, auf die Stadt mit den vielen Kirchtürmen – und gleichzeitig auf eine der Städte mit den höchsten Selbstmordraten in Deutschland.
Diese vielen Kirchtürme und Kirchen haben die Bischöfe jedoch nicht davor bewahrt, dass sie sich 500 Jahre lang unten in der Stadt nicht sicher gefühlt haben. Denn sie haben die Bürger unterdrückt. Sie haben ihnen große Abgaben auferlegt, und sie haben sich 500 Jahre lang auf dieser Festung hier oben eingemauert. Und erst in der Barockzeit, im 18. Jahrhundert, haben sie sich hinunter getraut in die Stadt und haben dann dort unten die Residenz gebaut (rechts neben dem Dom ist sie zu erahnen). Napoleon hat sie "das größte Pfarrhaus Europas" genannt hat. Für diesen Bau haben aber auch wieder die Bürger mit ihren Abgaben bezahlen müssen.
Ist das alles nur Vergangenheit? Oder ist es noch Gegenwart? Ist das Mittelalter vorbei, oder steckt es noch in vielen Köpfen? Und wie lange wird es dauern, bis es aus diesen Köpfen wieder heraus ist?
Eines steht aber fest: So sehr man auch versucht hat, hier so
genannte
"Ketzer" und "Hexen" zum Schweigen zu bringen: Es gilt immer auch, was
Jesus von Nazareth zu den Menschen sprach, die Seine Jünger zum
Schweigen bringen wollten: "Ich sage euch, wenn diese schweigen, so
werden die Steine rufen." (Lk 19, 40)
Und auch wenn die Kirche seit Jahrhunderten versucht, den
Gottesgeist auszulöschen, indem sie die Menschen, die in diesem Sinne
wirkten, ermorden ließ. Sie werden immer wieder auferstehen.
Und nun eine gute Zeit
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