Hubertus Mynarek –

Martin Luther: Psychopath oder Krimineller?

Ein Psychogramm des Reformators – Das Seelenleben eines Inquisitors und Gewaltmenschen
 Auszug aus dem Buch von Prof. Dr. Hubertus Mynarek, Die neue Inquisition, Marktheidenfeld 1999, S.103-150, mit Genehmigung des Verlags

Aktualisiert am 20.8.2023


Vorbemerkung (Redaktion "Der Theologe", 1999): Jahrhunderte lang schaffte es die evangelisch-lutherische Kirche, dem gläubigen Volk den wahren Charakter ihres Gründers zu verheimlichen. Im Verbindung mit einer unkritischen und kirchenabhängigen Geschichtsschreibung entstand die Legende vom "großen Reformator" Martin Luther. Ende des 20. Jahrhunderts stellte sich aber mehr und mehr heraus, dass es sich hierbei um eine der größten Geschichtsfälschungen des Abendlandes handelt. Martin Luther verdankt seine scheinbare Größe der Korruptheit der katholischen Kirche, die er zu reformieren suchte und schließlich bekämpfte. Schon nach wenigen Jahren wurde er dabei selbst zum machtbesessenen und intoleranten Fanatiker, der zu Mord und Totschlag aufrief. Die nachfolgende Studie des ehemaligen katholischen Theologieprofessors und Religionswissenschaftlers Dr. Hubertus Mynarek liefert ein ungeschminktes Psychogramm dieses Mannes, das letztlich auch zur Basis der nach ihm benannten Kirche wurde.

Martin Luther (1483-1546) im Sterbehemd – Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, 1546


Martin Luther ist der Stifter und Begründer der evangelisch-lutherischen Kirche. Neben dieser Kirche bildeten sich im 16. Jahrhundert noch die Kirchen der Schweizer Calvin und Zwingli als weitere Teile des reformatorischen, von der römisch-katholischen Mutterkirche abgespaltenen Christentums heraus. Ursprünglich und sowohl von den Inhalten wie von der Quantität her sind die "Kirchen" Luthers, Calvins und Zwinglis eigentlich lediglich als "Sekten" zu bezeichnen. In Deutschland erreichte die "Kirche" Luthers im Vergleich mit den Sekten Calvins und Zwinglis den weitaus größten Einfluss, der erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Schwinden begriffen ist. Auf die evangelisch-lutherische Kirche und ihre Sektenbeauftragten haben wir uns deshalb im Folgenden besonders zu konzentrieren. Dabei widmen wir uns zunächst dem Vorbildcharakter Luthers für die heutigen evangelischen Sektenbeauftragten.
Am Anfang der religiösen Reformbewegung des 16. Jahrhunderts in Deutschland steht die übermächtige Gestalt Martin Luthers. Seine Person, sein Charakter, sein Verhalten, seine Schriften und Vorgehensweisen bestimmen bis heute auch übermächtig Wesen, Geschichte und prominente Persönlichkeiten der evangelischen Kirche in Deutschland, teilweise auch noch darüber hinaus. Den Begründer ihrer Kirche, den Reformator Luther, lernen die evangelischen Theologiestudenten in ihrem Studium intensiv kennen, an ihm orientieren sie sich, an ihm nehmen sie Maß für ihr eigenes Leben, Schreiben und Wirken, er ist ein zentrales Motiv ihres Handelns und ihrer Sicht der Religion, der Moral, der Welt, der Gesellschaft und des Staates. Man kann also mit Bestimmtheit sagen: Wer Luther nicht kennt, der kann auch einen evangelischen Theologen oder Kirchenmann nicht verstehen. Daher ist es auch so wichtig, die Persönlichkeit, die Theorie und Praxis Martin Luthers zu studieren, um sich ein möglichst objektives und umfassendes Bild von jenen evangelischen Theologen machen zu können, die heute als Sektenbeauftragte ihrer Kirche fungieren.

Luther war "katholisch hoch zehn"

Wer und wie war also Martin Luther? Da ist zunächst einmal die für evangelische Theologiestudenten anfangs etwas befremdlich wirkende Tatsache, dass die Wurzeln ihrer Kirche tief ins römisch-katholische Erdreich hinabreichen, denn Luther war nicht nur katholisch, sondern er war katholisch hoch zehn: er war mönchisch-katholisch. Und er wäre der Mönch, der er war, höchstwahrscheinlich auch geblieben, wenn da nicht der fatale, unaufhörliche, am Ende aber stets vergebliche und erfolglose Kampf gegen seine gewaltige Triebhaftigkeit gewesen wäre. Seine cholerische Triebnatur widersetzte sich den göttlichen wie den kirchlichen Geboten und Verboten, wollte sich ihnen nicht unterordnen. Luther fühlte sich als Sünder, als Verworfener, denn seine urwüchsige, rohe Kraftnatur sündigte mächtig, um ihm dann nach vollbrachter Tat ebenso mächtige Gewissensbisse zu bescheren. Andere Mönche sündigen in ihren einsamen Klosterzellen auch, aber sie gehen demütig zur Beichte, jenem "herrlichen" sakramentalen Instrument, das die römisch-katholische Kirche für jene Seelen bereithält, denen sie vorher ein deprimierendes Schuldbewusstsein eingeimpft hat. Nach der Befreiung durch das Bußsakrament geht das wackere Sündigen dann von neuem los, bis zum Termin der nächsten Beichte (in vielen Klöstern jede Woche ein- bis zweimal, Zwischendurch-Besuche beim Beichtvater nicht ausgeschlossen!).

Doch Luther war nicht der Typ, der sich mit dieser Prozedur, dieser Automatik des unablässigen Sündigens und Losgesprochenwerdens zufrieden geben konnte. Sein Stolz, sein Hochmut, sein Ehrgeiz, seine Verliebtheit in sich selbst, sein Selbstbewusstsein ertrug es auf die Dauer nicht, sich ständig als Sünder, als Scheiternden, als dem Anspruch des Gesetzes nicht Genügenden, als Minderwertigen zu empfinden. Lange litt er unter diesem Zwiespalt, der ihn fast neurotisch, fast schizophren werden ließ. Mächtig arbeitete es in ihm, in seinem Unterbewussten. Aber irgendwann brach es aus ihm heraus, kam es wie eine Erleuchtung, ja wie eine Offenbarung durch Gott selbst über ihn. Jetzt war er überzeugt: Auf das Tun des Willens Gottes, auf die Gesetzlichkeit, also die Konformität des Menschen mit den Gesetzen Gottes und der Kirche in der Praxis, auf die "Werke", kommt es überhaupt nicht an. Die sind in den Augen Gottes, den er nach Maßgabe seiner eigenen Natur weitgehend als übermächtigen und despotischen Willkürgott auffasste, ein wahres Nichts. Gott vergibt, wem er vergeben will, und verhärtet, wen er verhärten will. Seine Macht und Gnade sind alles, der Mensch mit seinem in den Augen Gottes lächerlichen Tun ist in religiös-moralischer Hinsicht nichts und zu nichts fähig. Die Rechtfertigung des Sünders geschieht allein durch Gott, aus purer Gnade. Der Mensch kann dem nichts, aber auch nichts hinzufügen. Er muss lediglich fest an die Rechtfertigung durch Gottes Gnade und das stellvertretende (des Menschen Leistung vertretende) Sühneleiden Christi glauben.

Jetzt jauchzte Luthers Seele, denn jetzt konnte er seiner Natur freien Lauf lassen, konnte eifrig, mutig, schrankenlos sündigen, ohne seines Heils verlustig gehen zu müssen: "Simul iustus et peccator", gleichzeitig Gerechter (Gerechtfertigter) und Sünder, wurde zur höchsten Maxime seines Lebens und zum neuen Ur-Dogma der lutherischen Reformation. Hätte Luther seine Theorie des gleichzeitigen Sünder- und Gerechtfertigtseins nur an sich selbst ausprobiert, wäre er in seiner Mönchszelle geblieben, um dort nur für sich selbst unbeschwert zu sündigen und sich ebenso unbeschwert von allen Sünden freizusprechen, dann wäre dies weitgehend folgenlos geblieben. Aber später glaubte er, wie wir noch sehen werden, dass er sich auch in gesellschaftlicher und religionspolitischer Hinsicht, in Bezug also auf die armen und ausgebeuteten Volksschichten sowie in Bezug auf andere religiöse Bewegungen keinerlei moralische Schranken aufzuerlegen bräuchte, was fatalste Folgen zeitigen sollte.

Es war dann um so weniger ein Problem für Luther, seine Ordensgelübde zu brechen, sein Mönchsgewand auszuziehen und eine aus dem Kloster entlaufene Nonne, nämlich Katharina von Bora, zu heiraten. Von der katholischen Mutterkirche wurde Luther Jahrhunderte lang als Abtrünniger, als Apostat, als Renegat, als Verräter usw. bezeichnet. Ein durch und durch negatives Lutherbild wurde bis hoch hinauf ins 20. Jahrhundert den katholischen Volksmassen eingetrichtert.

Im Raum der protestantischen Kirchen und Freikirchen wird dagegen die katholisch-exkatholische Vorgeschichte Luthers meist schamhaft übergangen, werden die biografischen Auslöser seiner abstrusen Lehre von der totalen Heillosigkeit, Sündhaftigkeit und ethischen Unfähigkeit des Menschen möglichst verschwiegen, wird kaum oder überhaupt nicht darauf eingegangen, dass natürlich diese Lehre dadurch beeinflusst wurde, dass Luther partout mit der mönchischen Dis­ziplin und Askese nicht zurechtkam, dass er der von den Ordensgelübden geforderten Moral (der Armut, der Keuschheit, des Gehorsams) nicht zu entsprechen vermochte.

Aber so dialektisch sind Welt und Leben strukturiert, dass aus der Irrlehre Luthers zunächst auch etwas Positives herausspringen kann. Denn wenn die Gnade Gottes Luther zufolge den Menschen unmittelbar, ohne dessen Zutun und Verdienste, rechtfertigt, dann würde sie ihn natürlich auch ohne jegliche kirchliche Vermittlung und Vermittlungsrituale rechtfertigen. Dann erweist sich auch der ganze übergewichtige, zwischen den Menschen und seinen Gott tretende klerikale Vermittlungsapparat zur Spendung der Sakramente, zur Herantragung des göttlichen Heils an den Menschen durch die Priester als unnütz und die ganze römisch-katholische Hierarchie von Papst, Kardinälen, Bischöfen und Priestern, die über die streng von ihnen getrennten Laien herrschen, ist total überflüssig, ja hinderlich für das Heil. Luthers Überzeugung von der wahren Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade, allein aus dem Glauben ("sola gratia", "sola fide") hätte den Reformator also an sich konsequenterweise und zwangsläufig zu einer demokratischen Kirchentheorie treiben müssen, zur Theorie einer Kirche, die im Widerspruch steht zu der derben römisch-katholischen Auffassung einer sichtbaren Heilsanstalt, einer massiv organisierten, hierarchisch gegliederten Zwecktruppe zur Erreichung des himmlischen Lohnes für gute Taten in der Verbindung mit dem braven Empfang der von den Pfaffen gespendeten Sakramente als den kirchlich stets verfügbaren Kanälen der Gnade Gottes.

Im Sinne dieser neuen denkbaren demokratischen Kirchenauffassung wurde  ja Luther zunächst auch von anfänglichen Mitstreitern und Sympathisanten wie Karlstadt, Müntzer oder den Täufern verstanden. Und auch manche heutige christliche Gruppierungen wie z.B. das "Universelle Leben", das gerade von lutherischen Sektenbeauftragten so massiv attackiert wird, steht Luthers anfänglicher Kirchentheorie näher als diese Sektenjäger, die heute einer Kirche anhängen, die mit Luthers ursprünglichen Kirchengedanken kaum mehr etwas gemein hat. Luther in seiner reformatorischen Anfangsphase, Müntzer, die Täufer, aber auch das "Universelle Leben" und einige andere heutige christliche Gruppen, von den beiden Großkirchen und ihren Sektenbeauftragten verächtlich als "Sekten" bezeichnet, stehen für eine unsichtbare, geistige Gemeinschaft, ein Reich des Glaubens und der Liebe, das keinen Primat und keine Autorität eines Papstes braucht, um funktionieren zu können.

Luthers Verhältnis zum Papst: Erst Unterwerfung, dann Bezeichnung als "Teufel" und "Antichrist"

Luthers Ablehnung eines von Jesus gestifteten Primats des Papstes durchlief zwar einige, auch opportunistisch-kompromisslerische Entwicklungsstadien bis hin zur radikalen Leugnung der päpstlichen Oberhoheit und ihrer Identifizierung mit dem Antichrist. Aber man kann diese Ablehnung nicht einfach leugnen, nicht als lediglich zeitgeschichtlich bedingt und heute nicht mehr aktuell entwerten, wie das viele Lutheraner und evangelische Sektenbeauftragte gegenwärtig tun, um das ökumenische Klima nicht zu vergiften und um sich der katholischen Kirche anzubiedern. Natürlich steckt in diesem Sachverhalt ein echtes Dilemma für die Sektenbeauftragten, daher dreschen sie ja um so heftiger auf die sog. neuen Sekten ein, weil sie einerseits spüren, dass so manche dieser "Sekten" dem ursprünglichen Ideal einer demokratischen Kirche (auch im Sinne des jüngeren Luther) viel näher stehen als sie selbst, und weil sie andererseits ihren eklatanten Widerspruch zur ursprünglichen Kirchenkonzeption des Reformators verdecken möchten. Der eigene Abfall vom Ideal wird verdrängt und kaschiert, dafür wird ein Sündenbock gesucht, auf den man alles lädt, was man selber versäumt, verbockt und verbrochen hat. Dieser psychologische Ablaufmechanismus ist sattsam bekannt.

Wie gesagt, die heutigen evangelischen Kirchenapologeten lügen sich in die eigene Tasche, wenn sie Luthers Kritik an der römisch-katholischen Kirche zu verharmlosen versuchen. In Wirklichkeit resultiert seine ganze ursprüngliche, in manchen Hinsichten ideale Kirchenkonzeption aus einer einzigen Wurzel, nämlich aus seiner Rechtfertigungslehre. Die ist zwar extrem einseitig und als solche falsch, führt aber, konsequent weitergedacht, zur Ablehnung einer sichtbaren und hierarchischen Heilsorganisation, wie sie sie in klassischer Weise die römisch-katholische Kirche repräsentiert. Sie führt auch konsequent zur Aufhebung aller Schranken zwischen Priestern und Laien, zum "allgemeinen Priestertum" aller Christen, da ja keiner ein ihm von Gott geschenktes Gnadenprivileg dem anderen voraushat.

Tatsächlich aber behielt Luther die Kirche als Vermittlungsinstanz bei. Überall dort, wo "Wort und Sakrament" in der seiner Meinung nach rechten Meinung gehandhabt würden, gewinne die unsichtbare Kirche in der sichtbaren Gestalt. Durch die Amtskirche würde auf diese Weise die Rechtfertigungsgnade vermittelt, die der Mensch brauche, um gerettet und nicht ewig verdammt zu werden. Nur der Papst sei überflüssig, die Kirche nicht. Obwohl er vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen sprach, braucht der Gläubige doch wieder einen speziellen Priester, der ihm predigt und die Sakramente austeilt.

Ohne dass er es wusste oder wollte, wurde seine Rede vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen anti­klerikal und sozialrevolutionär verstanden. Denn auf die mit diesem allgemeinen Priestertum gegebene "Gleichheit aller Christen" beriefen sich nun alle unterdrückten und ausgebeuteten Schichten der deutschen Nation, allen voran die maßlos gequälten Bauern. Zahlreiche Flugschriften der Bauern aus dieser Zeit legen Zeugnis davon ab, dass diese Volksschicht bzw. ihre Führer Luthers Beteuerungen der Gleichheit und "Freiheit eines Christenmenschen" beim Wort nahmen. So wurde Luther mit seiner Predigt vom allgemeinen Priestertum und von der Gleichheit aller Christen wider Willen zum Mitinitiator der im Sommer 1524 losbrechenden Bauernaufstände, die sich fast durchweg auf die Reformation beriefen.

Luther selbst hatte ja auch nicht nur flammende Worte gesprochen, sondern in seiner bombastischen Art auch symbolträchtige Taten gesetzt, die die unterdrückten Volksschichten als Ermutigung zu eigenen Aktionen auffassen mussten. Er hatte zur Bekräftigung seiner Überzeugung, "dass der einzelne Glaubende auch gegen die Leitung der Kirche für das Evangelium einstehen müsse", die 41 seiner Ablassthesen verdammende päpstliche Bulle "Exsurge Domine" vom 15.6.1520 vor den Toren Wittenbergs verbrannt, ebenso das Gesetzbuch der Kirche, das Corpus Iuris Canonici, um zu demonstrieren, dass das Ende des gesetzlich-rechtlichen Charakters der kirchlichen Ordnung gekommen, sie durch eine neue Ordnung ersetzt sei und das Evangelium (der Gnade) über dem Gesetz stehe. Luther war über diese seine Verbrennungsaktion, diese pyrotechnische Tat glücklicher als über alles, was er während seines ganzen Lebens je gesagt hatte.

Ebenso wie der Klang seiner eigenen Worte zuvor seine Überzeugungen angefeuert hatte, scheint der Anblick des Feuers seine Aufsässigkeit entflammt zu haben. In diesem Augenblick setzte der Kampf zwischen Wort und Tat, zwischen Überzeugen und In-Brand-Setzen ein. Jedes seiner Worte brachte seine Landsleute zu Taten ... Ehe er sich dessen versah, äußerte Luther gewalttätige Worte, die für ihn zweifellos oft nur Dichtungen des Zorns waren. Aber seinen Anhängern galten sie als Ereignisse, die zu konkreten Taten verpflichteten und sie rechtfertigten." 150

Die spektakuläre öffentliche Verbrennung der päpstlichen Bulle und des kirchlichen Gesetzbuches markiert einen Meilenstein im Prozess der immer weiteren Entfernung Luthers von der katholischen Kirche. Denn mit dieser Verbrennung zementierte er seinen Ungehorsam gegen Rom und brachte er seine Verachtung der kirchlich kodifizierten Moralgesetze zum Ausdruck. Luther demonstrierte öffentlich, dass er "nicht mehr bereit" war, "sich durch die tradierten Kategorien der kirchlichen Justiz fassen zu lassen und stellte damit die gesamte kirchliche Institution in Frage". 151 Bald wird er vor maßloser Wut überschäumen, denn gerade die Verbrennung des sakrosankten Gesetzbuches der Kirche durch ihn wurde natürlich in Rom als unerhörter Angriff auf die Grundfesten der eigenen Institution empfunden und sehr bald, nämlich am 3. Januar 1521, mit der päpstlichen Bulle "Decet Romanum pontificem" beantwortet, in der Luther feierlich zum Ketzer erklärt wird. Wie gesagt, jetzt kannte Luthers Zorn keine Grenzen mehr. Hatte er früher dem Papst in Rom noch mancherlei Zeichen der Bereitschaft zum Widerruf gesandt, hatte er sogar ein Jahr nach seinem berühmten Thesenanschlag dem Heiligen Vater noch unterwürfigsten Gehorsam versprochen, so feuerte er jetzt die fürchterlichsten und ordinärsten Schimpfkanonaden gegen Rom ab. Heutige evangelische Theologen möchten am liebsten in den Boden versinken, wenn man ihnen vorliest, was Luther in sklavischstem Untertänigkeitston noch ein Jahr nach Veröffentlichung seiner Ablassthesen dem Papst signalisiert hatte: "Allerheiligster Vater, ich lege mich Deiner Heiligkeit zu Füßen und übergebe mich Dir mit allem, was ich bin und habe. Lass mich leben oder sterben, billige mein Werk oder verwirf es nach Deinem Gefallen: Deine Stimme will ich als Christi Stimme erkennen, der in Dir herrscht und redet. Habe ich den Tod verdient, so will ich mich des Todes nicht weigern." 152 Meinte es Luther ernst mit diesem würdelosen Text? Dann wird für kurze Zeit die sklavische Unterwürfigkeit in der Seele Luthers offenbar, die seine ganze Theologie durchzieht und die am deutlichsten in seiner Lehre vom  unfreien Willen in den entscheidendsten Glaubens- und Lebensfragen sichtbar wird. Der Mensch ist – nach Luther – entweder vom Teufel oder von Gott besessen, wobei auch der Teufel von Gott als Instrument benützt wird. Niemals hat er jedoch Glaubensfreiheit. Oder meinte Luther es nicht ernst mit der Ergebenheit gegenüber dem Papst? Dann haben wir hier das Musterbeispiel einer unüberbietbaren infamen Heuchelei vor uns.

Die Stimmungslage Luthers schlägt schließlich von tiefster Unterwürfigkeit zu hochmütigster Überheblichkeit um. Denn nachdem seine Ergebenheitsadressen an den Papst keine Wirkung in dem von ihm erhofften Sinn erbracht hatten, identifizierte sich Luther jetzt mit dem am Papst zu vollstreckenden göttlichen Strafgericht, während er den Papst mit allem Widergöttlichen und Teuflischen gleichsetzte. Die Polarisierung zwischen Luther und dem Papst zeigt deutlich, wie die von ihnen repräsentierten Kirchen vorgehen, wenn's hart auf hart kommt, wenn sie sich in ihrer Machtfülle bedroht fühlen. Dann nämlich wird der Gegner gnadenlos verteufelt. Galt Luther dem Papst als "ein Kind des Satans", so revanchierte sich der erstere gleich doppelt und dreifach, indem er den Papst als "den letzten und mächtigsten Antichrist" 153 und das Papsttum nebst Kurie als "Gewürm des römischen Sodom" bezeichnete. "Der wahre Antichrist", so Luther, "sitzt in Gottes Tempel und regiert in dem roten Babel. Rom und die römische Kurie ist die Synagoge des Satans". Ja, er forderte Kaiser, Könige und Fürsten auf, "diese Pest des Erdkreises mit Waffengewalt anzugreifen und die Sache nicht mit Worten, sondern mit Eisen zu entscheiden". "Wenn wir", so Luther weiter, "Diebe strafen mit dem Galgen, Räuber mit dem Schwert, Ketzer mit dem Feuer, warum brauchen wir da nicht jeder Art Waffen wider solche Lehrer der Verderbtheit, wider diese Kardinäle, Päpste und die ganze Grundsuppe des römischen Sodoms und waschen unsere Hände in ihrem Blut?" 154

Luther folgte einem dämonischen Zwang

Es gibt so etwas wie ein "Gesetz der Dämonie" in der Psyche machthungriger bzw. machtbesessener Menschen. Luthers Psyche folgte fährig diesem dämonischen Zwang. Sie glaubte, den Sieg, die Überlegenheit über den Gegner nur dadurch endgültig sichern und garantieren zu können, dass sie ihn mit dem Teufel identifizierte. In seiner Identifizierung des Papsttums mit Teufel und Antichrist schreckte Luther auch vor sexuellen und analen Kennzeichnungen der obersten Spitze der römisch-katholischen Kirche nicht zurück. Luther erklärte allen Ernstes, "dass der einzige Körperteil, den der Papst unbeaufsichtigt lassen musste, die Kehrseite sei ... Diese Exterritorialität wurde jedoch vom Teufel erkannt, der sie unverzüglich monopolisierte: 'Wenn wir ymmer sollten freud haben', sagte Luther, 'so solt uns der teuffel bescheissen' ... unter allen Bereichen seines Körpers hatte die Kehrseite bei ihm zweifellos bösartige Vorherrschaft. Oft sprach Luther Dinge direkt aus, die in unserer Zeit erst Freud implizite, symbolisch und unbewusst in neurotischen Symptomen ausgedrückt fand ... Als Freud die Bedeutung dieser unbewussten Dinge entdeckte, war er von der offenkundigen Parallele zur Hexerei betroffen, die durch die Exkremente des Menschen höllischen Einfluss über ihn zu gewinnen suchte. 'Ich fange an, von einer ganz primitiven Teufelsreligion zu träumen' ... Luther jedoch, als er sich im Tief seiner Depression als Fäkalie bezeichnete, die bald aus dem Welt-Rektum ausgestoßen werden müsse, näherte sich damit so weit der Sprache des Unbewussten, dass er mit einem weniger poetischen Geist einer Psychose sehr nahegekommen wäre. Seine auf dem Mist gewachsenen Angriffe auf den Papst wurden dagegen eindeutig zur Besessenheit bei ihm. So ließ er zum Beispiel Holzschnitte herstellen, auf denen die Kirche als Hure gezeigt wurde, die rektal eine Teufelsbrut gebiert. Aus dem päpstlichen Familiennamen Farnese macht er 'Furzesel'. In ihrer Maßlosigkeit drückten Luthers Obszönitäten die Not einer manisch-depressiven Natur aus, die einen Zustand unerbittlicher parano­ider Bekämpfung eines fest bestimmten äußeren Feindes aufrechterhalten muss, um zu verhindern, dass sie sich selbst preisgibt und sozusagen ausscheidet ... Wir müssen folgern, dass Luther mit seinen analen und wild verwerfenden Lästerungen ein Sicherheitsventil zu finden suchte." 155 Schließlich konnte Luther nicht einmal mehr beten, ohne das Papsttum zur gleichen Zeit zu verteufeln: "Denn ich kan nicht beten, ich mus da bey fluchen. Sol ich sagen: Geheiligt werde dein name, mus ich da bey sagen: Verflucht, verdampt, geschendet müsse werden der Papisten namen ... Sol ich sagen: Dein Reich kome, so mus ich da bey sagen: verflucht, verdampt, verstöret müsse werden das Bapsttum ... Werlich, so bete ich alle tage mündlich und mit dem hertzen on unterlas." 156

Hier stehen wir tatsächlich vor dem Tatbestand einer krankhaften Obsession, einer Besessenheit, die dem älteren Luther immer mehr zu schaffen machte. Seine Psyche wurde von ein paar fixen Ideen (gefangen-)gehalten, die er nicht mehr kritisch zu hinterfragen vermochte. Die Polarität zwischen der kritiklosen Vereinnahmung Gottes für sich selbst auf der einen und der Gleichsetzung des Gegners mit dem Teufel und den verschiedensten sexuellen Perversionen auf der anderen Seite hatte ihren "religiösen" Höhepunkt bei Luther erreicht, einen Höhepunkt, auf dem es ihm sogar zur Gewissheit wurde, was er auch flugs öffentlich verkündete, "dass niemand gerettet werden könne, der nicht wie er die römische Kirche verlasse". 157 Aber selbst diese Fixiert- und Besessenheit Luthers hat ihre heutigen Parallelen, auch wenn dies nicht im klinisch-psychiatrischen Sinn relevant sein muss. Aber von Besessenheit im weiteren Sinn bei zahlreichen heutigen evangelischen Sektenbeauftragten darf wohl berechtigterweise gesprochen werden, wenn man sieht, wie die meisten von ihnen ununterbrochen und maßlos alles Negative, Perverse, Dämonische den sog. Sekten unterstellen und diese Unterstellungen gebetsmühlenartig in den Medien wiederholen. Auch sie halten wie Luther ein Feindbild mit allen Mitteln aufrecht, um nicht in die psychotischen Abgründe ihrer eigenen Schlechtigkeiten hinabzustürzen.

Luther selbst setzte sein "Gott-Teufel-Schema" schließlich praktisch gegen alle Gruppierungen, Richtungen und Strömungen vehement ein, die nicht total auf seiner Linie lagen oder sich ihm nicht voll unterordneten. Ganz besonders schlimm traf es die aufständischen Bauern und ihre Anführer. Kein Mittel zur Überzeugung der staatlichen Obrigkeit von der Notwendigkeit, schärfste Methoden gegen die Bauern in Anwendung zu bringen, erschien Luther so wirksam wie das der Verteufelung dieser gehetzten, armen Menschen: Es könne "nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres" geben als diese Leute, die "nichts als Teufelswerk" trieben; sie "dienten ... dem Teufel unter dem Schein des Evangeliums", weswegen "sie wohl zehnmal den Tod verdient haben an Leib und Seele"; sie seien "des Teufels" und bildeten einen "teuflischen Bund" der "Bosheit und Verdammnis". Er, Luther, meine, dass kein Teufel mehr in der Hölle sei, sondern allesamt in die Bauern gefahren seien. Darum solle "fliehen vor den Bauern, wer da kann, wie vor dem Teufel selbst". 158

Aufrufe zum Totschlagen des "Bauernpacks"

War die Identität der Bauern mit dem Teufel als Inbegriff des schlechthin und unüberbietbar Bösen einmal hergestellt und den Adressaten von Luthers Empfehlungen eingetrichtert, dann gab es für die letzteren bei der Begegnung mit Bauern nur noch diese Alternative: entweder zu fliehen oder das teuflische "Bauernpack" totzuschlagen. Luther gibt allen Ernstes und mit allem Nachdruck neben dem Rat, zu fliehen, auch die Devise aus, die Bauern zu vernichten: Wer einen Aufrührerischen "am ersten kann und erwürgen mag, tut recht und wohl. Denn über einen öffentlichen Aufrührerischen ist ein jeglicher Mensch beides, Oberrichter und Scharfrichter. Gleich, als wenn ein Feuer angeht, wer am ersten löschen kann, der ist der beste ... Drum soll hier zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann ... Gleich, als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss ... Denn hundert Tode sollte ein frommer Christ erleiden, ehe er ein Haarbreit in der Bauern Sache einwilligte". 159

Was Luther hier in seiner maßlosen Hetze betreibt, ist schlimmste Lynchjustiz, weil er jeden Gegner der Aufständischen legitimiert, als Ober- und Scharfrichter zu fungieren.

Noch rasender als gegen die Bauern wütete Luther gegen deren ideologischen Führer, gegen Thomas Müntzer. Kein Wunder, dass er gegen ihn noch intensiver als gegen sie die diskriminierendste Waffe machtpervertierter Religion einsetzte: die Verteufelung im Namen Gottes, der allein durch Luther spreche. Luthers "Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist" (Juli 1524) ist ein einziges Hetzschreiben gegen Müntzer, in dem er den sächsischen Adel auffordert, den "Satan von Allstedt", wie er diesen revolutionären Führer der Bauern zu titulieren pflegte, gewaltsam zu beseitigen. Er beschimpft ihn in diesem Brief als einen "Weltfressergeist", einen "lügenhaftigen Teufel", einen "schlechthin Teufel", einen "Lügengeist", einen "ausgetriebenen Satan", womit Luther auf Müntzers Vertreibung aus Zwickau im April 1521 anspielt. Ihm fehle, so Luther gegen Müntzer, die Legitimation durch Gott, deshalb sei er ebenso wie sein "zusammengerotteter" Bund der Auserwählten gewaltsam auszuschalten: "Dazu rottet er sich selbst, als sei er allein Gottes Volk, und fährt zu, ohne ordentliche Gewalt von Gott verordnet und ohne Gottes Gebot, und will seinem Geist geglaubt haben." Es wäre "vor den Leuten und der Welt nicht zu entschuldigen", wenn die Fürsten "aufrührische und frevle Fäuste dulden und leiden sollten". In anderen Schreiben sind Luthers Beschimpfungen seines großen Gegners eher noch maßloser. Er bezeichnet ihn als einen "rottischen Propheten" 160, als "den Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts als Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet", als "einen Mörder von Anbeginn". 161 Zu guter oder richtiger: zu schlechter Letzt stellt Luther noch einmal eine von Hass triefende Schrift gegen Müntzer fertig, die den bezeichnenden Titel trägt: "Eyn Schrecklich geschicht und gericht Gottes über Thomas Müntzer, darynn Gott offentlich desselbigen geyst lügen strafft und verdamnet".

Woher stammte Luthers entsetzlicher, im wörtlich zu nehmenden Sinn mörderischer Hass gegen Müntzer? Es scheint kein Zweifel daran bestehen zu können, dass Luther sehr bald erkannt haben musste, dass Müntzers redlichere, geradlinigere und konsequentere Haltung, noch dazu verkörpert in einer ihm intelligenzmäßig und in Bezug auf Ausdruckskraft und Wortgewalt der Sprache ebenbürtigen Persönlichkeit, eine Infragestellung seines reformatorischen Werkes und eine Verurteilung von dessen Halbheiten bedeutete. Die ursprünglichen, in der von Luther gemachten Glaubens- und Rechtfertigungserfahrung liegenden demokratischen und sozialbefreienden Ansätze hatte dieser wieder zurückgenommen oder zunichte gemacht, Müntzer aber radikal und konsequent zu Ende gedacht, dargestellt und gelebt.

Besonders am Vergleich mit Müntzer musste Luther schmerzhaft enttäuschend klar werden, dass er mit seiner Reform auf halbem Wege stehengeblieben, ja, dass er – was schlimmer war – die Stoß- und Sinnrichtung seiner fortschrittlichen Ideen und Impulse wieder zurückgebogen, zum Teil selber verraten hatte. Gerade die Jahre 1524 und 1525, in denen Luther in seinen Schriften und Aufrufen so maßlose Hetzpropaganda gegen Müntzer und die Bauern betrieben hatte, bedeuteten zugleich und in Verbindung damit das Ende einer Volksbewegung und den endgültigen Beginn einer pseudoreformatorischen Reaktion, Restauration und Reglementierung von oben. Die dem Papst sklavisch hörige Kirche war nun durch eine dem Landesfürsten hörige Kirche ersetzt, wobei der "weltliche" Herrscher jetzt praktisch alle kirchlich-bischöflichen Vollmachten besaß, so dass im obrigkeitlich verwalteten Landeskirchentum lutherischer Provenienz die Verbindung zwischen Thron und Altar enger, der allmächtige Kirchenstaat härtere Realität geworden war als in der vorreformatorischen, kirchlich-katholischen Zeit, in der der Kampf zwischen Kaiser und Papst, Landesfürst und Kirchenfürst noch möglich gewesen war. Durch Luther selbst war also aus seiner unsichtbaren, geheimen, nur Gott bekannten Universalkirche der wahrhaft Glaubenden der massiv sichtbare Kirchenstaat geworden, ein Kirchenstaat, der auf andere Weise, aber nicht minder brutal wie in der kurialen Verwaltung der Romkirche das religiöse Anliegen des Menschen pervertierte und entprivatisierte, indem er Konsistorien, oberste religiöse Verwaltungsgremien, aus dem Landesfürsten als Vorstand und je zwei Theologen und Juristen bestehend, gründete, die das ganze Leben des Christen, seine Arbeit, seinen Beruf durchgehend reglementierten, observierten und unter Strafe stellten, eine Strafe, die das Recht einschloss, ihn zu inhaftieren, der Bürgerrechte zu berauben, ihm den Arbeitsplatz zu nehmen, ihn sozial zu isolieren.

Marxens Wort, Luther habe "die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat", 162 muss besonders auf die Landesfürsten angewandt werden, die nun Laien und Pfaffen, weltliche und geistliche Herrscher, zugleich waren. Die religiöse Knechtschaft und Bevormundung war jetzt sogar in gewisser Weise noch größer geworden als vor der Reformation. Denn der durch Gebet und ernstes Sich-Einlassen auf die Weisheit der Heiligen Schrift, durch innere Erfahrung und klares, mutiges Bekenntnis zur "reinen Lehre" mündig und innerlich frei gewordene Christ hatte plötzlich zwar nicht mehr den katholischen Dogmen, den Glauben und Moral regelnden Verlautbarungen von Papst und Bischöfen als maßgebenden, sich über sein religiöses Innenleben hinwegsetzenden Normen zu gehorchen, wohl aber genauestens auf den Willen des Landesfürsten als höchsten Glaubens- und Sittenmaßstab zu achten. Nicht nur dessen religiöses Glaubensbekenntnis war anzuerkennen und zu übernehmen, wenn man aus dem Bereich seines Fürstentums nicht auswandern wollte, sondern im Grunde auch seine weltlichen Entscheidungen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich.

Nur ein Glaube soll geduldet werden, die anderen verfolgt

Allen Ernstes äußerte Luther 1528 die Ansicht, "dass das Gebot des Moses, 'Ehre deinen Vater', sich auf diese Fürsten beziehe und daher mit dem ausdrücklichen Verbot politischer Rebellion gleichzusetzen sei ... Auch der Betende sollte nicht nur mit sich selbst zu Rate gehen, sondern auch auf seine Herrscher hören, um alle Zeichen des göttlichen Plans sicher wahrzunehmen. Dieses neue Gesicht eines Gottes, der sich im Gebet, in der Heiligen Schrift und in den Entscheidungen des Landesvaters erkennen ließ, wurde für eine neue Klasse und für eine Religiosität, die den neuen merkantilen Fortschrittsbestrebungen entgegenkam, bestimmend. Obwohl er heftiger als irgend jemand sonst auf Ablass und Wucher reagiert hatte, half Luther, die metaphysische Mesalliance zwischen Wirtschaftsegoismus und Kirchenzugehörigkeit vorzubereiten, die für die westliche Welt so kennzeichnend wurde". 163 Die Gegenreformation konnte durch neue, verinnerlichende Predigten und Frömmigkeitsbestrebungen deshalb so an Boden gewinnen, weil Luther seinen Kampf gegen die veräußerlichten Formen romhöriger Religiosität auf halbem Wege abgebrochen hatte.

Luther hatte also sein reformatorisches Werk zwar "gerettet'', indem er es devot-unterwürfig in die Hände der Obrigkeit gelegt, unter den Schutz der Herrschenden, der Fürsten, gestellt hatte, so dass es vor den mit den Bewegungen der unteren Volksschichten verbundenen Risiken und Krisen verschont geblieben war. Aber der Preis, den er, den die Reformation dafür bezahlen musste, war enorm hoch: Der religiösen Emanzipationsbewegung, die er eingeleitet hatte und die nicht ohne tiefgreifende sozial­politische Folgen hätte bleiben können, hatte Luther eine ebenso gewaltige Retardations- und Reaktionsbewegung entgegengesetzt, welche jeden Befreiungsprozess praktisch zunichte machen musste. Die theoretischen Weichen für eine solche Entwicklung hatte Luther bereits relativ früh gelegt. In seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" (Oktober 1520) stehen die seine paradoxe Haltung zum Befreiungsprozess theoretisch rechtfertigenden Worte: "Eyn Christen mensch ist eyn freyer Herr uber alle ding und niemandt unterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yedermann unterthan." 164 Indem Luther derart die Glaubensfreiheit in widernatürlicher Weise von der politischen und gesellschaftlichen Freiheit abtrennte, hat er die sozioökonomische Befreiung der arbeitenden Volksschichten in Deutschland für den Zeitraum ganzer Jahrhunderte entscheidend verhindert. Durch sein reaktionäres Verhalten in Wort und Tat blieb die Volksmehrheit an den religiösen, politischen und gesellschaftlich-ökonomischen Entscheidungen der nächsten Jahrhunderte so gut wie vollkommen unbeteiligt. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich die Folgen der Ethik Luthers für die Politik auszumalen. Jedenfalls bedeutete seine radikale Trennung von religiöser und politischer Freiheit, sein damit verbundenes Axiom, dass der Christ im weltlichen Bereich der von Gott gesetzten Obrigkeit unbedingt zu gehorchen habe, praktisch die Freisetzung und Legalisierung jeder politischen Handlungsweise der Herrschenden.

Der Herrschende wiederum hat dafür zu sorgen, dass im Land nur ein einziger Glaube praktiziert wird. Andersgläubige werden als "Aufrührer" gebrandmarkt und müssen nach Luthers Lehre hingerichtet werden. Gemäß seiner Lehre gelten Staat und Kirche als die beiden Reiche zur rechten und linken Hand Gottes. Die Kirche stellt dem totalitären Fürstenstaat die Gläubigen als gehorsame Staatsdiener zur Verfügung, der Staat unterstützt und hilft der Kirche und ermordet eventuell Gegner der Kirche.

Nicht nur der Reformation hatte Luther auf diese Weise den "Frieden" gegeben, auch sein eigenes Leben hatte nun alles Rebellische, Revolutionäre, Riskante seiner jungen Jahre abgestreift und verlief in friedlichen, bürgerlich sicheren, wirtschaftlich risikolosen Bahnen. Er bezog als Pastor und Professor ein festes, relativ hohes Gehalt, und der Kurfürst hatte ihm das leerstehende Augustinerkloster zu Wittenberg sozusagen als erstes lutherisches Pfarrhaus zur Verfügung gestellt. Um so mehr musste es Luther wurmen, dass Thomas Müntzer auch durch sein äußeres Lebensschicksal, ganz anders als er, der Typ des stets für alle Veränderungen offenen Revolutionärs geblieben war. Als Gesuchter, Gejagter, Verfolgter, als Ausgewiesener, Verbannter, oft zur Flucht vor dem Zugriff der Obrigkeit Gezwungener bildete er das Leben Jesu ganz anders ab als Luther. Indem der oft mittellose Müntzer sich mit keinem materiellen Gut identifizierte, konnte er sich auch der Gefahr der Verfestigung und Erstarrung der eigenen Vorstellungswelt und seines Charakters ganz anders entziehen als Luther. Auch blieb er auf diese Weise dem Los der Entrechteten und Unterdrückten seiner Zeit viel tiefer verbunden als jener. Wie eine scharfe, giftige Pfeilspitze musste also Luther die Titulierung treffen, die Müntzer ihm angedeihen ließ: "Bruder Mastschwein", "Bruder Leisetritt" und "Bruder Sanftleben" pflegte ihn Müntzer zu nennen. Viel tiefer aber musste es den nach Macht verlangenden und um die Volksgunst buhlenden Reformator in Frage stellen, dass Müntzer ganz radikal und konsequent in allem, was er sagte und tat, die Nähe des Volkes suchte und das Volk bis an sein tragisches Lebensende nie verriet. Als erster und vor Luther hatte Müntzer mit seinen Schriften "Deutsch-evangelische Messe" und "Deutsches Kirchenamt" fürs Volk eine deutsche Liturgie geschaffen und dabei den Anteil der Gemeinde am Gottesdienst stark betont. In seiner Schrift "Ordnung und Berechnung des Deutschen Amtes zu Allstedt" hatte er die Einführung der deutschen Sprache in den Gottesdienst gerechtfertigt, und diese Rechtfertigung ist ein Zeugnis der Müntzerschen Liebe zum Volk, ebenso wie seine Beteiligung des Volkes an den wesentlichen Handlungen und Momenten der Messe von dieser Liebe zeugt. "Ach, wie blinde, unwissende Menschen sind wir", klagt Müntzer, "dass wir uns vermessen, allein Christen zu sein in äußerlichem Gepränge, und uns darüber (auch noch) zanken wie wahnsinnige, viehische Menschen!" Er fordert alle Christen auf, "die abergläubischen Zeremonien oder Gebärden durch stetiges Anhören des göttlichen Wortes hinfällig werden zu lassen". 165

Der größenwahnsinnige Missbrauch Gottes

Größenwahnsinnige verspüren nicht selten das dringende Bedürfnis, ihre "gewaltigen Taten" noch zu erhöhen, zu verewigen und mit einer numinosen Aureole zu umgeben, indem sie sich für die "eherne Notwendigkeit" dieser Aktionen auf den "Befehl Gottes" oder die "Vorsehung" berufen. Ganz genauso berief sich Luther auf den ihm gegebenen Befehl Gottes, den Fürsten die Weisung zu erteilen, die Bauern totzuschlagen: "Prediger sind die allergrößten Totschläger. Denn sie ermahnen die Obrigkeit, dass sie entschlossen ihres Amtes walte und die Schädlinge bestrafe. Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden ..." 166

In der Tat: Luther "schiebt" auf den Herrgott den ganzen psychischen Komplex von Enttäuschung, Wut, gekränktem Ehrgeiz, Angst (vor dem Verlust seines Einflusses), Herrschsucht und Aggression, aufgrund welchen er seine maßlosen Appelle zum Niederknüppeln und Totschlagen der Bauern verfasst hatte. Dass dieser Komplex, den er dann mit Gottes Befehl rechtfertigte, hinter seiner hasserfüllten Einstellung gegen die Bauern stand, beweist der Umstand, dass Luther zunächst ganz anders sprach, die berechtigten Anliegen der Bauernschaft und der geknechteten Volksmassen mit ungetrübtem Blick zu würdigen vermochte, die furchtbaren Übergriffe der Herrschenden durchaus verurteilte: Denn "sie konnten", wie es in Luthers Schrift "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" (1523) 167, heißt, "nicht mehr denn schinden und schaben, einen Zoll auf den anderen, einen Zins über den anderen setzen ... und handeln, dass es Räubern und Buben zuviel wäre und ihr weltlich Regiment ja so tief darniederliegt als der geistlichen Tyrannen Regiment ... Und sollst wissen, dass von Anbeginn der Welt gar ein seltsam [selten] Vogel ist um einen klugen Fürsten, noch viel seltsamer um einen frommen Fürsten. Sie sind gemeiniglich die größten Narren oder die ärgsten Buben auf Erden ... Man wird nicht, man kann nicht, man will nicht eure Tyrannei und Mutwillen die Länge leiden. Liebe Fürsten und Herren, lernet euch danach zu richten, Gott wills nicht länger haben. Es ist jetzt nicht mehr eine Welt wie vorzeiten, da ihr die Leut wie das Wild jagtet und triebet. Darum lasst ab von eurem Frevel und eurer Gewalttat." – "Der gemeine Mann hat über das Unrecht nachgegrübelt, das ihm an Besitz, Leib und Seele widerfahren ist ... Wenn ich zehn Leiber hätte ..., ich würde sie um dieser armen Menschen willen mit Freuden opfern." 168 Ja, selbst Anklänge eines christlichen Kommunismus finden sich zunächst bei Luther: "Im Christentum ... ist alles allen gemeinsam, das Gut des einen ist auch des anderen Gut. Nichts gehört einem allein." 169

Auch in seiner "Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben" (Ende April 1525) versucht sich Luther noch im Bewusstsein seiner ideologischen Führer- und religiösen Prophetenrolle als übergeordneter Schiedsrichter über den streitenden Parteien. Den Fürsten und Herren gab er zu bedenken, dass sie zum Wohl der Untertanen da seien: "Was hülffs, wenn eyns bawren acker so viel gülden alls hallmen und körner trüge, so die oberkeit nur deste mehr neme und yhren pracht da mit ymer grösser machte und das gut so hyn schlaudert mit kleydern, fressen, sauffen, bawen und dergleichen, als were es sprew? Man müste ja den pracht einzihen und das ausgeben stopffen, das ein arm man auch was behallten künde." Den Bauern empfahl Luther trotz seiner Anerkennung der Gerechtigkeit mancher ihrer Forderungen Gehorsam um jeden Preis: "Das die oberkeyt böse und unrecht ist, entschuldigt keyn rotterey noch auffrur. Denn die bosheyt zu straffen, das gebührt nicht eym iglichen, sondern der weltlichen oberkeyt, die das schwerd füret ... Die oberkeyt nympt euch unbillich ewr gut, das ist eyn stuck. Widderumb nemet yhr der selben yhre gewallt, darynne alle yhr gut, leyb und leben stehet, drumb seyt yhr viel grösser reuber denn sie und habts erger fur, denn sie gethan haben." 170

Mit der Beschimpfung der Bauern als Räuber hatte Luther seinen "Standpunkt über beiden Parteien" 171 im Grunde aber bereits verlassen. Auch sonst erlaubte sich Luther bereits in dieser, im Verhältnis zu den späteren Schriften gegen oder über die Bauern noch relativ maßvollen Publikation Apostrophierungen derselben, die seine Überparteilichkeit Lügen straften. Er unterstellte ihnen Eigensucht und Missbrauch der von ihnen verkündeten Ideale und guten Absichten, nannte sie "betrunkene und irrende Leute", die "ärger als die Heiden und Türken" seien. Diese (de)moralisierende Charakteristik wandte Luther aber nur gegen die ausgebeuteten Volksschichten an, zumindest führte die ihm bewusste Tatsache, dass die Motivationen der Herrschenden oft viel egoistischer und unmenschlicher in ihren Folgen waren, diesen nicht dazu, ihnen ihre Rechte abzusprechen, wie er das im Falle der Bauern tat. Behauptete er doch in seiner Antwort auf deren zwölf Artikel allen Ernstes, dass sie sich auf das "christliche Recht im Neuen und Alten Testament und auch das natürliche Recht" nicht berufen könnten, weil es im Grunde für sie nur das christliche Recht gebe, "sich nicht zu sträuben gegen das Unrecht, nicht zum Schwert zu greifen, sich nicht zu wehren, sich nicht zu rächen, sondern Leib und Gut dahinzugeben, dass es raube, wer da raubt – wir haben doch genug an unserem Herrn, der uns nicht verlassen wird, wie er verheißen hat. Leiden, leiden, Kreuz, Kreuz ist der Christen Recht, das und gar nichts anders ... Ein Christ lässt jeden rauben, nehmen, drücken, schinden, schaben, fressen und toben, wer nur will; denn er ist ein Märtyrer." 172 Wahrlich, der Charakterisierung der Religion als jenseitiges Glück verheißendes "Opium des Volkes" (K. Marx) haben wohl nur wenige derart massiv Vorschub geleistet wie Luther! Wir werden auch bald sehen, dass er die Rechte der Herrschenden und ihr Märtyrertum in fast zynisch zu nennender Weise ganz anders definierte als die der Bauern. Nach dem über das christliche "Recht" der letzteren Gesagten konnte es keinen mehr in Erstaunen setzen, wenn Luther in seiner Ermahnung an sie alle vorher bei ihm gelegentlich noch vorkommenden demokratischen und sozialen bzw. christlich-kommunistischen Überzeugungselemente aufgab und die Forderung der Bauern nach Aufhebung der Leibeigenschaft als Missverständnis des Evangeliums und der geistig-geistlichen Freiheit des Christen ablehnte. Ebenso widerrief er praktisch wieder das den Gemeinden in früheren Schriften 173 ausdrücklich zuerkannte demokratische Recht, ihre Pfarrer selber zu wählen, indem er den Bauern riet, lieber ihre Pfarrer in aller Demut von der Obrigkeit zu erbitten.

Der eigentliche Grund für die unüberbietbare Brutalität einer weiteren, der zweiten Schrift Luthers zum Bauernkrieg scheint sein verletzter, maßloser Stolz und Ehrgeiz gewesen zu sein. Wie hatten es sich die Bauern auch erlauben können, seine, des einzigen gottbestallten deutschen Propheten Mahnrufe und Appelle zur Friedfertigkeit in den Wind zu schlagen. Der verletzte Stolz "trübte seinen Blick und reizte seine Leidenschaft; seine wohlgemeinte Ermahnung, der er so viel Zaubermacht zugetraut, wurde von den Bauern gar nicht beachtet, der Sturm legte sich nicht auf sein Machtgebot; das verdross ihn. An der Spitze der Volksbewegung und hoch von ihr emporgetragen standen in seiner nächsten Nähe als gefeierte Männer des Volkes Karlstadt, den er wegen des Abendmahls und noch mehr, seit die Orlamünder mit Steinen nach ihm geworfen, tödlich hasste, und Thomas Müntzer, auf den er schon lange eifersüchtig und der sein heftigster Gegner war. Das verdross ihn noch mehr. Zu gleicher Zeit kam die Nachricht von der Tat zu Weinsberg und das Geschrei darüber zu seinen Ohren und wie alles auf ihn und seine Reformation zurückgeführt werde, wie namentlich Herzog Georg von Sachsen alles ihm zumesse. Da brach er los, die gewaltige Natur in ihm überstürzte sich ..., ohne zu untersuchen und zu hören, wie sehr die Herren zu Weinsberg durch treuloses Morden an Hunderten während des Stillstandes arglos daherziehenden Bauern, durch das vergossene Blut ihrer Brüder an der Donau, durch Verhöhnung alles Kriegs- und Völkerrechts, das Strafgericht verschuldet hatten, nahm Luther die Weinsberger für alle Bauern und schrieb wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern." 174

In dieser Anfang Mai 1525 fertig gestellten, geradezu despotischen Schrift ist wieder der uns schon bekannte psychische Kausalmechanismus religiöser Aggression und Herrschsucht am Werk: Luther beruft sich für seine an die Adresse der Herrschenden gerichteten Empfehlungen zum grausamen Totschlagen der Bauern auf Gott und seine Prophetenrolle. Er müsse den "Bauern und elenden Leuten ihre Sünde vor ihre Augen stellen, wie Gott Jesaja und Hesekiel befiehlt ... und danach der weltlichen Obrigkeit Gewissen unterrichten, wie sie sich hierin (ver) halten sollen". 175

Nie hat wohl in der Geschichte der Religionen ein "frommer Mann" der Obrigkeit ein derart gutes Gewissen beim Morden gegeben wie Martin Luther. Er, Luther, müsse "die weltliche Obrigkeit unterrichten, wie sie hierin mit gutem Gewissen (ver)fahren soll". 176 Und er unterrichtet sie! Er unterbaut ihre Herrschaft metaphysisch-religiös, indem er den "Fürsten und Herrn" zu "Gottes Amtmann und Diener von dessen Zorn" ernennt, "dem das Schwert über solche Buben befohlen ist und der sich ebenso hoch vor Gott versündigt, wenn er nicht straft und wehrt und sein Amt nicht vollführt, wie wenn einer mordete, dem das Schwert nicht befohlen ist". 177 Nur die Obrigkeit sei legitime Trägerin des Schwertes und "Gottes Dienerin über den, der übel tut". 178 Luther hatte damit der Obrigkeit exklusiv das gute, den Bauern ebenso exklusiv das schlechte Gewissen zugeordnet. Aufgrund dieses einfach-brutalen, schwarzweiß malenden Machtspruches konnte nun das Morden mit gutem Gewissen beginnen: "So soll die Obrigkeit hier nun getrost fortdringen und mit gutem Gewissen dreinschlagen, solange sie eine Ader regen kann. Denn hier ist das (ihr) Vorteil, dass die Bauern böse Gewissen und unrechte Sachen haben, und welcher Bauer darüber erschlagen wird, mit Leib und Seele verloren und ewig des Teufels ist. Aber die Obrigkeit hat ein gutes Gewissen und (ge)rechte Sachen und kann mit aller Sicherheit des Herzens zu Gott also sagen: Siehe, mein Gott, du hast mich zum Fürsten oder Herrn eingesetzt, daran ich nicht zweifeln kann, und hast mir das Schwert befohlen über die Übeltäter, Röm. 13,4. Es ist dein Wort und kann nicht lügen; so muss ich solches Amt, bei Verlust deiner Gnade, ausrichten; so ist's auch offenbar, dass diese Bauern vor dir und vor der Welt vielfältig den Tod verdient haben und mir zu strafen befohlen ... Drum will ich strafen und schlagen, solange ich eine Ader regen kann; du wirst's wohl richten und machen." 179

Aber Luther begnügt sich noch nicht damit, den teilweise sogar widerwillig das Schwert gegen die Bauern ziehenden Herren ein gutes Gewissen zu verleihen. Er möchte in ihnen einen Enthusiasmus des "Gott will es so" entfachen, er will Geist und Gesinnung der Märtyrer in ihnen erzeugen. Deshalb die folgenden unglaublichen Worte Luthers, die eine ungeheuerliche Verkehrung echten Märtyrertums bedeuten: "So kann denn geschehen, dass wer auf der Seite der Obrigkeit erschlagen wird, ein rechter Märtyrer vor Gott sei, wenn er mit solchem Gewissen streitet, wie gesagt ist. Denn er geht in göttlichem Wort und Gehorsam." Es "sterben (die) doch sicher und gehen mit gutem Gewissen zu scheitern, die in ihrem Schwertamt gefunden werden ... Solche wunderliche Zeiten sind jetzt, dass ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann (und zwar) besser als andere mit Beten ... Drum, liebe Herren, löset hier, errettet hier, helft hier, erbarmet euch der armen Leute, steche, schlage, würge hier, wer da kann! Bleibst du drüber tot, wohl dir, (einen) seligeren Tod kannst du nimmermehr bekommen. Denn du stirbst (dann) im Gehorsam göttlichen Wortes und Befehls, Röm. 13,4, und im Dienst der Liebe ... Hier spreche ein jeglicher frommer Christ: Amen. Denn das Gebet ist recht und gut und gefällt Gott wohl, das weiß ich. Dünkt das jemand zu hart, der denke, dass Aufruhr unerträglich ist und alle Stunde der Welt Zerstörung zu erwarten sei." 180

Der Ketzer Luther, durch die päpstliche Bulle "Decet Romanum pontificem" feierlich zum Ketzer erklärt, verketzert jetzt seinerseits in einem fürchterlichen Rundumschlag alle, die seiner Meinung nach nicht völlig mit ihm übereinstimmen. Wie sehr er die aufständischen Bauern und ihren führenden Befreiungstheologen Thomas Müntzer als Teufel und Ketzer gegen Kirche und Staat kriminalisierte und dämonisierte, haben wir gerade gesehen. Gewissenlos, aber mit subjektiv bestem Gewissen rief er die Fürsten zum Schlagen der Bauern und ihres Anführers Müntzer auf. Wir sahen bereits, wie Luther sich dabei mit dem Willen Gottes und Christi gleichsetzte und die Bauern und Müntzer als "Ketzer schlechthin", nämlich als Widersacher Gottes und Christi diffamierte. "Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden." 181 "Ebenso habe ich auch Müntzer getötet; der Tod liegt auf meinem Hals. Ich tat es aber deshalb, weil er selbst meinen Christus töten wollte." 182

Luther wütet auch gegen Verstand und Philosophie

Wie vehement Luther zum Kampf gegen Rom, zum Blutbad an Papst und Kardinälen aufrief, haben wir auch bereits gesehen. Dass er den Papst da für einen "Ketzer, ja Erzketzer" 183 hielt, versteht sich fast von selbst. Die Titel, die er dem Papst außerdem angedeihen ließ ("Antichrist", "Teufel") sollten nach seiner Absicht noch Zuspitzungen des Ketzerattributs sein. Wie gesagt, Luther, der Ketzer "beginnt, gestützt auf seinen eigenen Wahrheitsanspruch, seinerseits Ketzerhüte zu verteilen". 184 Und er spart in seiner Ketzervernichtungswut fast niemanden aus. Selbst die Philosophie und alle Philosophen aller Zeiten und Zonen bekommen diese Wut zu spüren. Wiederum im Namen des von ihm vereinnahmten Gottes glaubt er, die Philosophie verdammen zu müssen: "Ich wenigstens glaube, Gott diesen Gehorsam zu schulden, gegen die Philosophie wüten ... zu müssen." 185 Denn die ganze Philosophie seit Aristoteles sei Menschenwerk, versuche Gott durch eigene denkerische Leistung zu erreichen oder zu begründen, und das sei Hochmut und falsche Selbstsicherheit. Wie der Mensch in seinem totalen Sündersein nichts könne, so könne auch die ebenso wie der ganze Mensch verdorbene (philosophische) Vernunft gar nichts. Hier rächt sich Luthers Verachtung der Philosophie, der reinen Vernunfttätigkeit an ihm selbst. Denn da die Natur des Menschen ihm zufolge total verdorben ist, ist es auch die zu dieser Natur gehörige menschliche Vernunft. Diese kann dann auch keine gerechten Urteile rechtsphilosophischer und moralphilosophischer Art mehr fällen. Damit gibt es dann logisch-konsequenter Weise bei Luther auch keine naturrechtliche Begründung mehr für das, was seine "Kirche" oder der Staat als Norm und Gesetz aufstellt. Normen, Gesetze, Anordnungen, Befehle dieser Institutionen können reinste Willkür, purer Despotismus sein. Sie brauchen keine innere Begründung in der Vernunft des Menschen zu haben. So entmündigt Luther den Menschen, indem er sein edelstes Organ, die Vernunft, verketzert und die Philosophie zur "Hure" herabwürdigt. Damit desavouiert er am Ende aber auch seine eigene Lehre und seine Verurteilungen anderer Lehren. Denn eine vernünftige Begründung und Akzeptanz seiner Lehre und seiner Verdikte gegen andere kann es nun nicht mehr geben, da ja die Vernunft bei dieser Begründung und Akzeptanz keine Rolle spielen darf. Sie ist ja nach ihm bei allem wahren Erkennen heillos fehl am Platz.

Man kann also berechtigterweise sagen: Die sich auf Luther stützenden und berufenden evangelischen Sektenbeauftragten handeln konsequent, wenn sie alle neuen nichtkirchlichen, religiösen Bewegungen verunglimpfen, ungerecht beurteilen, wahrheitswidrig verleumden und verteufeln. Sie brauchen sich ja dabei – ganz im Sinne Luthers – durch die Vernunft, durch vernünftige Wahrheitssuche, durch wirklichkeitsentsprechendes Erkennen nicht lenken, einschränken oder beeinträchtigen zu lassen. Hat man einmal die Vernunft bei den entscheidenden Glaubens- und Lebensfragen hinter sich gelassen, braucht man sich nicht mehr durch sie "gefesselt" zu fühlen, kann man – ganz wie Luther – herrlich maßlos und wirklichkeitswidrig sein!

Die geistige Vorbereitung des Holocaust an den Juden

Klar, dass Luther dann auch den Humanismus ablehnt und verketzert, 186 denn auch dieser hält ja wie die Philosophie viel von der Vernunft des Menschen. Gegen den großen Humanisten Erasmus von Rotterdam wütet Luther fast ebenso furchtbar wie gegen Thomas Müntzer: "Ebenso wie Erasmus habe ich auch Müntzer getötet; der Tod liegt auf meinem Hals." 187 Merke: Die Reformation Luthers ist "antirational" und "antihumanistisch", da sie ja von den Fähigkeiten und der Schöpferkraft des Menschen nichts hält. Daher sollten Staatsmänner und Medien endlich nicht mehr darauf hereinfallen, dass evangelische Sektenbeauftragte die sog. Sekten als irrational und inhuman diffamieren, sich selbst aber gleichzeitig als rational und die "human rights" schützend anpreisen.

Wie unerhört inhuman und menschenrechtswidrig Luther denkt und handelt, zeigt sich auch in seinem Verhältnis zu den Juden. Wiederum manifestiert sich hier derselbe Vernichtungsmechanismus, wie ihn Luther bereits gegen Bauern und Wiedertäufer, Thomas Müntzer und Erasmus, Philosophen und Humanisten anwandte: "Wenn der Jude sich nicht zum Christentum bekehrt, ist er des Teufels oder ein Teufel und soll er dann entsprechend bestraft oder getötet werden." Die drei Schriften Luthers "Von den Juden und ihren Lügen", "Brief wider die Sabbather an einen guten Freund", "Vom Schem Hamphoras" atmen einen derart abartigen, perversen Ungeist, dass sich alles in einem sträubt, aus diesen Pamphleten zu zitieren. Dennoch muss dies getan werden, weil die sich in diesen Schriften ausdrückende Menschenverachtung nicht einfach Vergangenheit ist, sondern wie eine düstere, dunkle Wolke über der evangelisch-lutherischen Kirche schwebt und auch ihre heutigen Sektenjäger schwer belastet, umnebelt und durchdringt. Kommt doch diese Menschenverachtung bei Luther und Lutheranern aus einer einzigen einheitlichen Quelle: der Überzeugung von der totalen Verdorbenheit der menschlichen Natur, in der nichts, aber auch nichts Positives zu finden sei und die nur gerettet, "gerechtfertigt" werden könne, wenn sie den Glauben an die Gnade Gottes im exklusiven Sinne Martin Luthers annimmt. Da sich, wie bereits wiederholt gesagt, Luther mit Gottes Willen und Auffassung identifiziert, ist jeder ein antigöttlicher Teufel, der Luthers Lehre nicht akzeptiert. Daher also auch das rabiate Wüten gegen die diese Lehre nicht übernehmenden Juden.

Da diese auf Luthers Bekehrungsversuche zum Teil sogar mit den gegenteiligen Versuchen, Lutheraner zum Judentum zu bekehren, antworteten und da der Reformator seine eigene Lehre total mit dem identifizieren zu können glaubt, was in der Bibel steht, verbietet er den Juden sogar das Lesen der Hl. Schrift. 188 Ihr Juden, so Luther, "seid doch nicht wert, dass ihr die Biblia von außen solltet ansehen, geschweige, dass ihr drinnen lesen solltet. Ihr solltet allein die Bibel lesen, die der Sau unter dem Schwanz steht und die Buchstaben, so da selbst herausfallen, fressen und saufen. Das wäre eine Bibel für solche Propheten, die der göttlichen Majestät Wort ... so säuisch zuwühlen (= zerwühlen) und so schweinisch zureißen (= zerreißen)". Man bedenke bei dieser Aussage Luthers auch seinen räuberischen Fanatismus, der den  Juden wegnehmen will, was ihr ureigenstes Gut ist: die Bibel, von der nur ein kleiner Teil das den Christen gehörende sog. Neue Testament ist. 189 Allen Ernstes jedenfalls rät Luther, dass man den Juden "alle ihre Bücher nehme, Betbücher, Talmudisten, auch die ganze Bibel und nicht ein Blatt ließe"; und dass man den Ort, wo sie ihre Bibellesungen abhalten, "ihre Synagoge mit Feuer verbrenne. Und werfe hier zu, wer da kann, Schwefel und Pech. Wer auch höllisch Feuer könnt zuwerfen, wäre auch gut, auf dass Gott unseren Ernst und alle Welt solch Exempel sehen möchte". An anderer Stelle in derselben Schrift fordert Luther, "dass man ihre Synagoge oder Schulen mit Feuer anstecke und was nicht brennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacken davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren ..."

Um Fürsten und Volk so richtig zum Hass gegen die Juden aufzustacheln, ihnen die totale Bereitschaft zur Jagd gegen sie einzugeben, macht Luther die Juden unüberbietbar schlecht, indem er sie mit dem Teufel identifiziert: "Darum, wo du einen rechten Juden siehst, magst du mit gutem Gewissen ein Kreuz für dich schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel." "Darum wisse, o lieber Christ, und zweifle nichts daran, dass du nächst nach dem Teufel keinen bittereren, giftigeren, heftigeren Feind hast denn einen rechten Juden, der mit Ernst ein Jude sein will." Juden sind "durstige Bluthunde und Mörder der ganzen Christenheit mit vollem Willen". Die Fürsten und Herren ruft Luther geradezu zu Judenpogromen auf, da er sie auffordert, "dass ihr und wir alle der unleidlichen, teuflischen Last der Juden entladen werden", um "nicht vor gott schuldig zu werden" wegen des Versäumnisses, sie nicht verjagt zu haben. So pervertiert ist dabei Luthers Gewissen bereits, dass er seinen diesbezüglichen fürchterlichen Aufruf an die Fürsten und Herren mit dem Satz abschließt: "Ich will hiermit mein Gewissen gereinigt und entschuldigt haben als der ich treulich habe angezeigt und gewarnt."

Und weiter geht's in der Verteufelung der Juden. Juden, so Luther, haben, wenn sie sich nicht zum Luthertum bekehren, ein "verteufeltes Maul", daher solle man nicht "mit solchem verteufelten Maul essen, trinken und reden", denn das wäre das Gleiche als wenn "ich aus der Schüssel oder Kanne mich voller Teufel fressen und saufen möchte." Wer mit den Juden Tischgemeinschaft hält, macht sich damit "gewiss teilhaftig aller Teufel, so in den Juden wohnen." Die Juden seien "ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding", dass sie "1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen" und ihre von Rabbinern geführten Schulen seien "Teufelsnester". Luthers krankhafte Fäkalsprache, der wir bereits begegnet sind, feiert auch wieder in Bezug auf die Juden peinliche Triumphe: "Hieher zum Kusse! Der Teufel hat in die Hosen geschissen und den Bauch abermal geleeret. Das ist ein recht Heiligthum, das die Juden und was Jude sein will, küssen, fressen, sauffen und anbeten sollen, und wiederum soll der Teufel auch fressen und sauffen, was solche Jünger speien, oben und unten auswerfen können ... Der Teufel frisst nun mit seinem englischen Rüssel und frisst mit Lust, was der Juden unteres und oberes Maul speiet und spritzet ... Es ist hie zu Wittenberg an unser Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen; da liegen junge Ferkel und Juden unter, die saugen; hinter der Sau steht ein Rabbin, der hebt der Sau das rechte Bein empor, und mit seiner linken Hand zeucht er den Pirzel über sich, bückt und kuckt mit großem Fleiß der Sau unter den Pirzel in den Talmud hinein, als wollt er etwas Scharfs und Sonderlichs lesen und ersehen ... Wo hat ers gelesen? Der Sau im, grob heraus, Hintern." 190 Man muss zum wiederholten Mal konstatieren: Die Sprache Luthers gegen die Juden und die Gesinnung, die hinter dieser Sprache steht, sind so mörderisch und abartig, dass man Luther heute mit vollem Recht von den Menschen wegsperren, ihn entweder ins Gefängnis oder in die Klapsmühle stecken müsste.

Damit wäre er noch gut bedient, verlangte er doch seinerseits, dass den Juden viel Schlimmeres angetan werde. Denn indem er diese so "überzeugend" zu Teufeln erklärt hat, hatte er nun die Grundlage für ihre brutale Verfolgung geschaffen. Dass man ihre Synagogen "mit Feuer anstecken und was nicht brennen will, mit Erde überhäufen und beschütten soll" – diese Aufforderung Luthers haben wir bereits vernommen. Aber Luther fordert in der Maßlosigkeit seines Hasses, "dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre". Man solle die dann obdachlosen Juden "in einen Stall tun wie die Zigeuner". Ihren Rabbinern solle man "bei Leib und Leben verbieten, hinfort zu lehren", über alle Juden aber das Verbot verhängen, die großen Landstraßen zu benutzen: "Sie sollen daheim bleiben, denn sie haben nichts auf dem Land zu schaffen", wo sie nur Wuchergeschäfte treiben würden. Sollten sich die Juden an dieses Verbot nicht halten, möchte Luther "eine Reiterei sammeln wider sie", die ihnen das Handwerk lege. Man solle ihnen überhaupt nicht nur "den Wucher verbieten", sondern "nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold". Die Nazis haben sich präzis an diese Devise Luthers gehalten, ebenso wie an die weiteren Anweisungen des Reformators, dass "nicht wir ihnen, sondern sie uns untertan sein sollen" und "dass man den jungen, starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel" und sie für uns arbeiten lasse. Jeder dürfe "mit Saudreck" auf sie werfen und sie "von sich jagen". Und "niemand sei hierin barmherzig noch gütig, denn es trifft Gottes Ehre und unser aller ... Seligkeit an". Mit Nachdruck verlangt Luther die Vertreibung der Juden: "... wir müssen geschieden sein und sie müssen aus unserem Lande vertrieben werden". Jegliche freie, öffentliche Religionsausübung möchte der Reformator den Juden verwehren: "Dass man ihnen verbiete, bei uns öffentlich Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren, bei Verlust Leibes und Lebens." Den "Oberherren" schärft Luther immer wieder ein, "dass sie eine scharfe Barmherzigkeit wollten gegen diese elenden Leute üben", dass sie "sie zur Arbeit zwingen und mit ihnen nach aller Unbarmherzigkeit umgehen wie Moses in der Wüste tat und schlug dreitausend tot." In Bezug auf die Juden "kann man hier keine Barmherzigkeit üben, sie in ihrem Wesen zu stärken. Will das nicht helfen, so müs­sen wir sie wie die tollen Hunde ausjagen, damit wir nicht ... aller Laster teilhaftig mit ihnen Gottes Zorn verdienen und verdammt werden." So pervertiert ist das Denken Luthers, dass er überzeugt ist, mit seinen Aufrufen gegen die Juden eine überaus gute Tat gesetzt zu haben: "Ich habe das Meine getan, ein jeglicher sehe, wie er das Seine tue. Ich bin entschuldigt."

Den Gräuelmärchen und Lügen der Katholiken über Brunnenvergiftungen und Ritualmorde der Juden fügt Luther eine neue raffinierte Variante hinzu. Er ist kein Ignorant, er weiß, dass alle diese bösen Behauptungen wahrheitswidrig sind. Darum bemüht er sich auch gar nicht, sie zu beweisen. Aber in nicht mehr zu überbietender Bosheit gibt er zu bedenken, dass all diese Gräuelmärchen auf einer höheren Ebene doch wahr seien, weil Juden aus ihrem tiefsten Wesen heraus eben zu all dem Verbrecherischen fähig seien. O-Ton Luther: "Daher gibt man ihnen oft in den Historien Schuld, dass sie die Brunnen vergiftet, Kinder gestohlen und zerpfriemt haben ... Sie sagen wohl nein dazu. Aber es sei oder nicht, so weiß ich wohl, dass es am vollen, ganzen bereiten Willen bei ihnen nicht fehlt, wo sie mit der Tat dazukommen könnten, heimlich oder offenbar ... Tun sie aber etwas Gutes, so wisse, dass es nicht aus Liebe noch dir zugute geschieht." Für die Wahrheit der Gräuelmärchen über die Juden beruft sich Luther sogar auf Jesus. "Ich weiß wohl, dass sie solches und alles leugnen. Es stimmt aber alles mit dem Urteil Christi, dass sie giftige, bittere, rachgierige, hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder sind, die heimlich stechen und Schaden tun, weil sie es öffentlich nicht vermögen."

Luthers Antisemitismus richtet sich sogar gegen Christen, die seinen Fanatismus nicht teilen und die Juden weiterhin human behandeln. "Wer nun Lust hat, solche giftigen Schlangen und jungen Teufel, das ist die ärgsten Feinde Christi, unseres Herrn, und unser aller zu beherbergen, zu fretzen und zu ehren, ... der lasse sich diese Juden treulich anbefohlen sein. Ist es nicht genug, so lasse er sich auch ins Maul tun oder krieche ihm in den Hintern und bete desselbige Heiligthum an, rühme sich danach, er sei barmherzig gewesen, habe den Teufel und seinen jungen Teufel gestärkt, zu lästern unseren Herrn und das teure Blut, damit wir Christen erkauft sind. So ist er denn ein vollkommener Christ, voller Werk der Barmherzigkeit, die ihm Christus belohnen wird am Jüngsten Tage mit den Juden in ewigem, höllischen Feuer."

Luther hat mit seinen mörderischen Hasstiraden gegen die Juden eine ungeheure Geschichtsschuld auf sich geladen. Diese Schuldenlast wirkt bis in unser Jahrhundert hinein. Denn da die Konstellation der Geschichte des 16. Jahrhunderts ihn zu einer außerordentlichen, wirkmächtigen Persönlichkeit gemacht hatte, musste auch seine Judenhetze gewaltige, aber eben fatal-negative Langzeitfolgen zeitigen. Nur wenige Theologen sind bereit zuzugeben, was der Theologe Martin Stöhr ehrlich einräumt, nämlich dass Luthers Judenattacken "eine Jahrhunderte überdauernde tödliche Explosivkraft besaßen". 191 Luthers These, alle Juden, die sich nicht zum Luthertum bekehren wollen, seien "Lästerer", "Räuber", "Mörder" und "leibhaftige Teufel" und sie seien daher zu enteignen, gefangen zu halten, zu verjagen oder totzuschlagen, war zwar religiös, genauer christologisch motiviert, weil der Reformator die Hauptsünde der Juden in der Ablehnung und Tötung des Gottessohnes sah, aber das auf diese Weise geschaffene Reservoir an Hass und Aggression in den Köpfen und Herzen der Nachfahren Luthers konnte nun von jedem antisemitischen Diktator ausgiebig genutzt werden, vor allem vom rassistischen Judenhasser Hitler. Deswegen hat man mit Recht gesagt, dass Luther wesentlich dazu beigetragen habe, "dass in den breiten Schichten des christlichen Volkes der sakramental begründete Antisemitismus vom Mittelalter her weiter wirken konnte, bis er dann durch den rassenmäßig begründeten abgelöst wurde". 192 Hitler selbst hat auch mehrfach betont, dass er sich in der Judenfrage mit Luther eins wisse. Und wenn er gegenüber dem katholischen Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning 1936 erklärte, dass er in Bezug auf die Juden nur das tue, was die Kirche seit 1500 Jahren tut, so dürfte er auch bei dieser Aussage den gewaltigen Beitrag Luthers zu den vielen antisemitischen Aktionen beider Großkirchen nicht übersehen haben. "Dass ... Hitler ganz bewusst an die lutherische Tradition der Judenverfolgung angeknüpft hat, zeigt auch die Tatsache, dass die 'Reichskristallnacht', in welcher die Nazis über die Juden herfielen, vom 9. auf den 10. November (1938) war. Am 10. November hatte nämlich Martin Luther Geburtstag. Im Übrigen hat ja Hitler nichts anderes mit den Juden getan, als was Prof. Dr. Luther gepredigt hatte." 193 Angesichts der strengen Bücherzensur und -kontrolle während der Nazi-Zeit kann es zudem kein Zufall sein, dass Luthers wichtigstes Anti-Juden-Buch unter Hitler neu aufgelegt wurde.

Auch die berüchtigtste antisemitische Nazi-Zeitung "Der Stürmer", herausgegeben vom Judenhasser Julius Streicher, konnte kaum schlimmere Charakterisierungen der Juden erfinden, als sie Luther en masse geliefert hatte. 194 Folgerichtig berief sich deshalb auch Streicher bei den "Nürnberger Prozessen" gegen die Naziverbrechen am 29. April 1946 auf Luther und dessen Buch "Von den Juden und ihren Lügen": "Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch in Betracht gezogen würde." 195

Eine fatale, makabre Konsequenz zieht sich jedenfalls von Luther bis Hitler: "Prof. Dr. Luthers Wandel endete ... in der Anordnung der Judenvertreibung, -verfolgung und -ermordung, die Adolf Hitler ca. 400 Jahre später ausführte." 196

Weitere Opfer der "Teufelspsychose" Luthers

Auch als brutaler Hexen-, Ketzer- und Sektenjäger betätigte sich der kaum noch zu überbietende Judenhasser Luther. In seinem Wahn, der einzige wahre Verkünder des Evangeliums zu sein, verteufelt und verfolgt er alle, die von seiner Glaubens- und Moraldoktrin abweichen. Hatte er noch als relativ junger Theologe erklärt, dass "die Beurteilung eines Menschen vor Gott mitmenschlichen Augen entzogen bleiben müsse", 197 dass daher auch "die Ketzerei der äußeren Feststellbarkeit entzogen" sei, so "dass nur das unfehlbare richterliche Auge Gottes selbst sie zu erkennen vermag", 198 (eine Aussage, die sich die heutigen evangelischen Sektenjäger angesichts ihrer selbstsicheren Verurteilungen neuer nichtkirchlicher Bewegungen zu Herzen nehmen sollten!), so verurteilte der ältere, reifer, aber keineswegs weiser gewordene Luther entgegen seiner eigenen richtigen einstmaligen Einsicht "Hexen", Ketzer und Sektenangehörige mit Worten, Appellen und Hetzschriften zu schweren Strafen bis hin zum Tode. Kein Mittel, sie zu verfolgen, lehnte er ab, wenn es seiner eigenen Ideologie nur zum totalen Sieg zu verhelfen schien. An der Frauen- und Hexenverfolgung der katholischen Kirche [siehe hier] änderte die Reformation Luthers (aber auch Calvins und Zwinglis) nichts. "Im Gegenteil! Erst in nachreformatorischer Zeit erreichten die Verfolgungen ihren Höhepunkt. Luther, der in Wittenberg 'Hexen' exkommunizierte, war mit der Einäscherung der 'Teufelshuren' nicht weniger einverstanden als die Päpste." 199 Ganz wie die Papisten "hielt auch der Ex-Mönch Luther die Frauen als für Hexerei und Zauberei besonders anfällig, und zwar wegen ihrer allzu großen Liebe zu ihren Kindern, wegen ihrer angeblichen Dummheit, ihres Unverständnisses, ihrer Angst und Neugier. Die Teufelspsychose Luthers wuchs sich immer mehr aus. So behauptete er allen Ernstes, der Satan hause in Wäldern und Flüssen, weshalb er gegen das Baden im Freien war. Auch glaubte er fest an die Existenz sog. Wechselbälge und Kilkröpfe, die ein Produkt der Vereinigung des Teufels mit den Hexen seien." Kein Zweifel, der Hass vornehmlich gegen Frauen, wie er sich in der Hexenverfolgung kundtat (nur jede fünfte Hexe war ein Mann), "wurde von Rom aus verbreitet im Interesse des Papsttums." Aber "als die Reformation ausbrach, wurde der Wahn nicht erkannt und abgelegt, sondern er wuchs noch. Die alten Weiber wurden als ver­meintliche Hexen von den Lutheranern sogar noch fanatischer verfolgt als von der alten Inquisition." 200

In Wittenberg gastierende Frauen, die dem "ältesten Gewerbe der Welt" nachgingen, beschimpfte Luther als "Mörderinnen, viel ärger denn eine Vergifterin" und gab dazu den nachdrücklichen Rat: "Wenn ich Richter wäre, so wollte ich eine solche französische, giftige Hure rädern und ädern lassen." 201 Zur gleichen Zeit duldet Luther ohne jede Widerrede die Hurerei des lutherischen Landgrafen Philipp von Hessen mit Minderjährigen, unterschreibt er sodann am 10. Dezember 1539 den sog. "Beichtrat", in dem er der Doppelehe des hessischen Landgrafen mit Ehefrau und 17-jähriger Konkubine zustimmt (obwohl nach der "Peinlichen Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V. auf Bigamie strafrechtlich die Todesstrafe stand). Luthers anbiedernde Begründung: "Ich kann es nicht verteidigen, dass man nicht erlauben will, mehrere Frauen zu haben." König Heinrich VIII. von England rät Luther in einem vom König bestellten Gutachten, "eine andere Königin (neben  der Noch-Gattin Katharina) zu heiraten ... und nach dem Beispiel der Väter und Könige zwei Ehefrauen oder Königinnen zu haben." Der Obrigkeitssklave Luther gestattet sich also die Doppelmoral, den lutherischen bzw. anglikanischen Herrschern zu erlauben, was er z.B. den Täufern bei Androhung der Todesstrafe verbietet (gegen deren Versuch der Einführung der Polygamie 1534 in Münster wettert Oberheuchler Luther nämlich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Unflätigkeit seiner Rhetorik). 202 Das also ist Luther, der Hurerei und Polygamie im Volk und in den "Sekten" mit dem Tode bestrafen möchte, aber Ehebruch, Hurerei und Bigamie der Fürsten und Könige unterstützt. Diese Heuchelei und Doppelzüngigkeit zeichnet auch viele heutige lutherische Sektenbeauftragte in markanter Weise aus. Sie haben eben in dem "großen" Reformator ihr leuchtendes Vorbild!

Als Großinquisitor betätigte sich Luther besonders auch gegen die "Ketzerei" der Täufer, die er "Wiedertäufer" nannte. Nicht, dass er wie die Inquisitoren eigene Gerichtsprozesse über diese Ketzer abgehalten hätte. Aber er rief in Predigten, Gutachten, Eingaben etc. nachdrücklichst dazu auf, die Anhänger dieser Bewegung inquisitorisch auszuspähen, zu beobachten, zu "erschnüffeln", zu denunzieren, um sie dann dem starken Arm der staatlichen Obrigkeit ausliefern zu können, die sie strengstens zu bestrafen habe. Luther hasste die Täufer aus ähnlichen Motiven, aus denen heutige kirchliche Sektenbeauftragte so manche neue nichtkirchliche Bewegung hassen und verfolgen: aus Neid, Missgunst und Konkurrenzangst. Denn die Täufer verkörperten ja eine reinere Form des Christentums, als ihm vorschwebte, der sich Kirche ohne staatliche Unterstützung und Privilegien nicht vorstellen konnte. Sie wollten die reine Lehre der heiligen Schrift in ihrem Leben befolgen, besonders die Weisungen der Bergpredigt in die Tat umsetzen. Wer zur Buße für seine Sünden bereit war, wurde (wieder)getauft (und gegen diese zweite Taufe liefen Papisten wie Lutheraner Sturm, weil ihnen das ethische Entscheidungselement dieser zweiten Taufe ein Dorn im Auge war). Da sich die Täufer strikt an Jesu Weisung ("Die Herren der Völker herrschen über sie, bei euch soll es nicht so sein") hielten und die völlige Gleichheit der Wiedergetauften, zugleich die Ablehnung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen sowie den gemeinsamen Güterbesitz lehrten, konnte sie Luther bei den staatlichen Stellen leicht als obrigkeitsfeindlich und aufrührerisch diffamieren: "Denn", so Luther, "sie sind auch nicht schlecht allein Ketzer, sondern als Aufrührer greifen sie die Obrigkeit und ihr Regiment und Ordnung an." 203 Wir sehen: Auch darin folgen heutige kirchliche Sektenbeauftragte dem Inquisitor Luther. Sie rufen wieder den Staat auf, die von ihnen zuvor massiv schlechtgemachten "Sekten" zu verbieten, zu bestrafen, ihre Rechte einzuschränken, sie an ihrer Betätigung zu hindern usw.

Natürlich fehlt das Verteufelungsmotiv gegen die Täufer bei Luther wiederum nicht. Sie seien "Schleicher und Meuchelprediger" und als solche "des Teufels gewisse Boten". Predigen dürfe man nicht einfach aufgrund geistiger Erleuchtung, "denn Gott will nichts aus eigener Wahl oder Andacht, sondern alles aus Befehl und Beruf getan haben, sonderlich das Predigtamt". In engstirnigster Intoleranz reserviert hier Luther nur den von ihm legitimierten Pfarrern und Predigern die Vollmacht, das Christentum zu verkünden. Gott selbst, so Luther (der sich immer dann auf Gott beruft, wenn er selbst es nicht schafft, etwas einleuchtend zu beweisen) "will nicht gestatten, ohne Beruf zu predigen. So gedenk nun ein jeglicher: Will er predigen oder lehren, so beweise er den Beruf und Befehl, der ihn dazu treibt und zwingt, oder schweige stille. Will er nicht, so befehle die Obrigkeit solchen Buben dem rechten Meister, der Meister Hans heißt (d.h. dem Henker!). Das ist als denn sein Recht als der gewisslich einen Aufruhr oder noch Ärgeres im Sinn hat, unter dem Volk anzurichten." 204

Totalitärer Überwachungsstaat und Denunziation im Sinne Luthers

Ganz im Stil der fanatischen katholischen Inquisitoren des Mittelalters ruft Luther die Bürger zum "allgemeinen Denunziantentum" auf: "Und ein Bürger ist schuldig, wo solcher Winkelschleicher einer zu ihm kommt, ehe denn er denselbigen hört oder lehren lässt, dass er seiner Obrigkeit ansage und auch dem Pfarrherrn, des Pfarrkind er ist. Tut er das nicht, so soll er wissen, dass er als ein Ungehorsamer seiner Obrigkeit wider seinen Eid tut und als ein Verächter seines Pfarrherrn (dem er Ehre schuldig ist) wider Gott handelt, dazu selbst schuldig ist und gleich auch mit dem Schleicher ein Dieb und Schalk wird". Kein Zweifel: Luther hat in geradezu klassischer Weise die Planken für den modernen Obrigkeits- und Überwachungsstaat im Sinne Orwells bereitet. Die Weisung Luthers, dass Sektenpredigern "bei Leib und Seel niemand soll zuhören, sondern ansagen und melden seinem Pfarrherrn oder Obrigkeit", 205 wäre auch so recht nach dem Herzen heutiger kirchlicher Sektenpfarrer. Denn noch ist es ja in ihren Augen leider so, dass sie zur Beobachtung, Ausschnüffelung und Denunzierung der "Sekten" von ihrem Kirchenamt beauftragt werden müssen, weil das "Volk" der "Gläubigen" so "gleichgültig" ist und die "Sektierer" von sich aus meistens nicht anzeigt bzw. sogar zu ihnen überläuft.

Luther hat sich also auch dadurch in schwerster Weise schuldig gemacht, dass er "sich das Schwert der Obrigkeit dienstbar gemacht und eine systematische Fahndung nach allen 'Wiedertäufern' zwecks deren Aus­rottung betrieben hat." 206 Auch die mörderischsten Fundamentalisten aller Couleur in unserer in dieser Hinsicht so düsteren Gegenwart können nicht intoleranter sein als Luther, der "die Wiedertäufer schon (allein) wegen ihrer Verwerfung des Predigeramtes und der reinen lutherischen Lehre des Todes würdig" 207 befand und fanatisch bekämpfte. Enger, exklusiver, intoleranter und monopolistischer aber kann man die eigene Religion oder Konfession nicht zum alleinigen Heilmittel erheben. Fanatischer als er kann man auch nicht mehr zur Vernichtung aller anderen Glaubensrichtungen aufrufen. Wir vernahmen ja auch schon Luthers universales Todesurteil gegen alle, die seinen Heils- und Rechtfertigungsweg nicht gehen wollten: "Mit Ketzern braucht man kein langes Federlesen zu machen, man kann sie ungehört verdammen. Und während sie auf dem Scheiterhaufen zugrunde gehen, sollte der Gläubige das Übel an der Wurzel ausrotten und seine Hände in dem Blute der Bischöfe und des Papstes baden, der der Teufel in Verkleidung ist." 208

Wer auf diese furchtbare Art und Weise alle und alles verteufelt, muss ein rechter Teufel sein! Luther ist kein (tief-)religiöser Reformator, sondern ein von tausend Teufeln Besessener und Gerittener. Der jüngere Luther hat einige positive sozial- und religiös-reformerische Ansätze. Der Luther der mittleren und älteren Lebensphase hat sie alle zunichte gemacht, ist auf dem Höhepunkt seiner Macht der Perversion dieser Macht total erlegen. Das Teuflische unterdrückerischer Macht – kaum irgendeine Persönlichkeit der Vergangenheit demonstriert es so deutlich wie Luther! Und sein (Un-)Geist wirkt bis heute nach ...

Luther ist also auch nicht bloß irgendein Sektenjäger, sondern geradezu der von tausend Teufeln des Hasses und der Mordlust getriebene klassische Typ des Ketzer- und Sektenvernichters, ein Großinquisitor neuen Stils, da er nicht einmal die Gerichtsprozesse, die die katholische Inquisition immerhin wenig­stens formell vorschrieb und durchführte, abwartete, sondern ohne Gericht, Untersuchung oder Überprüfung die Herrscher und das Volk zum Totschlagen der Bauern und ihrer Anführer, der Ketzer und Sektenangehörigen, der Papisten und Humanisten demagogisch-hypnotisierend aufrief und aufforderte, womit er ja auch als damaliger "geistiger" Führer der deutschen Nation in tausenden von Fällen Erfolg hatte.

Die Kleingeister und geistigen Zwerge von heutigen kirchlichen Sektenbeauftragten als Ab- und Nachkömmlinge Luthers müssen sich durch sein beeindruckendes Beispiel, das Beispiel eines der größten Sektenjäger aller Zeiten, gestärkt und ermutigt fühlen zu ihrer "schweren", "verantwortungsvollen" Aufgabe heutiger Mehrung des Einflusses der Kirche im Staat auf Kosten der Diskriminierung und Verteufelung aller anderen religiösen Bewegungen. Von der Raffiniertheit und radikalen Brutalität seiner demagogischen, menschenverachtenden und -vernichtenden Rhetorik profitieren auch heutige Sektenjäger, wenn auch in etwas abgeschwächter, verkappterer Form, weil Luthers Predigt oft direkt kriminell und gerichtsrelevant ist.

Die Frage stellt sich geradezu zwangsläufig: Muss man nicht so werden, wie es die meisten evangelischen Sektenbeauftragten im Dienst von Kirche und Staat sind: rabiat, maß- und zügellos in ihrer ungerechten Beurteilung, in ihren "Experten"-Dossiers über nicht­kirchliche Bewegungen; subjektiv-emotional gefärbte Schreckensmeldungen (freilich immer mit dem Anstrich der Betroffenheit, Seriosität und des nur um das Wohl der Menschen, der Jugendlichen usw. Besorgtseins) über die "Sekten" verbreitend – wie gesagt, muss man nicht so werden, wenn man von einem solchen Konfessionsgründer, Oberlehrer, Generalverkünder und "Propheten" wie Luther abstammt und abhängt, wenn man in einem so ungeistigen Milieu lebt, das wesentlich er geschaffen und bereitet hat? Die Frage stellen heißt sie bejahen, denn das Prägende und Formierende, der übermächtige Einfluss von Luthers fataler Persönlichkeits- und Denkatmosphäre auf seine heutigen Epigonen ist unübersehbar. Sie müssen verketzern, weil und wie er verketzert hat, und sie tun es um so eifriger und fanatischer, als sie ja wissen, dass sie – im Verhältnis zur katholischen Kirche – selber Ketzer sind. (Merke: Für die römische Kurie und jeden ihrer Beamten bis hin zum Papst bleibt Luther ein Ketzer, ein Abtrünniger, und mit ihm bleiben es seine ganze "Reformation" und "Kirche". Nur unbedarfte, ökumenebesessene evangelische Kirchenmänner können die entgegenlautenden Sonntagsreden, Hirtenbriefe und Enzykliken der katholischen Hierarchie für bare Münze halten.)

Luthers Initialzündung hatte unabsehbare Folgen. Sein "Geist", der maßgebende Geist des Initiators, des Begründers der evangelischen Konfession prägt bis heute Denk- und Verhaltensweisen der protestantischen Geistlichen, der evangelischen Sektenbeauftragten ganz besonders, weil diese ja für ihr "schweres" Werk der ständigen ungerechten Behandlung der sog. Sekten seinen besonderen Beistand brauchen, um ihr Gewissen zu erleichtern. (Merke: Ein Mann wie Luther, der bei all seinen Mordaufrufen nie Gewissensbisse empfand, eignet sich vortrefflich dazu, seinen heutigen Epigonen Gewissensbisse zu nehmen, wenn sie denn wirklich und endlich einmal solche angesichts ihres Wütens gegen die nichtkirchlichen Bewegungen und deren Anhänger verspüren sollten.) Eine "Kirche", die sich von so einer Gestalt wie der Luthers herleitet, trägt eine riesenschwere, fatale Hypothek mit sich. Der düstere, blutrünstige, bluttriefende Schatten des "Reformators" lastet unheilsschwanger über dieser "Kirche" und ihren Verkündern wie Anhängern. Luther erfüllt ja auch fast jeden kriminellen Tatbestand in puncto fünftes Gebot. Er müsste nach heutigem Rechtsbewusstsein und -empfinden ins Gefängnis oder in die Psychiatrie. Er ist das klassische, unüberbietbare Musterbeispiel grenzenloser Intoleranz. An sich müsste jeder evangelische Christ, der sich das klarmacht, aus seiner Kirche austreten. An sich müsste auch eine Kirche wie die evangelisch-lutherische, die derart maßgebend von Luther als ihrem Stifter und Lehrer abhängt, als verfassungsfeindlich und kriminell eingestuft werden, und zwar auch deshalb, weil ihre Sektenbeauftragten weiterhin das Handwerk der totalen Diffamierung und Diskriminierung ihnen nicht genehmer Bewegungen ausüben und fortsetzen.

Völlig zu Recht wehrt sich eine dieser Bewegungen gegen ihre ungerechte Beurteilung und Behandlung durch evangelische Sektenbeauftragte mit folgendem, auf einer seriösen Analyse basierendem Hinweis: "Nach heutigem Rechtsverständnis war Luther ... ein Krimineller, den der Staatsanwalt sofort verhaften ließe, wenn er seiner habhaft würde – wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB), Anstiftung zum Mord (§§ 26, 211 StGB), Anstiftung zum Landfriedensbruch (§§ 26, 125 StGB) und Anstiftung zur schweren Brandstiftung (§§ 26, 306 StGB)." 209

In Wirklichkeit unternimmt der Staat nichts gegen die evangelisch-lutherische Kirche, weil die verantwortlichen Politiker Ignoranten in Bezug auf die Gesamtheit der Lehren Luthers sind, weil ihr Lutherbild ein alle negativen Aspekte ausklammerndes, geschöntes ist, indem sie von Luther nicht mehr wissen, als was ihnen im konfessionellen Religionsunterricht der Schule beigebracht wurde, und weil viele wichtige und einflussreiche Positionen in Staat und Gesellschaft von ev.-lutherischen Kirchenmännern und -mitgliedern besetzt sind. Angesichts der weitverbreiteten Ignoranz der Politiker und weiter Kreise der Gesellschaft bezüglich der fatalen Negativität und Destruktivität der Lehren Luthers können evangelische Bischöfe ohne Furcht vor Protesten das Erbe Luthers weiter anpreisen und empfehlen. So erklärte kürzlich z. B. der evangelische Landesbischof von Loewenich in einer Botschaft im Internet: "Wir wollen das geschichtliche Erbe der lutherischen Tradition bewahren als unsere kulturelle und geistige Heimat." 210
Das Erbe Luthers ist tatsächlich überall präsent: Es gibt Martin-Luther-Straßen, Martin-Luther-Denkmäler, Martin-Luther-Schulen und -kirchen. Sein Bild hängt in den Amtsstuben lutherischer Bischöfe und Pfarrer. Kein Mensch nimmt daran Anstoß, obwohl dieser mehr als berechtigt wäre: "Von Adolf-Hitler-Straßen und Adolf-Hitler-Denkmälern wurde das deutsche Volk 1945 befreit; der geistige Anstifter zu Hitlers Völkermord an den Juden hat hingegen weiterhin großen Einfluss auf die nach ihm benannte Organisation und deren Wirken in Schulen, an Universitäten, in Gesellschaft und Politik."
211

20. Jahrhundert: Junge Luther-Anhängerin wird in den Wahn getrieben

Wie negativ-zerstörerisch dieser Einfluss, z.B. der Einfluss von Luthers Teufelsmanie, Teufelspsychose, Teufelsbesessenheit auch noch in unserer unmittelbaren Gegenwart wirken kann, zeigt die folgende Schilde­rung eines Journalisten, der sich als treues Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche versteht. Es geht um ein junges Mädchen, das aus seiner Begeisterung für Luther unter den Einfluss der "Gruppe Luther" geriet, eine dem Erbe des Reformators besonders verpflichtete Gruppierung innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche:

"Vierzehn Jahre alt war meine Tochter, als sie mir beiläufig mitteilte, sie wolle regelmäßig in die Gruppenstunden der Jungen Gemeinde gehen. Ich hatte keine Einwände. In der evangelischen 50 000-Einwohner-Stadt im Fränkischen, in der wir lebten, war die Welt überschaubar und weithin in Ordnung. Die Junge Gemeinde? Da spielt man Tischtennis und liest gemeinsam in der Bibel. Das kannte ich doch aus meiner eigenen Jugendzeit. Nach einem Jahr allerdings sollten meine Frau und ich Anlass zu ernsthaften Nachfragen haben. Unsere Tochter lief plötzlich nur noch in knöchellangen schwarzen Kleidern herum, stand morgens um fünf Uhr auf, las lange und angestrengt in der Bibel und sang zur Gitarre schmelzig-pietistische Lieder. Alles recht harmlos, könnte man meinen. Doch das Mädchen hatte allen Frohsinn verloren. Sie mied flotte Musik, Geselligkeit und Fernsehen. Einzig ihre Gruppe war wichtig. Allerdings wich sie jeder Frage darüber aus, was denn dort so gesprochen werde. Sie verstummte immer mehr. Natürlich haben wir uns rasch über diese Gruppe informiert: Gegründet und geleitet von einer Lehrerin, aufgeteilt in mehrere Kreise, umfasste sie ungefähr 300 junge Leute. Sie war anerkannter Teil der Jugendarbeit im evangelischen Dekanat. Da sie schon seit fast 20 Jahren bestand, waren viele tausend Mädchen und Jungen aus der Stadt durch diese Gruppenarbeit gegangen. Zwar hatte es immer mal wieder heftige Reaktionen bei jungen Mitgliedern gegeben und allerlei verärgerte Eltern, aber irgendwie war das nie richtig an die Öffentlichkeit gekommen."

"Bald war klar: In der Gruppenarbeit werden die jungen Leute auf ein fundamentalistisches Glaubensleben getrimmt, das sich Erlösung erkämpfen muss ... Der Kampf findet in jedem Augenblick statt, als stets neue Entscheidung zwischen dem Teufel und Christus. Der Teufel lauert überall. Besonders wenn jemand mehr auf die Eltern hören will als auf die Gruppe, wenn eine andere Meinung geäußert wird als die der Gruppenleitung, wenn man gar die Gruppe verlassen will, dann hat der Satan bereits von einem solchen Mitglied Besitz ergriffen. Alles in allem wurde eine klare Sektenstruktur deutlich, verstärkt noch durch die regelmäßige Ohrenbeichte, die die oberste Chefin den Jugendlichen abnahm. Geld war nicht im Spiel, dafür – wie ich meine – eindeutig Befriedigung von Machtgelüsten."

"Wir haben unsere Tochter aus dem Kreis herausgenommen. Für ein halbes Jahr haben wir sie auf eine Internatsschule nach England geschickt, in Absprache mit ihren deutschen Lehrern. Wir hofften, sie würde Abstand gewinnen. Vergebens: Sie kehrte in die Gruppe zurück, blieb dabei bis zu ihrem Abitur. Gespräche mit der Leiterin hatten keine Wirkung. In ohnmächtigem Zorn mussten wir uns eingestehen: Diese Frau hatte uns unsere Tochter sozusagen gestohlen. Es blieb die Hoffnung, Studium und Lebenserfahrung würden im vergifteten Glauben des Mädchens wohl einiges wieder heilen und korrigieren. Das war eine trügerische Hoffnung. Wenige Wochen nach dem Semesterbeginn in der nahen Universitätsstadt kam ein Anruf von der Zimmervermieterin: 'Da stimmt was nicht mit Ihrer Tochter, sie scheint krank zu sein.' Als wir ankommen, ist Jutta in einem völlig verwirrten und erschöpften Zustand. Sie redet ununterbrochen, zumeist merkwürdig irreales Zeug, vorgetragen mit einer Theatralik, die wir an ihr nicht kannten. Und ständig spricht sie vom Teufel, den sie überall in den Straßen am Werk sieht. Über die militärische Radaranlage am Rande der Stadt vergifte er die Bevölkerung ... Zusammen mit unserer Tochter nach Hause zurückgekehrt, waren meine Frau und ich uns einig: Sie braucht jetzt eine professionelle Gesprächstherapie bei einem Psychologen. Die Nacht sollte uns eines Besseren belehren: Jutta flippte völlig aus. Gegen zwei Uhr morgens war sie aus dem Haus verschwunden. Offensichtlich nur mit ihrem Pyjama bekleidet. Da sie den ganzen Abend über davon gefaselt hatte, sie müsse unbedingt nach Israel fliegen, dort werde sie zu einem wichtigen Treffen erwartet, ahnten wir, sie könnte Richtung Flugplatz unterwegs sein. Wir verständigten die Polizei und machten uns selbst auf getrennten Wegen auf die Suche. Eine Polizeistreife fand sie schließlich auf einer dunklen Landstraße am Rande des Flugplatzes. Nie vergesse ich die erschrockenen Gesichter der Beamten, als ich hinzukam und meine Tochter mich mit einer tiefen männlichen, aus dem Bauch herausgepressten Stimme als 'Du Teufel' beschimpfte. Was tun? Ein befreundeter Psychologe gab mir noch in der Nacht den Rat: Jutta muss in einer Nervenklinik zunächst medikamentös behandelt werden. Zum Glück willigte unsere Tochter ein und kam freiwillig mit in die 'Bezirksklinik'."

"Und hier beginnt ein weiteres Kapitel in dem 'diabolischen' Verwirrspiel um die Seele eines jungen Mädchens. Der Aufnahmearzt auf der 'Kriseninterventionsstation', wie die psychiatrische Intensivstation genannt wird, stöhnte auf: 'Mein Gott, schon wieder ein Fall aus der Jungen Gemeinde! Das habe ich jedes Jahr mindestens einmal.' Als Journalist wurde ich hellhörig. Ich fand mich in meinen Überlegungen bestärkt, den Stadtjugendpfarrer wegen mangelnder Aufsicht zu verklagen. Eine Woche später, im Gespräch mit den beiden Klinik-Ärzten, die schließlich die Behandlung unserer Tochter übernommen hatten, dann dies: 'Juttas Teufels-Gerede und ihre wilden Höllenphantasien sind völlig unabhängig von ihrer Mitarbeit in dem fundamentalistischen Kreis der Jungen Gemeinde aufgebrochen.' Ich war sprachlos. Wochen später allerdings, als der Chefarzt die Patienten-Akte meiner Tochter gelesen hatte, gab es dann doch die Unterstützung, auf die ich gehofft hatte. 'Sie haben recht, man muss einmal sehr deutlich mit den Verantwortlichen in diesen Jugendkreisen und in der Kirchenleitung reden. Die haben zuwenig Gespür dafür, was sie bei sensiblen Jugendlichen mit ihrer ständigen Teufelspredigt anrichten können.' Auf solche Gespräche haben wir in den folgenden Monaten dann auch öffentlich und mit einigem Erfolg hingewirkt, durch Zeitungsartikel und Interviews im Lokalradio. Der Widerstand im Dekanat war beträchtlich. Viele Pfarrer verteidigten die Arbeit der Jungen Gemeinde und machten letztlich einen psychisch labilen Charakter unserer Tochter für deren Erkrankung verantwortlich. Einzig der Dekan reagierte angemessen."

"Bei der Behandlung unserer Tochter in der Klinik schlugen zum Glück die Medikamente an, die man ihr verordnet hatte, so genannte Neuroleptika, die auf die äußere Hirnrinde wirken. Ich erinnere mich an den Namen 'Taxilan'. Nach ungefähr zehn Tagen war Jutta wieder klar im Kopf. Sie war zurückgekehrt in die Welt, die wir Normalmenschen als real ansehen. Allerdings war sie noch total erschöpft. Schlimm war dann das Damoklesschwert, das die beiden Ärzte über uns verhängten: Das Medikament muss über einen sehr langen Zeitraum hin genommen werden, unter Umständen lebenslang, sonst kann es jederzeit zu einem neuen psychotischen Schub kommen. Dieses Neuroleptikum hatte eine fatale Nebenwirkung. Es stumpfte die Lebensgeister ab. Nach neun Wochen aus der Klinik entlassen, sollte unsere Tochter noch monatelang wie ein Zombie vor sich hin vegetieren. An eine Wiederaufnahme des Studiums war nicht zu denken. Das Semester war verloren. Bei den vierzehntägigen Untersuchungsgesprächen in der Klinik bestanden die Ärzte jedes Mal strikt darauf, das Medikament müsse weiterhin genommen werden. Nach einem halben Jahr war es nicht mehr auszuhalten, und wir beschlossen alle drei, das Neuroleptikum irgendwie abzusetzen. Über mancherlei Recherchen habe ich schließlich einen Psychiatrie-Professor in Zürich kontaktieren können, der uns in diesem Beschluss bestätigte und die Dosen nannte, in denen man ein solches Medikament herunterfahren kann."

"Ich hatte zum Schluss den Eindruck, den Klinikärzten war es irgendwo auch darum zu tun, eine Patientin an sich zu binden, um Wichtigkeit und Macht zu demonstrieren. Fast so wie in der religiösen Gruppe selbst. Bestärkt hat mich dieser Eindruck, als ich damals bei meiner intensiven Lektüre über Glaube, Wahn und Psychosen an einen Autor geriet, der das alles ganz anders sah als die übliche Psychiatrie. Stanislav Grof heißt der aus Prag stammende, heute in Kalifornien lehrende Drogenforscher und Psychiater ... Grof weist in seinen Büchern unter anderem auch darauf hin, wie gefährlich es sei, den Teufel als reale Person zu objektivieren. Dabei werde illusionär verharmlost, mit welch gewaltigen psychischen Mächten man es zu tun habe, Mächten, die weit über die Seele des Individuums hinausreichten ..." 212

Dieser Fall zeigt überaus deutlich, wie stark Luthers Teufelsglaube und -wahn noch in vielen Köpfen verantwortlicher evangelischer Lehrer, Gruppenleiter und Pfarrer verankert ist und von dort aus auf unschuldige Jugendliche angewendet und ausgeweitet wird. Erschrocken stellte ja der betroffene Vater fest, dass "viele Pfarrer" die Arbeit der Lehrerin und Leiterin der Jungen Gemeinde verteidigten. Auch die im Bericht erwähnten Klinikärzte müssen zunächst von evangelischen Kirchenleuten unter Druck gesetzt worden sein, weil sie plötzlich jeden negativen Einfluss des evangelischen Jugendzentrums leugneten. Aber schließlich musste auch der Chefarzt die "ständige Teufelspredigt" in Kirche und Jugendarbeit kritisieren!

Man kann sich die ungeheure Kampagne gut vorstellen, die die evangelischen Sektenbeauftragten ab- und aufgezogen hätten, wenn so ein Fall in einer nicht­kirchlichen Gruppierung passiert wäre. So aber dringt dieser Fall kaum an die Öffentlichkeit, und die von den Sektenpfarrern so heimtückisch bekämpften "Sekten" sind zu vornehm oder zu sehr in die Defensive gedrängt, um daraus Kapital zu schlagen.

Mit Sicherheit beweist jedoch auch dieser Fall das fatale Weiterwirken der perversen Ideologie Luthers. Wir werden auch noch in den folgenden Unterkapiteln diesem Weiterwirken immer wieder begegnen. 

Wir haben in dem jetzt zu Ende gehenden Unterkapitel den Konfessionsgründer Luther als exorbitanten Prototyp eines fanatischen Sektenjägers und Inquisitors kennengelernt. Wenn die evangelischen Sektenbeauftragten mit "heiliger" Empörung immer wieder die "Sekten"-Gründer Bhagwan Shree Rajneesh, Maharishi Mahesch Yogi (Tranzendentale Meditation), Lafayette Ron Hubbard (Scientology), Gabriele Wittek (Universelles Leben) usw. attackieren und deren angebliche Inhumanität anprangern, die sich doch vermeintlich so negativ auf deren Anhänger auswirke, dann sollten sie aber wenigstens so konsequent sein, dass sie ihren eigenen Prototyp und Spitzenpropheten Luther zum Vergleich heranziehen. Ein Resultat dieses Vergleichs ist jetzt schon sicher: Alle diese Begründer nichtkirchlicher religiöser bzw. spiritueller Bewegungen, die untereinander ohnehin noch sehr stark differieren und daher nicht auf einen einheitlichen "Sekten"-Nenner zu bringen sind, müssen dem unvoreingenommenen Betrachter geradezu fast als Heilige erscheinen, wenn man sie mit dem Bauern-, Hexen- und Ketzermörder Luther vergleicht. 


Der Autor: Prof. Dr. Hubertus Mynarek (Jahrgang 1929) ist ehemaliger Professor für Römisch-Katholische Theologie und ehemaliger Dekan der Römisch-Katholischen Fakultät der Universität Wien. Im Jahr 1972 trat er aus der Kirche aus und ist seither als Autor und Referent tätig. Er zählt neben Karlheinz Deschner, Eugen Drewermann und Horst Herrmann zu den bekanntesten und fundiertesten Kirchenkritikern. Er wohnt in Odernheim in Rheinland-Pfalz. Das Buch Die neue Inquisition ist mittlerweile wieder in einigen Restexplaren erhältlich.
Der hier veröffentlichte Auszug aus dem Buch ist als Gratis-Broschüre über theologe.de erhältlich. Sie trägt den Titel Martin Luther – Psychopath oder Krimineller? Einzelne Hefte verschicken wir gerne kostenlos und portofrei. Dazu bitte Postadresse angeben und eine E-Mail an info@theologe.de schicken mit der Bitte um Heft Martin Luther – Psychopath oder Krimineller? Im Buchhandel erhältlich ist das ausführlichere Buch von Hubertus Mynarek zu diesem Thema: Luther ohne Mythos – Das Böse im Reformator.
 



150.        E. H. Erikson, Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und historische Studie, 1975, S. 253 f.

151.        M. van Wijnkoop Lüthi, Die Sekte ... Die Anderen?, 1996, S. 124

152.        Zit. nach Ch. Beard, Martin Luther and the reformation in Germany, 1896, S. 231

153.        M. Luther, Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist, Juli 1524, in: G. Wehr (Hrsg.), Thomas Müntzer. Schriften und Briefe, 1973, S. 196

154.        M. Luther, Werke, Bd. VI, 1888, S. 347

155.        Erikson, a.a.O., S. 270 ff.

156.        M. Luther, Werke, Bd. XXX, S. 470

157.        Erikson, a.a.O., S. 253

158.        M. Luther, Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern, in: G. Wehr (Hrsg.), a.a.O., S. 206-210

159.        Ebd.

160.        So in seiner "Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel der Bauernschaft in Schwaben"

161.        So in: "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern", a.a.O.

162.        K. Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: A. Ruge / K. Marx (Hrsg.), Deutsch-Französische Jahrbücher 1844 (zit. nach der Ausgabe im Verlag Philipp Reclam jun., 1973), S. 172

163.        Erikson, a.a.O., S. 263 f.

164.        M. Luther, Werke, Bd. VII, 1897, 2

165.        Th. Müntzer, Ordnung und Berech­nung des Deutschen Amtes zu Allstedt, 1523, in: G. Wehr (Hrsg.), a.a.O., S. 56 f.59.60 f.

166.        M. Luther, Tischreden, Weimarer Ausgabe, Tr. 3, 75; vom Autor hervorgehoben

167.        Weimarer Ausgabe, Bd. XI, S. 245-280

168.        Works of Martin Luther, 1916, Bd. IV, S. 206 f.

169.        W. Durant, The Reformation, 1958; zit. nach Erikson, a.a.O., S. 259

170.        M. Luther, Werke, Bd. XVIII, 1908, S. 299.303.305

171.        W. Zimmermann, Der große deutsche Bauernkrieg, 1953 (Nachdruck), S. 619

172.        M. Luther, Hauptschriften, Berlin 1951, S. 281-298

173.        Vgl. Luthers Schrift "Dass eine christliche Versammlung ... Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen" (1523)

174.        Zimmermann, a.a.O., S. 619 f.

175.        M. Luther, Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern, a.a.O., S. 206

176.        Ebd., S. 208

177.        Ebd., S. 209

178.        Ebd., S. 208

179.        Ebd., S. 209

180.        Ebd., S. 209 f., Hervorhebung vom Autor

181.        M. Luther, Tischreden, a.a.O.

182.        Zit. nach G. Wehr, a.a.O., S. 144

183.        Luther, Tischreden, Bd. 3, S. 606

184.        M. van Wijnkoop Lüthi, a.a.O., S. 125; zum Teufelsattribut für den Papst: "Der Papst ist der Teufel. Könnte ich den Teufel umbringen, warum wollte ich es nicht tun" (zit. nach H.-J. Böhm, Die Lehre Martin Luthers,  1994, S. 237)

185.        Luther, Weimarer Ausgabe, Bd. 56, S. 371

186.        Besonders krass zeigt sich Luthers Affront gegen den Humanismus in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam; vgl. Luthers Schrift "De servo arbitrio" (a.a.O., Bd. 18, S. 551-794)

187.        Zit. nach G. Wehr, a.a.O., S. 144

188.        Die folgenden Zitate stammen alle aus Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" (1543)

189.        Grundsätzliches zum Verhältnis "Altes und Neues Testament" siehe bei Mynarek, Das Gericht der Philosophen, S. 173 f.

190.        M. Luther, Erlanger Ausgabe seiner Werke, Bd. XXXII, S. 282.298. Die folgenden Zitate werden jetzt wieder Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" entnommen

191.        M. Stöhr, Martin Luther und die Juden, in: Marsch-Thieme (Hrsg.), Christen und Juden, 1961, S. 117

192.        Maurer, Kirche und Synagoge, a.a.O., S. 49

193.        Böhm, a.a.O., S. 235

194.        Vgl. Deschner, Abermals krähte der Hahn, S. 457

195.        Zit. nach Böhm, a.a.O., S. 235

196.        Ebd., S. 245

197.        M. van Wijnkoop Lüthi, a.a.O., S. 125

198.        U. Mauser, Der junge Luther und die Häresie, 1968, S. 123

199.        Deschner, a.a.O., S. 489

200.        W. Menzel, Geschichte der Deutschen, 1872, Bd. II, S. 674 f.

201.        Luther, "Ernste Vermahn- und Warnschrift an die Studenten zu Wittenberg, sich vor den Speckt Huren zu hüten, öffentlich an der Kirche angeschlagen, 13. Mai anno 1543", zit. nach Böhm, a.a.O., S. 159

202.        Belege für diesen Absatz bei T. Schirrmacher, Luther und die Polygamie des Landgrafen von Hessen, in: "Bibel und Gemeinde" 2/1993, S. 124 ff.; vgl. Böhm, a.a.O., S. 155 ff.

203.        "Der 82. Psalm durch Dr. Martin Luther, geschrieben und ausgelegt Anno 1530", zit. nach Böhm, a.a.O., S. 180 f.

204.        Luther, a.a.O.; bei Böhm, a.a.O., S. 183

205.        Luther, a.a.O.; bei Böhm, a.a.O., S. 182

206.        Böhm, a.a.O., S. 188

207.        Mauerhofer-Sessler, Um des Glaubens willen, 1990, S. 50

208.        Luther, Tischreden, a.a.O. Übrigens waren auch "die Reformatoren ... Zwingli und besonders Calvin ... so intolerant wie die katholischen Hierarchen und forderten für Häretiker ebenfalls die Todesstrafe" (Deschner, a.a.O., S. 484)

209.        Die verfassungsfeindlichen Umtriebe der Ev.-Lutherischen Kirche in Bayern,  o. J., S. 14

210.        Zit. nach Umtriebe, a.a.O.

211.        Ebd.

212.        "Wie real ist der Teufel? Reportage eines Vaters, dessen Tochter durch eine kirchliche Jugendsekte in den Wahnsinn getrieben wurde", in: "Publik-Forum", Nr. 2/1998, S. 44-47

 


Weitere Literatur:
Der Theologe Nr. 4 – Die evangelische Kirche und der Holocaust

Martin Luther und das "Judensau"-Motiv – Kirchen mit "Judensäuen"

Adolf Hitler: Martin Luther war "das größte deutsche Genie", "ein Riese"


Der Theologe Nr. 3 – So spricht Martin Luther – so spricht Jesus von Nazareth: Ein Vergleich

 


Der Text  kann wie folgt zitiert werden:

Hubertus Mynarek – Martin Luther: Psychopath oder Krimineller, Auszug aus dem Buch "Die neue Inquisition", Marktheidenfeld 1999, S. 103-150 (Luther – Prototyp des Sektenjägers und Inquisitors?), zit. nach theologe.de/hubertus-mynarek_ueber_martin-luther.htm, Wertheim 2016,
Copyright © und Impressum siehe hier.
 

 
 

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