Der Theologe Nr. 1, aktualisiert am 27.8.2023
fragt nach den Grundlagen und dem Bekenntnis des evangelisch-lutherischen
Glaubens und veröffentlicht vielen Menschen bisher unbekannte Lehren und Verhaltensweisen
Martin Luthers.
Was Luther damals
lehrte und tat, vergleicht
DER
THEOLOGE auch mit dem, was Menschen in der lutherischen
Kirche heute glauben und tun,
Dabei wird deutlich:
Wie die katholische lehrt auch die evangelische Kirche einen verfälschten Jesus.
So, wenn Jesus von Nazareth zum Beispiel unterstellt
wird,
dass Er gelehrt haben soll, "allein der Glaube" würde
für das "Seelenheil" genügen. Der unverfälschte Jesus von Nazareth
sprach jedoch immer vom rechten
Tun, vor allem durch das Halten der Zehn Gebote.
Siehe
dazu auch
Der Theologe Nr. 3 – So spricht Martin Luther – so spricht Jesus von
Nazareth.
Eine der Grundlagen für den nachfolgenden Dialog
zwischen einem Journalisten und einem Theologen ist die auch als Buch
erschienene Doktorarbeit des
evangelischen Kirchenrats und ehemaligen "Sektenbeauftragten" Dr.
Wolfgang Behnk aus München (1949-2022) Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei
(Gegen den freien Willen – Für die Gnade Gottes) über die
Schrift Martin Luthers De servo arbitrio (Vom geknechteten Willen).
Dieses Werk des Reformators führt die Leser hinunter in die Abgründe des
"Gottes der Unterwelt".
Jesus von
Nazareth wollte keine äußere Religion mit Pfarrern, Sakramenten, Zeremonien
und Kirchen aus Stein. Er sagte:
"Das
Reich Gottes ist in euch".
Der
Katholik Martin Luther will seine Kirche erneuern. Doch auch er fordert
– wie seine Mutterkirche – den Staat zur Verfolgung und
Hinrichtung zahlreicher Bevölkerungsgruppen auf, die nicht mit seiner Lehre
übereinstimmen.
Der Journalist:
Warum beschäftigen Sie sich mit Luther?
Der Theologe:
Für einen evangelischen Theologen gehört das Wissen über Martin Luther zunächst zu
den Grundlagen der wissenschaftlichen Ausbildung.
Zu bestimmten Anlässen interessierte
sich allerdings eine größere Öffentlichkeit für den Kirchenmann. Das war zum
Beispiel der Fall im so
genannten "Lutherjahr" 1996 anlässlich des 450. Todestages, anlässlich der
Vorstellung eines Kinofilms über Martin Luther im Jahr 2003 oder im Vorfeld des
so genannten Reformationsjubiläums 2017. Dies wurde 500 Jahre nach der Veröffentlichung
der 95 Thesen Luthers gegen den Ablass der Romkirche begangen, also gegen deren
Behauptung, angebliche Sündenstrafen im Jenseits reduzieren zu können, was sie
sich von den Gläubigen auch teuer bezahlen ließ. Doch welche Alternativen bot
Luther an? Trotz mancher Kritik wird bis heute
überwiegend ein positives Bild dieses Mannes gezeichnet, der sich als
"Reformator" der Kirche einen Namen gemacht hat.
Schon als Student habe ich immer wieder erfahren, wie der Glaube Luthers
oft dem widerspricht, was Jesus lehrte und uns vorlebte
und woran ich mich orientieren wollte. Ich
geriet in schwere Glaubenskämpfe und wollte mit dem Studium aufhören. In jener Situation
entschied ich aber, weiterzumachen; in der Hoffnung, auch als Theologe und eventuell
späterer Pfarrer doch einen ehrlichen Weg gehen zu können und Kirche und
Christus irgendwie vereinbaren zu können. In jedem Fall wollte ich auf erkannte
Widersprüche hinweisen und mithelfen, die Kirche weiter in Richtung von
christlichen Werten zu "reformieren". Eine sich immer weiter reformierende
Kirche (ecclesia semper reformanda) war ja auch seit dem 17. Jahrhundert ein
Leitspruch evangelischer Kirchenlehren.
Als ich schließlich Pfarrer war, betonte ich das nach meinem damaligen Verständnis "Christliche"
in der lutherischen Lehre
und gründete mein berufliches Selbstverständnis vor allem darauf.
So glaubte ich eine Zeit lang mit gutem Gewissen, lutherischer Pfarrer sein zu können, denn die
evangelische Kirche
hatte nach ihrem eigenen Selbstverständnis ja angeblich das "Heil in Christus"
zu ihrer Mitte gemacht, wie sie es auch in ihrer Kirchenverfassung
niedergelegt hat (z. B. laut Kirchenverfassung, Grundartikel).
Unter dieser Vorgabe bin ich in der lutherischen Kirche also eine lange
Wegstrecke gegangen, doch das Bemühen um die Nachfolge des Jesus von Nazareth führte
mich schließlich aus der Kirche heraus. Denn ich kam schließlich zu dem
Ergebnis: "Evangelisch-lutherisch" und "christlich" – das sind zwei
verschiedene Bekenntnisse, die sich aufs Ganze gesehen widersprechen und
von mir eine neue Entscheidung notwendig machen, die lautete: Ich will als Christ leben und Christus nachfolgen.
Folglich habe ich die Konsequenzen
gezogen und bin aus der lutherischen Kirche ausgetreten.
Kurz darauf habe ich mich einer Gemeinschaft angeschlossen, die es sich zum Ziel
gesetzt hat, ein Leben nach den Zehn Geboten und der Bergpredigt des Jesus von
Nazareth zu führen.
Diese Gemeinschaft wird – obwohl sie rechts- und gesetzestreu ist – von der lutherischen Kirche heftig
verleumdet und bekämpft. Wesentliche Ursachen dafür entdeckte ich in der anmaßenden,
intoleranten und kriegerischen lutherischen Lehre selbst.
So sehe ich eine Aufgabe dieser Schrift in der Aufklärung über den Glauben
Martin Luthers und über den Glauben, der heute in den evangelischen Kirchen gelehrt wird.
Und dazu gehört auch, ihn einmal
ungeschönt zu betrachten.
Eines ist mir in diesem Zusammenhang noch wichtig: Jesus sagte: "Zieh'
zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus
deines Bruders Auge ziehst" (Matthäusevangelium, Kapitel 7, Vers 5).
Das heißt: Sollte es in einem Konflikt einmal um den "Splitter im Auge des
Bruders" gehen, dann ist die erste Frage für einen Christusnachfolger: Bist du zuvor den Balken im eigenen Auge
angegangen? Das ist selbstverständlich.
Bei der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der lutherischen Kirche geht es
aber nicht um menschliche Fehler, die "Splitter" oder "Balken" sein können, sondern um eine
grundsätzliche und allgemeine
Aufklärung über die für die Kirche verbindliche lutherische Lehre.
Der Theologe: Ob Luthers Lehre christlich ist, entscheidet ein Vergleich mit Christus,
also ein Vergleich
mit der Lehre und dem Leben des Jesus von Nazareth.
Die meisten Menschen, auch evangelisch Glaubende, wissen aber nur wenig von dem, was Luther
gelehrt und wie er gelebt hat. Sein Antisemitismus bzw. Antijudaismus wird allmählich
bekannter; ebenso seine Forderung während der Bauernaufstände im Jahr 1525, die Bauern zu töten. Vielen
unbekannt blieben bisher weitere Hinrichtungsaufrufe des "Reformators", zum
Beispiel gegen Menschen, die sich von den Amtskirchen lossagten oder gegen als
"Hexen" verdächtigte Frauen.
Auch wissen viele Kirchenmitglieder nicht, dass dieses Vorgehen mit Luthers Glauben zusammenhängt.
Wesentliche Inhalte von Luthers Glauben sind in der 1525
erschienenen Schrift Vom geknechteten Willen (De servo arbitrio) enthalten, die
Martin Luther in seiner
Auseinandersetzung mit dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam verfasst hat.
Über diese grundlegende Abhandlung Luthers ist 1982 eine Doktorarbeit
veröffentlicht worden, die in
deutscher Übersetzung den Titel trägt: Gegen den freien Willen Für die Gnade
Gottes (Lateinischer
Originaltitel: Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei; Europäische Hochschulschriften,
Reihe XXIII / Bd. 188, Frankfurt 1982).
Verfasser ist Pfarrer Wolfgang Behnk,
später Kirchenrat in München und
von 1991-2014 evangelischer
"Weltanschauungsbeauftragter", verstorben im Jahr 2022. In der Kirche wird dieses so genannte
Amt kurz "Sektenbeauftragter" genannt. Diese Kirchenvertreter sind
darin ausgebildet, vom hohen Ross herab vielfach als so genannten "Sekten"
rufermordete Gemeinschaften auf vielerlei Art zu verleumden, als
"Meinungsäußerungen" getarnte Lügen über sie zu verbreiten und sie den Massenmedien pauschal zur öffentlichen
Diskriminierung anzubieten. Denn wer von den Institutionen Kirche als "Sekte"
beschimpft wird – und hier wurden immer wieder alle in einen Topf geworfen, die den
Großkirchen ein Dorn im Auge sind – dessen Existenz ist in unserer Gesellschaft vom Ruin bedroht.
Martin Luther selbst verlangte einst die Hinrichtung dieser Menschen. Bei
Luthers heutigen Nachfolgern reichen die offensichtlichen kirchlichen Maßnahmen
vom öffentlichen Rufmord bis hin zu Aufrufen an die Staatsbevollmächtigten,
gegen diese Menschen vorzugehen und ihnen normale staatsbürgerliche Rechte nicht
zu gewähren. Ausführlich wird darüber berichtet am Beispiel der sowohl
katholischen als auch evangelischen Bekämpfung der Urchristen im Universellen
Leben in dem Standardwerk von Matthias Holzbauer,
Die Verfolgung der Prophetin Gottes und der
Nachfolger des Jesus von Nazareth. Die Geschichte der Grausamkeit von Kirche und
Staat, Marktheidenfeld 2017.
(Mehr dazu auch im späteren Kapitel Das ungeschminkte Gesicht
der lutherischen Kirche)
In seiner Promotion deckt Pfarrer Behnk Hinter- und Abgründe des intoleranten
und gewalttätigen Glaubens von
Martin Luther auf, welcher der modernen evangelischen Inquisition zugrunde liegt.
Dabei verwendet er ein Wort, mit dem er später als Weltanschauungsbeauftragter andere
Gemeinschaften in Verruf gebracht hat, das Wort "gefährlich".
"Gefährlich" sind für den Kirchenmann in diesem Fall aber nicht andere
Glaubensrichtungen, vor denen er später berufsmäßig warnt, sondern Glaubensaussagen Luthers (z. B.
Contra
Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei; 340, 354),
und es wird bei näherem Hinsehen deutlich werden,
warum.
Trotz ihrer Gefährlichkeiten erklärt der Luther-Experte Luthers Lehre aber für "letztlich
verbindlich". Mit Jesus, dem Christus, hat die lutherische Lehre aber
nichts zu tun. Und auch das zeigt sich bei näherer Betrachtung.
Der Journalist: Wenn ich an Martin Luther dachte, sah ich bisher immer einen Mann im mittelalterlichen Gewand, der einigermaßen Vertrauen erweckend wirkte. Was schreibt Luther und welchen Glauben vertritt er in seiner Schrift Vom geknechteten Willen?
Der Theologe:
Es geht Martin Luther um die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Gott; um die Sehnsucht des
Menschen, sein "Heil" zu finden; um sein Verlangen, Gott zu begegnen.
Luther glaubt, weil Gott allmächtig sei, bewirke er angeblich alles, was auf dieser Welt geschieht. Angesichts
dieser von ihm so geglaubten "Alleinwirksamkeit Gottes" fragt sich
Luther, ob der Mensch einen freien Willen haben
könne. Luther verneint dies.
Weiterhin fragt Luther, ob Gott, der alles weiß, auch alles vorherbestimme – im Guten wie
im Bösen. Luther bejaht dies, und die Kirche nennt dies Prädestinationslehre
(ausführlich dazu siehe in Der Theologe Nr. 49).
Luther erklärt in diesem Zusammenhang sogar, Gott habe die
einen Menschen zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt und die anderen zur ewigen Verdammnis.
Für die zweite Gruppe heißt das zugleich: Der Mensch habe während seines Lebens keine
Chance, umzukehren. Dies wäre auch gar nicht möglich, denn der
Mensch besitze ja – so die vorangegangene These Luthers – gar keinen freien Willen.
Der deshalb von Luther als "geknechtet" bezeichnete menschliche Wille wird zur
Verdeutlichung mit einem "Reittier" verglichen, auf dem entweder Gott oder der
Satan sitzt.
Und beide, Gott und Satan, würden dann über den Menschen verfügen wie
über einen Sklaven, je nachdem, wer gerade auf dem "Reittier", also dem
betreffenden Menschen, sitzt, Gott oder der Teufel – wobei der Satan bzw. Teufel von Gott
angeblich auch als Instrument benutzt werde. Tut ein Mensch Gutes
oder tut er Böses, nie tue er es gemäß der Lehre Luthers also aus freiem Willen. Denn alles, was geschieht,
ob wir es als gut oder böse empfinden, sei – so Luther – ausschließlich das Wirken
Gottes in der Welt.
So weit einmal, mit wenigen Worten zusammengefasst, wesentliche Inhalte
von Martin Luthers
Schrift Vom
geknechteten Willen. Wörtlich heißt es in dieser Schrift:
"Auf diese Weise
ist der menschliche Wille mitten zwischen beide [in medio] gestellt, ganz wie
ein Reittier, wenn Gott darauf sitzt, will er und geht, wohin Gott will, wie der
Psalm sagt: ´Ich bin wie ein Zugtier geworden und ich bin immer mit dir` [Ps 73,
22f.]. Wenn der Satan darauf sitzt, will er und geht, wohin der Satan will. Und
er hat nicht die Entscheidungsfreiheit [in eius arbitrio], zu einem der Reiter
zu laufen oder ihn zu suchen, sondern die Reiter selbst streiten darum, ihn
festzuhalten und zu besitzen." (Weimarer Ausgabe der Lutherschriften =
WA 18, S. 635)
Luther leugnet also den freien Willen des Menschen, und in der Zeit, in der er
lebte, hatten seine Zeitgenossen auch keine Glaubensfreiheit. Sie mussten
katholisch sein oder ab dem 16. Jahrhundert evangelisch, wenn der jeweilige
Landesfürst in Deutschland das unter Androhung der Todesstrafe so anordnete.
Mit Jesus, der uns den liebenden Gott nahe brachte, der jedem Menschen immer
Seine Hand reicht, hat das aber nicht das Geringste zu tun. Viele Menschen gaben
sich nun Mühe – oft aus nackter Angst um ihr irdisches Leben –, den von der Obrigkeit
vorgeschriebenen Glauben auch wirklich zu glauben. Und wenn es ihnen nicht gelang, ihren gesunden Menschenverstand
auf diese Weise zu knechten, wurden sie von Luther auf die angeblichen "Geheimnisse" Gottes
verwiesen; eines Gottes, welcher sich nicht nur offenbare, sondern eben
angeblich auch in
bestimmten
Geheimnissen verberge. Mit Jesus hat das aber auch überhaupt nichts zu tun.
Und dass solche und ähnliche Gedankengebäude nicht nur theologische Theorien
sind, zeigt zum Beispiel das Schicksal der damals 44-jährigen US-Amerikanerin
Marie Moore. Sie erschoss im Jahr 2009 ihren 24-jährigen Sohn und brachte sich dann
selbst um. In ihrem Abschiedsbrief heißt es: "Eigentlich
bin ich ein guter Mensch, doch der Teufel und Gott haben den schlimmsten
Menschen aus mir gemacht. Ich schäme mich so. Ich habe solche Angst. Ich werde
immer dafür zahlen." (zit. nach Bild, 8.4.2009)
Zur Erinnerung: Es war vor allem Martin Luther, der lehrte, der Teufel und Gott würden darum kämpfen,
von einem Menschen Besitz zu ergreifen, ohne dass dieser dabei eine eigene
Entscheidung treffen könne. Und hier schlussfolgert dann eine
Frau im religiösen Wahn: Die beiden hätten "den schlimmsten Menschen aus mir gemacht".
Der Journalist: Das ist ja eine furchtbare Vorstellung, wenn ich mich nicht für einen Gott der Liebe oder im Gegensatz dazu für eine böse Macht entscheiden könne, sondern wenn ich sozusagen ein Spielball jenseitiger Mächte wäre.
Der Theologe: Doch Martin Luther treibt in seiner – wie es heißt – "reformatorischen Hauptschrift" Vom geknechteten Willen seine eigenen Glaubensvorstellungen in Abgründe noch ganz anderer Art. Und ich zitiere noch einmal aus diesem Werk: "Das ist der höchste Grad des Glaubens, zu glauben, jener [Gott] sei gütig, der so wenige rettet und so viele verdammt; zu glauben, dass er gerecht ist, der uns durch seinen Willen unabänderlich verdammenswert macht, so dass er … an den Qualen der Unglücklichen Gefallen zu haben und eher hassens- als liebenswert zu sein scheint."
Der Journalist: Ich möchte unterbrechen. Der "höchste Grad des Glaubens" soll sein, dass ein ewig verdammender und ungerechter Gott gütig sein soll?
Der Theologe:
Genau das ist Luther. Luther verlangt – symbolisch gesprochen – dass man
Schwarzes als "weiß" bezeichnet. Deshalb ja seine Lehre vom "höchsten Grad".
Man müsse eben maximalst evangelisch glauben, um solches eben im "Glauben"
befürworten zu können. Entsprechend heißt es auch weiter: "Wenn ich also auf irgendeine Weise begreifen könnte, wie denn
dieser Gott barmherzig und gerecht ist, der solchen Zorn und solche
Ungerechtigkeit zeigt, wäre der Glaube nicht nötig." (WA 18, S. 632 f.)
Der Journalist:
Martin Luther lehrt also
einen Gott, der so viele Menschen "durch seinen Willen unabänderlich
verdammenswert mache". Habe ich das richtig
verstanden? Ich weiß nicht, ob ich das wirklich fassen
kann. Das habe
ich noch nicht zuvor gehört. Wenn das die
evangelischen Kirchenmitglieder wüssten, würden sicher noch viele mehr aus der
Kirche austreten. Und darauf kann ich mich wirklich verlassen, dass
Martin Luther das so gelehrt hat?
Der Theologe: Sicher. Es wird von den Lutheranern auch gar nicht bestritten; nur eben meist unter den Teppich gekehrt,
weil es eben offensichtlich nicht so "vorteilhaft" klingt. Mich
erinnert das auch an die Warnung von Jesus von Nazareth, der laut Johannesevangelium (Kapitel 8)
eindringlich vor dem "Vater von unten" warnt, den "Vater der Lüge", "der ein
Mörder war von Anfang an". Denn lässt sich die Charakterisierung des lutherischen
Konfessionsgottes nicht treffend mit dem Inhalt dieser Warnung vereinbaren?
Martin Luther untermauert seine Gottesvorstellung dann so, dass es dafür eben, so wörtlich, eines
"höchsten Grades des Glaubens" bedürfe, um sich einem
solchen schrecklichen Götzen nicht nur aus Angst vor Hinrichtung und
angeblichen ewigen Höllenstrafen zu
unterwerfen, sondern freiwillig und gerne.
Jeder mag für sich selbst entscheiden, ob Luthers Gott dann nicht der "Gott der
Unterwelt" ist? Und wenn eine psychisch kranke Mörderin in den USA vor ihrem
Suizid sprach, dass "der Teufel und Gott" einen schlimmen Menschen aus ihr
gemacht hätten, dann erinnert diese ihre Religionsmeinung sehr an Martin Luthers
Bild vom Menschen als Reittier, auf dem entweder der Teufel oder "Gott" sitzen
würden, wobei beide ganz ähnlich charakterisiert werden. So kann an dieser
Stelle auch gefragt werden: Sind sie für Luther nicht letztlich identisch?
Der Journalist: Aber was sagen dazu die evangelischen Theologen? Sie geben sich doch immer recht moralisch und können manchmal auch recht ansprechend predigen?
Der Theologe: Sie weichen meist aus und versuchen, sich aus dem scheinbaren Seitenausgang davon zu stehlen, den ihnen Martin Luther selbst anbot. Er meinte nämlich, der Mensch solle gar nicht so viel über diese Dinge nachdenken, sondern stattdessen einfach dankbar glauben, dass man glücklicherweise angeblich zu denen gehöre, die ihr Götze willkürlich rette und nicht zu den vielen, die er angeblich für ewige Qualen vorher bestimmte. Martin Luther selbst hat sich in diesem Zusammenhang an seiner eigenen Säuglingstaufe festgehalten, ja regelrecht festgekrallt, denn er kam oft mit seiner eigenen Lehre nicht zurecht, was angesichts der eben genannten Fakten auch nicht verwundert. Er und mit ihm später die lutherische Kirche verbreiten nämlich auch den Glauben, dass bei dem äußeren Ritual der Säuglingstaufe angeblich Gott "heilswirksam" an den Menschen handle. Und so sieht es auch die Vatikankirche bei ihren Taufen. Mit Jesus von Nazareth und Gott, dem Ewigen, haben die kirchlichen Wassertauf-Sakramente aber nicht das Geringste zu tun. Und es ist ja auch offensichtlich, dass bei diesem Tun ihre Pfarrer und Priester handeln, also sündige Menschen (mehr zur Taufe in Der Theologe Nr. 40). Welche Mächte dahinter stehen, das mag dann jeder selbst ermessen, der ihre Lehren kennt.
Der Journalist: Wir haben jetzt darüber gesprochen, dass der Mensch laut Luther keinen freien Willen besitzt. Darauf möchte ich noch einmal zurück kommen. Denn Martin Luther hat doch auch eine Schrift mit dem Titel Von der Freiheit eines Christenmenschen geschrieben?
Der Theologe:
Diese ist 1520 erschienen, also etwa fünf Jahre vor der Schrift
über den "geknechteten Willen". "Freiheit" klingt natürlich gut, das
ist einer der höchsten ethischen Werte. Doch welchen Inhalt hat Martin Luther in
diese Worte hinein gelegt, als er über "Freiheit" schrieb?
Bekannt geworden ist vor allem Luthers Grund-These, dass ein "Christenmensch"
sowohl "ein freier Herr" als auch ein "dienstbarer Knecht"
sei und "niemand" bzw. "jedem" "untertan"
sei. (Weimarer Ausgabe der Lutherschriften = WA 7, 20 f.)
Mit "Freiheit" meint Luther aber nun weder eine äußere politische
Freiheit noch eine innere Freiheit, z. B. eine Willensfreiheit, sondern
einzig die Freiheit, im Hinblick auf das Seelenheil angeblich nichts tun zu müssen.
Für das Heil soll alleine der Glaube an eine Vergebung aller Sünden durch
Christus genügen. Zugespitzt würde ich sagen: Freiheit bedeutet für Luther, dass
keiner etwas Gutes zu tun braucht. Damit wird aber "Freiheit" auch für etwas
Negatives missbraucht.
Und was sind die Folgen? Hier behauptet Luther dann
tatsächlich, bei entsprechend von ihm als "korrekt" definiertem Glauben komme
man nach dem Tod in eine ewige Seligkeit – erneut ein krasser Widerspruch zu
Jesus und dem Urchristentum, wo es um das rechte Tun geht und in diesem
Zusammenhang das Gesetz von Saat und Ernte gelehrt wurde. In
der Bibel, bei Paulus, heißt es sogar direkt: "Irret euch nicht. Gott lässt
Seiner nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten." (Galater
6, 7)
Der Journalist: Warum hat Martin Luther eine solche Glaubenslehre entwickelt? Gab es dafür bestimmte Gründe oder Anlässe?
Der Theologe:
Luther kritisierte zunächst das selbstsüchtige Kreisen von Menschen um das eigene Heil, welches bei
vielen zu einer Art Leistungsdruck beim Tun bestimmter "guter Werke" führe.
Man merkt bereits hier, dass einiges in dem Milieu, in dem Luther lebte, nicht
stimmt, und dass die Psyche vieler Menschen unter dem Jahrhunderte langen
katholischen Druck schon schwer Schaden genommen hat. Das ist ja auch kein Wunder, da sie von der katholischen Obrigkeit dazu gezwungen werden, Katholiken
zu sein und z. B. nach jeder Beichte auf Anordnung des Priesters bestimmte "gute
Werke" als angebliche "Bußleistung" tun müssen. Wirklich gute und selbstlose Werke
würden die Seele des Menschen erfreuen.
Luther setzt diesem katholischen psychischen Druck entgegen, "dass
ein Christenmensch am Glauben genug hat" und dass er "gewisslich
von allen Geboten und Gesetzen entbunden" sei.
Zwar sagt Luther, dass dies nicht bedeute, "dass wir müßig gehn oder
übel tun können", und er nennt in Anlehnung an Paulus gute "Werke" "erste Früchte des Geistes". Auch spricht er davon, dass die Absicht
des Christen "in allen Werken nur dahin gerichtet sein" soll, "dass
er andern Leuten damit diene".
Doch das Entscheidende ist: Wie viel Positives der Mensch dann aber letztlich
tut oder unterlässt, ist für den neuen evangelischen Glauben nicht entscheidend.
So hält Luther zwar die "Werke" weiterhin für "geboten", versteht sie aber nur
als Folge des von ihm gelehrten Glaubens und erklärt unter diesen Vorzeichen in seinem
Katechismus zum Beispiel, wie nach seinem Verständnis die 10 Gebote auszulegen
seien.
Maßgebend für ihn ist aber, dass "ihm [dem Menschen] derselben Werke keines zur Frömmigkeit
und Seligkeit not ist".
Anders gesagt: Der Mensch könne durch sein Tun angeblich nicht Gott näher kommen
und nicht zu Gott finden. Auf diese Glaubensaussage kommt es
Luther an. Damit verbaut er den Menschen aber den entscheidenden Zugang zu Gott
und zu wesentlichen Gotteserfahrungen, die jemand erleben kann, der sich z. B.
an der Bergpredigt des Jesus von Nazareth orientiert. Und wenn Luther lehrt,
etwas sei zwar "geboten", aber nicht nötig, dann zeigen unzählige
schlimme Erfahrungen,
wie es dann unterbleibt. Das geht dann so weit, dass Lutheraner sich an dem
Luther-Spruch "Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer" orientieren und in
dieser Haltung gewissenlos immer wieder schwerste Verbrechen und Schandtaten
begingen. Frei nach dem Motto: "Wer bekommt die Tapferkeitsmedaille vor dem
Feind Christus?"
Der Journalist:
Wenn das stimmen würde, was Luther lehrt, dass der rechte Glaube
allein genüge, oder wenn eine solche Lehre christlich
sein soll, warum hat Jesus von Nazareth dann so etwas nicht gesagt?
Und wieso standen dann die 10 Gebote im Mittelpunkt des Bundes, den die
Israeliten mit Gott am Berg Sinai geschlossen haben, so wie es ja auch in den
Bibeln der Kirchen steht?
Der Theologe:
Jesus hat es nicht gesagt, weil Er ganz anders dachte. Und auch
Mose und die Gottespropheten des Alten Testaments dachten völlig anders. Jesus
hat z. B. in der Bergpredigt den Weg zu dem nahen Gott gezeigt, indem Er die Gebote erklärt und
vertieft hat.
Wenn Luther und die lutherische Kirche lehren, dass sich niemand aufgrund
seiner "guten Werke" "rühmen" soll, dann stimmen sie hier
noch mit Christus überein.
Wer dies tue bzw. bereits von Menschen dafür gelobt werde, der habe, so Jesus, seinen
Lohn schon bekommen (z. B. Bergpredigt, Matthäusevangelium; 6, 1-4). Das
übrige der lutherischen Lehre stimmt aber nicht mit Christus überein, steht
sogar im krassen Widerspruch dazu.
So sagt Martin Luther beispielsweise: "Wenn er [der Mensch] nicht zuvor
glaubte und Christ wäre, so gälten alle seine Werke nicht, sondern wären eitel
närrische, verdammliche Sünden" (Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 7).
Man muss sich das einmal vorstellen: Alle guten Werke, welche Nichtchristen tun,
seien aus der Sicht
Martin Luthers verdammte Sünden. Nur wenn sie ein Mensch tut, der nach den
Maßstäben Luthers ein Christ ist, würde es bei seinem "Gott" zählen.
Der Journalist:
Wie wird das im Katholizismus gesehen?
Der Theologe:
Auch im Katholizismus zählen letztlich gute Taten
nur bei den eigenen Kirchenmitgliedern. Kirchenaussteiger sollen gemäß der als "unfehlbar"
behaupteten Lehre der Papstkirche bis heute ins ewige Feuer geworfen werden,
auch wenn ihre Taten noch so edel und gut sind.
Dazu kann ich nur sagen: Ob katholisch oder lutherisch – was für ein arroganter Wahn, was
für eine Perversion jedes gesunden Menschenverstands, die in der blutigen
Folter- und Mordgeschichte der beiden Großkirchen auch ihre entsprechenden
Früchte zeigt.
Und während man in der evangelischen Kirche heute manchmal sagt, dass man ja
nicht jeden Glaubenssatz von Martin Luther in die heute gültige Kirchenlehre übernommen habe,
so ist die Augsburger Konfession
mit ihrer Lehre, dass gute Taten ohne den angeblich rechten evangelischen
Glauben "Sünde" seien, bis heute eine verbindliche
Lehrschrift für alle evangelisch-lutherischen Kirchen und ihre Mitglieder. Zudem zählt Luthers
Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen bis heute in diesen
Kirchen unumstritten zu den "reformatorischen Hauptschriften", und man hat sich von keiner der
dort getroffenen Aussagen distanziert. So kann auch diese Schrift zwar nicht im engen dogmatischen
Sinne, aber doch praktisch zum aktuellen evangelischen Bekenntnis hinzugerechnet werden.
Zusammenfassend kann man sagen: Martin Luther und die lutherischen Kirchen lehren, dass es für das
Seelenheil nur auf den rechten Glauben ankomme, den sie für sich selbst
reklamieren, mit unter Umständen schlimmsten Folgen für Außenstehende – von der
Hinrichtung bis zur
Androhung
angeblich ewiger Hölle.
Der Journalist:
Noch einmal zurück zu Jesus. Kann man sagen, es ist eindeutig gegen Christus,
was Luther und die lutherische Kirche hier lehren?
Der Theologe:
Ja, und ich kann dazu noch einige Fakten
ergänzen. Im Gleichnis vom Weltgericht (Matthäusevangelium,
Kapitel 25), das Jesus erzählt, haben die "Geretteten" zuvor richtig gehandelt und haben nicht
einmal gewusst, dass ihr Tun etwas mit Christus zu tun hatte. Um einen
bestimmten Glauben ging es bei Jesus nicht.
Und auch sonst sagen Mose und Jesus deutlich, dass es auf das Tun ankommt. Davon, dass der
Glaube an die Vergebung aller Sünden aufgrund eines vermeintlichen Glaubens an Christus allein genügen
soll, spricht Jesus nicht.
Auch nicht davon, dass es einen Zorn Gottes gibt, der gesühnt werden müsse, um das
ewige Heil als Geschenk zu ermöglichen. Und auch davon nicht, dass der einzige Weg zu
diesem vermeintlichen Geschenk sei, dass er, Jesus, zuvor gewaltsam stirbt. In der Bergpredigt im
Matthäusevangelium kann jeder nachlesen, wie Jesus den Weg zum "Heil"
zusammenfasst.
Es heißt: "Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das
Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel"
(7, 21; siehe auch V. 12 und 24). Oder Jesus sagt laut dem Lukasevangelium über die Gebote der
Gottes- und Nächstenliebe: "Tu das, so wirst du leben"
(10, 27).
Oder die Goldene Regel, das Herzstück der Bergpredigt: "Alles nun, was ihr wollt,
dass euch die Leute tun sollen, das tut
ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten" (Matthäus 7, 12).
Und dann später: "Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie,
der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute." (Vers 24)
Es geht also bei Jesus nicht um einen nebulösen "Glauben allein", sondern um das Tun
(siehe dazu auch Der Theologe Nr. 35 – Gefährliche Rechtfertigungslehre).
Folglich ist Luthers Lehre lutherisch, aber nicht christlich, und so geben
es die Kirchenmitglieder immerhin korrekt auch als Konfessionsbezeichnung
an: Nicht "christlich", sondern "evangelisch-lutherisch".
Der Journalist: Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich als Kind die 10 Gebote gelernt habe. Für mich waren diese Gebote mit das Wesentliche am christlichen Glauben.
: Das Wesentliche ist, die Gebote auch zu halten. Was nützt die evangelische Erklärung, das Halten der Gebote sei eine Frucht des Glaubens und diene dem Lob Gottes, wenn die Gebote dann nicht gehalten werden?Der Journalist: Hat Luther mit seiner Lehre somit die Hemmschwelle herabgesetzt, gegen die Gebote zu verstoßen?
Der Theologe:
Bis zum Auftreten Luthers wurde in den Kirchen ja meistens gelehrt, dass der Mensch
durch die Befolgung der Gebote zumindest etwas zu seinem Seelenheil beitragen könne.
Der lutherische Theologe Dr. Behnk stellt nun in seiner Doktorarbeit fest, dass Luther bemüht ist, diese sich
auf den freien Willen des Menschen stützende Lehre "als
theologisch völlig unhaltbar zurückzuweisen" (a.a.O., 329).
Ob damit die Hemmschwelle herabgesetzt wird oder nicht, zeigte und zeigt sich dann im Verhalten der
evangelisch Glaubenden, z. B. durch einen Blick in die evangelische
Kirchengeschichte.
Der Journalist: Wieso beruft sich Luther dann auf Christus, wenn Christus es doch ganz anders lehrt?
Der Theologe:
Luther sagt zwar, entscheidend sei,
"was Christus treibet". Er nimmt den Namen "Christus" also für sich in
Anspruch. Wenn man
aber nachfragt, bezieht er sich gar nicht wirklich auf Christus, sondern auf die
Christus-Interpretation von Paulus. Doch schon Paulus hat die Lehre von Christus
verändert bzw. verfälscht. Nur an einer einzigen Stelle bei Paulus steht
der für Luther maßgebliche Satz, "durch den Glauben" werde der Mensch "gerecht".
(Brief an die Römer; 3, 28)
Und von Paulus hat Luther auch die Lehre abgeleitet, dass Gott zu den einen gnädig
sei, die
anderen jedoch verstocke und verdamme (Brief an die Römer, Kapitel 9).
Und auch über einen solchen Ausspruch kann doch bei Lutherfeierlichkeiten
nicht einfach hinweg gegangen werden. Was
für ein grausames Gottesbild!
Paulus, Luthers Gewährsmann, glaubte wiederum, solches aus den Schriften des so genannten "Alten"
Testaments ableiten zu können. Und auf Paulus berief sich auch der in beiden Großkirchen als rechtgläubig
hochgeschätzte Kirchenvater Augustinus (354-430), der ebenfalls solches lehrte, und an
dem sich Martin Luther als "Augustiner"-Mönch orientierte. Mit Jesus und
dem christlichen Glauben hat ein solcher Glaube aber überhaupt nichts zu tun.
Der Journalist:
Jesus und Paulus – in der Kirche wird es so dargestellt, dass
beide letztlich das Gleiche lehren.
Der Theologe:
Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede und das ist dann eben
"paulinisch", aber nicht christlich. Einig sind sich Jesus und Paulus, dass die vielen hundert jüdischen Gesetzesvorschriften,
z. B. im "Alten" Testament, nicht zu Gott führen – doch aus
ganz unterschiedlichen Gründen. Weil Priester im Alten Testament vielfach
Texte gefälscht hatten und ihre eigenen Lehren als "Wort Gottes" ausgaben, stellt Jesus dies richtig,
wiederum
in der Bergpredigt, wenn Er sagt: "Ich aber sage euch", und dann folgt die
Korrektur.
Anders als Jesus erkannte Paulus aber alle Gesetzesvorschriften als
Gotteswort an, lehrte aber stattdessen das Heil durch "Glauben", weil
niemand die Vorschriften alle erfüllen könne (siehe dazu
Der Theologe Nr. 5 – Wie Paulus die
Lehre des Jesus veränderte). Das ist etwas ganz anderes als das, was Jesus
lehrte.
Luther geht nun gedanklich noch einen Schritt weiter von Jesus weg als Paulus und
lehnt nicht nur die Ethik des "Alten Testaments", sondern auch die Ethik des
Jesus von Nazareth als Weg zu Gott ab, nämlich das schrittweise
Erfüllen der Bergpredigt.
Luther akzeptiert
das Erfüllen der Lehre von Jesus – wie bereits besprochen – nur als "Frucht" des Glaubens.
Hinzu kommt, dass er die Lehre von Jesus auch noch vielfach entstellt und in ihr
Gegenteil verkehrt, so dass man zahlreiche Widersprüche zu Jesus findet (vgl.
Der Theologe Nr. 3 – So spricht Martin Luther – So
spricht Jesus von Nazareth). Und um seine eigene Lehre zu bekräftigen, verändert
bzw. manipuliert Luther
sogar den oben genannten biblischen Paulustext und fügt in seiner "Übersetzung" das Wort "allein" hinzu. So heißt es in Luthers Übersetzung, "allein durch den Glauben"
werde der Mensch gerecht. Im Original-Paulus-Text steht lediglich: "Durch den Glauben".
Der Journalist: Was lehrt uns Jesus von Nazareth über Gott? Wo liegen weitere Unterschiede und Gegensätze zu Luther?
Der Theologe:
Jesus spricht ganz anders über Gott als Luther. Er hat den Menschen immer wieder die
unendliche Liebe Gottes nahe bringen wollen.
So vergleicht er Ihn zum Beispiel im Gleichnis vom "verlorenen Sohn" mit einem
liebenden Vater, wie es im Lukasevangelium nachzulesen ist (Kapitel 15).
Der Vater hatte den Sohn nie aus dem Herzen gelassen und ihm die Türe immer offen
gehalten. Allein der Sohn entschied über sein Fernbleiben oder seine Rückkehr.
So reicht Gott jedem Seiner Kinder zu jedem Zeitpunkt die Hand, und für keinen der Söhne
und Töchter gibt es dabei ein ewiges Zu-Spät, auch wenn der Mensch lange und
schmerzhafte Umwege geht.
Jesus weiß dabei um das Gesetz von Saat und Ernte, wonach die Menschen ernten, was sie gesät
haben.
Doch gerade im Leid ist der barmherzige Gott, wie Ihn Jesus lehrt, mit Seiner
Hilfe ganz nahe, was auch Jesus durch
Sein Leben
zeigen möchte. So hilft Gott auf vielfältige Art, auch durch Menschen wie den bekannten
"Samariter", der sich für den ausgeraubten und verletzten Mann auf der Straße
Zeit nimmt und ihn versorgt. (Lukasevangelium, Kapitel 19)
Beim Lesen von Luthers Schrift Vom geknechteten Willen bekommt man
aber ein
völlig anderes Verständnis von Gott. Luther vergleicht Gott hier mit einem Reiter, der sich auf
sein Kind setzt und es dorthin reitet, wohin er – dieser Gott – will.
Das Kind reitet also nicht dorthin, wohin es selbst will. Und dieser stattdessen auf ihm
reitende Gott, dem das Kind ausgeliefert ist, meint es selten gut mit dem
Menschen, er "treibt" ihn eventuell "regelrecht dorthin",
dass er sich "in das Böse verstrickt", so der lutherische
Sektenbeauftragte und moderne Inquisitor Behnk (a.a.O., 336). Nur mit der Minderheit der von ihm Erwählten ginge er
anders um.
Der spätere lutherische "Sektenbeauftragte" Behnk macht darauf aufmerksam, dass der menschliche Wille hier bei
Luther nicht
mehr "von innen her bewegt, sondern als von außen her besessen illustriert
wird". (340)
So lehrt also Luther, dass kein Mensch, auch nicht der Christ, einen freien Willen
besitzt, sondern dass der Mensch stattdessen von einem der beiden vermeintlichen
"Reiter" geritten bzw. besessen
wird: Gott oder Teufel.
Der Journalist: Das klingt für mich ungeheuerlich. Lehrt das die evangelische Kirche heute immer noch?
Der Theologe:
Die entstehende evangelische Kirche hat diese Lehre Luthers unter dem Einfluss von Luthers
Wittenberger Theologen-Kollegen Philipp Melanchthon (1497-1560) schon im 16.
Jahrhundert gemildert und in der Augsburger Konfession (1530) das Zugeständnis gemacht, dass der Mensch wenigstens in den
"Dingen" frei ist, "so die Vernunft begreift" (CA XVIII).
Auch Luther hatte bereits einige Hinweise in diese Richtung gegeben.
In den entscheidenden Schicksalsfragen hat die Kirche aber Luthers Lehre vom geknechteten
Willen bestätigt und in ihre auch heute noch gültigen Bekenntnisschriften aufgenommen.
Demnach gilt in der evangelisch-lutherischen Kirche bis heute, "dass der
freie Wille und Vernunft in geistlichen Sachen nichts vermag" (Apologie
der Konfession XVIII).
Nötig dafür sei der "heilige Geist", wozu es angeblich die Institution Kirche
brauche.
Denn um den "heiligen Geist" zu bekommen, hätte Gott "das
Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament [ge]geben, dadurch er als durch Mittel den
heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wenn [wann] er will, in denen, so
das Evangelium hören, wirket ..." (CA V)
Der Mensch kann also ohne kirchliche Taufe, ohne Predigt des Pfarrers und ohne kirchliches
Abendmahl den "heiligen Geist" nicht vermittelt bekommen.
Diesen brauche er aber, damit dieser in ihm wiederum den Glauben bewirke, der nötig sei,
um gerettet und nicht ewig verdammt zu werden.
Frei entscheiden könne sich der Mensch für diesen Glauben aber nicht, wobei man sich
wieder auf Paulus beruft, der in einem Brief an die Gläubigen im griechischen Korinth
schrieb: "Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes" (1. Brief
an die Korinther, Kapitel 2 / CA XVIII).
Gemäß dem lutherischen Bekenntnis bewirke stattdessen der kirchlich vermittelte
"heilige Geist" den heilsnotwendigen Glauben.
Die Schlussfolgerung daraus wäre: Eine Loslösung von diesem Glaubenssystem würde
das Kirchenmitglied in
die ewige Katastrophe führen. So wird der Gläubige an die lutherische Kirche gekettet.
Der Journalist: Gilt also bis heute in der evangelisch-lutherischen Kirche auch der Glaube an eine angeblich ewige Verdammnis?
Der Theologe: Ja. Zwar wird heute nicht mehr gelehrt, dass Gott bestimmte Menschen zur ewigen Verdammnis
vorherbestimme. Er sehe aufgrund seiner Allwissenheit "nur" noch voraus, wer ewig verdammt
werde, so wie er grundsätzlich alles vorhersehe, was geschieht (z. B. CA XVII in
Verbindung mit der Konkordienformel, Epitome XI).
Eine Vorherbestimmung gebe es nur noch zum Heil. "Die ewige Wahl Gottes aber,
Gottes Verordnung zur Seligkeit, geht ... allein über die Kinder Gottes, die zum
ewigen Leben erwählet und verordnet sind" heißt es nun. (Konkordienformel,
Solida Declaratio XI., Von der ewigen Vorsehung, 1580, zit. nach
Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Göttingen 1980, S.
1075)
Alle Menschen, die schließlich in die Seligkeit kommen sollen, würden vom
evangelischen "Gott" zuvor also dafür
vorher bestimmt, die anderen für angeblich ewige Höllenstrafen jedoch "nur"
vorher gesehen. Hier werden wir doch für dumm verkauft. Das ist doch nur
Wortklauberei. Denn welchen Unterschied macht es für das Opfer, ob es nun zu
angeblich ewiger Hölle vorherbestimmt oder nur vorhergesehen sei? Verdammt ist
nun mal verdammt, wenn dies stimmen würde. Da es laut evangelischer Lehre nur diese
beiden Endzustände, Himmel oder Hölle, geben soll, wird ein Mensch, der nicht zur
Seligkeit vorherbestimmt sei und laut evangelischer Lehre auch keine Chance auf
den Himmel habe, doch automatisch für die Hölle vorher bestimmt, auch wenn dies mit
dem Wort "vorhergesehen" verbrämt wird.
Spätestens beim so genannten Endgericht zeige sich dann
der Horror. Christus selbst soll dann laut der lutherischen Lehre angeblich
dieses Verdammungsurteil sprechen. Es heißt in der evangelischen Kirche: "Unser Herr Jesus Christus" werde "die
gottlosen Menschen ... in die Hölle und ewige Strafe verdammen" (CA XVII).
Ewig. Dieses grässliche Kirchen-Urteil wird auch noch Christus untergeschoben; ein Urteil, das
schlimmer wäre als jede Todesstrafe, wenn es nicht von vorne herein gelogen
wäre. Denn kein Tod würde diesem geglaubten Grauen ein Ende machen.
Die Veränderungen an der Lehre Luthers durch die
Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sind also oft nur
kosmetisch. Ein wenig anders ist es bei der anderen These
Luthers, wonach Gott, angeblich alleinwirksam, auch das Böse bewirke und sich der
Mensch nicht für das Böse entscheiden könne. Für das Böse entscheiden könne sich
der Mensch laut lutherischer Kirche nun eben doch. Nach der "Korrektur"
der Lehre Luthers durch die
evangelischen Bekenntnisschriften wirke Gott nur noch "alleinwirksam" zum Heil.
Für das Böse gelte nun doch: Der Mensch entscheide sich dafür mit dem freien
Willen, wenn auch derselbe "völlig pervertiert ist" (Behnk,
a.a.O., 393).
Nach dieser innerkirchlichen Korrektur der Prädestinationsvorstellung Luthers lautet dann die Folgerung: Der Mensch habe es doch selbst zu
verantworten, wenn er angeblich ewig verdammt werde, nicht der evangelische
Konfessionsgott. Doch dessen vermeintliche
"Entlastung" beim evangelischen Gottesbild greift nicht wirklich tief.
Denn dieser Götze wird weiter für eine Schöpfung verantwortlich gemacht, in
welcher er eben den größten Teil seiner Kinder ohne Chance auf
Umkehr oder Linderung zu ewigen Höllenqualen verurteilt. Demgegenüber
erscheinen östliche Lehren von der Auflösung der Schöpfung, von der Auflösung
aller Formen, auch der Auflösung der menschlichen Seelen, sogar barmherziger,
obwohl solches, wenn es eintreten würde, mit grausamsten Seelenqualen verbunden wäre. Aber es wäre wenigstens
irgendwann Schluss. Diese tatsächlich einst drohende Auflösung hat Christus mit
Seiner Erlöserkraft allerdings verhindert, weswegen Er für jeden Menschen und
jede Seele auch der Erlöser ist – ein kosmischer
Vorgang in der für uns unsichtbaren Welt – aber das ist ein eigenes Thema, auf
das ich später noch genauer eingehen möchte. Die Lutherkirche jedoch bekennt
sich weiter zu einer angeblich ewigen Hölle.
Als mittlerweile Außenstehender frage
ich mich deshalb: Wie lange will eigentlich der deutsche Staat diese Höllen-Verrenkungen
noch auf Staatskosten in allen Schulen
unterrichten lassen, auch wenn viele Pfarrer aus Gründen des Zeitgeistes das
Thema ausklammern? Oder anders formuliert: Wie lange soll das 16. Jahrhundert eigentlich noch das 21.
Jahrhundert beherrschen?
Der Journalist
: Wenn ich das, was Sie gerade erklärt haben, mit dem vergleiche, was ich von Jesus von Nazareth weiß, dann könnte man auch fragen: Wer folgt Luther und seinen "Korrektoren" nach, und wer folgt Christus nach?Der Theologe: Und um diese Frage beantworten zu können, muss man eben wissen, was "lutherisch" und was "christlich" ist.
Der Journalist: Ich habe den Eindruck, die meisten Menschen, die sich "evangelisch-lutherisch" nennen, kennen viele Grundlagen ihres Glaubens überhaupt nicht. Sie möchten zum Beispiel das Gebot der Nächstenliebe erfüllen. Doch sie wissen nichts Näheres darüber, dass sie da in ein mörderisches und lügnerisches System hineingeraten sind.
Der Theologe:
Den meisten Angehörigen der lutherischen Kirche ist ihr Glaube, auf den sie getauft
und konfirmiert sind, tatsächlich kaum bekannt. Sie kennen, wenn überhaupt, nur die
Oberfläche – in der evangelischen Kirche zum Beispiel die Sätze: "Allein der Glaube
an Christus" genüge, wir seien "gerechtfertigt allein durch Christus", oder
"allein die Bibel" genüge zur Wahrheitsfindung.
Wenn man aber einmal nachfragt, was sich hinter diesen Sätzen verbirgt, stößt man sehr
bald auf die dunklen Wurzeln und Fundamente dieses Glaubens, zum Beispiel auf
angeblich in alle Ewigkeit
getrennte zwei Gruppen von Menschen, Gerettete und Verdammte.
Dies alles ist aber, wie gesagt, den wenigsten Kirchenangehörigen bewusst.
Sie sind in ihrer Information über ihren Glauben auf das angewiesen, was sie in ihrer
Kinder- oder Jugendzeit hörten und sich gemerkt haben. Ansonsten erhalten sie ihr Wissen
mehr oder weniger zufällig, je nachdem, welche Informationen über ihre Kirche sie eventuell
aus den Medien erfahren bzw. in Büchern lesen.
Oder, wenn sie kirchliche Veranstaltungen besuchen, was sie gerade von
dem betreffenden Pfarrer oder anderen Sprechern hören.
Schließlich mag sich ein einzelner Protestant schon um das bemühen, was er unter
"Nächstenliebe" versteht, was aber, wie gerade besprochen, laut seiner Religion gar nicht
entscheidend sei, sondern mehr als gesellschaftliches Feigenblatt missbraucht
wird.
Verbindliche Maßstäbe gibt es außerdem nicht. Vieles wird einmal so interpretiert, das andere Mal
so.
Selten stößt man dabei auf die Grundlagen des evangelischen Glaubens, wozu vor allem
gehört, dass es in Glaubensdingen keinen freien Willen gibt.
Der Journalist: Der große Unterschied liegt also in der neuen Lehre vom geknechteten, unfreien Willen. Was heißt das nun praktisch? Könnten Sie ein Beispiel nennen?
Der Theologe:
Ein Beispiel ist in den
Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern,
Ausgabe 1/1997, nachzulesen.
Dort ist zu diesem Thema ein "Grundtext" mit dem Titel Gottes unfassbarer
Wille veröffentlicht, in dem der evangelische Theologieprofessor Dr. Hans Schwarz
an Beispielen aus der Geschichte aufzeigt, wie Gott gemäß dem evangelischen Glauben
angeblich den menschlichen Willen in Besitz nehme und welche Fragen sich daraus ergeben.
Prof. Dr. Schwarz geht dabei auf die Vorstellungen Luthers ein, dass Gott angeblich einen bereits
böse vorgefundenen Willen für seine Alleinwirksamkeit im Bösen benutze, schreibt aber
nichts darüber, wie denn dieser bereits vorher böse Willen böse geworden sei.
Es heißt: "Aber warum würde Gott einen bösen Willen auf das Böse hinbewegen?
Warum sollte er den Willen der Nationalsozialisten bei ihrem Versuch
vorantreiben, die Juden auszurotten? Warum stachelte er die Kriegsparteien im
ehemaligen Jugoslawien an, eine Untat nach der anderen zu begehen? Und warum
bewegte er die Juden und die Römer dazu, Gottes eigene Menschwerdung zu töten.
Luther weiß keine Antwort auf diese Fragen und gibt auch nicht vor, eine zu
kennen. Er gesteht einfach ein: ´Dies gehört zu den Geheimnissen seiner
Majestät, wo seine Urteile unfassbar sind (Röm. 11, 33). Es ist nicht unsere
Aufgabe, diese Frage zu stellen, sondern diese Geheimnisse anzubeten.`"
Und an späterer Stelle zitiert dieser Grundtext Luther mit den Worten, "dieses
höchste Geheimnis der göttlichen Majestät ist für ihn [Gott] allein bestimmt und
uns verboten".
Die Schlussfolgerung dieses Textes von 1997 besteht dann darin, dass Luther sich hat
"hinreißen lassen, über den verborgenen Willen Gottes mehr zu sagen als angebracht
erscheint; damit werden dann aber auch wir daran erinnert, dass uns die Spekulation über
das uns Unzugängliche, selbst wenn sie uns nichts einbringt, oft mehr interessiert als
das Nachdenken über das, was uns Gott zu unserer Lebensorientierung anbietet."
So also der lutherische Theologieprofessor in unserer heutigen Zeit.
Der Journalist: Wenn ich höre, wie über das Handeln Gottes bei der Judenverfolgung oder im jugoslawischen Bürgerkrieg gedacht wird, dann verstehe ich besser, warum viele Menschen der Kirche enttäuscht den Rücken kehren oder sich verbittert weigern, bei einem solchen Glauben länger mitzumachen.
Der Theologe: Mich erinnert diese Glaubenshaltung an ein schlimmes Verbrechen, bei dem jemand anschließend den Tatort umstellt. Jeder, der versucht, am Tatort nach Spuren zu suchen und das Verbrechen aufzuklären, wird von den Posten wieder weggeschickt. Damit aber nicht genug. Die Posten kritisieren diese nach Aufklärung suchenden Menschen auch wegen ihrer Fragen und machen ihnen stattdessen den Vorschlag, in einiger Entfernung vor dem Ort des Verbrechens niederzufallen und das Geschehene als Geheimnis anzuerkennen und anzubeten.
Der Journalist: Nun gibt es ja viele Interpretationen und Deutungen. Wenn ich mich einmal selbst davon überzeugen will, was Luther geschrieben hat – wo kann ich das nachlesen?
Der Theologe: Zahlreiche Schriften Luthers können bei Hans-Jürgen Böhm nachgelesen werden in: Die Lehre Luthers – ein Mythos zerbricht, gratis erhältlich beim Herausgeber (Postfach 53, 91284 Neuhaus). Böhm, der bibelgläubig ist, hat Schriften Luthers veröffentlicht und kommentiert, in denen sich Luther mit Andersdenkenden auseinandersetzt. Nachlesen kann man auch in entsprechenden Bibliotheken in der bekannten Weimarer Ausgabe der Lutherschriften (WA). Die Schrift Vom geknechteten Willen steht im 18. Band.
Einige Schriften Luthers findet man auch im Internet, wenn man sich etwas Zeit zur Recherche nimmt.
Der Journalist
: Was schreibt Luther noch im Hinblick auf seine Gegner? Könnten wir tiefer in das Thema einsteigen?
Der Theologe: Ja. Gott
ist für ihn auch ein "tötender" Gott. Zuerst erweckt er mit einigen
seiner Lehrsätzen den Eindruck, das sei
vielleicht nur symbolische theologische Fachsprache. Doch bald floss das Blut
seiner Gegner in furchtbaren Strömen.
In der Schrift Luthers Vom geknechteten Willen lehrt er ja auch den von ihm so bezeichneten "höchsten Grades des Glaubens", worauf
ich vorhin schon hingewiesen habe. Und das heißt für ihn auch: "Wenn
Gott lebendig macht, tut er es also, indem er tötet, wenn er rechtfertigt, tut
er es also, indem er schuldig macht, wenn er in den Himmel führt, tut er es,
indem er in die Hölle führt, wie die Schrift sagt: ´Der Herr tötet und macht
lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus`, 1Sam 2." (WA 18, S. 633)
Und über diesen seinen "tötenden" Reformationsgötzen schreibt er weiter: "Wenn ich also auf irgendeine Weise begreifen könnte, wie denn
dieser Gott barmherzig und gerecht ist, der solchen Zorn und solche
Ungerechtigkeit zeigt, wäre der Glaube nicht nötig. Da es nun nicht begriffen
werden kann, wird Raum gegeben zur Einübung des Glaubens, indem Derartiges
gepredigt und öffentlich verbreitet wird; und zwar nur so, dass, indem Gott
tötet, der Glaube an das Leben im Tod eingeübt wird." (WA 18, S. 632 f.)
Der Journalist: Das meinen Sie offenbar mit "theologischer Fachsprache". Denn Blut fließt ja hier noch keines. Oder?
Der Theologe: Noch nicht, aber bald. Es kommt zwar grundsätzlich auf den Inhalt von Worten an, nicht auf den Buchstaben. Doch wie man diese Worte Luthers vom "tötenden Gott" auch drehen und interpretieren mag: Der Gott, von dem Jesus von Nazareth sprach, ist nicht der Tötende. Erst recht nicht ist Gott der Lebendigmachende, indem er tötet. Das steht so auch nicht in dem von Luther zur Begründung für seine Lehre bemühten Bibelwort im 1. Samuelbrief ...
Der Journalist: Doch Luther sagt es so. Mir kommt dazu noch der Gedanke: Wenn der echte Gott ein tötender Gott wäre oder ein Gott, der das Töten befiehlt, dann würde Er sich ja nicht an Seine eigenen Gebote halten, wozu gehört "Du sollst nicht töten". Deshalb noch einmal meine Nachfrage: Was meint Luther hier? Durch den angeblich tötenden Gott soll der Gläubige sich an das Leben im Tod einüben, wie er schreibt. Wie soll man sich das vorstellen?
Der Theologe:
Manchmal wird versucht, solche Sätze "mystisch" zu deuten, denn
Luther war als junger Mann der "Mystik" sehr verbunden.
Bei der Mystik geht es aber auch nicht um einen "tötenden Gott", sondern um das Sterben des menschlichen Ego, also um eine Umwandlung einer
egoistischen Grundhaltung in eine selbstlose. Das Ego kann aber nicht durch eine
Art geistigen Totschlag überwunden werden, sondern es ist ein innerer Prozess. Auf diese Weise findet der Mensch zur
inneren Verbindung mit Gott und zur Verbindung mit den
anderen Menschen und mit den Naturreichen, mit dem Leben in allen Lebensformen,
er finden seinen Platz in der Einheit allen Lebens. Denn Gott lebt in Seiner Schöpfung, in jedem
Menschen, jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Stein.
Wer diesen "mystischen
Glauben" anstrebt oder schon danach lebt, ist aber kein Fanatiker, der
alles Gegensätzliche nur verdrängt, und er wird auch nicht zum Mörder oder
zu einem, der massenweise Hinrichtungen und Kriege fordert. Er bejaht
stattdessen das Gute, wir könnten sagen, das Göttliche in jedem Menschen, auch
in dem scheinbaren Gegner, und er hält
sich an das Gebot "Du sollst nicht töten". Aber das ist nicht der Weg
Luthers. Luther predigt aufs Ganze gesehen den Blutrausch, wofür er dann eben
seinen "tötenden" Gott verantwortlich machte.
Der Journalist: Ja, das interessiert mich. Wie hat nun Martin Luther zum Töten von Menschen aufgerufen und es mit seinem tötenden Gott begründet?
Der Theologe:
Zur Klarstellung: Dem einzelnen Menschen erlaubt Luther das Töten nicht. Die Obrigkeit hingegen
ruft er unter Berufung auf Paulus immer wieder zum Töten auf. Paulus schreibt,
und das ist auch die Grundlage für Luthers Lehre, die
Obrigkeit "ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem,
der Böses tut" (Brief an die Römer; 13, 4) – nach Luther zum
Beispiel gegenüber den um ihre Rechte kämpfenden aufständischen Bauern.
In der
bekannten Schrift Wider die stürmenden Bauern, die im selben Jahr wie Vom geknechteten Willen geschrieben wurde (1525), ruft Luther zum Töten der
Bauern auf und schreibt: "Es ist dann die Zeit des Schwerts und des
Zorns, und nicht der Gnade ...". "Steche, schlage, würge hier, wer da
kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmermehr
erlangen. Denn du stirbst im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl." (WA 18, S. 361)
Später sagt Luther in einer seiner Tischreden: "All´ ihr Blut ist
auf meinem Hals. Doch ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen,
solches zu reden." (WA,
Tischreden 3, 75)
Der Journalist: Das ist kaum zu glauben. Aber eindeutig. In den Geschichtsbüchern liest man von ca. 70.000 Todesopfern in Deutschland. Doch es gab ja auch noch weitere Opfer dieses Denkens und dieser Theologie.
Der Theologe:
Ja, zum Beispiel die so genannten
"Täufer".
Luther und Melanchthon, wegen dessen 500. Geburtstags das Jahr 1997
von der Kirche zum Melanchthon-Jahr erklärt
worden war, setzen auch durch, dass friedfertige Menschen hingerichtet werden wie die meisten der von ihren Gegnern
meist so genannten
"Wiedertäufer" – eine Ausnahme scheint eine gewalttätig gewordene Gruppe
in Münster zu sein, falls die katholische Überlieferung hier einigermaßen den
Fakten entspricht, was allerdings grundsätzlich nicht sicher ist.
Den Namen "Täufer"
oder auch "Wiedertäufer" bekommen sie, weil sie eine Taufe erst im Erwachsenenalter
befürworten, die amtskirchliche Säuglingstaufe nicht anerkennen und sich auch
dann noch einmal als Erwachsene taufen ließen, wenn sie schon als Säuglinge getauft worden
waren.
Diese so genannten "Täufer" oder "Wiedertäufer" werden von Luther
auch als "Schleicher und Winkelprediger" verleumdet, die der Staat
aufgrund ihrer Lehren hinrichten solle. Gemäß seiner Schrift Vom geknechteten Willen
gelten sie ihm wegen ihres Glaubens auch als "vom Teufel
geritten".
Und allein deswegen wiederum, also nur aus theologischen Gründen, verdächtigt sie Luther auch des
Mordes und des Aufruhrs – in fast ausnahmslos allen Fällen zu Unrecht.
Luther wörtlich: "So sollten nun billig Amtleute, Richter und was zu regieren
hat, wissen und gewiss sein, dass sie solche Schleicher müssten verdächtig
haben, nicht allein falscher Lehre, sondern auch Mords und Aufruhrs halber, weil
sie wissen, dass solche Leute vom Teufel geritten werden ..." (Jenaer
Ausgabe der Lutherschriften, Tomos 5; Von den Schleichern und
Winkelpredigern, 1532, S. 552)
Die Konsequenz aus diesen theologischen Meinungslügen Luthers ist: Auch diese
Menschen werden verfolgt und hingerichtet.
Melanchthon schreibt die Hinrichtungsgutachten und Luther stimmt zu.
Erst recht trifft es die Bauern, die den "Gehorsamseid" gegenüber "ihren
Herren" gebrochen haben. Damit "haben sie", so Luther, "Leib
und Seele verwirkt" (Wider die stürmenden Bauern, WA 18). Das sind nur zwei Beispiele von zahlreichen Tötungsforderungen, die
dann auch tatsächlich durchgeführt
wurden.
Der Journalist: Es gibt also deutliche Zusammenhänge zwischen dem Glauben Luthers und dem, was er an praktischen Konsequenzen fordert, und diese sind demnach für viele seiner Zeitgenossen lebensbedrohlich.
Der Theologe: Die Zusammenhänge kann jeder sehen, wenn er sie sehen möchte. Der junge Mann Luther, der die 95 Thesen über den Ablass an die Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben soll, hatte allerdings noch mehr Gewissensbisse als der ältere Luther. In seinem Leben gab es eine eindeutige Entwicklung nach unten. Hellhörig macht in diesem Zusammenhang das Wort vom "Töten Gottes" im theologischen Sprechen Luthers. Das führte dazu, dass tatsächlich Menschen im Auftrag von Luthers Konfessionsgötzen getötet werden. Mit Mystik hat das nichts zu tun. Sollte der so Glaubende sich dabei von Kräften außerhalb seiner Person inspiriert oder gesteuert verstehen, dann geht es hier um Besessenheit, nicht um Mystik.
Der Journalist
: Sie sprechen von einer "Entwicklung nach unten" im Leben Luthers, an deren Ende Menschen umgebracht wurden. Aber gibt es nicht auch viel Positives?
Der Theologe:
Von Luther wird berichtet, dass er sehr liebevoll zu seiner Familie und zu
vielen Anhängern war. Auch können wir hier wieder auf die
Doktorarbeit von
Kirchenrat Wolfgang Behnk zurückkommen.
Er versucht dort intellektuell spitzfindig, Luthers Negativaussagen seinen positiven Aussagen
unterzuordnen.
Ein Beispiel: Bei dem so genannten "Spitzensatz" Luthers "von
der absoluten göttlichen Alleinwirksamkeit" sieht Behnk eine "Dominanz
des Gnadenaspektes". Wenn das stimmen würde, dann müsste aber der evangelisch
geglaubte Himmel deutlich mehr Bewohner beherbergen als die evangelisch
geglaubte Hölle, was aber nach den lutherischen Kriterien für die Seligkeit
nicht annähernd so sein kann. Denn der angeblich alleinseligmachende Glaube enthält
sehr viele Bedingungen und
Verdammungen, die
jeder Interessierte selbst nachlesen kann. Doch selbst wenn es anders wäre und
statt unzähligen Milliarden von Menschen ein paar weniger ins Höllenfeuer
müssten, macht dies doch diese Religion nicht wesentlich barmherziger.
Allerdings bemerkt der spätere lutherische Weltanschauungsbeauftragte auch, "dass
dieser Satz als solcher äußerst gefährlich ist" (a.a.O., 344),
also der Satz Luthers "von der absoluten göttlichen Alleinwirksamkeit".
Doch "das eigentliche Thema" der Willenslehre Luthers sei "positiv"
zu formulieren, nämlich als "Rechtfertigung des Sünders sola
gratia / sola fide / solo Christo" (= allein aus Gnade / allein durch Glauben / allein durch
Christus).
Das hört sich alles zuerst einmal sehr kompliziert an, doch je
mehr man es versteht, desto deutlicher zeigt sich darin eine Schönfärberei ohne
Substanz. Denn es wird übertüncht, dass nach dem evangelisch-lutherischen
Glauben alle Menschen aufgrund einer so genannten "Erbsünde"
von Grund auf böse seien und allein deshalb bereits
eine ewige Hölle verdient hätten. Wenn das aber so wäre, was würde da für ein
Baals-Götze dahinter
stecken, der zunächst einmal alle Menschen für ein ewiges Höllenfeuer erschafft?
Und was wäre das für ein "Gott", der
dann eine totalitäre und in ihrer Geschichte immer wieder mordende Kirche
hinterher schickt, die ein paar Seelen aus dem Höllenschlund heraus fischt,
falls sie sich
den kirchlichen Bedingungen unterwerfen, die für den gesunden Menschenverstand
unannehmbar sind?
Und bei allem Wenn und Aber, bei allen Windungen und Korrekturversuchen,
werden die grundlegenden Aussagen Luthers über den unfreien Willen von dem
Luther-Experten Behnk doch als "letztlich
verbindlich" hingestellt. (397)
Damit arbeitet der Theologe und Pfarrer Behnk zwar einerseits Gefährlichkeiten im Glauben von Luther heraus,
bekennt sich aber andererseits klar zur Position Luthers, von der aus er als
"Sektenbeauftragter" auch
über andere Glaubensrichtungen zu Gericht saß und urteilte. Dabei wird dieser eigene Glaube als
angeblich positiver Maßstab genommen, sozusagen als Norm, mit dem andere
gemessen werden.
Was bedeutet es also, von den Lutheranern wegen "gefährlicher"
"Ketzerei" gebrandmarkt zu werden? Ein Widerspruch gegen die Lehre
Luthers und seiner Nachfolger ist doch für Menschen mit gesundem
Menschenverstand ein Gütesiegel ersten Ranges.
Doch wie die Politiker, so folgen auch die Massenmedien in Europa folgen in ihren Kampagnen
gegen Andersdenkende meist blind
diesen Beauftragten der Großkirchen und betrachten sie als angebliche Experten, obwohl es nur
die Interessenvertreter des eigenen totalitären Kults sind (vgl. hier).
Der Journalist: Die Lehre von
einer vermeintlichen Erbsünde haben Sie also ein Beispiel für den
kirchlichen Glauben, welcher dann wiederum die Grundlage für die Bekämpfung
Andersdenkender durch kirchliche Beauftragte ist. Könnten Sie diese
Erbsündenlehre noch etwas näher erläutern?
Der Theologe: Gerne. Denn auf der Grundlage dieser Lehre hat die evangelische
Kirche ihre zentrale so genannte Rechtfertigungslehre entwickelt. Das Wort
"Rechtfertigungslehre" klingt gut, doch diese
setzt das von Anfang an mit angeblicher "Erbsünde" belastete negative
Menschenbild voraus. In der bis heute in den lutherischen Kirchen gültigen Augsburger
Konfession heißt es wörtlich: "Weiter wird bei uns gelehrt, dass nach Adams Fall alle
Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden,
das ist, dass sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und
keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können;
dass auch dieselbe angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftiglich Sünde sei und
verdamme alle die unter ewigen Gotteszorn, so nicht durch die Taufe und den
heiligen Geist wiederum neu geboren werden." (CA II)
So weit. Und das, was ich vorgelesen habe, ist alles andere als harmlos.
Von Luther selbst ist bekannt, wie er sich lange Zeit mit Selbstvorwürfen gequält
hatte, bevor er
seine Rechtfertigungslehre entwickelte. Viele Menschen kennen vergleichbare Situationen, wo sie
immer wieder auf das Negative bei sich schauten und gleichzeitig in Selbstmitleid
verfielen, was sich ja bis hinein ins Zwanghafte steigern kann.
Was soll nun aber die evangelische Rechtfertigungslehre bewirken, angeblich auch
"therapeutisch"?
Allein der Glaube an die kirchliche Lehre von der Vergebung der Sünden soll den
Menschen nun augenblicklich seelisch befreien können.
In Wirklichkeit wird in diesem Fall aber das Negative, der ganze Unrat im eigenen Leben,
vielfach nur in das Unterbewusstsein bzw. in die eigene Seele hinunter gedrückt. Die
voraus gegangenen Selbstvorwürfe, das Selbstmitleid, das negative Selbstbild und die Ursachen für dieses
Lebensgefühl wirken unterschwellig trotzdem weiter und brechen früher oder später wieder durch.
Dies zeigt sich auch im weiteren Leben des Betroffenen, wenn sich z. B. das
Negative dann gegen den Nächsten richtet. Luther selbst ist ein Beispiel dafür. Denn seine
Aussagen und Aufrufe zeigen, dass er sich immer mehr zu einem äußerst brutalen Menschen
entwickelte (vgl.
Der Theologe Nr. 3 – So spricht Martin Luther – So
spricht Jesus von Nazareth).
Auch wird
natürlich keine wirklich positive Gottesbeziehung aufgebaut. Die Voraussetzung
für die lutherische Lehre von der Sündenvergebung im Rahmen dieser
Rechtfertigungslehre ist nämlich eine bestimmte Interpretation der Erlösung durch Christus,
die genauso erfunden wurde wie zuvor die Erbsündenlehre. Demnach hätte Christus durch seinen
Tod, vergleichbar einem Opferlamm, einen angeblichen "Gotteszorn" gesühnt und den Menschen auf
diese Weise mit Gott versöhnt. Dieser Kirchengott habe also einen hohen und grausamen
Preis verlangt, um seinen angeblichen "Zorn" zu bändigen. Seine "Liebe" war also
an entsprechende blutige Bedingungen geknüpft, zunächst an den bestialischen
Foltertod seines eigenen Sohnes. Und diese kirchlich erfundenen Bedingungen setzen sich fort,
wenn dem Gläubigen suggeriert wird, nur der kirchliche Glaube könne ihn z. B.
vor einer ewigen Verdammnis schützen.
Der Journalist: Im Jahr 1999 hat allerdings auch die römisch-katholische Kirche einer solchen Rechtfertigungslehre zugestimmt. Sind sich beide Konfessionen hier jetzt in diesem Punkt einig?
Der Theologe:
Die katholische Kirche hat zwar ihre bisherige Lehre, z. B. von
notwendigen "guten
Werken", nicht geändert, doch diese Werke werden nun im evangelischen Sinne neu gedeutet: Auch das "Tun"
sei ein "Geschenk Gottes" und das angebliche "Rechtfertigungsgeschenk" ginge dem
voraus, so die modernen katholisch-intellektuellen Konstruktionskrücken. Die Gemeinsame Erklärung beider Kirchen macht um dieses Thema so viele Worte,
dass kaum mehr durchschaubar ist, wer jetzt was jetzt genau glaubt und was eigentlich aus denen
werden soll, die in der Vergangenheit von der jeweils anderen Konfession aufgrund dieses
Konflikts ewig verdammt wurden. Wurden diese jetzt alle aus ihren angeblich
ewigen Feuerpfuhlen heraus geholt? Gab es also eine Amnestie für die deshalb
früher Verfluchten oder nicht? Antworten darauf gab es keine.
Es genügen ein paar einfache Rückfragen, um dieses ökumenische Papierwerk
ad absurdum zu führen. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die katholische
Kirche unterschrieben hat, dass der Mensch – ganz im Sinne Luthers – z. B. unfähig sei, "sich von sich aus Gott um Rettung zuzuwenden"
(4.1 (19)).
Vielleicht erfolgt als Gegenleistung bald die evangelische Anerkennung des Papstes. Mit der Lehre des Christus hat
das aber alles nichts zu tun, ob es sich nun evangelisch nennt oder
katholisch oder ökumenisch. Christlich ist es nicht.
Der Journalist:
Hat uns Christus überhaupt erlöst?
Der Theologe: Der christliche Glaube besagt, dass Er uns erlöst hat, indem Er jeder Seele einen Teil Seines "göttlichen Erbes", den so genannten "Erlöserfunken", als Leihgabe übertrug, was auch bereits im Urchristentum gelehrt wurde. Der Erlöserfunke wirkt als innere Kraft, mit deren Hilfe wir wieder in unsere Heimat zurückkehren können. Sie hilft uns, die Gebote Gottes zu halten und wieder dem "göttlichen" Wesen in uns zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu hätte Jesus aber nicht gewaltsam sterben müssen.
Der Journalist: Das klingt sicher für viele sympathisch. Doch wie kommen Sie denn darauf?
Der Theologe: Diese Informationen stammen sinngemäß aus einer "Botschaft aus dem All", durch Prophetie gegeben. Darin wird auch erklärt, dass schon Jesus von Nazareth diese Zeit der Aufklärung angekündigt hat, als Er sagte: "Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten" (Johannesevangelium; 16, 12-13). Wer sich näher dafür interessiert, den kann ich auf das Buch verweisen Alpha und Omega. Das ist Mein Wort, eine Christus-Offenbarung, vermittelt durch die Lehrprophetin Gabriele.
Der Journalist: Woher kommt dann die lutherische Vorstellung vom Gotteszorn und vom Sühnetod des Jesus von Nazareth am Kreuz?
Der Theologe:
Sie stammt aus dem "heidnischen" Opferkult, war im Judentum verbreitet
und wird auch in der katholischen Lehre vertreten. Vor allem beim lutherischen Glauben
wirkt die Vorstellung vom "Gotteszorn" bis in die Gegenwart weiter, auch wenn
nicht mehr oft darüber gesprochen wird und das scheinbar Positive in den
Vordergrund geschoben wird.
Dabei werden große Teile des
verdrängten menschlichen Schutts und der menschlichen Bösartigkeit auf Gott projiziert.
Ich lese dazu einige Sätze über Luther aus dem Buch von Kirchenrat Dr.
Wolfgang Behnk Gegen den freien Willen Für die Gnade Gottes vor,
die das verdeutlichen:
"Erstens ist nach dem Sündenfall eben nicht mehr alles gut, was Gott schafft;
auch wenn dieser die Sünde selbst nicht schafft, so schafft er doch den
postadamitischen Menschen (Anm.: d. h. alle Menschen nach Adam = alle
Menschen bis auf Adam und Eva) als Sünder." (a.a.O., 335)
"Der
menschliche Wille, so Luther, kann unmöglich in irgendeiner Hinsicht frei
wirksam werden ... der Wille des Menschen hat mithin über seine eigene
Verstockung keinerlei Macht, sondern ist dem verstockenden Willen Gottes –
wenngleich williglich und verantwortlich – ausgeliefert." (333 f.)
Gott lässt es nicht nur zu, dass sich der Pharao (Anm.: ... in der biblischen
Geschichte vom Auszug Israels aus Ägypten) "immer mehr in das
Böse verstrickt", sondern er treibt ihn "regelrecht" dorthin,
"indem er ihm sein Wort vorhält, ohne ihm seinen Geist zu geben". (336)
Dieses angeblich mögliche Verhalten Gottes wird nun nicht etwa seit Christus für beendet
erklärt. Auch in der Gegenwart können Menschen nach der Lehre Luthers ein ähnliches
Schicksal erleben.
Der Journalist: Zu diesem Beispiel eine Frage: Warum soll Gott den Pharao in das Böse hineintreiben? Das "Warum" interessiert mich.
Der Theologe:
Luther sagt sinngemäß, das wisse er nicht. Ich kann dazu weiter lesen:
"Und auf
eine zweite, weiterführende Frage, warum Gott denn dann nicht kraft dieser
Allmacht den von ihm bewegten bösen Willen zugleich zum Guten wandelt, antwortet
Luther wieder mit dem Verweis auf die unbegreiflichen ´secreta maiestatis`" (=
Geheimnisse der Majestät [Gottes]). (336)
"Der
Mensch kann sich nach dieser Argumentation nicht nur nicht für, sondern auch
nicht gegen Gott frei entscheiden." (336)
Luthers Aussage behauptet "sein
[des Menschen] völliges Ausgeliefertsein an zwei ihm übergeordnete
Entscheidungsinstanzen – eben Gott oder Satan –, welche über ihn totale
Verfügungsgewalt haben, so dass er sich deren Wollen nicht entziehen kann".
(339)
"All das
aber, was uns äußerlich so scheint, als wäre Gott nur ein Zürnender oder gar der
Teufel selbst, ist doch nichts anderes als eine Herausforderung des Glaubens an
die Liebe Gottes." (367)
Der Journalist:
Luther sagt also nach den Worten des lutherischen
Theologen, manches scheine so, als wäre Gott der
Teufel selbst.
Der Theologe
: Ja. Anstelle der Erfahrung eines nahen und liebenden Gottes tritt dann die Herausforderung des Glaubens an einen "fernen" Gott. "Fern" sage ich auch deswegen, weil jemand trotz negativer Lebenserfahrungen, die er mit dem Glauben an diesen Gott macht, weiter an ihn glauben soll.Der Journalist: Wenn dieser Glaube dann logischerweise in Hader, Zweifel oder Selbstmitleid führt, darf man sich eigentlich nicht wundern. Wer sich darauf einlässt und diesen Glauben ernst nimmt, der steuert doch geradewegs auf die Verzweiflung zu.
Der Theologe:
Dazu passen die Anmerkungen des Theologen M. Schüler, der von der
"´sklavischen`, fromm ´erschauernden`, fatalistisch ´todesbereiten
Schicksalsergebenheit`" als dem Eigentlichen des "´lutherischen` Glaubens"
spricht (zitiert nach Behnk,
a.a.O., 326), also von dem Wesentlichen dieses
Glaubens.
Ich kenne Menschen, die es ebenso verstanden und sehr darunter gelitten haben. Zu ihrem
leidvollen Schicksal – zum Beispiel zu schwerer Krankheit oder dem Tod eines nahen
Verwandten – kam noch das Hadern mit Gott hinzu. Sie haben eventuell alles Leiden auf sich
genommen und sind immer wieder darüber verzweifelt, dass es angeblich Gottes Wille sei, sie auf
diese Weise zu züchtigen. Ihr eigenes Fehlverhalten haben sie dabei nicht erkannt,
so dass man folgern kann: Das ganze Leid wurde umsonst erlitten, weil es nicht
zur Einsicht und zu entsprechender Umkehr führte. Auch
konnten sie nicht erfahren, wie uns Gott doch vor Schicksalsschlägen bewahren und aus dem
schweren Leid herausführen will. Dieser Gott hat jeden von uns vollkommen erschaffen und
jedem die tiefe Erfahrung ins Herz gelegt: "Du bist geliebt".
Diesen liebenden Gott lehrt uns auch Christus, der nach einem Gleichnis
in der Bibel jedem "verirrten Schaf" nachgeht und sich freut, wenn es
zurückkehrt. Kein einziges Geschöpf muss also in einer "Verdammnis" ewig leiden,
ohne dass Gott nach ihm sucht und ihm von dort heraushelfen möchte.
Der Journalist:
Der Theologe:
Luther sagt zwar, allein die Bibel wäre maßgebend. Doch wie hält er es selbst?
Der Luther-Anhänger Behnk gibt mit gewundenen Worten zu, "dass Luthers ...
Aussagen ... noetisch [= von der Erkenntnis her] nicht von der sich selbst
auslegenden Hl. Schrift her allein, sondern zumindest auch von der ... cognitio generalis
[=
allgemeinen Erfahrung] erhoben werden" (342). Mit anderen Worten:
Luther beruft sich nicht nur auf die Bibel, sondern verallgemeinert bei seinen
Glaubensmeinungen auch sein persönliches Bewusstsein.
Das sollte die Kirche aber nicht nur in Doktorarbeiten zugeben und
Andersgläubigen dann konsequenterweise auch ihre anderen Erfahrungen zubilligen, ohne sie z. B. als
"Sekten" zu diskriminieren. Praktisch läuft das bei Luther aber darauf hinaus, dass er
seinen "Gott" für
negative Lebenserfahrungen verantwortlich macht, obwohl das so nicht in der
Bibel steht.
Luther beruft sich nach Dr. Behnk für seine vermeintliche Einsicht eines angeblich
"unabwendbaren
Schicksals" sogar auf die "Heiden" und ihre "Götter"
(342). Dann ist aber auch sein Glaube einmal mehr "heidnisch" und nicht
"christlich".
Wenn Luther dann die Bibel auslegt, stellt er sich als Anwalt der "Sache
Gottes" dar. Doch seine Interpretationen sind manchmal eigenwillig bzw. verdrehen
den ursprünglichen Sinn. Und selbst vor schwerwiegenden Fälschungen schreckt Luther
nicht zurück.
So bezieht er sich zum Beispiel auf das angebliche "Urteil Christi" über die Juden,
"dass sie giftige, bittere, rachgierige, hämische Schlangen, Meuchelmörder
und Teufelskinder sind, die heimlich stechen und Schaden tun, weil sie es
öffentlich nicht vermögen." (aus: Von den Juden und ihren Lügen, Jenaer Ausgabe, Tomos 8, 1558;
vgl. dazu Der Theologe Nr. 28 – Martin Luther
und die Juden)
Luther hat hier einen Absatz des Johannesevangeliums (8, 37-45) aus dem Zusammenhang gerissen,
den ursprünglichen Sinn verfälscht und seine Deutung dann in seine eigenen
rufmörderischen Worte hineinmontiert. Schließlich lehrt er diese Konstruktion seinen Lesern dann als
"Urteil Christi". Und dann wird scheinheilig gepredigt: "Allein
die Bibel" und "Allein Christus". Doch weder steht solches in dem
Bibeln, noch hat
Christus jemals so etwas gesagt.
Der Journalist: Luther hat also Menschen in die Irre geführt.
Der Theologe: Luther selbst spricht nach den Worten des Lutheraners Dr. Behnk ja von einer "totalen Verfügungsgewalt" Gottes oder des Teufels über den Menschen – wobei der Teufel von "Gott" als "instrumentum malum" (= böses Instrument) benutzt und angetrieben werde. Er glaubt sich also fest im "Griff" seines Gottes. Dieser Gott versklavt diejenigen, die ihm ausgeliefert sind. Denn "totale Verfügungsgewalt" von Seiten eines Götzen bedeutet von der Seite des Menschen her gesehen immer ein sklavisches Ausgeliefertsein ohne jede eigene Entscheidungsfreiheit. Wer so glaubt, unterwirft sich also einem totalitären Glaubenssystem. Damit verbunden ist auch der Absolutheitsanspruch dieses Glaubens. Luther lässt keinen Zweifel daran, dass die "Sache", die er vertritt, gleichbedeutend der "Sache Gottes" sei (z. B. WA 18, S. 756). Er setzt diese seine Religionsmeinung absolut, und im Hinblick auf Zweifel oder Unverständnis erklärt er denjenigen für "verflucht", "der nicht gewiss ist und versteht, was ihm vorgeschrieben ist". (WA 18, S. 604)
Der Journalist: Da kann einem ja immer mehr Angst werden. Wie kann Luther erwarten, dass
jeder eine solche schockierende Lehre versteht? Und wie kann er erwarten, dass jeder seine Meinung akzeptiert, dass diese Lehre auch noch von Gott vorgeschrieben sei?Der Theologe: Auch hier gibt der Luther-Experte Dr. Behnk eine Hilfe zum Verständnis und beschreibt in seinem Buch, was nach Luthers Meinung mit jemandem geschieht, der den angeblichen Willen Gottes hinterfragt:
"Wer hingegen, so warnt Luther, die nähere Beschaffenheit bzw. das Wie und das Warum des verborgenen Willens Gottes untersuchen will, der muss mit jemandem verglichen werden, der es sich zum Ziel setzt, ´gygantum more cum Deo pugnare` (= nach Art der Giganten mit Gott zu kämpfen) und der dabei nicht die geringste Chance eines Sieges hat ... (Behnk, a.a.O., 364). Unweigerlich stürzt man aus der Höhe seiner Spekulation ab, geht ´zu poden`, gerät in ´certa desperatio` (= sichere Verzweiflung), rennt wie gegen eine eiserne Mauer an und bricht sich auf alle Fälle den Hals." (365 f.)
Der Journalist: Wer kritisch hinter die angeblichen Geheimnisse Gottes blicken will, hat nach diesem Glauben also nicht die geringste Chance?
Der Theologe: So ist es. Ihm bleibt allein der Glaube an einen Konfessions-Götzen, der einige Anhänger willkürlich rettet, während die anderen mit "gebrochenem Hals" und als ewig Verdammte weiterleiden müssen. Glaubt er nicht, verliert er gemäß dieses Glaubens nicht nur sein Seelenheil, sondern ihm droht unter Umständen auch die Hinrichtung. Denn dem totalitären Glaubenssystem entspricht die totalitäre Staatslehre Luthers: Wer anders glaubt, wird benachteiligt, verfolgt, aus dem Land gewiesen oder hingerichtet.
Der Journalist
: Ist das nicht knallhart und gnadenlos? Wieso konnten viele glauben, das sei eine christliche, eine frohe Botschaft?Der Theologe: Sie blickten glaubend auf manche Worte Luthers, der wie die heutige lutherische Kirche an anderer Stelle sagte, ihm gehe es um das "Heil in Christus". Das sagt ja auch der spätere lutherische "Sekten-Verfolger" Dr. Behnk. Demnach hätte uns Gott in Christus "in die Wahrheit und Güte seines Wesens und Wollens" hinein genommen, "in welchem er sich als der liebende Vater definiert und sich uns definitiv zugesagt hat". (a.a.O., 397)
Der Journalist: Vorher haben wir aber anderes gehört. Habe ich mich da irgendwo verhört?
Der Theologe: Nein. Sie haben sich nicht verhört. Wir sind jetzt nur beim Anliegen des Kirchenmannes angekommen, das vermeintlich Positive dieses religiösen Meinungskomplexes herauszustellen.
Der Journalist: Was ist das denn für eine "frohe" Botschaft, die einige angebliche Rechtgläubige aus dem Elend herausziehen soll, während die anderen trotz der Allmacht Gottes zugrunde gehen? Wer garantiert einem denn, dass dieses Schicksal nicht auch einen selbst trifft? Eventuell fühlt man sich auch schon elend.
Der Theologe:
Der Luther-Fachmann Behnk weist zum Beispiel auch auf den schweizerischen
Theologen Karl Barth hin.
Barth war einer der bekanntesten evangelischen Glaubenslehrer im 20. Jahrhundert.
Der Luther-Experte schreibt über ihn: "Ist Karl Barths Vorwurf von der Hand
zu weisen, dass Luthers ... Appelle ... im Sinne bloßer seelsorgerlicher
Beruhigungsformeln verstanden werden können, welche den Menschen von der
gefährlichen Tatsache ablenken sollen, dass es hinter Gottes geoffenbartem
Heilswillen noch eine ´wie eine Art Gift` zu hütende höhere Hintergrundswahrheit
gibt?" (364)
Der oberflächliche evangelische Glaube, so wie er heute oft von den Kanzeln gepredigt
oder mit freundlichen Worten im Gespräch weitergegeben wird, wäre demnach, wie Karl Marx
sinngemäß sagte, das Opium fürs Volk – vordergründig wäre er ein Mittel zur "seelsorgerlichen
Beruhigung", hintergründig aber diese "Art Gift".
Der Journalist: Ich denke dabei an die vielen Hilfesuchenden, die in diesem Glauben einen Halt fürs Leben suchen. Oder an Kinder und Jugendliche, die man zum Beispiel im Religionsunterricht das "Vorbild Luther" lehrt. Am Anfang der Doktorarbeit lese ich auch eine Widmung des Lutheraners Behnk: "Meinen Kindern ..."
Der Theologe: Er möchte offenbar, dass sie den evangelisch-lutherischen Glauben als Hilfe für ihr Leben annehmen. In der evangelisch-lutherischen Kirche werden die Kinder ja auf Wunsch ihrer Eltern bereits als Säuglinge in diese Kirche hineingetauft. Und die Eltern übernehmen damit – meist ohne zu hinterfragen – diese von den Kirchen propagierte Tradition, die auch nichts mit Jesus zu tun hat, denn bei Ihm heißt es "Erst lehrt und dann tauft". Und die Taufe hat bei Ihm auch andere Inhalte als in den Kirchen. Bei Jesus von Nazareth ist es eine Geisttaufe, und da geht es nicht um ein Ritual für eine Kirchenmitgliedschaft, sondern um ein Leben nach den Geboten Gottes.
Der Journalist: Die meisten Eltern wissen ja nicht, was sie damit tun. Aber bei einem Doktor der Evangelischen Theologie kann man wohl voraussetzen, dass er weiß, was er hier tut. Nachdenklich macht mich auch, dass so etwas "Hochintellektuelles" wie diese Doktorarbeit Kindern gewidmet ist. Jesus sagt doch zu den Erwachsenen, sie mögen zu "Kindern" werden – nicht zu den Kindern, sie mögen sich das komplizierte Gedankengut der Erwachsenen aneignen.
Der Theologe
: Ich habe das so erlebt: Als Kind besuchte ich den "lutherischen" Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht. Dort hörte ich viele gut gemeinte Worte von diesem Glauben. Ich wurde auf das Konfirmandenversprechen vorbereitet, das der Pfarrer uns Kindern vorsprach und auf das man mit Ja oder Nein antworten konnte. Im selben Atemzug soll das Kind bzw. der Jugendliche dabei versprechen, einerseits "unter Jesus Christus" zu "leben" und andererseits evangelisch zu "bleiben". Dieses Versprechen ist als lebenslängliches Versprechen gedacht. Das ist eine Manipulation in mehrfacher Hinsicht:
Der Journalist:
Der Theologe:
Die evangelische Kirche könnte zunächst behaupten, das Kind wäre seit seiner
Säuglingstaufe ohne Verdienst auf dem richtigen Weg gewesen. Und dieser Taufakt sei auch
durch einen Kirchenaustritt nicht rückgängig zu machen, wie es der ehemalige bayerische
Landesbischof Johannes Hanselmann einmal in einem Brief an jemanden, der die Kirche verlassen
wollte, schrieb.
Bischof Johannes Hanselmann wörtlich: "Ich möchte Ihnen aber nur
zu bedenken geben, dass man aus der Kirche, in die man durch die heilige Taufe
eingegliedert wurde, nicht aus- und eintreten kann wie etwa bei einem Verein,
wenn man anderswo etwas gefunden hat, was einem vielleicht mehr zusagt. Man kann
Gott den Bund, den er in der heiligen Taufe mit uns geschlossen hat, nicht
einfach aufkündigen." (Kopie des Briefes an A. Emtmann vom 6.9.1985 liegt vor)
Der Journalist:
Wird hier nicht Gott von der Kirche vereinnahmt, indem man so tut, als würde Gott bei
der Zeremonie im kirchlichen Sinne handeln und nicht der Pfarrer?
Der Theologe:
Ja. Dahinter steckt sowohl bei den Katholiken als auch bei den
Protestanten die klerikale Anmaßung, dass Gott exklusiv durch ihre Theologen
handle. Das mag dann der jeweilige Konfessionsgötze sein, aber niemals Gott, der
Ewige. Und bei der Kirchentaufe kommt das Perfide hinzu, dass man in der Kirche
verlangt, dass bereits einem Säugling dieser angeblich göttliche Bund
übergestülpt werden soll. Und anstatt diese Entmündigung zu bedauern, berufen
sich die Bischöfe auch noch dreist darauf. So wird dem Menschen sinngemäß
vorgehalten, er sei
ja nicht freiwillig eingetreten, also könne er diesen Akt auch nicht freiwillig rückgängig
machen. Das ist die Situation eines Gefangenen, der gekidnappt wurde.
Der Journalist: Wie haben Sie das erlebt, als Sie die
Kirche verlassen haben?
Der Theologe: Mir hat ein Pfarrer dann gesagt: "Was
ist mit deinem Konfirmandenversprechen?" Ich wurde also an das
doppelzüngige Versprechen erinnert, das ich
noch als Kind bei der Konfirmation geben musste, wenn ich mich nicht zum
Außenseiter hätte machen wollen. Denn alle als Säuglinge evangelisch
getauften Kinder meines Jahrgangs im damaligen Wohnort ließen sich konfirmieren.
Immer noch gibt es Menschen mit einer tief sitzenden Angst vor einem Kirchenaustritt,
der seine Wurzeln in Erlebnissen hat, an die sich der Betreffende nicht oder
kaum mehr erinnern kann.
Diese Angst hat viele Gesichter, die den Menschen im Inneren wie in einem Netz gefangen
halten, so dass auch im Äußeren oft lange Zeit alles bleibt wie es ist.
So leicht kommen viele also nicht aus dem Netz heraus, selbst wenn sie das
wollen.
Doch jeder kommt früher oder später heraus, der es wirklich will.
Der Theologe:
Der Theologe:
Ja, genau. Auch das Bild eines
angeblich von Grund auf zornigen und strafenden Gottes, der die Hinrichtung
seines Sohnes als eines angeblichen Sühnopfers für die Sünden der Menschen für
den Erweis seiner Gnade benötigt habe, wird den Jugendlichen nur beschönigt in
gewissen "Light-Varianten" dargeboten. Allerdings wird Luther den Schülern im
Religionsunterricht schon als Mann vorgestellt, der vor allem von der
Problematik belastet war
"Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" Doch was mag hier bei Luther voraus
gegangen sein? Offenbar auch eine Erziehung und Prägung durch einen angeblich strafenden
Götzengott und seinen vermeintlich wütenden Zorn anstatt das
Gesetz von Saat und Ernte dem persönlichen Erleben
und dem Weltgeschehen zugrunde zu legen. Aber ist das alles?
Folgt man den Biografen, welche die Tötung von Hieronimus Buntz durch Luther
nahe legen, wäre auch leichter verständlich, was diese massive seelische
Problematik des jungen Luther mitverursacht haben könnte, die dann in der Frage
gipfelte "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" Wobei die einfachste Antwort auf
das Seelenleid wäre, dass ein von Luther Geschädigter – eventuell als Seele im
Jenseits – ihm vergeben muss, um den Schädiger von seiner Seelenlast zu
befreien. Doch Luther steigert sich stattdessen immer mehr in ein destruktives
Gottesbild hinein und in ein Ausmaß von Religions-Terror, durch die bald auf ihn
gründende lutherische Konfession, deren Kriegs-, Folter- und Hinrichtungsopfer
bis heute in die Millionen gehen.
Zu dem destruktiven Gottesbild möchte ich noch einige Abschnitte aus dem Luther-Buch
des Theologen Dr. Wolfgang Behnk Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei
zitieren.
"Luther kann ... sogar einmal sagen, dass die Majestät des Deus absconditus
[also des angeblich "verborgenen Gottes", der bei Luther mit dem in der Bibel offenbarten Gott
identisch ist] noch viel heiliger und furchtbarer ist, als eine unermessliche
Menge koryzischer Höhlen ..." (a.a.O., 361)
In diesem Vergleich wird auf die nach dem Ort Korykos benannte
Höhle Bezug genommen, die zuerst durch Lieblichkeit
anlocken soll. Wenn man aber tiefer eindringt, kommt der Schrecken.
Ich zitiere weiter: "Denn der
nun angesprochene Deus (= "Gott") ... behält sich selber
solche Freiheit vor ... D. h., der Empfang des Heils und des Unheils hängt allein
davon ab, ... welche Menschen er ["Gott"] ... verloren lassen gehen will, und
welche nicht ... Luther ... präzisiert auch, ... was er ["Gott"] ... will, nämlich
den Tod des Sünders, den er keineswegs betrauert oder gar aufzuheben bereit ist.
Und zwar aus dem bereits ... vorgebrachten Grund, dass Gott ´omnia in omnibus` (= "alles in allem")
wirkt, auch den Tod." (362)
Der Journalist:
Wenn ich das alles so höre, frage ich mich: Ist Luthers Gott der "Gott der
Unterwelt"?
Der Theologe
: Wenn wir in diesem Buch des früheren evangelisch-lutherischen Kirchenrats über Luther weiter lesen, finden wir noch mehr Stellen dieser Art.Der Journalist: Das erinnert mich wieder an die Tötungsforderungen Luthers.
Der Theologe: Das sind die nahe liegenden Folgen seines Glauben.
Der Journalist: Und die Zielscheibe der Forderungen und damit die möglichen Opfer sind Andersgläubige wie die "Täufer", die aufständischen Bauern oder als Hexen verleumdete Frauen ...
Der Theologe: Auch Prediger, die ohne amtskirchlichen Auftrag predigen, gehören dazu, türkische Kriegsgegner, untreue Ehepartner oder Prostituierte. Auch ruft Luther zur Judenverfolgung auf, nachdem er die Menschen jüdischen Glaubens zuvor böse verleumdete, zum Beispiel als Menschen, die angeblich Kinder misshandeln oder Brunnen vergiften und vieles mehr. All diese Gruppen von Menschen passen nicht in Luthers Idealbild einer Gesellschaft.
Der Journalist: Welches Idealbild hat Luther?
Der Theologe: Grundlage für Luthers Politik und als Teil davon auch für seine Hinrichtungsforderungen ist seine Zwei-Reiche-Lehre. Das Reich zur Linken Gottes sind, vereinfacht gesprochen, die Staaten und Gesellschaftsordnungen, in denen die Obrigkeiten mit dem "Schwert" herrschen. Im Reich zur Rechten Gottes herrscht demgegenüber angeblich Christus durch Wort und Sakrament, und es wird von der Kirche repräsentiert. Der lutherische Gott sei der Herr beider Reiche, und beide Reiche unterstützen einander. Das bedeutet praktisch, dass die Kirche faktisch über beide "Reiche" herrscht, auch wenn von Luther eine gewisse staatliche Eigenständigkeit suggeriert wird. Mit seinen "zwei Reichen" unterscheidet es sich damit nicht wesentlich vom bis heute gültigen katholischen Dogma der zwei Schwerter, wonach das "geistliche Schwert" "von der Kirche" zu führen sei, das "materielle Schwert "für die Kirche". "Beide sind also in der Gewalt der Kirche." (Bonifatius VIII., Bulle Unam Sanctam, 1302)
Der Journalist: Aber warum
forderte Luther so viele Hinrichtungen und warum mussten deshalb so viele
Menschen sterben?
Der Theologe:
Martin Luther war ja davon überzeugt, auf der Seite Gottes und der Wahrheit zu stehen, und er
spricht seinen Gegnern die Wahrheit ab.
So könnte jemand gemäß diesem Religionsglauben zum Beispiel fragen: Wenn diese Menschen ohnehin im Jenseits ewig verdammt
würden, müsse man sie dann im Diesseits gut behandeln oder wäre es nicht am
besten, sie gleich zu ermorden bzw. den Staat dazu zu bringen, sie wie auch
immer zu "beseitigen", damit sie nicht andere mit ihrem Denken
anstiften?
Allein wegen ihrer abweichenden Einstellungen gelten viele Menschen für Martin
Luther bereits als "vom
Teufel geritten" bzw. als verantwortlich für "Aufruhr" (Tomos 5,
a.a.O., S. 552), auch wenn sie gewaltlos und friedfertig leben.
Der Journalist: Hatte Luther keine Gewissensbisse?
Der Theologe:
In einer positiv zum Lebenswerk Luthers stehenden Biografie wird
sein
Antisemitismus mit persönlichen Gründen in Verbindung gebracht: "Vielleicht, dass dieser Judenhass ihm als ein
Halteseil dient in seiner Verzweiflung ..." (Michael Meisner, Martin Luther,
Lübeck 1981, S. 278)
Nach seinen eigenen Aussagen erleichtert Luther sogar sein Gewissen damit, dass er eine
Verfolgung der Menschen jüdischen Glaubens fordert; zum Beispiel ihre Synagogen zu
verbrennen und Häuser zu zerstören, sie eventuell in Ställen zusammenzupferchen und zu
harter Arbeit zu zwingen.
Werde sein Rat nicht befolgt, sei er, Luther, entschuldigt: "Ich will hiermit
mein Gewissen gereinigt und entschuldigt haben als der ichs treulich habe
angezeigt und gewarnt ..." (Von den Juden und ihren Lügen, Jenaer Ausgabe, Tomos 8;
vgl. Der Theologe Nr. 28)
Der Journalist:
So empfindet Luther offenbar als "gut", was für andere "böse"
ist.
Eine weitere Frage dazu: Wie ist es bei Luther grundsätzlich mit der Verantwortung für
das Böse, wenn der Mensch doch gar keinen freien Willen hat?
Der Theologe: Der Luther-Experte Behnk (1949-2022) stellt in seiner Doktorarbeit Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei ebenfalls die Frage, wie bei einer solchen Theologie "eigentlich noch die ... Verantwortlichkeit des Menschen für das Böse gedacht werden" könne; und deshalb bezeichnet er Luthers Lehre hier auch als "äußerst gefährlich" (a.a.O., 344). Und genau das ist die angemessene Schlussfolgerung. Denn Luther konnte sich bei seinen Aufrufen zur Verfolgung und Vernichtung vieler ihm missliebiger Zeitgenossen ungeniert auf seinen Gott berufen, also auf seinen Konfessions-Götzen. Denn gemäß seinem Glauben sei dieser Götze letztlich für alles verantwortlich, auch für Not und Leid, welche seine Tötungsaufrufe nach sich zogen. In Bezug auf die Bauern sagt Luther später ja in der bekannten Tischrede: "All ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden." (WA, Tischreden 3, 75)
Der Journalist: Eigentlich würde ich erwarten, dass ein bestimmter Gottesglaube auch verantwortungsvolles Handeln beinhaltet. Luther lehrt jedoch verantwortungsloses Handeln und lebte offensichtlich auch danach.
Der Theologe:
Luther sieht sich als Werkzeug
seines Gottes, und er entnimmt sein Gottesbild der Bibel – in
diesem Zusammenhang vor allem den Tötungsforderungen, die man im so genannten
Alten Testament entweder Gott oder Mose und anderen Gottesboten angedichtet
hatte.
So fordert Luther unter Berufung auf die Bibel vom Staat Hinrichtungen. Und auch den
Gehorsam gegenüber dem Staat begründet Luther mit der Bibel, nämlich mit Paulus.
Im Paulusbrief an die Römer heißt es: "Jedermann sei untertan der
Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott;
wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit
widersetzt, der widerstrebt den Anordnungen Gottes ..." (13, 1-2).
Damit lässt sich jeder Faschismus durch den Glauben Luthers rechtfertigen und
angeblich als Gottes
Anordnung hinstellen. Und die Geschichte beweist, dass das tatsächlich auch so
geschehen ist.
Der Journalist: Könnte man nicht sagen: Wer Anhänger eines solchen hassenden Gottes ist, der seinen Kindern keine Glaubensfreiheit lässt, sie eventuell töten lässt und ewig verdammt – wie nahe liegt es für denjenigen, mit seinen Mitmenschen auf ähnliche Weise umzugehen? Verantwortlich soll dann aber nicht er selbst sein, sondern – wie Luther sich rechtfertigt – eben jener Götzengott, den sich Menschen für dieses ihr Tun ausgedacht haben.
Der Theologe:
Nach dem
Luther-Experten Behnk zitiert: "Es
heißt doch: Weil Gott es so will, gerät der Mensch unter die Macht des Bösen."
(Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei, 355)
Es wäre also alles Gottes Wille.
Martin Luther lehrt vom Willen Gottes sogar, dass nicht einmal der erste Mensch bei seiner
Erschaffung den zum Gehorsam gegenüber Gott befähigenden "vollen Heiligen
Geist" erhalten habe. Warum aber, so müsste man rückfragen, hätte ein
solcher "Gott"
unter diesen Voraussetzungen dann überhaupt den ersten Menschen erschaffen? Aus sadistischen Gründen? Oder
weil er sich so verhält wie ein Mensch, der Tierversuche durchführt, frei nach
dem Motto: "Die Katze hat keine Chance, aber mal schauen, wie weit sie kommt."
Oder noch einmal ein Zitat aus dem Lutherbuch von Wolfgang Behnk: "Pointiert gesagt sieht es so aus, als
ob es allein an Gott und in keiner Weise an uns liegt, ob wir unehrenhafte,
unbrauchbare, schlechte, der Vernichtung anheim gestellte ´Gefäße` sind oder
nicht." (351)
"Der Vernichtung
anheim gestellt" – wie die Katze eben, die am Ende des Experiments sowieso
getötet wird, aber wenigstens nicht ewig verdammt. Folglich wäre der eiskalte
Tierversuchstöter noch um einiges barmherziger als dieser "Gott"
Luthers.
Der Journalist: Und wie ist es, wenn man es nicht "pointiert" sieht?
Der Theologe: Dann trage der Mensch trotzdem Verantwortung – wie Judas, der Jesus zwar "unfreiwillig" verriet, aber "willig" (336 f.). Das heißt offenbar: Judas wollte Jesus zwar verraten, doch sein Wollen war nicht frei. Trotzdem sei er deswegen nicht entschuldigt.
Der Journalist: Ja, was jetzt? Gilt jetzt das Pointierte oder das Nicht-Pointierte? Wer soll das verstehen können?
Der Theologe:
Ein Lutheraner müsste hier sinngemäß antworten: Die Vernunft könne vieles nicht
begreifen ... Es bliebe "verborgen". Dass seine Glaubenslehre mit der
Vernunft nicht vereinbar ist, erkannte Luther bereits selbst. Aber anstatt seine
grausame Glaubensmixtur auch einmal mit einem gesunden Maß an gottgegebener
Vernunft zu hinterfragen, ging er auch gegen die Vernunft vor und bezeichnete
sie als angeblich "die höchste Hure, die der Teufel hat"
(WA 51,
126). Und anscheinend in einem Anflug von Wahnsinn forderte Luther sogar:
"Wer ein Christ sein will, der ... steche seiner Vernunft die Augen aus."
(Martin Luther, Gesamtausgabe in 25 Bänden, herausgegeben von Johann G. Walch,
Concordia Publishing House St. Louis 1880-1910, Band V, S. 452)
Der Journalist: So wie es die evangelische Kirche lange Zeit verstanden hat, Teile ihres Glaubens im Verborgenen zu halten. In früheren Zeiten war es ja auch lebensgefährlich, Kritik am kirchlichen Glauben zu üben.
Der Theologe: Heute leben wir in einer Demokratie, und die mörderische Kirchenmacht wird durch eine demokratische Gesetzgebung in Schranken gewiesen.
Der Journalist: Wenn wir einmal in der Gegenwart bleiben: In der Bundesrepublik Deutschland gilt das Grundgesetz mit der garantierten Gewissens- und Religionsfreiheit. Wie verhält sich die lutherische Kirche hierzu? Das Grundgesetz widerspricht doch dem Verhalten Luthers ganz entschieden?
Der Theologe:
Ja. Luther berief sich zum Beispiel beim Wormser Reichstag (1521) auf sein Gewissen.
Bei vielen anderen, die ebenfalls ihrem Gewissen folgten, riefen Luther und seine Kirche
jedoch nach dem Henker.
Wie ist es heute? In den letzten Jahren ließen die lutherischen Kirchen immer wieder die
Religionsfreiheit des Grundgesetzes mit Füßen treten; und zwar dann, wenn sich
Glaubensgemeinschaften darauf beriefen, die von ihr bekämpft werden.
So forderte diese Kirche durch den hier bereits oft zitierten
Dr. Wolfgang Behnk den Staat dazu auf, auch friedfertige und
unbescholtene Gemeinschaften staatlicherseits zu bekämpfen, wie es schon Luther tat.
Dabei heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland: "Niemand darf wegen seines
Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat
oder Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden ..." (Art. 3 Abs. 3)
Und: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit
des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die
ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." (Art. 4 Abs.1 und 2)
Gelten lassen hat die lutherische Kirche diese Grundrechte nur für bestimmte
Gemeinschaften. Für viele aber nicht, auch wenn diese die Würde des Menschen achten und
im Geist der Verfassung leben. Sie werden im Widerspruch zur staatlichen Verfassung durch
kirchliche Weltanschauungsbeauftragte wie Dr. Behnk bekämpft. Und die Kirche
erwartet bei diesen modernen Kreuzzügen auch Unterstützung vom Staat – wie immer
in den letzten ca. 1700 Jahren. Nur: In unserer Zeit hätte der Staat die
Möglichkeit, sich besser als früher gegen den klerikalen Druck zu wehren und – so in Deutschland
–
stattdessen die Werte des eigenen Grundgesetzes hoch zu halten.
Der Journalist: Wie hat die Kirche in unserer Zeit diese Auseinandersetzung geführt?
Der Theologe:
Dazu wurden auch in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts – wie zu Zeiten Luthers
– alle
gesetzlich noch zulässigen Möglichkeiten an der Grenze zum Strafrecht genutzt.
Andersgläubige wurden nicht mehr dem "Henker" übergeben,
wie Luther es noch forderte, sondern es wurden Unwahrheiten über sie den Medien
zugespielt, um sie dem öffentlichen Rufmord preiszugeben. Hier zeigt die
evangelisch-lutherische
Kirche ein anderes Gesicht als das, worauf manche gerne hinwiesen, die Positives
oder angeblich Positives herausstellen wollten.
So wurden zum Beispiel Menschen einer Gemeinschaft von Dr. Behnk als "psychisch
und materiell abhängig" beschimpft und als "gewissenlos" oder "hysterisch"
hingestellt. Von "Entpersönlichung" oder "Entindividualisierung" war die Rede, manchen wurde sogar
ein möglicher "Massenselbstmord"
unterstellt – alles Unwahrheiten und böse Verleumdungen. Das wäre ein eigenes Thema.
Und diese unwahren "Meinungsäußerungen" wurden nun in der Regel so geschickt verpackt,
dass sie in der Öffentlichkeit vielfach als "Tatsachen" aufgefasst
wurden; oft auch deswegen, weil viele Menschen einem kirchlichen Beauftragten noch
vertrauten.
So erzeugte die Kirche ein öffentliches Klima, in dem die Zugehörigkeit zu vielen
nichtkirchlichen Religionsgemeinschaften – wie zu Zeiten Luthers – als "Gefahr
für Staat und Gesellschaft" betrachtet wurde.
Mit konkreten Folgen: So versuchte die lutherische Kirche durch Amtsträger wie Dr.
Wolfgang Behnk
auch zu
erwirken, dass die Lebensgrundlage solcher zuvor verleumdeter und beschimpfter Menschen
zerstört wird: Es wurde zum Boykott oder zur Schließung ihrer Einrichtungen oder
Betriebe aufgerufen, obwohl dort nichts zu beanstanden war. Weiter wurde der Entzug von
Genehmigungen und Rechten gefordert, die Kündigung ihrer Versammlungsräume, das Verbot
ihrer Werbung, oder es kam zu Verboten, Waren auf den dafür vorgesehenen Messen
und Märkten anbieten zu können usw.
Oder Firmen entließen Mitarbeiter, deren Glaube von der Kirche in den
Schmutz ihrer Meinungslügen gezogen wurde, obwohl sie gut und
loyal arbeiteten und sich
nichts zuschulden kommen ließen. Erst vor kurzem wurde eine Firma
wegen der Zusammenarbeit mit einem von der Kirche verleumdeten Betrieb so unter Druck gesetzt, dass sie
ihre langfristig geschlossenen Verträge mit diesem Betrieb kündigte, obwohl auch dessen Arbeit sehr gut war.
Elf Mitarbeiter
wurden arbeitslos wegen der – man kann es am treffendsten so nennen – voraus
gehenden Verhetzung durch die kirchlichen Beauftragten.
Oder die Kirche säte Misstrauen und Argwohn in Familien, wo sich ein Familienmitglied
einem anderen Glauben zuwendete usw. Die Liste ließe sich fortsetzen, und
betroffen von dem hier nur angedeuteten systematischen Rufmord der Lutherkirche
und ihren inquisitorischen Forderungen an den Staat waren vor allem die rechts-
und gesetzestreuen Urchristen im Universellen Leben.
Mir kommt hierzu noch einmal das Bild in den Sinn, wie Martin Luther
nach dem möglicherweise von ihm verursachten Tod von Hieronymus Buntz nur noch einen
pechschwarzen Umhang mit schwarzem Ledergürtel und schwarzer Kapuze trug, unter
der er sein Gesicht verbarg – Symbole der dunklen Macht.
Der Journalist
: Alle Vorwürfe und geforderten Konsequenzen wurden von so genannten "Experten" wie Kirchenrat Behnk ja damit begründet, dass der Glaube dieser anderen Gemeinschaften "gefährlich" sei. Doch wie ist es, nach allem was wir besprochen haben, mit ihrem eigenen Glauben?Der Theologe: Was sie anderen vorwerfen, begegnet einem in Wirklichkeit in der Theologie und im Leben Martin Luthers: Zum Beispiel Knechtung des freien Willens, totalitäre Vereinnahmung des Menschen von einer anderen Macht, Verlust von Gewissensbildung und persönlicher Verantwortlichkeit usw. Alles das lässt sich in unserem bisherigen Gespräch mühelos nachweisen.
Der Journalist: In der Psychologie spricht man von "Projektionen".
Der Theologe: Ja. Das heißt: Jemand überträgt die Fehler und Schwächen seines eigenen Glaubens auf andere. Was jemand am Glauben seiner Mitmenschen Negatives zu sehen glaubt, ist in Wirklichkeit ein Teil der eigenen Weltanschauung.
Der Journalist: Das Negative zuerst bei sich selbst zu finden, das wäre ja eine der schlichten und einfachen Wahrheiten des Jesus von Nazareth, über die wir bereits anfangs gesprochen haben.
Der Theologe
: Ja. Sie steht in der Bibel, in der Bergpredigt im Matthäusevangelium: "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? ... Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst." (7, 3.5)Der Journalist: Welcher Art waren die Lügen?
Der Theologe:
Bei ihm ist mir oft aufgefallen, wie er bei seinen Attacken Sätze aus dem Zusammenhang
gerissen und in völlig neue negative Zusammenhänge hineinmontiert hat. Das ist eine
schon von Luther angewandte Technik der Lüge, so würde ich sie bezeichnen, die vordergründig nicht gleich auffliegt, da die Sätze als solche ja
"belegbar" sind. Oder Dr. Behnk hat etwas weggelassen oder hinzugefügt, manchmal
scheinbare Kleinigkeiten, was den Sachverhalt aber völlig verfälschte. Oder er mischte
geschickt lügnerische und verleumderische Aussagen zu Tatsachen hinzu, so dass der Leser
oder Hörer die Vermischung nicht merkte und alles als Tatsachen auffasste. Dann
verwendete er auch eine Methode,
um die Herkunft der Unwahrheiten zu verschleiern: Er verleumdete und gab die Verleumdung
auch an die Presse. Danach sagte er, dies oder jenes sei in der Zeitung gestanden
– ohne
allerdings den Urheber zu erwähnen, nämlich sich selbst, und, und, und ...
Der Journalist:
Wenn wir von bestimmten Verhaltensweisen zum Glauben selbst zurückkommen: Ist [der 2022 verstorbene] Dr. Behnk ein typischer Vertreter für den evangelisch-lutherischen Glauben?Der Theologe: Als "Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter" war es sogar seine Aufgabe, eine klare und nachweisbare evangelisch-lutherische Position zu vertreten und wachsam zu sein, damit in der lutherischen Kirche nicht etwas anderes gelehrt wird als das, was die evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften fordern. Der Sektenbeauftragte könnte somit sogar als eine Art "Prototyp" des idealen Lutheraners bezeichnet werden.
Der Journalist: Sie haben ja anfangs darauf hingewiesen, dass es neben der Person Luther die so genannten lutherischen Bekenntnisschriften gibt, auf welche lutherische Theologen heute verpflichtet werden. Hat sich die Kirche darin nicht wenigstens ein Stück weit von Luthers Theologie distanziert? Teilweise haben wir ja schon Unterschiede aufgezeigt.
Der Theologe: Die Unterschiede sind nicht so gravierend und damit überschaubar, denn beides sprießt aus der gleichen Wurzel. Der Luther-Experte Behnk räumt in seinem Buch zwar ein, dass manches bei Luther "äußerst gefährlich" ist wie die "absolute göttliche Alleinwirksamkeit" (a.a.O., 344) oder "theologisch gefährlich" wie die Vorherbestimmung bestimmter Menschen durch Reformationsgott zu einer angeblich ewigen Verdammnis (354). Auch Luther, so der spätere lutherische Beauftragte für heutige Inquistion, muss sich an den lutherischen Bekenntnisschriften "messen und ggf. [= gegebenenfalls], wie es u. E. [= unseres Erachtens] hier erforderlich ist, kritisieren lassen" (396). Dort ist die Lehre Luthers dann etwas abgemildert, wie wir schon besprochen haben: Ewige Verdammnis – ja, aber nicht mehr vorherbestimmt, sondern nur noch, wie alles andere auch, vorhergesehen, wie es auch die römisch-katholische Kirche lehrt, was aber für das Opfer überhaupt keinen Unterschied macht. Unfreier Wille – ja, aber nur noch in Glaubensfragen, die aber für das Schicksal die einzig entscheidenden sein sollen. Alleinwirksamkeit Gottes – ja, aber nur noch "zum Heil", wohl die schwerwiegendste Änderung seiner Nachfolger. "Für das Böse" solle sich der Mensch nämlich doch wieder frei entscheiden können (vgl. 393). Doch Luthers vielfach teuflische Maßstäbe für das, was gut oder böse sein soll, wundern nicht geändert.
Der Journalist: Wird es nicht immer komplizierter?
Der Theologe:
Die ganze lutherische Lehre ist
sehr kompliziert. Als Luther-Experte sah es der evangelische Theologe aus München so: Bei Luther zeichnen sich "bestimmte
argumentative und sprachliche Unzulänglichkeiten" ab, "die ein Nachdenken
über das ohnehin schon so schwierige Willensproblem eher noch schwieriger machen"
(397).
Diese vorsichtige Kritik sei aber ausdrücklich "keine Verurteilung".
Im Gegenteil: Luther sei "insgesamt seinem
rechtfertigungstheologischen ´Thema` gerecht geworden" (397).
"Luthers These vom ´servum arbitrium` [= geknechteten Willen] in ihrer
Zusammengehörigkeit mit der von der libertas Christiana [= christlichen Freiheit]
ist insofern eminent biblisch und darum auch für uns Heutige theologisch
hilfreich und letztlich verbindlich." (397)
Schließlich sei es nach dem Glauben des lutherischen Theologen der angeblich "Heilige
Geist", also der Kirchengott selbst, der Luther in seiner Schrift
"angeleitet"
hat, zum Zentrum seiner Lehre, zu den "Christus-Sätzen"
hindurch zu stoßen (397 f.).
Vom "Heiligen Geist geleitet" – das ist eine der schwerwiegendsten und
verbindlichsten Aussagen, die innerhalb dieses Glaubens gemacht werden. Und es
ist eine Gottesverhöhnung mehr, denn der freie Gottesgeist in allem Leben hat
nichts mit den kirchlichen Vorstellungen über "heilig" zu tun.
Der Journalist:
Der Luther-Experte will ja immerhin auch das Positive bei Luther herausstellen. Beispiel:
"Christliche" Freiheit trotz "geknechtetem Willen".
Der Theologe:
Dazu zitiere ich noch einmal aus
der Dr. Behnks Doktorarbeit Contra Liberum Arbitrium Pro Gratia Dei:
"D. h. er [Luther] relativiert die Freiheit des kreatürlichen Willens
hinsichtlich der Dinge unter ihm dadurch, dass er diese in die Freiheit des
Schöpferwillens eingebunden und damit gebunden – als ein servum arbitrium (= einen geknechteten Willen)
denkt." (a.a.O., 299)
Und dieser Satz bedeutet trotz seiner kaum zu
durchschauenden intellektuell akrobatischen Schönfärbung: Gott sei frei, der
Mensch aber sein "Sklave" und nur als "Sklave" frei.
Oder weiter im Text der Promotion des Luther-Experten:
"Der dreieinige Gott befreit uns sola gratia / sola fide / solo
Christo (= allein aus Gnaden / allein durch Glauben / allein durch Christus)
aus der ´sündigen` Zwangssituation, selber definieren zu müssen, worin die Freiheit
unseres Wesens und Wollens besteht." (397)
Der mit dem Wort "befreit" schöngefärbte Sachverhalt lautet auch hier:
Der Mensch braucht nicht mehr selber denken, es wird für ihn gedacht.
Selbst zu definieren, worin unsere Freiheit besteht, wäre demnach eine "Zwangssituation".
Der Journalist: Wird hier nicht aus A ein B gemacht und aus B ein A?
Der Theologe: Der Beauftragte für die rechte evangelisch-lutherische Lehre gesteht ein, dass die Theologie die "intersubjektiv erfahrbare Willensfreiheit" nicht als "nicht-existent" ignorieren könne. Sie muss sich vielmehr darum bemühen, "die allgemeine Freiheitserfahrung von der besonderen Glaubenserfahrung des servum arbitrium (= geknechteten Willens) her auf Vermittlung hin zu bedenken und so dem Kriterium der Gegenwartsgemäßheit gerecht zu werden". (396)
Der Journalist: Diese Wortklauberei empfinde ich als eine Zumutung. Aber wenn ich es richtig verstehe, dann gibt der Kirchenmann zu, dass sich Menschen ohne den evangelischen Glauben als frei erfahren.
Der Theologe: Ja. Und die Kirche müsse sich dem anpassen. Ihre Lehre zu ändern bräuchte sie aber deswegen nicht. So wird argumentiert. Für den evangelisch-lutherischen Glauben, so wie er hier gelehrt wird, würden gerade Menschen, die sich von dem krankhaften kirchlichen Ballast in ihrem Kopf befreit haben, in einer "sündigen Zwangssituation" leben. Evangelisch-lutherische Theologen sprechen manchmal von der "Unverfügbarkeit" ihres Glaubens, was einen von der Anstrengung befreien soll, aus eigener Kraft zu diesem Glauben zu finden. Der Kirche und den Gläubigen seien lediglich Predigt und Sakramente anvertraut, der Glaube werde dann von ihrem Götzen Gott mithilfe dieser Mittel geschenkt.
Der Journalist: Eigene Kraft oder Gottes Geschenk? Kann man das aber grundsätzlich nicht doch unterscheiden?
Der Theologe
: Ich sehe das so: Alle Kraft wird uns von Gott geschenkt, ist also so gesehen Seine, nicht unsere. Es kommt auf uns an, ob wir die Kraft missbrauchen und etwas Schlechtes damit tun oder ob wir sie für etwas Sinnvolles und Gutes einsetzen. Negativ wäre es auch, wenn wir uns kraftvoll fühlen und deshalb stolz oder hochmütig werden. Paulus hat einmal geschrieben: "Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Galaterbrief, Kapitel 2). Wenn jemand dies nicht nur sagt, sondern Christus wirklich durch ihn und in ihm leben kann, dann ist es der christlich-mystische Weg, der aktive Glaube, der auch die Demut und die Freiheit beinhaltet.
Der Journalist: Nach allem, was wir besprochen haben: Martin Luther ließ viele Menschen töten, manche wegen ihres Glaubens. In der jüngeren Vergangenheit gingen lutherische Kirchen immer wieder mit Verleumdungen und Unwahrheiten gegen viele Andersgläubige vor. Diese sprechen oft von Rufmord. Was hat sich geändert? Sind die Grausamkeiten des lutherischen Glaubens aufgearbeitet und geändert worden? Und gehören die totalitäre Gesinnung Martin Luthers und viele seiner Forderungen endgültig der Vergangenheit an? Diesen Eindruck habe ich in unserem Gespräch bisher nicht gewonnen. Manche sagen, als Luther lebte, war es eben eine andere Zeit. Hat sich also nur die Zeit geändert? Was ist mit dem Glauben und dem Verhalten der Pfarrer und Kirchentheologen? Und was ist, wenn die Zeit sich wieder ändert?
Der Theologe: Wenn die Kirche in Deutschland und auch in anderen Ländern einen weltanschaulich neutralen Staat auffordert, gegen die Gruppen vorzugehen, die von ihr verleumdet und bekämpft werden, dann frage ich: Sind das nicht faschistische Tendenzen? Und wohin sollen diese führen? Davor kann sich der Staat aber schützen, wenn er sich zum Beispiel in Deutschland an das eigene Grundgesetz hält, das die Glaubensfreiheit für alle gesetzestreuen Gemeinschaften garantiert, und wenn er sich nicht wie ein gezäumtes Pferd verhält, das von einem kirchlichen Reiter dorthin geritten wird, wohin die Kirche will.
Der Journalist: Sie sprechen von einem weltanschaulich neutralen Staat in Deutschland. Aber werden die evangelische und die katholische Kirche dort nicht massiv bevorzugt?
Der Theologe: Ja. Abgesehen von der staatlichen Einziehung der Kirchensteuer (über 12 Milliarden Euro jährlich) erhalten sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts jährlich staatliche Subventionen in Höhe von ca. 20 Milliarden Euro für innerkirchliche Zwecke, die Subventionierung der kirchlichen Sozialeinrichtungen noch gar nicht mitgerechnet (weitere ca. 50 Milliarden Euro jährlich). Mit den staatlichen Subventionen wird zum Beispiel der konfessionelle Religionsunterricht an den staatlichen Schulen komplett finanziert oder die Ausbildung der kirchlichen Theologen an den Universitäten und Priesterseminaren. Auch werden die teilweise fünfstelligen Monatsgehälter für Bischöfe, Oberkirchenräte und weitere hohe Amtsträger damit bezahlt. Dazu kommen Millionenbeträge, die der Staat immer noch für Kirchengebäude aufbringen muss und sehr vieles mehr. Hier sind oft die politischen Gemeinden betroffen, die zum Teil noch weitere Zahlungen leisten müssen. Um sich davon zu befreien, bezahlten viele Gemeinden Ablösesummen an die Kirche. Die entsprechenden Ablösebeträge, welche die Kirchen beanspruchen, sind allerdings so hoch (z. B. das 25fache einer Jahressumme), dass viele politische Gemeinden es sich nicht leisten können und deshalb weiterhin jährlich zahlen müssen. Das ist ein grober Missbrauch des Staates und seiner Bürger für kirchliche Interessen. Die komplette staatliche Kirchenfinanzierung gehört ersatzlos gestrichen.
Der Journalist: Die Kirchen werfen ihrerseits manchen anderen Gruppen vor, den Staat und die Glaubensfreiheit, die er gewährt, zu missbrauchen.
Der Theologe: Hier kann man wieder die Frage nach der "Projektion" stellen. Sind es nicht einmal mehr vor allem die Kirchen selbst, die ihren Missbrauch auf andere projizieren?
Der Journalist: Die Kirchen weisen auf die Nähe ihrer Lehren zum freiheitlichen Menschenbild im demokratischen Staat hin.
Der Theologe:
Sehr oberflächlich betrachtet mag es einige Übereinstimmungen geben. Beim näheren
Hinschauen zeigt sich jedoch der gravierende Widerspruch. Auch deshalb ist das Thema unseres
Gesprächs so wichtig, und wer über die tatsächlichen Lehren der Kirche und die
praktizierten Scheinheiligkeiten Bescheid weiß, käme nie auf die Idee, eine Nähe
zum freiheitlichen Menschenbild in einem demokratischen Staat zu vermuten. Und
selbst überzeugte Lutheraner wie Dr. Behnk bezeichnen
ja Glaubensaussagen Luthers als "äußerst gefährlich" und
dennoch
für die heutige Zeit als "verbindlich". Die "äußerste Gefahr"
ist also Gegenwart. Auch müsste ernsthaft geprüft werden, ob nicht bereits gegen
geltende Gesetze und gegen die den Kirchen gewährte so genannte
"Gemeinnützigkeit" verstoßen wird, z. B. durch Volksverhetzung, Lügen,
Gefährdungen des Wohles von Kindern und manchem mehr.
Wie gefährlich Luthers Lehre v. a. für Kinder und Jugendliche werden kann, zeigt
z. B. eine in den 90er-Jahren erschienene Dokumentation über die "Gruppe Luther", einem Zweig der Jugendarbeit
der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (Veit Dittmar, Gruppe Luther und
Kirche, 1995, Selbstverlag). Auf über 250
Seiten dokumentiert der Autor z. B. das seelische Leid von Betroffenen und
Angehörigen, darunter Behandlungen in der nahe gelegenen Nervenklinik und
Selbstmordgedanken. Wer Luthers Lehre kennt, mag mögliche Zusammenhänge selbst
abwägen.
Ein weiteres Beispiel, was die kirchlichen Lehren betrifft: Viele ehemalige
Kirchenmitglieder fühlen sich mittlerweile von den Kirchen getäuscht und fordern von den
Kirchensteuerämtern ihre Kirchensteuer zurück.
Sie bezahlten zum Beispiel jahrelang im guten Glauben, dass die Lehre Luthers mit der
Lehre von Christus übereinstimme, und sie sehen sich jetzt, nachdem sie sich näher
informiert haben, getäuscht. Auch ehemalige katholische Kirchenmitglieder wollen übrigens
aus demselben Grund ihr Geld zurück. Schon seit 1998 sind mir diese Aktionen bekannt. Gleichzeitig protestieren
immer mehr Menschen, dass sie, obwohl sie aus der Kirche ausgetreten sind, die Amtskirchen
weiterhin durch die Subventionen aus dem allgemeinen Steuertopf mitfinanzieren müssen.
Die Zeit ist überreif, dies endlich zu beenden, und zwar ohne so genannte
"Ersatzleistungen", welche die Kirchen fordern würden. Stattdessen sollten sie
einen großen Teil der früher erhaltenen Staatsleistungen dem Gemeinwohl
zurückerstatten, als Beginn einer Wiedergutmachung für ihre vielen Verbrechen
und Lügen.
Der Journalist:
Wir haben viel von Glaubensfreiheit gesprochen und von den Gefahren des Missbrauchs.
Deshalb zum Schluss die Frage: Wie könnte denn eine wirklich christliche Freiheit
beschrieben werden, bei der man sich nicht nur auf Glaubensfreiheit beruft, sondern bei der Freiheit auch gelebt
wird?
Der Theologe:
Die Freiheit des christlichen Glaubens wäre eine Freiheit für den Nächsten,
so wie es uns Christus als Jesus von Nazareth vorgelebt hat.
Der christliche Glaube besagt auch: Gott ist die Freiheit. Er ist die unendliche, sich
ständig verströmende Liebe, die in allen Seinen Geschöpfen wirkt. Wer bestrebt
ist, in
seinem Tun, in seinen Worten, Gedanken, Empfindungen und Gefühlen in diesen Strom zurück zu finden, der wird immer freier. Das Ziel ist, wieder eins
mit der göttlichen Liebe zu werden; der Liebe eines Gottes, der jedes Seiner
Geschöpfe liebt und keines verdammt. Auch straft und züchtigt Er nicht. Der Mensch selbst
erleidet entsprechend der Gesetzmäßigkeit von Saat und Ernte die Wirkungen seiner
selbst geschaffenen Ursachen, aus diesem oder aus früheren Leben und ist damit
sein eigener Richter – allerdings auf unvorstellbar lange Zeiträume bezogen. Die
Anfänge und ersten negativen "Saaten" liegen unermesslich weit zurück,
am Beginn des so genannten "Fallgeschehens". Auch in den Bibeln steht eine
Erzählung vom so genannten "Sündenfall" gleich in den ersten Kapiteln.
Dieses Wissen um das Gesetz von Saat und Ernte war auch Jesus von Nazareth und den ersten Urchristen bekannt,
wurde aber von kirchlichen Gelehrten nach und nach aus der urchristlichen
Botschaft heraus gestrichen und durch viele so genannte angebliche "Geheimnisse"
ersetzt, die in Wirklichkeit aber nur die Geheimnisse der Theologen sind. Denn
Gott hat keine Geheimnisse. Sowohl in den Bibeln als auch außerhalb ist dieses
Wissen noch vielfach überliefert.
Das ist ein Thema für eine eigene Ausgabe dieser Zeitschrift
(siehe dazu
Der Theologe Nr. 2 – Reinkarnation).
Der Journalist: Wenn wir bei diesem Leben bleiben: Welche Aufgabe hat der Mensch hier auf der Erde?
Der Theologe: Jeder Tag seines Lebens kann dem Menschen zunächst zur Selbsterkenntnis dienen.
Geschieht etwas Negatives, kann er sich bewusst machen: Es kommt nicht zufällig
auf mich zu, doch in jedem Augenblick steht mir
Christus bzw. steht mir Gott, der Ewige, mit Seiner Hilfe bei. Ich lerne dann, die Ursachen
der Situation zu finden, meinen eigenen Anteil daran zu bereuen, um Vergebung zu bitten, zu
vergeben, wieder gut zu machen, was wieder gutzumachen ist und das, was ich als
falsch erkannt habe, nicht mehr zu
tun.
So wirkt die Barmherzigkeit Gottes, die dem Menschen hilft, sein Leben mehr und mehr in
Ordnung zu bringen und wieder zu lernen, im Einklang mit den Schöpfungskräften
zu leben. Dieses Leben entspricht auch den Zehn Geboten und der Bergpredigt des
Jesus von Nazareth. Dadurch wird der Mensch allmählich frei, und das hat auch
positive auf alle anderen Geschöpfe wie die Tiere, die beim menschlichen "Fallgeschehen" mit
in die Abgründe der Menschen und ihres Gottes der Unterwelt hinunter gezogen wurden. Der Gottesprophet Jesaja sprach
vom kommenden Friedensreich, wo der
Wolf friedfertig neben dem Lamm liegt und auch Frieden unter den Menschen und
zwischen Mensch und Tier eingekehrt ist, wo also der Mensch die Tiere nicht
mehr für seinen scheinbaren Nutzen mordet.
Es gehört allerdings dazu, dass jemand seinen Egoismus wirklich überwinden möchte
und in ein selbstloses Leben hineinreifen möchte, wobei ihm
auch eine Gemeinschaft hilft, in der sich jeder bemüht, für den anderen zu sein und
nicht gegen ihn.
Jeder Mensch kann sich jeden Augenblick frei entscheiden: Für ein Leben nach den Geboten
Gottes oder dagegen.
Wenn ich an die Richtigkeit dieser Gebote glaube, ihrem Inhalt vertraue, dann bemühe ich mich auch, sie zu
befolgen, so wie es Jesus von Nazareth gesagt hat. Es kommt also auf das Tun an,
nicht auf das intellektuelle Gaukelspiel von Theologen, welches diese "Glaube"
nennen. Denn nur von einer guten Tat hat mein Nächster auch einen echten Gewinn, nicht von einem
Wortgeklingel über die menschliche Schwachheit. Niemand muss das allerdings so
sehen. Dann aber sollte er sich auch nicht christlich nennen, denn christlich
ist das, was Christus lehrte und lehrt. Aber jeder kann es für sich halten, wie
er möchte, denn jeder hat den freien Willen. Auf diese Weise kann er auch sein Schicksal in jedem Augenblick ändern,
zum Guten, aber auch zum Schlechten.
Der Journalist: Wie ist es dann mit der Lebenserfahrung der Unfreiheit bei bestimmten Entscheidungen?
Der Theologe: Das kommt aus christlicher Sicht daher, dass sich der Mensch durch eigenes Verhalten im
Laufe der Zeit unfrei gemacht hat, was auch nach der Gesetzmäßigkeit von Säen und
Ernten erfolgte.
Nach und nach kann jeder diese Gebundenheiten aber mit der Hilfe von Christus wieder
lösen und wird auf diese Weise immer freier von Zwängen, Ängsten und Unfreiheiten. Er wird auch frei
dazu, seinem Nächsten zu helfen und zu dienen und auch für seine
"Übernächsten" da zu sein, für die Tiere, die – wie schon angedeutet – über Äonen teilweise
negative Verhaltensweisen des Menschen in sich aufgenommen haben; auch für die
Pflanzen, die Mineralien, ja
für alle Geschöpfe auf diesem Erdplaneten und damit auch für die Mutter Erde,
die ihm das irdische Leben schenkt. Das ist der christliche Weg.
Der Journalist:
Können Sie noch ein paar mehr Worte zu dem Thema "Christlicher Weg" sagen?
Der Theologe: Ich kann einmal
versuchen, noch einiges dazu mit ein paar Worten aus meinem Bewusstsein zu
ergänzen.
Christus war in dem Menschen Jesus von Nazareth auf dieser Erde, um uns zu zeigen und vorzuleben, wie dies möglich
ist. Und Sein Erbe für uns, Seine Kraft, trägt jeder in seiner Seele. Und Seine
Kraft aus Seinem göttlichen Erbe trägt jeder in seiner Seele,
den göttlichen Erlöserfunken als
Stütze und eine Art Schubkraft auf dem Weg zurück in die ewige Heimat.
Eine ewige Verdammnis gibt es nicht. Früher oder später wird sich jeder beseelte Mensch, jede
Seele, mit der Hilfe von Christus aus ihrer selbst geschaffenen "Verdammnis"
lösen können, wenn er das möchte.
Es gibt auch kein Oben und Unten, keine Höhergestellten oder "Geweihten"
im Glauben, keine "Kleriker" und keine "Laien".
Alle Menschen sind Schwestern und Brüder, und keiner braucht einen kirchlichen
"Amtsträger" als "Mittler" zu Gott.
Wer Christus nachfolgt, lässt die "Weihen" und "Würden" hinter sich
und schaut nicht zu den Weihe- und Würdeträgern empor. Er
lernt, allein Gott die Ehre zu geben, unserem Vater, dem Vater-Mutter-Gott, der jeden von
uns unendlich liebt und ihm in jeder Situation hilft, den nächsten Schritt für sein
Leben zu finden, und dem wir durch das Halten Seiner Gebote und Ausrichtung auf
Ihn in unserem Inneren näher kommen.
Im Text verwendete Abkürzungen: CA = Confessio Augustana = Augsburger Konfession:
evangelische Bekenntnisschrift von 1530; WA = Weimarer Ausgabe der Lutherschriften
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