Die Essener, Qumran und das Urchristentum

Der Theologe Nr. 15, aktualisiert am 10.5.2024


Lange Zeit stand ein Buch über die archäologischen Funde von Qumran nach seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 1991 auf dem ersten Platz der Bücher-Bestseller-Listen in Deutschland. Der Titel: Verschlusssache Jesus. Die kirchlichen Theologen nahmen das Buch nicht ernst und widerlegten anscheinend locker seine Thesen. Dennoch war es erfolgreicher als andere Bücher über Jesus von Nazareth. Was war der Grund für diesen Erfolg? Ist es die Ahnung, dass in Jesus von Nazareth eine ganz andere Wahrheit auf diese Erde kam als die katholische oder die evangelische Kirche seit Jahrhunderten bis heute vorgeben? Das genau spüren die Menschen, und das erklärt den Erfolg von Büchern wie Verschlusssache Jesus. Doch worum geht es in der Sache? Wer waren die Menschen von Qumran? Und wie standen sie zu Jesus von Nazareth?


Qumraner und Essener – zwei Gemeinschaften, die in Gütergemeinschaft lebten

Kult und Waffen

Verschwörung im Vatikan?

Vorbereitung für das Friedensreich?

Sie folgten nicht nach

Jesusbewegung: "Wenn und Aber" als Verhängnis

Das Ende von Qumran

In Kommunikation mit der "Erdenmutter": Eine andere Essener-Theorie

Die Funde von Nag Hammadi – esoterische Strömungen unterschiedlicher Qualität

Exkurs: Jesus und das jüdische Gesetz

Mystiker und Propheten


Im Jahre 1947 fand ein beduinischer Hirtenjunge im palästinensischen Westjordanland nahe dem Toten Meer auf der Suche nach einer verirrten Ziege Schriftrollen und Handschriften in Tongefäßen. Beschrieben wird darin die Lehre einer oder vielleicht auch mehrerer religiöser Gemeinschaften. Die Schriftrollen haben die zeitgenössische Theologie ziemlich durcheinander gebracht, der so genannte "Forschungsstand" änderte sich im Laufe der Jahrzehnte mehrfach, und am Rande der seriösen Forschung gab es immer wieder kühne Spekulationen über die damalige Zeit, die bislang in dieser Form noch nicht geäußert worden waren.
Ein Teil der Forscher ging lange davon aus, dass es sich bei der Gemeinschaft von Qumran wohl um eine Untergruppe der so genannten Essener handeln würde, von denen auch anderweitig berichtet wird, vor allem beim Historiker Flavius Josephus (De bello Judaico 2, 119-161) und beim Philosophen Philon von Alexandria (Prob Lib 72-91), beides Juden, die im 1. Jahrhundert nach Christus lebten. Man sprach und spricht deshalb manchmal von den "Qumran-Essenern" (1). In jüngerer Vergangenheit wurde jedoch immer fraglicher, ob man es bei den in Qumran gefundenen Schriften wirklich mit "Essener"-Schriften zu tun hat oder ob dahinter nicht doch eine eigenständige Gruppe, unabhängig von den Essenern, steht. Und, um es gleich am Beginn klar zu stellen: Aufgrund unserer Nachforschungen gehen wir davon aus, dass die Gemeinschaft von Qumran und die Essener zwei verschiedene Gruppierungen sind, die beide nicht mit den Nachfolgern von Jesus von Nazareth identisch sind, was in dieser Untersuchung in den nachfolgenden Kapiteln noch ausführlicher erläutert wird.
Da es jedoch Parallelen zu Jesus von Nazareth und dem Urchristentum gibt, stellten die Bestseller-Autoren Michael Baigent und Richard Leigh in ihrem Buch Verschlusssache Jesus (1991 erschienen) zwischen den so genannten "Qumran-Essenern" und den Urchristen eine enge Verbindung bis zur möglichen Identität her. So deuteten sie den in den Qumran-Texten genannten "Lehrer der Gerechtigkeit" als Jakobus, den Gemeinde-Ältesten der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem; und den "Mann der Lüge" als Paulus. Eine kühne Spekulation, die sich letztlich nicht halten lässt. Doch auch nachweisbare Fakten beinhalten noch genügend Zündstoff.

Qumraner und Essener – zwei Gemeinschaften, die in Gütergemeinschaft lebten

So belegen die Schriften mehrere Gemeinsamkeiten zwischen der Gemeinschaft von Qumran und Jesus von Nazareth: In den Schriften von Qumran wird z. B. eine eigene soziale Gemeinschaft innerhalb, aber am Rande der damaligen Gesellschaft beschrieben, die sich von den einflussreichsten religiösen Parteien der Pharisäer und der Sadduzäer sowie der so genannten Volksfrömmigkeit abgrenzte. Ähnliches wird anderweitig (z. B. bei Josephus und Philo) von den Essenern berichtet. Und wie später bei Jesus von Nazareth und der Jesus-Bewegung führte das auch bei diesen beiden Gruppen zu heftigen Konflikten mit dem israelitischen Amtspriestertum, das sich damals überwiegend aus der religiösen Gruppierung der Sadduzäer rekrutierte und dem sich nachweislich auch die Essener nicht unterordnen wollten. Und auch von der streng auf die äußere Erfüllung von Gesetzesvorschriften bedachten einflussreichen Laienbewegung der Pharisäer machte man sich bei den Essenern unabhängig. Mehrere Essener sollen aufgrund der Konflikte mit den Priestern und Priesterhörigen auch den Märtyrertod gestorben sein.
In diesem Punkt unterscheidet sich die Gemeinschaft, die in den Schriftrollen von Qumran überwiegend beschrieben wird, allerdings von dem, was man von den Essenern weiß. Die Gemeinschaft von Qumran lehnte das Priestertum nämlich nicht ab wie die Essener und die Jesus-Bewegung, sondern verschärfte sogar die kultischen Anforderungen. Ähnlich wie bei Jesus gab es bei ihnen aber auch einen engeren Kreis von 12 Männern um den Leiter der Gemeinde, eben dem "Lehrer der Gerechtigkeit". Und auch die ethischen Anforderungen wurden verschärft. Die Anhänger, man könnte sie behelfsweise "Qumraner" nennen, lebten nach dem Gebot "Bete und arbeite" in Gütergemeinschaft und legten Wert darauf, im Alltag ihre Sinne zu "disziplinieren", d. h. entsprechend diszipliniert und asketisch zu leben, wiederum eine Nähe zu Jesus von Nazareth und Seinen Nachfolgern. Angesichts des erwarteten Messias und seines herbeigesehnten "Friedensreiches" verkündeten sie eindringlich die "Buße", also eine Umkehr bzw. eine Notwendigkeit der Vergebung und Erneuerung des Lebens, was ebenfalls Parallelen zur Jesus-Bewegung sind. Doch wie sollte das bei dieser Gruppierung praktisch aussehen?

Kult und Waffen

Und hier tut sich ein erster wichtiger Gegensatz der Qumraner zu Jesus von Nazareth auf. Die Qumraner sind bei ihren Erneuerungsbestrebungen, ähnlich wie die Pharisäer, auf Äußerlichkeiten fixiert, und sie verschärfen, wie bereits angedeutet, in fanatischer Weise viele veräußerlichte Kultgesetze wie das Sabbatgebot. Und eine solche äußere Strenge geht – allgemein gesprochen – oft einher mit Verdrängungen und Kasteiungen, die irgendwann auch wieder ins Gegenteil umschlagen können. Jesus von Nazareth hatte jedoch mit Kult, Ritualen und äußerlichen Frömmigkeitsübungen überhaupt nichts im Sinn, und auch die Essener scheinen sich schon ein gutes Stück weit davon befreit zu haben.

Der zweite gravierende Gegensatz zwischen Jesus und Qumran besteht beim Thema "Gewalt und Feindesliebe". Jesus lehrte und lebte die Feindesliebe vor, und Er war, anders als es manche Texte aus Qumran bezeugen, gegen den Gebrauch von Waffengewalt. In der Diskussion über die Verschlusssache Jesus wurde dies aber mehr und mehr in Frage gestellt. So zeichneten die US-amerikanischen Journalisten verschiedentlich ein Bild von einem Jesus, der vielleicht nur in Seiner Jugend pazifistisch gewesen wäre. Der "ältere" Jesus, der die Ungerechtigkeit der Römer erlebt habe, hätte Seine Überzeugung dadurch womöglich geändert. Diese Beurteilung stützt sich v. a. auf die Bibelstelle in Lukas 22, 36-38, wonach Jesus kurz vor Seiner Gefangennahme rät, ein Schwert zu kaufen, woraufhin Ihm die Jünger zwei Schwerter präsentieren. Dies sei "genug", so Jesus. Doch diese beiden Schwerter würden zwar einen möglichen Räuber abschrecken – und das wäre, falls das Bibelzitat authentisch ist, sehr wahrscheinlich auch ihr ganz praktischer Sinn gewesen. Für eine bewaffnete Auseinandersetzung mit einer ganzen Truppe von Soldaten und Wachleuten oder einer größeren Anzahl von Räubern wären sie aber völlig unzureichend. Außerdem weist Jesus wenige Augenblicke später den aktiven Einsatz der Schwerter deutlich zurück (Verse 49-51), und Er erklärt nach Matthäus 26, 52-53 unmissverständlich: "Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen."

Ein gewalttätiger Jesus wäre damals wie heute allerdings denen lieber, die selbst in den Kreislauf der Gewalt verwickelt sind, wie z. B. Anhänger zunehmend radikalerer nationalistischer Bewegungen. Dass in "der letzten Zeit" der materialistisch ausgerichteten Zivilisation die Gewalt eskaliert, davon hat auch Jesus selbst gesprochen, z. B. in Markus 13, 8: "[In der letzten Zeit] ... wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es werden Hungersnöte sein. Das ist der Anfang der Wehen." Doch Seine Nachfolger beteiligen sich nicht an den Kriegen und Aufständen, sondern sie befolgen Seine Bergpredigt (Matthäus 5-7), in der Er u. a. sagte: "Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Gottes Kinder heißen" (5, 9). Dennoch kam es immer wieder vor, dass Jesus von bestimmten Leuten für die jeweils eigene gewalttätige Partei vereinnahmt wurde. So hat es die Kirche Jahrhunderte lang praktiziert, und so geschieht dies in unserer Zeit z. B. ungeniert durch die Regierungen der USA. Und so rückt auch die Verschlusssache Jesus den Mann aus Nazareth nahe an die Schwertkämpfer der Vergangenheit heran.

Verschwörung im Vatikan?

Was beabsichtigten die Autoren aber nun mit einem gewaltbereiten Jesus? Obwohl die katholische Hierarchie sich noch nie durch Gewaltfreiheit und Pazifismus ausgezeichnet hatte, sollte mit den Bestseller-"Enthüllungen" von Michael Baigent und Richard Leigh in erster Linie der Vatikan getroffen werden, der die Qumran-Forschung in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts unter Kontrolle seiner Glaubenskongregation (früher "Heilige Inquisition") gebracht hatte. Die Veröffentlichung wesentlicher Dokumente wurde nämlich, wie Kritiker immer wieder beklagten, Jahrzehnte lang hinausgezögert oder verhindert, und viele der "renommiertesten" Wissenschaftler in der Qumran-Forschung, so kritische Berichte, mussten sich angeblich wegen "persönlichen Versagens" zurückziehen oder sie starben unerwartet.
Das klingt durchaus nach einer möglichen Verschwörung
. Vor allem, wenn man bedenkt, dass weder eine Gemeinschaft von Qumran noch die Gemeinschaft der Essener im gesamten Neuen Testament irgendwo erwähnt sind. So kann man fragen, ob die so genannte frühkatholische Kirche z. B. bereits bei der Entstehung des Neuen Testaments massiv verändernd in die Darstellung des Urchristentums und des Judentums zur Zeit von Jesus eingegriffen hat. Immerhin kannte der katholische "Kirchenvater" Hieronymus, der im Auftrag von Papst Damasus I. im Jahr 383 eine vereinheitlichte Fassung der Bibel heraus gab (die so genannte Vulgata), nachweislich noch einen "geheimen" Urtext des Matthäusevangeliums, der von dem uns heute bekannten Matthäusevangelium erheblich abweicht. Dies ist sicher und bezeugt.

Doch die Inhalte des Buches Verschlusssache Jesus vergrößern leider nur das Durcheinander anstatt notwendige Klärungen herbeizuführen.
Ein wichtiges Thema ist dabei das Alter der Schriftrollen, die in Qumran gefunden wurden. Mit Hilfe der als zuverlässig geltenden Radiocarbon-Methode wird der größte Teil der Schriften von den meisten Wissenschaftlern in das 1. Jahrhundert vor Christus datiert. Die Bestseller-Autoren glauben aber anderen Untersuchungen und datieren die Schriften in das 1. Jahrhundert nach Christus, also in die Zeit des frühen Urchristentums. Das stärkste Argument dafür scheint aber ihr Wunschdenken zu sein. Doch auch wenn die meisten Dokumente den Untersuchungen zufolge sehr wahrscheinlich aus dem 1. Jahrhundert vor Christus stammen, wovon die meisten Wissenschaftler ausgehen (sie werden zeitlich zwischen 250 v. Chr. und 40 n. Chr. eingeordnet), bleiben ihre Inhalte spannend und von Bedeutung auch für die Erforschung des frühen Urchristentums.

 Vorbereitung für das Friedensreich?

Denn die Bewegung von Qumran und die Gemeinschaft der Essener stehen trotz einiger Gegensätze immer noch in größerer Nähe zu Jesus von Nazareth als die kirchlichen Lehren. Dass der Mann aus Nazareth keine weltweite katholische Kirche eingesetzt hat und keine Fundamente für die späteren kirchlichen Dogmen und Zeremonien gelegt hat, dafür genügt als Quelle jedoch das Neue Testament. Die Textfunde von Qumran sind hier nur am Rande bedeutsam, da in ihnen – wie bereits dargelegt – eben nicht die Jesusbewegung beschrieben wird, sondern eine andere oder gar mehrere Gruppierungen der damaligen Zeit. Man geht sogar von bis zu 500 unterschiedlichen Schreibern aus, die an der Abfassung der rund 15.000 Fragmente, die 850 Rollen zugeordnet werden, beteiligt gewesen sein sollen. Doch auch falls dies weit übertrieben ist und hier intellektuelle Spitzfindigkeiten zugrunde liegen mögen, wie sie bei Theologen meistens anzutreffen sind, so zeigt es doch auf, wie uneinheitlich hier die Überlieferung ist. Eine umgekehrt geglaubte Identifizierung zwischen Jesus von Nazareth und der Qumran-Gemeinschaft ist aber erst recht an den Haaren herbei gezogen und für das Anliegen, die Fundamente des Vatikan ins Wanken bringen zu wollen, nicht förderlich.

Denn worum ging es Jesus von Nazareth? Er versuchte, das damalige Volk Israel zu "sammeln" (z. B. Matthäus 23, 37b) und im Einklang mit den Geboten Gottes zunächst innerlich und dann auch äußerlich zu einen. "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen", hat Er mehrfach gesagt, und Er wollte das Friedensreich aufbauen, das schon von den jüdischen Propheten, allen voran Jesaja, vorhergesagt wurde. Dieses "Reich" entsteht also zuerst im "Inneren" eines jeden Menschen (Lukas 17, 21), der durch das Leben nach den 10 Geboten und der Bergpredigt von Jesus friedfertig geworden ist und seinem Nächsten dient. Und mit der Zeit nimmt es dann aber auch im Äußeren Gestalt an (siehe z. B. Matthäus 13, 31-32). Was haben nun aber Qumran und die Essener damit zu tun?

Eines der Aufsehen erregendsten Funde in Qumran ist hier die komplette Schriftrolle des Jesaja-Buches, deren Inhalt bis auf Kleinigkeiten mit der Version in den Kirchenbibeln identisch ist. Und eine Verbindung von Johannes dem Täufer, der Jesus von Nazareth die Wege bereitet hat, zur Gemeinschaft von Qumran gilt als sehr wahrscheinlich. Und weiter: Die Menschen von Qumran wollten bewusst das "Volk David" sein. Die Vision eines erneuerten Volkes, wie sie schon von Jesaja prophezeit wurde, war also bei ihnen zentral – wie zuvor schon bei allen anderen jüdischen Gottespropheten und später in der Jesusbewegung. Die Qumraner verstanden sich als eine Art "Stoßtrupp" für das Friedensreich des kommenden Messias. Und ähnliches gilt auch für die Essener, wie Flavius Josephus sie beschrieb: Liebe, asketischer Lebensstil, eher strenge Ethik, Gütergemeinschaft, Friedfertigkeit, gemeinsames Mahl und vieles mehr sollten bereits Vorboten der neuen kommenden Friedenszeit sein.
Nach der in Qumran gefundenen Gemeindeordnung (1QSa) glaubte man jedoch, dass der kommende Messias sich dem amtierenden Hohenpriester unterordnen würde und beide gemeinsam wirken würden. Doch für Jesus von Nazareth waren die Priester und Schriftgelehrten eine "Schlangenbrut" (Matthäus 23, 33), welche die Menschen daran hindern, in das "Reich Gottes" zu finden. Für Jesus war klar, dass die Priesterkaste samt den fanatischen Pharisäern eines der Haupthindernisse dafür ist, dass die Menschen zurück zu Gott finden. "
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen" (V. 13-14). Deutlicher kann man es überhaupt nicht sagen.
Und auch für die Essener ist eine derartige Hochschätzung des Hohenpriesters wie bei den Qumranern schwer vorstellbar – ein weiteres deutliches Indiz, dass es sich bei der Gemeinschaft von Qumran um eine eigenständige Gruppierung handelt, die man, wie bereits in dieser Studie geschehen, z. B. Qumraner nennen könnte.

Sie folgten nicht nach

Jesus von Nazareth entlarvte die Heuchelei des Amtspriestertums, und deren Vertreter waren in keiner Weise einsichtig. Sie sperrten sich gegen Seine Botschaft und sahen in ihr zurecht eine Bedrohung ihrer Ego-Macht – so wie sich in den vergangenen Jahrhunderten die Priester immer gegen die Gottespropheten (Jesaja, Jeremia, Hosea, Amos, Ezechiel, Daniel und viele mehr) gestellt hatten, so dass der urchristliche Diakon Stephanus ausrufen konnte: "Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?" (Apostelgeschichte 7, 52) Wenige Augenblicke später wurde Stephanus von den Priestern und ihren Schergen ermordet. Wie würden nun aber die Qumraner und die Essener sich in diesem Konflikt zwischen Jesus und Seinen Nachfolgern einerseits und dem Amtspriestertum andererseits verhalten? Vieles, was sie lehrten, wurde ja von Jesus bestätigt. Gehörte es vielleicht zu ihrem geistigen Auftrag, durch das Positive in ihrem Leben mitzuhelfen, dass Jesus, dem Christus, der Weg in der Gesellschaft bereitet wird?
Nach Aussagen der meisten Wissenschaftler habe der "Lehrer der Gerechtigkeit" sogar bereits im 2. Jahrhundert vor Christus gelebt. Wer die Qumran-Gruppe oder die Gruppen dann zu Lebzeiten von Jesus leitete, ist nicht bekannt. Doch es wäre allen damals aktiven Bewegungen auf jeden Fall möglich gewesen, sich Jesus von Nazareth anzuschließen und sich von Ihm hier und da im Hinblick auf ihre noch vorhandenen Fehleinschätzungen oder Eigenheiten korrigieren zu lassen. Doch sowohl die Qumraner (oder Qumran-Essener) als auch die Essener, wie sie in den Schriften von Josephus und Philo beschrieben werden, hatten eben – wie viele andere religiöse Gruppen auch – ihre speziell eigenen Vorstellungen vom kommenden Messias, die sie nicht aufgeben wollten, in Qumran z. B. in der Frage von Gewalt und Feindesliebe  (siehe oben). Zudem hatte man in Qumran eben sehr strenge und fanatische Vorstellungen vom Tempelkult, und die offiziell durchgeführten Riten im Tempel zu Jerusalem waren für die Bewohner von Qumran bereits eine Abweichung von den ursprünglichen Tempel-Vorschriften, was wesentlich für die Distanzierung der Qumraner vom damaligen israelischen Amtspriestertum war (siehe dazu z.B. bibelwissenschaft.de). Und so waren sie eben – völlig anders als Jesus – dem Kult und seiner angeblich von Gott angeordneten Durchführung verhaftet (siehe oben). Doch Jesus von Nazareth hielt im Gegensatz dazu überhaupt nichts von Kult und Zeremonien und auch nicht viel von prachtvollen Häusern aus Stein und Edelhölzern (gleich den früheren Propheten wie z. B. Nathan (2. Samuel 7, 4-7) und Jesaja (66, 1-2)), wenn diese die Funktion hatten, dem Kult zu dienen (vgl. dazu Freie Christen Nr. 1 – Gott wohnt nicht in Kirchen aus Stein). Er sprach stattdessen vom "stillen Kämmerlein", in das man sich zum Beten zurückziehen solle (Matthäus 6, 5-6). Und während einer Seiner Jünger sich vom damaligen Tempel beeindruckt zeigte ("Was für Steine und was für Bauten!" Markus 13, 1), prophezeite Jesus bereits die Zerstörung dieses Monumental-Baus: "Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde" (V. 2). So gesehen hatten Jesus und die Qumraner nicht viel miteinander zu tun, und die Qumraner standen sogar näher an der von den Sadduzäern beherrschten Priesteraristokratie und an der streng religiösen "Laien"-Bewegung der Pharisäer.

Während des ca. dreijährigen Auftretens von Jesus sind allerdings keine gesicherten Daten über Qumran oder die Essener bekannt. Wie hätte sich jedoch die Geschichte entwickelt, wenn der größte Teil der jüdischen Bevölkerung und alle größeren und kleineren Gruppen und Grüppchen Jesus als den "Messias" (den von Gott Gesandten) anerkannt hätten und wenn die Menschen damit angefangen hätten, das zu tun, was Er lehrte? Die Kirche und das abendländische Christentum wären wahrscheinlich nie entstanden, zumindest nicht in der römisch-katholischen Ausprägung. Doch die Menschen von Qumran sind, wie auch die Essener, als Gemeinschaft Jesus nicht gefolgt.

Als These formuliert, könnten im Hinblick auf die Gemeinschaft von Qumran also vor allem die beiden Sachverhalte entgegen gestanden haben, die – noch einmal zusammengefasst – lauten:

1) Die qumranische Glaubensgemeinschaft war noch stark priesterlichem, hierarchischem, kultischem und damit veräußerlichtem Denken verhaftet. Priester und Kult spielen jedoch in der Botschaft von Jesus Christus und in seinem geplanten Friedensreich keine Rolle mehr, und er lehnte auch eine Hierarchie ab, denn "ihr alle aber seid Brüder [und Schwestern]." (Matthäus 23, 8)

2) Es konnte sich in Qumran auch das Vertrauen nicht durchsetzen, dass das Friedensreich ganz ohne Waffengewalt gegen die Römer entstehen soll und damit in jeder Hinsicht gewaltlos nach der Botschaft der Bergpredigt des Jesus von Nazareth.

Jesusbewegung: "Wenn und Aber" als Verhängnis

Vermutlich gab es Wanderungsbewegungen von Qumran und den Essenern zu den Anhängern von Jesus von Nazareth und in die umgekehrte Richtung, wobei letztlich fast alle damaligen Zeitgenossen Jesus und Seiner revolutionären Botschaft einer friedfertigen Erneuerung der Gesellschaft die Gefolgschaft versagten. Doch auch unter den schließlich nur noch wenigen Anhängern von Jesus verlief die Entwicklung nicht besonders gut. Es entstanden zwar urchristliche Gemeinden, die jedoch vor allem seit dem Auftreten des Saulus = Paulus durch Unstimmigkeiten und Zerwürfnisse zunächst geschwächt und letztlich zerstört wurden. Denn Saulus wollte ein Macht-System aufbauen, wie es auch in seinen Briefen durchklingt (z. B. Römerbrief, Kapitel 13), keine Gemeinschaft des selbstlosen Dienens wie die Apostel, die Jesus noch persönlich kannten. Hierarchisches Denken zog im Sinne des noch im Herrschaftsdenken befangenen Saulus auch in diese Gemeinschaften wieder ein, und daraus gingen dann aus den ursprünglich hauptverantwortlichen "Ältesten" wieder "geistliche" und priesterliche Obrigkeiten hervor, was Jesus niemals wollte. Damit wurde hier auf Betreiben von Saulus = Paulus die Saat für eine äußere Kirche gelegt, die sich wieder an den heidnischen und dem jüdischen Kult orientierte und die mit den ursprünglichen Visionen und Plänen von Jesus nicht mehr viel zu tun hatte. Letztlich entstand daraus der größte Betrug aller Zeiten: eine Machtkirche, die sich äußerlich den Mantel "christlich" umgehangen hat, in ihrem Kern jedoch das "System Baal" mit seinen Priesterkulten repräsentiert, das sich in allen Religionen zwischen Gott und die Menschen geschoben hat.

Doch für die inneren Auseinandersetzungen im Urchristentum war nicht Paulus alleine verantwortlich. Glaubt man einer "Neu-Offenbarung" von 1989, dann gab darin Christus selbst eine Erklärung hierzu. Es heißt dort: "Der eine glaubte sofort an Meine Sendung, der andere zweifelte daran, da er vieles aus Meiner Rede ... nicht verstehen konnte ... Bei vielen gab es ein langes Hin und Her, ein Wenn und Aber. Die Unentschiedenheit war für viele ein Verhängnis. Sie blieben einige Zeit – dann trennten sie sich wieder von mir ... Die Vorstellungen und Interessen waren mannigfach und das Denken so unterschiedlich wie die Menschen selbst ... Die sich von Herzen entschieden und Meine Lehren verwirklicht haben, standen zu Meiner Rechten und blieben an Meiner Rechten." (Das ist Mein Wort, S. 93)

Unabhängig von dieser Quelle berichtet der jüdische Wissenschaftler Prof. Dr. Shemaryahu Talmon Ähnliches von Qumran: Es hätte ein Kommen und Gehen gegeben und unterschiedliche Vorstellungen. So erklärt der Wissenschaftler die Tatsache, dass die Qumran-Schriften nicht als einheitlich anzusehen sind (vgl. dazu Studies in the Bible, Qumran, and the Ancient Near East, Winona Lake 1991; Hrsg. Shemaryahu Talmon). Möglicherweise hat es in Qumran auch innere Auseinandersetzungen wegen der Botschaft von Jesus von Nazareth gegeben. Das kann man jedenfalls vermuten.

Wie eng die Geschichte von Jesus von Nazareth und Seiner Anhänger mit der Geschichte von Qumran und den Essenern verbunden ist, kann letzten Endes nicht mit Sicherheit geklärt werden.

Das Ende von Qumran

Was ist aus Qumran geworden? Die Bewohner von Qumran haben sich offenbar am Aufstand gegen die Römer (66-70) beteiligt, was als eine Konsequenz ihrer Überzeugungen zum Thema "Gewalt" und ihrer politischen Vorstellungen auch einleuchtend ist. Über Qumran ist bekannt, dass der Ort dann von der 10. römischen Legion unter Vespasian im Jahre 68 n. Chr. geschleift wurde. Die Qumraner wurden vermutlich niedergemacht oder in die Sklaverei verkauft. Qumran ist von nun an ein römischer Militärposten. Im Jahr 70 wurde schließlich auch der Tempel in Jerusalem ganz kurz nach seiner Fertigstellung von den Truppen Roms zerstört. Und in den Jahren 132-135 formiert sich ausgerechnet in Qumran bzw. Mesad Chasidin, wie der Ort jetzt heißt, der letzte jüdische Aufstand unter Bar Kochba. Auch er wird von den Römern niedergeschlagen und mit ihm alle weltlich-militärischen Vorstellungen von einem "Friedensreich", von dem man glaubte, dass es in Palästina seinen Anfang nehmen würde.

In Kommunikation mit der "Erdenmutter":
Eine andere Essener-Theorie

Was bleibt von der "Verschlusssache" Jesus? Hierzu gibt es noch eine weit verbreitete Variante zu den Essenern, die ebenfalls beinhaltet, dass Qumraner und Essener nicht zusammen gehören. Ähnlich wie die Bestseller-Autoren Michael Baigent und Richard Leigh war sich der Philosoph Dr. Edmond Bordeaux Székely (1905-1979) sicher, dass der Vatikan wichtige Unterlagen versteckt. Edmond Bordeaux Székely war der Sohn eines Unitariers (eine freireligiöse pantheistische und die Vernunft betonende Gemeinschaft) und Enkel eines Unitarier-Bischofs aus Ungarn.
Doch geht er von ganz anderen Inhalten in den Essener-Texten (nicht den Texten der Qumraner) aus als die beiden US-Amerikaner. Nach seinen Angaben wurde ihm im Jahr 1923 vom Leiter der Vatikan-Archive einmal ausnahmsweise Zugang zu einem sonst verschlossenen Raum in den unterirdischen Gewölben gewährt. Er schreibt dann: "Dort lagern Stapel verstaubter Rollen von uralten Handschriften, darunter mehrere aramäische Essener-Dokumente, aber auch unveröffentlichte Evangelien des Barnabas, Jacob, Peter, Thomas und anderes mehr." Allerdings kann man auch ohne Zugang zu diesen Gemäuern mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten, dass dort so manches versteckt wird, auch wenn es im Detail etwas anders sein sollte.
Einige Jahre seien nun nach der Darstellung von Edmond Bordeaux Székely vergangen, bis er diese geheim gehaltenen Inhalte nun aber vor allem durch "Inspiration" zu "rekonstruieren" versuchte und in vier Bänden veröffentlich habe. Das Friedensevangelium der Essener lautet zum Beispiel der Titel von seinem ersten Buch (Südergellersen 1977), der Titel des zweiten Buches ist Die unbekannten Schriften der Essener (Frankfurt 1978).
Der Vatikan bestätigt diese Version der Ereignisse jedoch nicht. Doch auch völlig unabhängig davon betrachtet die wissenschaftliche Theologie die Inhalte ohnehin nur als eigene Texte des Philosophen Székely, welche dieser dann auf die Essener zurück projiziert habe, um sich womöglich entsprechend wichtig zu machen oder eben auf diese Weise Aufmerksamkeit zu finden. Ob es sich also hier nur um Thesen aus dem Bewusstsein von Dr. Székely handelt oder tatsächlich ganz oder teilweise Inhalte aus alten "unterdrückten" Essener-Schriften vorliegen, kann also weder in die eine noch in die andere Richtung bewiesen werden. Und falls es sich – wie es den Anschein hat – um medial abgerufene Inhalte aus den jenseitigen Welten handelt, den so genannten "Astralwelten", sagt das wiederum auch nichts über den Wahrheitsgehalt aus, da alles Mögliche und auch sich Widersprechendes auf diese Weise von entsprechenden Medien abgerufen wird. Und eine Abrufung allein ist ja von vorne herein auch kein Kriterium für einen Aspekt der Wahrheit, da es sich ebenso um eine aus diesen Welten heraus verbreitete Lüge handeln könnte.

Und da diese so genannten Essener-Bücher von Székely auch einige Sichtweisen beinhalten, die mit der Weltsicht der heutigen Unitarier übereinstimmen, die vom "Göttlichen" in allem Sein überzeugt sind, kann, wie ja auch von Kritikern vermutet wird, eben nicht ausgeschlossen werden, dass Aspekte deren Glaubens quasi rückwirkend in die damalige Zeit zurückprojiziert worden sind. Dies bedeutet umgekehrt nun aber nicht, dass das geschichtliche Ergebnis allein deshalb falsch wäre. Genauso könnte es der Wirklichkeit sehr nahe kommen. Demnach seien die Essener pazifistisch gewesen, hätten sich wie Jesus von Nazareth von Kult und Hierarchie gelöst und stünden in intensiver Kommunikation mit der "Erdenmutter", mit "Engeln" und mit den Naturkräften.

Dass die Darlegungen Székeys über die Essener zumindest teilweise Glaubwürdiges beinhalten können und es auch Übereinstimmungen zwischen den Essenern und Jesus von Nazareth gab – wie auch in der Verschlusssache Jesus behauptet wird, nur in diesem Fall aufgrund anderer Inhalte –, legen unter anderem Aufzeichnungen der jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus und Philo bzw. Philon (15/10 v. Chr.-40 n. Chr.) nahe, sowie des Römers Plinius des Älteren (23/24 - 79) (Plinius der Ältere, Naturalis historia, Bd. 5, 73). So bestätigt der zeitgenössische Historiker Flavius Josephus (37/39 - nach 100), dass die Essener keine Tieropfer darbrachten (De bello Judaico 18, 11.18-22), was mit Jesus von Nazareth übereinstimmt, der die Tierhändler aus dem Tempel trieb. Und in seiner Vita II, Nr. 26 bemerkt Josephus über die Essener: "Ihre Lebensweise ähnelt jener, welche Pythagoras die Hellenen lehrte ... Gütergemeinschaft, Ehelosigkeit, Enthaltung von Fleisch und blutigen Opfern waren ihnen eigen."
Auch schreibt der Römer Plinius der Ältere, dass eine große Gruppe der Essener in En Gedi am Toten Meer lebte und eben nicht (!) in Qumran. Und in En Gedi wurde 1998 auch tatsächlich eine Siedlung aus dem 1. Jahrhundert ausgegraben. Auch dies ist ein weiteres sehr starkes Indiz dafür, dass es sich bei der Gemeinschaft von Qumran und den Essenern eben um zwei unterschiedliche Gruppen handelt: Die eine hätte demnach in Qumran gelebt, die andere in En Gedi. Alles das weist also ebenfalls darauf hin, dass hinter den Qumran-Schriften eben keine "Qumran-Essener" stecken, sondern Menschen und ihre Lehren, die nicht in einem Atemzug mit den Essenern genannt werden sollten und die man dann beispielsweise besser nur "Qumraner" nennt, wie auch hier so gehandhabt.

Doch noch einmal zurück zu den Essener-Schriften von Edmund Bordeaux Székely: Sie zeigen – wie auf andere Art die Qumran-Schriften – vielfach einen Fanatismus auf, beispielsweise im Hinblick auf "rohvegane" Ernährungsregeln. Solche und ähnliche Inhalte sind – sollten sie auf die damaligen Essener tatsächlich zutreffen und nicht nur Rück-Projektionen des ungarischen Forschers sein – ein Indiz dafür, dass die damaligen Essener wohl auch als ein spezieller esoterischer Zirkel tätig waren und sie Jesus von Nazareth nicht nachgefolgt sind. Jesus von Nazareth, der Christus, war kein "Schulmeister", sondern lehrte und lebte ohne Fanatismus und auch nicht als "Rohveganer". Stattdessen kam Er mit göttlicher Klarheit und Weisheit allen Menschen auch bei diesem Thema so weit wie möglich entgegen, um jedem Menschen gemäß seines Bewusstseinsstandes die Gebote Gottes nahe zu bringen.

Doch die Situation ist noch vielschichtiger, und wir erinnern dazu noch einmal an die Aussagen in Das ist Mein Wort über die Menschen, die Jesus von Nazareth zeitweise nachfolgten, sich dann aber wieder von Ihm trennten: "Die Vorstellungen und Interessen waren mannigfach und das Denken so unterschiedlich wie die Menschen selbst."

Und in diesem Kontext wird neben den Essenern und Qumran manchmal auch noch die Gruppe der Nazoräer genannt, die wiederum verschiedentlich mit den so genannten "Essäern" zur Deckung gebracht wird. Das stellt das bisher Gesagte nicht in Frage, denn möglicherweise ist es keine eigenständige Gruppierung, sondern eher Teil einer der bisher Genannten (2). Auch von den Nazoräern wird nämlich berichtet, dass sie z. B. Fleischnahrung und Tieropfer ablehnten. Und anscheinend lehrte auch diese Gemeinschaft ähnlich bzw. teilweise gleich wie Jesus von Nazareth, pflegte aber – wie eben andere auch – mehr ihre Gruppen-Eigenheiten anstatt die "Zeichen der Zeit" zu erkennen und sich dem Mann aus Nazareth anzuschließen und dabei mitzuwirken, ein "Volk Gottes" aufzubauen und die Fundamente für das "Friedensreich" zu legen, das bereits der Prophet Jesaja angekündigt hatte (Kapitel 11).
Da nun "Essener" und "Nazoräer" genau wie Jesus von Nazareth keine Tiere opferten, könnten also Essener, Essäer und Nazoräer identisch sein bzw. in ihren Lehren sich weitgehend decken und sich – wie bereits heraus gearbeitet – zusammen wiederum deutlich von den "Qumranern" unterscheiden. Bei "Nazöräer" könnte es sich aber auch um die Verwendung einer ursprünglichen Bezeichnung für die Nachfolger von Jesus von Nazareth handeln, die anfangs vielfach "Nazarener" genannt wurden. Ob es also frühe Urchristen waren oder sie eher der Essener-Bewegung zuzurechnen sind, kann hier offen bleiben. Grundsätzlich ergibt sich jedoch folgender Befund:
Das nicht auf den ersten Blick ersichtliche Gruppen-Ego in so mancher Gemeinschaft der damaligen Zeit kam für viele Gottsucher wohl auch einem Verrat an Christus gleich, wenn sie Ihm zuvor die Treue versprochen hatten, sich dann aber doch wieder anderweitig orientierten, wo es vielleicht doch bequemer für das menschliche Ich war.

In neuerer Zeit, das kann man hier noch hinzufügen, wurden die Essener-Schriften von Bordeaux Székely von anderen Autoren wiederum als Grundlage für deren Thesen benutzt, womit aber nicht selten ganz oder teilweise der Boden der Seriosität verlassen wurde (3). Wer beispielsweise wissen möchte, wie Jesus von Nazareth sich für die Tiere eingesetzt hat, den weisen wir gerne auf unsere Seite Jesus war ein Freund der Tiere hin, eine Zusammenstellung von seriösen Berichten aus dem "apokryphen" Evangelium Das Evangelium Jesu.

Die Funde von Nag Hammadi – esoterische Strömungen unterschiedlicher Qualität

An dieser Stelle noch ein Blick auf die Schriftrollen von Nag Hammadi am Nil, die dort ab dem Jahr 1947 gefunden wurden, also zwei Jahre nach den Funden in Qumran, und die für ähnlich viel Aufregung in der Wissenschaft gesorgt haben. Auch hier dauerte es sehr lange, bis sie übersetzt und ausgewertet worden sind. In Nag Hammadi lagen außerbiblische Evangelien aus dem Umfeld des frühen Christentums seit dem 1. Jahrhundert nach Christus unter dem Wüstensand verschüttet (z. B. das Thomasevangelium), und sie entgingen so der kirchlichen Dokumentenvernichtung, die v. a. im 4. Jahrhundert wütete. Ein tragischer Höhepunkt war damals das angeblich "versehentliche" Niederbrennen der größten Bibliothek der Antike in Alexandria im Jahr 389, neun Jahre, nachdem der Katholizismus zur Staatsreligion aufgestiegen war und auf Abweichungen vom Katholizismus bereits die ersten Todesstrafen vollzogen worden waren. Die Mönche der Kirche hätten angeblich "nur" den benachbarten heidnischen Serapis-Tempel in Schutt und Asche legen wollen und verbrannten dabei die größte Bibliothek der Antike gleich mit.
Die Kirchenforschung bezeichnet diese Funde heute als "gnostisch" bzw. "Gnosis" – ein überwiegend negativ besetzter Sammelbegriff, mit dem im kirchlichen Sprachgebrauch viele mystische bzw. esoterische Strömungen von sehr unterschiedlicher Qualität zusammengefasst werden, um sie von den kirchenkonformen Dokumenten einer zunehmend veräußerlichten Religiosität zu unterscheiden. Tatsächlich enthalten diese Dokumente zu einem Teil auch "urchristliches" Gedankengut, dann aber auch wirr und teilweise unverständlich anmutende astrale, d. h. auf jenseitige Welten bezogene Spekulationen; anscheinend ohne "Bodenhaftung" im irdischen Leben, das jeder Mensch unabhängig von seinen Jenseitsvorstellungen meistern muss.
Die Texte von Nag Hammadi (de.wikipedia.org) sind nun wiederum verwandt zumindest mit einigen der inspirierten Texte von Dr. Edmond Bordeaux Székely, und sie stehen in ihren urchristlichen Aspekten auch Jesus von Nazareth und dem Urchristentum nahe. Von daher sind Querverbindungen von deren Autoren zur Jesusbewegung immerhin deutlicher als bei den Qumran-Texten.
Allerdings gibt es eben hier sehr große Unterschiede zwischen den so genannten "gnostischen" spekulativen Texten und den urchristlichen Texten und Hinweisen, was man gut am Beispiel des im Jahr 2006 erstmals in Auszügen veröffentlichen Judasevangeliums sehen kann, das 1976 in Mittelägypten gefunden wurde und mit den Nag-Hammadi-Schriften verwandt ist. Demnach habe z. B. Jesus Judas um den Verrat gebeten, um von seiner "körperlichen Hülle" befreit zu werden – ein scheinheiliger Unsinn, denn Jesus wollte mit Seinen Jüngern und dem Volk die Fundamente für das Friedensreich auf Erden legen und dieses in der Folgezeit weiter aufbauen. Und Jesus litt nicht an einer psychisch problematischen oder gar krankhaften Todessehnsucht oder dergleichen. Auch zählt es zu den kirchlichen und teilweise auch "gnostischen" Lügen, dass die Hinrichtung von Jesus angeblich notwendig gewesen wäre, um den Menschen das "Heil" zu bringen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die religiösen Anschauungen im Palästina des 1. Jahrhunderts sehr vielfältig waren (Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten, Qumraner, Essener/Nazoräer (Essäer), "Gnostiker" bzw. Esoteriker) und dass es der Jesus-Bewegung nicht gelungen ist, zu einer mächtigen und friedvollen Alternative heran zu wachsen, zu der Zug um Zug auch immer mehr ehemalige "Esoteriker", ehemalige "Qumran-Leute", ehemalige "Essener", ehemalige "Nazoräer", ehemalige Pharisäer usw. hinzu gekommen wären.

Jesus und das jüdische Gesetz

Um dies noch besser zu verstehen, ist es abschließend auch hilfreich, sich die Botschaft des Jesus von Nazareth, so weit sie bekannt ist, noch einmal im Hinblick auf die damals geltenden religiösen Gesetzesvorschriften näher zu betrachten, wie sie etwa von den herrschenden Parteien der Pharisäer und Sadduzäer vertreten wurden. Vor diesem Hintergrund kann man dann auch die Theorien über Qumran und die Essener besser verstehen. Bezieht man hierzu die gesicherten Funde von Nag Hammadi in ein mögliches Gesamtbild der damaligen Situation mit ein, dann kann die Botschaft von Jesus von Nazareth wie folgt in das zeitgeschichtliche jüdische Umfeld eingeordnet werden:

Jesus und Seine Nachfolger brachten keine neue Religion, sondern sie wollten den Bund Gottes mit Mose im "Reich Gottes auf Erden" praktisch in die Tat umsetzen. Wenn Jesus von Nazareth hierbei von der Erfüllung des "Gesetzes" sprach (Matthäus 5, 17 ff.), dann bezog Er sich aber auf ein ursprüngliches "Gesetz Gottes" und nicht auf das bis heute im Alten Testament stehende "Gesetz", das durch die Fälschungen von Priestern im Laufe der Jahrhunderte entstanden ist und das zu Lebzeiten von Jesus vor allem den Sadduzäern, Pharisäern und Qumranern als Grundlage diente. Ähnliches wie von Jesus wird von den Essenern berichtet.
Jesus ging davon aus, dass dem Gottespropheten Mose in der Tat Grundzüge und viele Einzelheiten des ursprünglichen "Gesetzes Gottes" offenbart wurden, wobei "Gesetz Gottes" einfach ein anderes Wort ist für ein praktisches Leben im Geiste Gottes ohne Abweichungen und Verunstaltungen. Später erhielt Mose dann als vereinfachten Auszug daraus die Zehn Gebote. Und was dieses "Gesetz" an weiteren Einzelheiten beinhaltete, kann man wiederum an der Lehre von Jesus von Nazareth ablesen, denn Er sagte, nicht der "kleinste Buchstabe" würde vergehen (Matthäus 5, 18).
Demnach muss man eine Identität dieses Gesetzes, von dem Jesus hier sprach, mit der Lehre von Jesus annehmen
. Was heute über Mose und das "Gesetz Gottes" im Alten Testament zu lesen ist, steht aber vielfach im Widerspruch zu Jesus von Nazareth. Und dafür gibt es eben diese sehr einfache Erklärung, die auch durch viele Indizien belegt wird: Die Texte im heutigen Alten Testament waren von Priestern massiv überarbeitet und verfälscht worden. Jesus bezog sich aber auf das ursprüngliche Gesetz Gottes und nicht auf dieses verfälschte Alte Testament.
So lautet z. B. eine alttestamentliche Quellenschrift auch "Priesterschrift". Die Priester haben also dort (und nicht nur dort, sondern z. B. auch in den Prophetenbüchern) die Geschichte Israels und seine Ethik nach ihren priesterlichen Interessen umgeschrieben.
Im Lexikon zur Bibel von Fritz Rienecker (Wuppertal 1980) steht mit klaren Worten: "Nach jüdischer Überlieferung hat Esra das mosaische Gesetz, das beim Untergang Jerusalems 586 v. Chr. verbrannt sein soll, neu geschrieben." Und wer war Esra? Ein Schriftgelehrter und Priester, der um das Jahr 450 v. Chr. gelebt hatte. Was von diesem von Esra "neu Geschriebenen" jedoch noch mit dem Bisherigen übereinstimmte, was der Gottesprophet Mose tatsächlich gebracht hatte, und was im Sinne der Priesterkaste umgeschrieben = gefälscht wurde, konnte darauf hin niemand mehr kontrollieren.
In Wirklichkeit hatte Mose aber z. B. gar keine Gesetze verkündet, welche die Todesstrafe oder Ermordung von Menschen im Krieg und die Ermordung von Tieren (als Schlachtopfer) vorschreiben (siehe dazu auch Der Theologe Nr. 26 – Die Aufforderung zum Völkermord in der Bibel und Der Theologe Nr. 8 über Widersprüche in der Bibel). Das ist die Geschichtslüge der Priesterschrift bzw. ihrer Hintermänner, denn diese Vorschriften stammen weder von "Gott" noch von Mose. Und Jesus von Nazareth hat klar auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Deshalb sahen sich die Priester und religiösen Obrigkeiten zur Zeit von Jesus aus den Kreisen der Pharisäer und Sadduzäer von diesem auch entlarvt, und sie stellten sich folglich gegen Ihn. Und auch die Bevölkerung und ihre zahlreichen weiteren Interessengruppen sind dem Mann aus Nazareth schließlich nicht gefolgt. Und leider auch die Essener nicht, obwohl auch sie wahrscheinlich von den Fälschungen wussten.

 Mystiker und Propheten

Offenbar sind sie alle letztlich mehr oder weniger dem Einflussbereich der herrschenden Priester und ihren mannigfachen Geschichtsfälschungen aufgesessen, obwohl sie mit dem offiziellen Amtspriestertum im Widerstreit standen. So gab es nach Flavius Josephus auch bei den Essenern z. B. Priester, obwohl Jesus und die Gottespropheten des Alten Testaments dies niemals wollten. Und so betrachtete jede Gemeinschaft ihre Überzeugungen und das diesen zugrunde liegende Schrifttum eben auch als "heilige Schriften", auf die sich dann jeweils berufen wurde. Und es wäre ein wenig Mut nötig gewesen, diese hier und da in Frage zu stellen, wenn Jesus von Nazareth aufgrund Seines mit der göttlichen Welt vereinten Bewusstseins über die darin noch enthaltenen Irrtümer aufgeklärt hat.

Jesus von Nazareth hatte diesen Mut und auch den Verstand und das Bewusstsein dafür, den ganzen überlieferten Betrug in allen seinen Details zu durchschauen: "Ich aber sage euch" – mit diesen kraftvollen Worten widersprach Er immer wieder der gefälschten "heiligen" Überlieferung und Er klärte darüber auf, was genau Fälschung ist und was Wahrheit. Vieles davon ist in der Bibel nachzulesen, vor allem in der Bergpredigt im Matthäusevangelium (Kapitel 5-7).
Doch nur wenige vertrauten Ihm. Über das "Volk Israel" sagte Jesus: "Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel und ihr habt nicht gewollt!" (Lukas 13, 34) In diesem Satz spiegelt sich die ganze Tragödie der damaligen Zeit. Der "Kükenhaufen" der unterschiedlichen Meinungen und Gepflogenheiten scharte sich nicht hinter dem, der die ehrlich Suchenden einen sollte. Und der Schlange wurde nicht, symbolisch gesprochen, der "Kopf zertreten", wie es in 1. Mose 3, 15 vorher gesagt wird. Stattdessen konnten sich die Priestermänner, die Feinde aller Propheten und auch des kommenden Friedensreiches, deshalb in der Gesellschaft behaupten. Sie konnten die Bevölkerung sogar so weit indoktrinieren oder lähmen, dass es möglich wurde, Jesus von Nazareth mithilfe der römischen Staatsmacht zu ermorden.

Und in all der Zeit seit diesen schicksalhaften Ereignissen, in den letzten ca. 2000 Jahren, stellten sich – wie schon zu Seinen Lebzeiten – wiederum die Priester gegen Jesus, den Christus – einst die jüdischen, später die kirchlichen. Und letztlich waren und sind auch viele ursprüngliche Sympathisanten gegen Ihn, da sie nicht wagten und wagen, den Priestern ins Angesicht zu widerstehen und deren untergründige Gegnerschaft zu Jesus zu entlarven, während sie fälschlicherweise vorgeben, in Seinem Sinne tätig zu sein. So war es möglich, dass seit ca. 1700 Jahren die Kirche die Botschaft des Jesus von Nazareth verbiegen, verfälschen und vereinnahmen konnte und Jesus damit für die meisten Menschen kalt gestellt hat. Und viele, die dies durchschauen, lassen es auch heute zu oder bleiben gar Kirchenmitglieder – aus Trägheit oder wegen unaufgearbeiteter Ängste. Und der kirchliche Weihrauch vernebelt leider auch das Bewusstsein vieler anständiger Menschen, die sich bereits bei den Worten "Gott" oder "Christus" abwenden, weil sie nicht eingeräuchert werden wollen. Ihnen ist nicht bewusst, dass Christus und Kirche im Kern Gegensätze sind und dass jeder Schritt von der Kirche weg oder aus der Kirche heraus ein Schritt auf Christus zu ist.

Hier kann auch die Einsicht helfen, dass die Kirche vielfach sogar ihrer eigenen Bibel widerspricht (wie es beispielhaft am Widerspruch zwischen Martin Luther und Jesus von Nazareth dargelegt ist). Und manche Überlieferung ist bereits im Neuen Testament selbst, das ja im Auftrag von Papst Damasus I. im 4. Jahrhundert "vereinheitlicht" wurde, verfälscht dargelegt (siehe dazu Der Theologe Nr. 14 – Hieronymus und die Entstehung der Bibel).
So wäre es auch kein Wunder, wenn in den dunklen Kellergewölben in Rom tatsächlich weitere Informationen über Jesus und das Urchristentum unter Verschluss gehalten werden. Denn so sprach – wie oben bereits erwähnt – Kirchenvater Hieronymus, der Letzt-Verfasser der katholisch verbindlichen Bibel, der lateinischen Vulgata, z. B. von einem "geheimen" Urtext des Matthäusevangeliums, das sich von dem biblischen unterscheide (vgl. hier). Allein dieser Umstand müsste eigentlich genügen, um auch der kirchlichen Bibel zu misstrauen. Eine bleibende Frage für alle Gottsucher lautet deshalb: Wo findet man heute die unverfälschte Wahrheit über Jesus?

Eine mögliche Antwort dazu: Neben all den Fragmenten gab es zu allen Zeiten auch einen lebendigen Gottesgeist, der durch Mystiker und Propheten sprach (siehe dazu auch Der Theologe Nr. 20 – Elia, Jesaja, Amos, Jeremia – Propheten als unbequeme Mahner für ihr Volk – Gegensatz von Priester und Prophet). Diese Propheten kamen meist auf den Scheiterhaufen der Kirche ums Leben. Doch waren dies keineswegs die "falschen" Propheten, vor denen einst Jesus gewarnt hatte. Denn die Kriterien zur Unterscheidung von "richtig" und "falsch" sind nach dem Alten Testament und Jesus von Nazareth folgende:
"Wenn ein Prophet im Namen des Herrn spricht und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der Herr gesprochen hat. Der Prophet hat sich nur angemaßt, es zu sprechen. Du sollst dich dadurch nicht aus der Fassung bringen lassen". (5. Mose 18, 22)
"An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." (Matthäus 7, 20-21)
Und die meisten der Ermordeten hatten nun richtig prophezeit und ihr Leben wies nachweislich "gute Früchte" auf, während die Geschichte der Kirche von einer grässlichen Blutspur durchzogen ist, deren Verursacher bis heute aber vielfach als "Heilige" und "Selige" verehrt werden. Zudem hatte
Jesus beklagt: Die Schriftgelehrten – heute könnte man sagen "die Theologen" – haben sich auf den "Stuhl des Mose" gesetzt (Matthäus 23, 2), des großen Gottespropheten des Alten Bundes. Und im Katholizismus heißt es sogar wortwörtlich, dass das Prophetenamt auf die Priester, also auf schriftgelehrte Theologen, übergegangen sei (z. B. Vatikan-Dokument Kongregation für den Klerus, 1994). Und betrachtet man die Früchte der Priester, seitdem angeblich das Prophetenamt auf sie übergegangen sei, dann kann sich jeder daraus selbst erschließen, wer die "falschen Propheten" sind, welche die Menschen in die Irre geführt haben und bis heute in die Irre führen.  
 
Und auch in unserer Zeit gibt es weise Menschen und einen Propheten, in diesem Fall eine Prophetin, durch die Christus zu den Menschen sprechen konnte und kann, wie Er dies auch in der Zeit des frühen Urchristentums noch selbstverständlich getan hat. Die durch Gabriele vermittelte umfangreiche Darlegung Alpha und Omega. Das ist Mein Wort aus dem Jahr 1989 (neu herausgegeben 2017) ist das aktuellste Beispiel für die Botschaft des Christus Gottes durch Prophetenmund in unserer Zeit.


Anmerkun
gen:

1) Inwieweit die Gemeinschaft von Qumran mit den "Essenern" identisch ist oder sich von ihnen unterscheidet, bzw. ob es sich in Qumran in der Nähe des Toten Meeres um eine bestimmte Gruppe der Essener handelt oder eine eigene Gemeinschaft, gilt in der Wissenschaft als umstritten. Ob die Gemeinsamkeiten der Schriften von Qumran mit antiken Beschreibungen der "Essener" ausreichend sind, um von "Qumran-Essenern" sprechen zu können, wird seit ca. Ende der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts von einer zunehmenden Anzahl von Wissenschaftlern nicht mehr befürwortet. Und auch wir gehen davon aus, dass Qumraner und Essener zwei verschiedene Gemeinschaften waren. So kommt etwa der Begriff "Essener" in den Qumran-Schriften wörtlich gar nicht vor. Insgesamt ist es wahrscheinlich, dass die als Essener beschriebene Gruppe mit den Schriftrollen von Qumran nichts zu tun hat. Es ist noch nicht einmal sicher, inwiefern die dort gefundenen Schriftrollen überhaupt das Leben jener beschreiben, die dort auch lebten. Zu dieser Unklarheit trägt bei, dass die Inhalte als uneinheitlich angesehen werden. Tatsache ist lediglich: Es gab damals in Palästina eben nicht nur die aus der Bibel bekannte Jesus-Bewegung und demgegenüber die gegnerischen Pharisäer und Sadduzäer. Sondern es gab viele Gruppen und Anschauungen mehr. Wir gehen davon aus, dass die Gemeinschaft von Qumran bzw. die "Qumraner" in den gefundenen Schriftrollen teilweise ihr eigenes Gedankengut und ihre Lehren niedergelegt hat. Tatsache ist jedoch, dass in Qumran nicht die Nachfolger des Jesus von Nazareth lebten und dass aber auch die Essener, eine andere Gruppierung als die "Qumraner", nicht identisch mit den Nachfolgern Jesu sind.

2) Meistens gelten die Begriffe Essener und Essäer als zwei unterschiedliche Bezeichnungen für dieselbe Gruppe, und sie werden dann wie Synonyme verwendet. Dies geht zurück auf die antiken Schriftsteller Josephus, der von "Essenoi" (= Essener) sprach bzw. von Philo, bei dem von "Essaio" (= Essäer) die Rede ist. In dieser Studie wird – wie mehrheitlich – von den Essenern gesprochen (Die Betonung liegt dabei auf dem zweiten "E" im Unterschied zu den Bewohnern der Stadt Essen)
Das Wort "Nazoräer" war ursprünglich ein Wortspiel des Evangelisten Matthäus, das auf die Nazarener abzielte, die Bewohner der Stadt Nazareth (2, 19-23). In Anlehnung an den aus dieser Stadt stammenden – und deshalb im Volksmund auch "Nazarener" genannten – Jesus nannte man auch seine Anhänger manchmal "Nazarener", bevor sich mit der Zeit das Wort "Christen" durchsetzte. Die Worte "Nazoräer" oder "Nazaräer" dienen später womöglich jedoch auch einer urchristlich orientierten Gruppierung weiterhin als Selbstbezeichnung, eventuell als Nachklang zur früheren Bezeichnung "Nazarener". In der kirchlich-theologischen Wissenschaft identifiziert man sie meist mit den syrischen "Judenchristen" (also den Juden, die in Syrien Christen geworden waren) und man weiß auch von einem Nazoräerevangelium oder Nazaräerevangelium. Die so genannen "Nazoräer" könnten jedoch auch den Essenern = Essäern zugeordnet werden. Wie man es beurteilt, ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht so wesentlich.

3) Auf der Grundlage der Essener-Schriften von Bordeaux Székely haben sich in jüngerer Zeit auch Meinungen herausgebildet, die astral inspiriert sind und deren spekulative Inhalte wir zu einem Großteil nicht befürworten. Dazu gehören die Bücher der Französin J.G.T. Joan bzw. Johanne Joan, deren Titel zwar vielversprechende Inhalte suggerieren (z. B. Das Geheimnis des wahren Evangeliums – Die verborgene Geheimbotschaft aus dem Neuen Testament, Band 1), welche die urchristliche Botschaft jedoch nur auf andere Weise fälschen als beispielsweise der Vatikan. Die dahinter stehenden Interessen entsprechen ebenfalls nicht der urchristlichen Wahrheit.

(4) Verwechslungsgefahr besteht hier mit den "Nasiräern". Ein
Nasiräer war ein gläubiger Jude, der sich gemäß dem 4. Mosebuch, Kapitel 6 besondere Verpflichtungen auferlegte, um sich durch eine gewisse Enthaltsamkeit und durch das Erfüllen bestimmter kultischer Vorschriften Gott "weihen" zu wollen. Dazu gehörte vor allem, keinen Alkohol zu trinken, sich keinem Grab oder einer Leiche zu nähern und sich Haare und Bart nicht zu schneiden. Das Nasiräer-Gelübde wurde meist auf Zeit abgelegt, und an dessen Ende musste ein Tier zur Opferung geschlachtet werden. Doch auch ein lebenslanges Versprechen war möglich. Mit Jesus von Nazareth und dem Urchristentum hat dieses kultische Gelübde allerdings nichts zu tun: Jesus trank gelegentlich Wein, hatte keine Berührungsängste bei Verstorbenen und hatte ein seriöses und gepflegtes äußeres Erscheinungsbild – andernfalls wäre Ihm das sicher von seinen Gegnern vorgehalten worden. Des weiteren lehnte Er Tieropfer ab und kultische Vorschriften waren Ihm – gelinde gesagt – völlig unwichtig. Jedoch sollen einige Nachfolger von Jesus in ihrer Vergangenheit einmal das Nasiräer-Gelübde abgelegt haben, was gut vorstellbar ist, da vor allem ernsthaften Gottsuchern das Ablegen dieses Gelübdes nahe gebracht worden war. Vielleicht war Johannes der Täufer zumindest zeitweise Nasiräer (vgl. Lukas 1,15; doch Achtung! Wenn jemand aus welchen Gründen auch immer auf das Trinken von Alkohol verzichtete, war er damit noch lange kein "Nasiräer") und später vielleicht auch der Kirchenlehrer Paulus (Apostelgeschichte 18, 18).
 


Der Text  kann wie folgt zitiert werden
:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Ausgabe Nr. 15: Die Essener und die Schriften von Qumran, Würzburg 1992, zit. nach theologe.de/theologe15.htm, Fassung vom 10.5.2024;
Copyright ©, Impressum und mehr zum Autor dieser Studie siehe hier.
 

 

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