Die gefälschte Bibel und die dort noch enthaltene Wahrheit

Hieronymus und die "Vulgata" im Widerstreit von Wahrheit und Fälschung

Der Theologe Nr. 14, aktualisiert am 30.10.2023


Vorwort:

DER THEOLOGE Nr. 8 weist zahlreiche wesentliche Widersprüche in der Bibel nach, die aufzeigen, wie viele Autoren unterschiedlichen Bewusstseins an diesem Buch mitgeschrieben haben. Erklärt man alles zu "Gottes Wort", erhält man ein chaotisches und schizophrenes Gottesbild. Einmal soll "Gott" dies und das gesagt haben, ein andermal gerade das Gegenteil.
Dazu ein einfaches Beispiel: Im Jakobusbrief des Neuen Testaments heißt es:
"Was hilft´s, liebe Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glaube allein" (2,14.24). Im Paulusbrief an die Römer steht aber das glatte Gegenteil, nämlich: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." (3, 28)
Oder es werden im 2. Buch Mose, Kapitel 20 die Zehn Gebote genannt, die Gott, der Ewige, durch den Gottespropheten Mose übermittelt hat. In Kapitel 34 heißt es dann auf einmal erneut, es würden nun die Zehn Gebote aufgezählt, die Mose von Gott erhalten habe. Nur: Dieses Mal werden ganz andere Gebote genannt als im 20. Kapitel. Welche aber sind jetzt die richtigen?

Liest man also aufmerksam in der Bibel, dann ergibt sich überhaupt keine einheitliche Lehre und auch kein einheitliches Gottesbild. Man versteht dann besser, was der atheistische Philosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872) einmal sagte, nämlich: "Der Mensch schuf Gott nach seinem Bild". Zwar steht im 1. Mosebuch das Gegenteil davon, nämlich: "Gott schuf den Menschen nach Seinem Bild" (Vers 27). Das war aber zu einer Zeit, als die Seelen der Menschen zunächst noch belastete Geistwesen waren, deren ursprüngliches Wesen noch dem Bild Gottes entsprach und deren Seelenkörper sich dann im Lauf von Äonen materialisierte. Doch wie hat sich der Mensch, wie haben sich die Seelen seither immer weiter entfernt von ihrer ursprünglichen Herkunft entwickelt?
Es ist schon schwierig, sich auf einigermaßen übereinstimmende Lehren vom Menschen zu einigen, da es eben verschiedene Meinungen dazu gibt. Erst recht gilt das von den Gotteslehren. Wer sich damit beschäftigt, stößt auf ein heilloses Durcheinander unterschiedlichster Gottesvorstellungen in den vielen Religionen und Weltanschauungen. So haben sich die unterschiedlichen Menschen ihr Bild von "Gott" eben so geformt, wie sie es gerne hätten. Und selbst innerhalb der so genannten Christenheit gibt es teilweise sogar völlig gegensätzliche Lehren über die vermeintlichen Eigenschaften oder das vermeintliche Tun "Gottes". Und nicht selten haben sich die Anhänger der einzelnen Parteien deshalb gegenseitig umgebracht, Stichwort "Konfessionskriege" und noch manches Schreckliche mehr.
 
Für Kirchenmitglieder musste Jesus angeblich am Kreuz sterben, weil Er so als ein "Opfer" den angeblichen Zorn Gottes auf die Sünden der Menschen habe angeblich besänftigen können. Damit sollten dann diese Sünden gesühnt seien, und der maßgebliche "Gott" würde die daran Glaubenden dann nach deren Tod wieder in den Himmel aufnehmen, so die dementsprechende Religionslehre. Christen, die sich am Leben von Jesus von Nazareth ein Beispiel nehmen, weisen diese Sühnopfer-Theorie jedoch deutlich zurück, da sie von den heidnischen Götzenopfer-Kulten übernommen und Jesus nur übergestülpt wurde. Jesus von Nazareth hat immer vom liebenden "Vater im Himmel" gesprochen, nicht von einem "Gott", den man früher mit geschlachteten Tieren habe besänftigen müssen und den Er selbst bald mit Seinem eigenen gewaltsamen Tod angeblich endgültig "versöhnen" würde, wie katholische, orthodoxe und evangelische Lehren behaupten. Ein solches Denken entstammt also antiken Priesterkulten. Jesus von Nazareth hat es nicht gelehrt.
Ein Katholik muss weiterhin daran glauben, dass sein "Gott" durch den katholischen Priester in eine Backoblate, eine so genannte Hostie, hinein verwandelt werde und auf diese Weise "gegenwärtig" würde. Für einen "reformierten Protestanten" ist dies aber nur ein Symbol. Din undogmatischer Bibelleser findet in diesem Buch jedoch sogar Belege, aus denen hervorgeht, dass Gott in uns zu finden ist und auch in allen Lebensformen der Natur, weswegen das kirchliche Abendmahl – gleich wie "real" oder "symbolisch" seine Elemente betrachtet werden – demgegenüber nichts Einzigartiges ist und in seinen angeblichen Bedeutungen und Wirkungen letztlich eine kirchliche Irreführung.

Ein weiteres Beispiel mit gravierenden Auswirkungen ist folgendes: Ein kirchlicher Präsident der USA glaubte, dass sein "Gott" ihm dabei hilft, einen Krieg zu gewinnen, während Christen darauf hinweisen, dass Jesus eindeutig niemals einen Krieg befürwortet hatte. Und, und, und ... Es gibt also unterschiedliche, ja gegensätzliche Gottesbilder und -vorstellungen ohne Ende selbst innerhalb derer, die sich "Christen" nennen. Dabei berufen sich alle bekannten Konfessionen und so genannten Freikirchen auf die Bibel, und jeder entnimmt diesem Buch seine Argumente für seine Gottes-Theorien.
Dieses Durcheinander hat aber auch System. Denn je verworrener und unklarer die Bibel selbst ist, je mehr Gewicht bekommen die Päpste, Theologen, Professoren, Pfarrer und Priester, die heutigen "Schriftgelehrten", die für sich in Anspruch nehmen, diese ihre Bibeln richtig auslegen zu können.

Sicher ist aber nur: Um diese Bibeln herum haben sich einige Großkonfessionen heraus gebildet, die katholische, die orthodoxe und die evangelische, und in neuerer Zeit die so genannten Pfingstkirchen, und dazu unzählige kleinere kirchliche Gemeinschaften, die sich alle auf die Bibel-Mixturen berufen und die ihren Gläubigen erklären, wie sich zum Beispiel welche Bibelstelle zu anderen Stellen verhält, und was genau mit einer Bibelstelle gemeint sein müsste, damit sie den anderen nicht widerspricht. Von den eher "kleineren" sind hier vor allem noch die Zeugen Jehovas zu nennen, die immerhin auch mehrere Millionen Mitglieder haben und die bei dem Versuch, die vielen Gegensätze in der Bibel zu harmonisieren, eine Art von Buchstabenfanatismus entwickelt und mit am weitesten ausgefeilt haben. Denn nichts dürfe gemäß ihrem Glaubenskonstrukt falsch sein, was in diesem Buch stehe.

Der Theologe Moris Hoblaj bezeichnet die Bibel deshalb auch als "das maßgeschneiderte Buch der Kirchen". Das ist eine klare Aussage zu ihrer Verfasserschaft. Und mit dieser Aussage wird zunächst "Gott" wen immer sich der Gläubige darunter vorstellt von der Last befreit, der Urheber aller Teile dieses Buches sein zu sollen. Denn die Behauptung, der allmächtige "Gott" selbst habe das alles offenbart, was in den Bibeln steht, blockiert regelmäßig zukunftsweisende positive Entscheidungen aufrechter Christen, die deswegen dann angefeindet werden. Dazu zwei Beispiele: Schmerzempfindliche Tiere nicht mehr für den menschlichen Gaumengenuss zu ermorden, wird von Bibelanhängern bis heute mit Vehemenz abgelehnt, weil es in diesem Buch ein paar Stellen gibt, wo behauptet wird, die Aufforderung zum Fleischkonsum stamme angeblich von "Gott". Massiver Widerstand auch im 2. Jahrhundert gegenüber Christus-Botschaften durch wahre Gottesprophetinnen und Weisheitslehrerinnen, die mit einem Auftrag aus dem Reich Gottes auf dieser Erde waren wie Priska und Maximilla. Widerstand warum? Unter anderem, weil in den Bibeln, bei Paulus, steht, die Frauen sollen in der Gemeinde schweigen und zuhause ihre Männer fragen, denen sie sich unterzuordnen haben.

Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass die Bibeln zwar "Gottes Wort" enthalten, jedoch auch der "Lügengriffel der Schreiber" (wie ihn der Gottesprophet Jeremia in Kapitel 8, Vers 8 einmal nannte) in diesem Buch wütete, dann kann man in diesem Buch einmal ganz unbefangen lesen. Und so mancher wird merken, welche unterschiedlichen Vorstellungen von Gott diejenigen Menschen haben können, welche die Bibel mitgeschrieben haben, also die "menschlichen" Autoren der Bibel im Sinne auch der Aussage von Ludwig Feuerbach "Der Mensch schuf sich Gott nach seinem Bilde". Dann ist es plötzlich auch verstehbar, mit welchen menschlichen Methoden zum Beispiel ein Staatsmann seine furchtbaren Kriegsgelüste mit der Bibel zu begründen versucht und wie umgekehrt aber auch ein Kriegsgegner seinen Pazifismus daraus ableitet, um hier einmal ein weiteres Beispiel für Widersprüchlichkeiten zu nennen. Es muss also nichts mit Biegen und Brechen harmonisiert, zurecht gebogen und manipuliert werden wie in den kirchlichen Konfessionen oder bei den so genannten Zeugen Jehovas, nur weil man die letztlich absurde Behauptung aufrecht erhalten möchte, es stamme alles von einem all-weisen und allmächtigen Gott. Stellt man diese letztlich Gott erniedrigende Behauptung, Er sei der eigentliche Verfasser der Bibel, jedoch einmal beiseite, dann zeigt sich dem interessierten Gottsucher immer klarer, dass in den Bibeln mehrere Vorstellungen von Gott nebeneinander stehen und dass diese Vorstellungen vielfach miteinander im Widerstreit liegen. So wie der Glaube des Politikers, einen Krieg mit der Bibel begründen zu können, eben im Widerstreit liegt mit der klaren Haltung eines Pazifisten, der aus den Worten von Jesus von Nazareth in den Bibeln im Gegenteil dazu ein eindeutiges Nein zu jeder Form von Waffengewalt und Krieg ableitet.
 
Es lassen sich jedoch auch Indizien und logische Zusammenhänge dafür finden, dass am Anfang tatsächlich Ein Schöpfergott war und ist, über dessen Wesen und dessen Schöpfungs- und Naturgesetze zum Beispiel die Gottespropheten des Alten Testaments oder Jesus von Nazareth übereinstimmend Auskunft geben, während die Priester des Alten Testaments oder der Kirchengemeinde-Gründer Paulus teilweise erheblich davon abweichen (Lesen Sie dazu auch das Nachwort zu Der Theologe Nr. 8). Es gibt also Indizien dafür, wie das Ursprüngliche von den vielen Verfälschungen unterschieden werden kann und wie man wieder den Weg zur Quelle des Göttlichen findet, zurück auch in die ewige Heimat aller Seelen und beseelten Menschen, was die Ur-Sehnsucht ist, die in allen ehrlichen Gottsuchern pulsiert.
 
DER THEOLOGE Nr. 14 stellt nun vor dem Hintergrund dieser Fragen einige wesentliche Fakten über die Entstehung der Bibel zusammen.
Das erste Problem dabei ist bereits der uneinheitliche Text der Bibeln selbst, nämlich ihrer einzelnen bis heute bekannt gewordenen Handschriften. Doch selbst, wo man heute einen relativ "stabilen" Ursprungstext annimmt, wie z. B. den Text des Neuen Testaments in altgriechischer Sprache, besagt dies noch wenig über Wahrheiten und Fälschungen innerhalb dieses Textes. In ihm wurden offensichtlich bereits zu einer Zeit Veränderungen vorgenommen, aus der es keine oder kaum weitere schriftliche Belege über den zugrunde liegenden wahren Sachverhalt mehr gibt. Außerdem wurden nachweislich viele urchristliche Quellen gar nicht in die Bibel aufgenommen, was im Johannesevangelium der Bibeln selbst zugegeben wird, an dessen Ende es heißt: "Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eines nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären" (21, 25). Und niemand wird ernsthaft bestreiten, dass Taten und Worte von Christus auch christlich sind, auch wenn sie nicht in den Bibeln stehen.
Und viele dieser christlichen Zeugnisse wurden von der sich herausbildenden "frühkatholischen
" und später römisch-katholischen Kirche vernichtet, wie zum Beispiel auch die meisten Schriften des urchristlichen Weisheitslehrers Origenes (3. Jahrhundert), der wie kein anderer noch die Wahrheit in den damals existierenden Bibeltexten kannte. Es kann also spannend werden. Aus Zeitgründen wird im Folgenden auf die Entstehung des Alten Testaments nicht speziell eingegangen, dafür desto ausführlicher auf die Entstehung des Neuen Testaments. Manches Wesentliche und Interessante zum so genannten "Alten Testament" lesen Sie z. B. in Der Theologe Nr. 13 und in Der Theologe Nr. 37.

Der Auftrag des Hieronymus

Immer neue Fehler: Die "fehlerlosen" Lehrentscheidungen der katholischen Kirche

Fehlerhaftes "Diktat des Heiligen Geistes" führt in absurde Situation

Papst fordert Protestanten zur Unterwerfung bei Bibelübersetzungen auf

Was hat Hieronymus verschwiegen?

Todesstrafe für Abweichungen von der katholischen Staatsreligion

Die ältesten erhaltenen Schriften

Wo sind die Papyrus-Rollen?

Das verschwundene Ur-Matthäusevangelium

Was hatte Matthäus ursprünglich alles geschrieben?

Vieles aus dem Leben von Jesus wird nun deutlicher

Die biblische Textrekonstruktion ist auf Sand gebaut

Die Bibel wurde immer wieder verändert

Verheimlichte und vernichtete Quellen

Fünf Arten von Fälschungen


"Du sollst nicht töten" oder "Du sollst nicht morden"

Sprachwissenschaft, gesunder Menschenverstand und Fälschungsakrobatik
 



Der Auftrag des Hieronymus

Im Jahr 367 stellte Kirchenvater Athanasius (298-373) in seinem 39. Osterfestbrief erstmals die von der Kirche damals anerkannten Bücher zusammen, die mit dem späteren neutestamentlichen "Kanon" (= Maßstab, Richtschnur bzw. Liste, Verzeichnis), also der Zusammenstellung der für die Kirche verbindlichen "heiligen" Schriften, identisch sind. Athanasius schrieb dazu: "Dieses sind die Quellen des Heiles, auf dass der Dürstende sich an den in ihnen enthaltenen Worten übergenug labe. In ihnen allein wird die Lehre der Frömmigkeit verkündigt. Niemand soll ihnen etwas hinzufügen oder etwas von ihnen fortnehmen." (zit. nach Thomas Söding, Das Neue Testament – Komposition und Genese, in: Johanna Rahner u.a., Bibel verstehen. Schriftverständnis und Schriftauslegung (Theologische Module 5), Freiburg – Basel – Wien 2008)
So gab es also bereits eine kirchlich fest gelegte und weit gehend verbindliche Schriften-Sammlung, als Kirchenlehrer Hieronymus (347-419) kurze Zeit später, ab dem Jahr 382, damit begann, die so genannte
Vulgata (von lateinisch "vulgatus" [Betonung auf der 2. Silbe] = allgemein verbreitet) zu erstellen. Die Vulgata ist eine vereinheitlichte lateinische Übersetzung der ursprünglich griechisch (Neues Testament) und hebräisch (Altes Testament) verfassten Bibeltexte. Bis dahin waren vor allem viele lateinische Übersetzungen in Gebrauch, wobei sich jede von einer jeweils anderen deutlich unterschied.
Hieronymus erklärte deshalb in einem Brief an seinen Auftraggeber, Papst Damasus I. (um 305-384, Papst seit 366), diese unbefriedigende Situation, auf die wir gleich noch näher eingehen werden.

Doch zunächst einige Worte zum Papst selbst: Damasus
hatte in den Jahren 366 und 367 nach blutigen Kämpfen und Straßenschlachten zwischen seiner Söldnertruppe und den Anhängern seines Kontrahenten Ursinus den Papstthron für sich erobert.
So stürmten die Leute des Damasus am 26.10.366 die Kirche Santa Maria Maggiore (heute eine bekannte Vatikankirche) "und brachten 137 Anhänger seines Gegners Ursinus um" (Alexander Demandt, Geschichte der Spätantike, S. 89, C.H.Beck-Verlag München 1998). Erst das Eingreifen des heidnischen römischen Stadtpräfekten Vettius Agorius entschied den innerkatholischen Krieg; und zwar zugunsten von Damasus als neuem angeblichem "Stellvertreter Christi" und gegen Ursinus. Der nachfolgende Stadtpräfekt Roms wollte jedoch die Massaker des Papstes nicht nachträglich tolerieren und wollte Damasus I. deshalb wegen Anstiftung zum Mord verklagen. Doch der Bischof von Rom, der sich heute in die Reihe der Päpste einreiht, verfügte über mächtige und einflussreiche Seilschaften. Reiche Freunde des Papstes sorgten dafür, dass die jeweiligen Kaiser immer für das Kirchenoberhaupt Partei ergriffen und dass die Klage des Stadtpräfekten Vettius Agorius wegen der päpstlichen Verbrechen nicht einmal zugelassen wurde. Ja, mehr noch: "Damasus aber setzte sich durch mit Hilfe zweier Reskripte der Kaiser Valentinian I. und Gratian, die die römische [kirchliche] Disziplinargewalt anerkannten und die Mithilfe der staatlichen Beamten beim Vollzug kirchlicher Urteile anordneten" (Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, kirchenlexikon.de). Dieser kleine historische Einblick in die damalige Zeitgeschichte ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weil eben viele Menschen glauben, die Bibel sei vom "Geist Gottes" eingegeben, ohne sich näher mit dem Umfeld ihrer Entstehung und den beteiligten Akteuren beschäftigt zu haben.

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

Nachfolgend nun ein Auszug aus dem oben genannten Brief, den Hieronymus an Papst Damasus I. schrieb, nachdem der Kirchenlehrer die Überarbeitung der vier Evangelien des Neuen Testaments abgeschlossen hatte:
"Du zwingst mich, ein neues Werk aus einem alten zu schaffen, gleichsam als Schiedsrichter zu fungieren über Bibelexemplare, nachdem diese [seit langem] in aller Welt verbreitet sind, und, wo sie voneinander abweichen, zu entscheiden, welche mit dem authentischen griechischen Text übereinstimmen. Es ist ein Unterfangen, das ebenso viel liebevolle Hingabe verlangt, wie es gefährlich und vermessen ist; über die anderen zu urteilen und dabei selbst dem Urteil aller zu unterliegen; in die Sprache eines Greises ändernd einzugreifen und eine bereits altersgraue Welt in die Tage ihrer ersten Kindheit zurückzuversetzen. Wird sich auch nur einer finden, sei er gelehrt oder ungelehrt, der mich nicht, sobald er diesen Band [die Überarbeitung der Evangelien] in die Hand nimmt und feststellt, dass das, was er hier liest, nicht in allem den Geschmack dessen trifft, was er einmal in sich aufgenommen hat, lauthals einen Fälscher und Religionsfrevler schilt, weil ich die Kühnheit besaß, einiges in den alten Büchern zuzufügen, abzuändern oder zu verbessern? Zwei Überlegungen sind es indes, die mich trösten und dieses Odium auf mich nehmen lassen: zum einen, dass du, der an Rang allen anderen überlegene Bischof, mich dies zu tun heißest; zum anderen, dass, wie auch meine Verleumder bestätigen müssen,
in differierenden Lesarten schwerlich die Wahrheit anzutreffen ist. Wenn nämlich auf die lateinischen Texte Verlass sein soll, dann mögen sie bitte sagen: Welchen? Gibt es doch beinahe so viele Textformen, wie es Abschriften gibt. Soll aber die zutreffende Textform aus einem Vergleich mehrerer ermittelt werden, warum dann nicht gleich auf das griechische Original zurückgehen und danach all die Fehler verbessern, ob sie nun auf unzuverlässige Übersetzer zurückgehen, ob es sich bei ihnen um Verschlimmbesserungen wagehalsiger, aber inkompetenter Textkritiker oder aber einfach um Zusätze und Änderungen unaufmerksamer Abschreiber handelt? … Ich spreche nun vom Neuen Testament: … Matthäus, Markus, Lukas, Johannes; sie sind von uns nach dem Vergleich mit griechischen Handschriften – freilich alten! – überarbeitet worden. Um jedoch allzu große Abweichungen von dem lateinischen Wortlaut, wie man ihn aus den Lesungen gewohnt ist, zu vermeiden, haben wir unsere Feder im Zaum gehalten und nur dort verbessert, wo sich Änderungen des Sinns zu ergeben schienen, während wir alles übrige so durchgehen ließen, wie es war." (Vorrede zum Neuen Testament; zit. nach A. M. Ritter, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. 1 – Alte Kirche, 1. Auflage 1977, S. 181 f.; im Original bei J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca (MPG) 29, Sp. 525 ff.)

Hieronymus wäre nach seinem Selbstzeugnis also kein Fanatiker gewesen, sondern eher ein abwägender Mann, der aus den vorhandenen Materialien ein Gesamtwerk erstellte, in dem alle vorherrschenden Interessen berücksichtigt sind. Da – wie Hieronymus schreibt – die lateinischen Texte offenbar bereits
"in aller Welt" verbreitet sind, scheinen auffällige und schwer wiegende Weglassungen und Hinzufügungen in diesem Stadium nur mehr schwer denkbar; auch dann, wenn dies ein Gebot der Aufrichtigkeit eines Wissenschaftlers gegenüber früheren Fälschungen wäre. Bei einzelnen Textkonflikten wird Hieronymus aber wohl auf jeden Fall zugunsten der Ansichten des damaligen Papsttums, seines Auftraggebers, entschieden haben. Bzw. er hat ja selbst wörtlich dazu geschrieben, dass "wir alles übrige so durchgehen ließen, wie es war" – was die Zuverlässigkeit dieser Texte natürlich nicht erhöht.

Immer neue Fehler: Die "fehlerlosen" Lehrentscheidungen
 der katholischen Kirche und ihr Ablehnung von Bibelübersetzungen

Und obwohl Hieronymus seine schier unlösbaren Probleme bei der Erstellung der Vulgata [der von nun an bis heute verbindlichen kirchenamtlichen lateinischen Bibel] darlegte und es sich dabei nicht um eine Schrift in der Ursprungssprache handelt, sondern nur um eine Übersetzung – wie ja auch Hieronymus selbst bemängelte –, erklärte die römisch-katholische Kirche seinen Text später als "fehlerlos".
Dies geschah dogmatisch wirksam auf dem
Konzil von Trient (1545-1563, auch Tridentinum genannt) im Jahr 1546 durch das Dekret De usu et editione sacrorum librorum, in dem der Kanon [also die Schriftensammlung] der lateinischen Vulgata als kirchlich verbindlich und eben für "fehlerlos" erklärt wurde.
Als man jedoch in der Folgezeit viele Fehler fand, erfolgte 1590 ein Einschnitt: Nach mehreren Korrekturen ließ Papst Sixtus V. (Papst von 1585-1590) in diesem Jahr die Vulgata als neue "authentische" Ausgabe "Editio Sixtina" herausgegeben, und er erklärte nun diese Ausgabe kirchenamtlich für "fehlerlos". Tatsächlich war sie jedoch ebenfalls voller Fehler und wurde von der Kirche deshalb unterdrückt und bereits 1592 unter Papst Klemens VIII. (Papst von 1592-1605) durch die neue jetzt endlich "fehlerlose" "Editio Clementina" ersetzt,
"die freilich auch noch zahlreiche Fehler aufwies" (Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 1991, 18. Auflage, S. 337). Erst die daraufhin im Jahr 1598 nochmals korrigierte und im 4. Versuch erneut als "fehlerlos" erklärte Fassung der Bibel ist dann für längere Zeit verbindlich geblieben ...

Zur Erinnerung: Der Verfasser Hieronymus schreibt davon, "dass in differierenden Lesarten schwerlich die Wahrheit anzutreffen ist" (wörtlich:
"dass nicht wahr ist, was voneinander abweicht"). Und er spricht weiter von "Verschlimmbesserungen, Unzuverlässigkeiten und Abschreibfehlern" und davon, dass es vermessen sei, als Schiedsrichter darüber zu urteilen. Das römisch-katholische Dogma verleiht dem aktuellen Stand der Überarbeitung jedoch immer wieder das Etikett "fehlerlos".

Auch die Tatsache, dass nicht Texte in der Ur-Sprache ihrer Abfassung dieses Prädikat bekamen, sondern eine Übersetzung in eine andere Sprache, ist – gelinde gesagt – unseriös. Wenn diese Übersetzung aber kirchenamtlich "fehlerlos" sei, wie sind dann die nachfolgend häufigen Ausbesserungen von Fehlern vermittelbar? Vielleicht nur,
weil der fromme Glaube schlicht blind und vor allem sehr vergesslich ist.

Bis ins 19. Jahrhundert hat die römisch-katholische Kirche zudem alle Übersetzungen der Vulgata in der Regel verworfen, was besonders der katholische Erzbischof von Mogilew in Weißrussland zu spüren kam, der Anfang des 19. Jahrhunderts eine "Gesellschaft zur Herausgabe von Bibeln" unterstützt hatte. Er wurde darauf hin von Papst Pius VII. im offiziellen vatikanischen Lehrschreiben Magno et acerbo vom 3.9.1816 rüde zurechtgewiesen. Der Papst deklarierte darin,
"dass, wenn die heilige Bibel in der Volkssprache allenthalben ohne Unterschied zugelassen wird, daraus mehr Schaden als Nutzen erwächst. Da die Römische Kirche ferner aufgrund der wohlbekannten Vorschriften des Trienter Konzils allein die Vulgata-Ausgabe anerkennt, verwirft sie die Übersetzungen anderer Sprachen und lässt nur solche zu, die mit Anmerkungen heraus gegeben werden, die in angemessener Weise den Schriften der Väter und katholischen Lehrer entnommen sind." (zit. nach Denzinger/Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 42. Auflage, Freiburg 2009, Lehrsatz Nr. 2710)

Fehlerhaftes "Diktat des Heiligen Geistes" führt in absurde Situation

Das ganze 19. Jahrhundert war geprägt vom Kampf der Vatikankirche gegen Versuche, die Bibel ohne die Erlaubnis des Papstes zu übersetzen. So hat der "selige" Pius IX. dieses Verhalten in seiner Enzyklika Qui pluribus vom 9.11.1846 noch einmal ausdrücklich verdammt.
"Diese Gesellschaften hat ... Gregor XVI. [1831-1846] ... verworfen, und auch Wir wollen, dass sie verurteilt seien." (Lehrsatz Nr. 2784)

Auf der anderen Seite war die 1598 korrigierte "Editio Clementina" der Vulgata als einzige von der katholischen Kirche anerkannte Bibel dann immerhin bis ins Jahr 1907 in Gebrauch, bis unter dem später heilig gesprochenen Papst Pius X. (Papst von 1903-1914) die Vulgata durch die
Nuova Vulgata abgelöst wurde (der 5. Versuch). Doch eigentlich hatte sein Vorgänger Pius IX. (Papst von 1846-1878) diesen Schritt zuvor für unmöglich erklärt. Denn auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1869/70 hatte Pius IX. über die – wie ihre Vorgängerinnen – kurz darauf ebenfalls als erheblich fehlerhaft erkannte bisherige Vulgata noch eine dogmatisch verbindliche neue Lehrentscheidung verkündet. Die "Editio Clementina" von 1598 sei "ohne Irrtum", Gott sei ihr "Urheber" und der Heilige Geist habe sie diktiert. So die Konzilsentscheidung von 1870. Wörtlich heißt es im Kanon 4 des Konzils:
"Diese übernatürliche Offenbarung ist nun nach dem vom heiligen Konzil von Trient erklärten Glauben der gesamten Kirche enthalten ´in geschriebenen Büchern und ungeschriebenen Überlieferungen, die, von den Aposteln aus dem Munde Christi selbst empfangen oder von den Aposteln selbst auf Diktat des Heiligen Geistes gleichsam von Hand zu Hand weitergegeben, bis auf uns gekommen sind` [DH 1501 (= Denzinger/Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 42. Auflage, Freiburg 2009, Lehrsatz Nr. 1501)]. Und zwar sind diese Bücher des Alten und Neuen Testamentes vollständig mit allen ihren Teilen, wie sie im Dekret desselben Konzils aufgezählt werden und in der alten lateinischen Vulgata-Ausgabe enthalten sind, als heilig und kanonisch anzunehmen. Die Kirche hält sie aber nicht deshalb für heilig und kanonisch, weil sie allein durch menschlichen Fleiß zusammengestellt und danach durch ihre Autorität gutgeheißen worden wären; genau genommen auch nicht deshalb, weil sie die Offenbarung ohne Irrtum enthielten; sondern deswegen, weil sie, auf Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche selbst übergeben worden sind." [Kan. 4]

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

Und im Jahr 1893 legte Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Providentissimus Deus "unfehlbar" nach:
"Denn uneingeschränkt alle Bücher, die die Kirche als heilig und kanonisch anerkennt, wurden in allen ihren Teilen auf Diktat des Heiligen Geistes verfasst; weit gefehlt, dass der göttlichen Inspiration irgendein Irrtum unterlaufen könnte, schließt sie durch sich selbst nicht nur jeden Irrtum aus, sondern schließt [ihn] aus und verwirft [ihn] so notwendig, wie es notwendig ist, dass Gott, die höchste Wahrheit, Urheber überhaupt keines Irrtums ist. Dies ist der alte und beständige Glaube der Kirche, wie er auch in feierlicher Erklärung auf den Konzilien von Florenz und Trient definiert und schließlich auf dem Vatikanischen Konzil bestätigt und deutlicher erklärt worden ist." (Lehrsatz Nr. 3292)

Diese zwei verbindlichen und katholisch endgültig absolut "irrtumslosen" römisch-katholischen Lehrentscheidungen von 1870 und 1893 brachten neue Komplikationen für die Kirche, als man nämlich weitere schwerwiegende Fehler und Irrtümer in der Vulgata erkannt hatte und diese 1907 in einer erneut erheblich überarbeiteten Form heraus geben musste. Und diese Lehrentscheidungen sind nicht die einzigen, mit der sich die römisch-katholische Kirche in eine völlig absurde Situation hinein manövriert hat. Denn das Konzil dogmatisierte Jahr 1870 ja auch die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramts, weswegen zum "Fehlerlos" der Bibel nun auch noch das "Unfehlbar" des kirchlichen Lehramts hinzu kam. Und wenn eine "unfehlbare" Lehrinstanz etwas als "fehlerlos" dogmatisiert, dann müssten zukünftige Korrekturen eigentlich doppelt ausgeschlossen sein. Doch wie gesagt: Bis zum Jahr 1907 wurde erneut vieles an dem vom seither "unfehlbaren" Papstamt zur absolut "irrtumslosen" "Eingebung" erklärten Buch von Fehlern gesäubert. Und wie immer tritt man auch dieses Mal in Rom so auf, als wäre die gerade eben aktuelle Version dieser Konstruktion nun endlich die immer schon behauptete "göttliche Eingebung".

Papst fordert Protestanten zur Unterwerfung bei den Bibel-Übersetzungen auf

Im Jahr 1941 rudert dann der intellektuell versierte Papst Pius XII. unter dem Druck der neuen Fakten ein wenig zurück und dekretiert raffiniert: 
"Das Trienter Konzil hat die Vulgata im juridischen Sinne für ´authentisch` erklärt, das heißt in Hinsicht auf die ´Beweiskraft in Fragen des Glaubens und der Sitten`, keineswegs aber hat es mögliche Abweichungen vom Urtext und von den alten Übersetzungen ausgeschlossen." (DH 3796 = Denzinger/Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 42. Auflage, Freiburg 2009, Lehrsatz Nr. 1501)

Hier wurde mit Raffinement nachträglich ein Hintertürchen konstruiert. Denn das Konzil sprach schlicht von "fehlerlos", von "ohne Irrtum" und von "Diktat" und nicht von "authentisch im juridischen Sinne", wie einer der späteren Päpste hier nachträglich zu interpretieren bzw. zu verdrehen versucht, um das fortdauernde Desaster damit verschleiern und aussitzen zu können.
Auch lässt die fortschreitende Zeit so manches Absurde oder Ungeklärte mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Und so legte
Papst Johannes Paul II. (Papst von 1978-2005) den Hebel auch wieder zugunsten der Vulgata in die andere Richtung um, auch hinsichtlich der Textüberlieferung, und er ordnete im Jahr 2001 verbindlich an:
"Wenn eine schon erstellte Übersetzung eine der Nuova Vulgata entgegen gesetzte Option enthält, was die zugrunde liegende Textüberlieferung, die Versfolge und ähnliches betrifft, muss dies … korrigiert werden."
(Fünfte Instruktion »zur ordnungsgemäßen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie« zu Art. 36 der Konstitution)

Diese Instruktion sollte bald auch Folgen für die Überarbeitung der evangelisch-katholischen
Einheitsübersetzung aus dem Jahr 1980 haben. Denn die katholischen Übersetzer müssen sich seither, also seit dem Jahr 2001, an die Instruktion dieses Papstes halten, und sie müssen so tun, als wäre der römisch-katholischen Kirche mit der Übersetzung von 1907 im 5. Anlauf endgültig das gelungen, was sie schon seit dem 4. Jahrhundert behauptet, nämlich über eine irrtumslose Bibel zu verfügen.
Konflikte im Einzelfall sind damit vorprogrammiert und nur eine Frage der Zeit.
Und aus diesem Grund hat die katholische Kirche bereits im Voraus quasi "vorbeugend" festgelegt, dass die Protestanten in diesem Fall zugunsten der Katholiken nachgeben müssen. Denn man möchte sich vordergründig weitere Blamagen, d. h. erneute Korrekturen der endlich "wirklich" "irrtumslosen
" Vulgata (und damit eine mögliche 6. nun wirklich "fehlerlose" Fassung) ersparen. Dahinter steckt jedoch noch einiges mehr, womit die römisch-katholische Kirche auch auf diesem Gebiet ihr wahres Gesicht zeigt.

Worum geht es vor allem? Bereits das Konzil von Trient hatte im 16. Jahrhundert für die katholische Kirche bis heute verbindlich beschlossen:
"
Niemand soll es wagen, ... die Heilige Schrift im Vertrauen auf eigene Klugheit nach seinem eigenen Sinn zu drehen, gegen den Sinn, den die heilige Mutter, die Kirche, hielt und hält – ihr steht das Urteil über den wahren Sinn und die Erklärung der heiligen Schriften zu." (4. Sitzung (1546), Annahme der Heiligen Schriften und der Überlieferungen der Apostel)

Wenn sich nun also beispielsweise ein evangelischer Theologe um den tatsächlichen Sinn einer Bibelstelle bemüht, was passiert dann, wenn er dabei zu einem anderen Ergebnis kommt als das katholische Dogma?
Die Antwort ist ebenso klar wie unüberbietbar sadistisch-pervers: Der protestantische Bibelübersetzer muss für sein Forschungsergebnis gemäß den Dogmen der Vatikankirche in das ewige Höllenfeuer, wenn er auf dieser Sichtweise beharrt. Denn hier hat der Katholizismus im Jahr 1870 sogar mit dem Anspruch der "Unfehlbarkeit" folgende zwei Bannflüche gegenüber allen Wissenschaftlern beschlossen, die vom katholischen Dogma abweichen, einschließlich der Theologen:
 
"Wer sagt, die menschlichen Wissenschaften müssten mit solcher Freiheit behandelt werden, dass ihre Behauptungen als wahr festgehalten und von der Kirche nicht verworfen werden könnten, auch wenn sie der geoffenbarten Lehre [wie sie alleine die katholische Kirche richtig interpretiert] widersprächen, der sei ausgeschlossen."
Und:
"Wer sagt, es sei möglich, dass man den von der Kirche vorgelegten Glaubenssätzen entsprechend dem Fortschritt der Wissenschaft gelegentlich einen anderen Sinn beilegen müsse als den, den die Kirche verstanden hat und versteht, der sei ausgeschlossen." (1. Vatikanisches Konzil, 1870, Lehrsätze über die religiöse Erkenntnis)

Und "Der sei ausgeschlossen" heißt im Original-Text "anathema sit" = "der sei verflucht", was eine spätere Verbannung in eine ewige Verdammnis nach dem Tod bedeuten soll, und was das bedeutet, siehe z. B. hier.

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

Und obwohl die evangelische Kirche ansonsten immer mehr zum Anhängsel der katholischen verkommt, zogen die auf diese Weise erneut mit dem Höllenfeuer des Katholizismus bedrohten Protestanten hier tatsächlich einmal eine Art "Notbremse", und sie stiegen im Jahr 2005 aus dem ökumenischen Projekt aus. Bis 2016 war allerdings noch die Übersetzung von 1980 in Gebrauch, wo der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beim Neuen Testament und den Psalmen sogar als Mitherausgeber der Einheitsübersetzung genannt ist. Doch jedem dürfte spätestens seit dem Scheitern des Projekts im Jahr 2005 klar sein: Den Inhalt dieser "Einheit" bestimmt einzig der Papst in Rom und die von ihm Beauftragten, und die Evangelischen dürfen diesen nur zuarbeiten, nicht aber selbstständig entscheiden – auch gegen ihr Gewissen und auf Kosten der Wahrheit im Einzelfall.

Was hat Hieronymus verschwiegen?

Die ganzen Absonderlichkeiten und Absurditäten der römisch-katholischen Lehrentscheidungen zur Bibel sind jedoch – gemessen an der Frage nach den tatsächlichen Inhalten des Urchristentums – eher ein Nebenschauplatz. Denn in der Bibel steht vieles überhaupt nicht mehr, was Hieronymus noch vom Urchristentum wusste. Ein Beispiel dafür ist das Verhältnis von Jesus zu den Tieren (siehe Der Theologe Nr. 7 – Jesus und die ersten Christen waren Vegetarier). So hat Hieronymus selbst in seiner Auslegung des Römerbriefes von Paulus geschrieben:
"Der Genuss des Tierfleisches war bis zur Sintflut unbekannt; aber seit der Sintflut hat man uns die Fasern und die stinkenden Säfte des Tierfleisches in den Mund gestopft; wie man in der Wüste dem murrenden, sinnlichen Volk Wachteln vorwarf. Jesus Christus, welcher erschien, als die Zeit erfüllt war, hat das Ende wieder mit dem Anfang verknüpft, so dass es uns jetzt nicht mehr erlaubt ist, Tierfleisch zu essen."
(Adversus Jovinianum I, 18)

Allein aus dem Vergleich von Bibelstellen und ohne Berücksichtigung anderer Fakten haben andere Gelehrte auch andere Rückschlüsse gezogen als Hieronymus, doch wer aus anderen Überlieferungen noch mehr über Jesus von Nazareth und Seine Lehre wusste, dem war auch bekannt, dass Hieronymus mit dieser Aussage den urchristlichen Glauben richtig wieder gab. Hinzu kommt einiges, was der christliche Bibelwissenschaftler Origenes (185-254) im 3. Jahrhundert noch lehrte, was Hieronymus in den zeitgenössischen Bibelhandschriften aber vermutlich nicht mehr vorfand: z. B. das Wissen um die Präexistenz (= dem Vorleben) der Seele vor der Geburt des Menschen und der Glaube an die Rückkehr aller gefallenen Wesen zu Gott (= in der Theologie manchmal "Allversöhnung" genannt; siehe Der Theologe Nr. 2 – Reinkarnation und Der Theologe Nr. 19 – Es gibt keine ewige Verdammnis – auch nicht in der Bibel).

Hier könnte man fragen: Warum hilft Hieronymus hier offenbar mit, dies weiter zu verschweigen? Warum setzt er sich so dafür ein, die bis dahin kirchlich anerkannten biblischen Schriften im damaligen Stadium ihrer Entwicklung genau zu überliefern anstatt das urchristliche Wissen aus anderen Schriften mit zu bewahren und wieder bekannt zu machen, das ansonsten verloren zu gehen droht? Hat Hieronymus am Ende sogar selbst diese "apokryphen" Schriften mit vernichten oder verfälschen lassen? Mittlerweile ist erwiesen, wie er Origenes verfälschte und damit letztlich bekämpfte.
Und weiter: Gab es unter Umständen auch in älteren biblischen Handschriften noch weitere Spuren dieses gefährdeten Wissens? Und hat Hieronymus diese Spuren z. B. gar getilgt, nachdem sich bereits in den gängigen lateinischen Übersetzungen diese Inhalte nicht mehr fanden? Vielleicht, weil er einfach loyal zum Papst und dessen Interessen stehen wollte oder schlicht, um sein Leben nicht zu gefährden? Denn wer der Staatskirche nicht zustimmte, für den hatte eine Zeit Jahrhunderte langer Schrecken bereits begonnen. Und noch weitere Fragen können dazu verhelfen, die Fakten zu erhellen: Hat Hieronymus wirklich gründlich alle damals noch zugänglichen griechischen Texte studiert? Oder hat er sich nur auf die ihm am meisten geläufige Handschrift mit Namen Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert verlassen? Weil es vielleicht nicht so mühsam war als andere Handschriften stärker mit einzubeziehen?
In der Summe
muss Hieronymus als ein Verteidiger des Papsttums und seiner Interessen betrachtet werden, wozu die Abfassung einer einheitlichen Bibel gehörte. Denn die Widersprüche in der Bibel, die gegensätzlichen Gottesvorstellungen, das Nebeneinander von Wahrheiten und Fälschungen, das bis heute die Bibeln prägt, können selbst einem Wissenschaftler mit durchschnittlicher Intelligenz nicht entgangen sein. Und das darauf gründende System der Kirche wurde von Hieronymus gefestigt.

Todesstrafe für Abweichungen von der katholischen Staatsreligion

Eine sehr einfache Begründung dafür ist, dass Hieronymus nachweislich noch Karriere machen wollte und selbst auf den Papstthron schielte. Und wie man Papst wird, zeigt kaum eine Biografie deutlicher als die von Josef Kardinal Ratzinger alias Benedikt XVI. (vgl. z. B. dessen Biografie von Prof. Dr. Hubertus Mynarek). Mit mutigen Infragestellungen der kirchlichen Überlieferung oder gar mit einzelnen Abweichungen kommt man in der Kirche nicht voran. Man muss sich für das Gegenteil entscheiden, nämlich für das komplette Aufgehen der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Gewissens im Mehrheitsstrom der Kirche und ihrer Geschichte.

Rechts: Hieronymus beim Schreiben der Bibel – eine Auftragsarbeit in einem totalitären Zwangsstaat (Ausschnitt aus einem Gemälde von Michelangelo, um 1606, Galleria Borghese, Rom)


Hier hilft auch ein Blick in das gesellschaftliche und kirchliche Umfeld Ende des 4. Jahrhunderts weiter: Es war damals auch die
Aufgabe des Hieronymus, die kurz vor Beginn seiner Arbeit an der Vulgata (im Jahr 382) zur einzigen Staatsreligion im gesamten römischen Reich erhobene römisch-katholische Machtkirche (im Jahr 380) mit der biblischen Überlieferung zu "harmonisieren". Und dies ist von vorne herein alles andere als ein seriöses Umfeld für eine möglichst unverfälschte Überlieferung der Bibel.
Und man muss sich hierbei auch noch Folgendes bewusst machen:
Auf Abweichungen von der römisch-katholischen Lehre stand zu diesem Zeitpunkt [seit 380] bereits die Todesstrafe. Eine Zeit freier Forschung und Lehre war also definitiv vorbei. Und jeder, der in diesem Bereich arbeitete, stand deshalb bereits mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen. Man kann die Arbeit des Hieronymus deswegen nicht mit der eines Wissenschaftlers in unserer Zeit vergleichen. Sondern er hatte eine Auftragsarbeit in einem aufstrebenden totalitären Zwangsstaat zu verrichten. Und Papst Damasus hat den "geliebtesten Sohn" Hieronymus auch direkt dazu aufgefordert, für Klarheit im Sinne des Papsttums zu sorgen, wo "Verschiedenes" bzw. "Gegensätzliches" vorliegt (Epistula Damasi ad Hieronymum, ep. 19).

Und dies ist wiederum ein Sachverhalt, der nun umgekehrt zu Vermutungen Anlass geben kann, ob Hieronymus nicht vielleicht auch gravierende Änderungen in den biblischen Schriften zugunsten der neuen Staatsreligion vorgenommen hatte, also schwerwiegende Fälschungen durchführte. Doch auch für diese Überlegungen gibt es keine Beweise, zumindest bislang nicht. So kann man sich für eine seriöse Beurteilung des Sachverhalts nur Schritt für Schritt voran tasten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass er bereits zuvor durchgeführte schwerwiegende Fälschungen oder Streichungen in der biblischen Überlieferung sozusagen "wasserdicht" machte (siehe dazu z. B. das Kapitel Das verschwundene Ur-Matthäusevangelium).

Die ältesten erhaltenen Schriften

So ist ein nächster Schritt, einmal die Zeit vor Hieronymus näher zu beleuchten. Aus diesem Grund folgt in den nächsten Abschnitten eine detailliertere Betrachtung der heute vorhandenen Dokumente hinsichtlich der Entstehung der Bibel, die aus früheren Zeiten stammen, also vor der päsptlichen Auftragsarbeit des Hieronymus.

Der älteste heute nachweisbare Bibeltext ist einmal mehr eine lateinische Übersetzung und sie stammt aus dem Jahr 250. Doch von diesem Text sind bis heute nur ein paar wenige Zitate erhalten. Die Schrift selbst ist "verloren". Zu diesen Sätzen hinzu kommen die lateinischen Bibelzitate, die der Kirchengelehrte Tertullian (um 150 - um 230) um das Jahr 200 verwendet. Einige seiner Schriften sind die ältesten heute noch erhaltenen Dokumente, welche Bibelworte enthalten. Daneben gibt es mehrere ebenfalls lateinische Handschriften, hauptsächlich mit Evangelientexten aus dem 4. Jahrhundert, die man zum Vergleich heranziehen kann, wenn man die von Hieronymus geschaffenen Vulgata-Texte überprüfen möchte.
Hieronymus, der sowohl Latein als auch Hebräisch und Griechisch sprach, lagen anscheinend die wichtigsten damals noch vorhandenen Quellen vor, sowohl lateinische Übersetzungen als auch, was viel entscheidender ist, Abschriften von
griechisch verfassten Ursprungstexten. Davon sind heute die so genannten Sinaiticus und Vaticanus am ältesten, obwohl sie zu Lebzeiten des Hieronymus relativ neu waren. Sie wurden nämlich erst im 4. Jahrhundert verfasst, in dem auch Hieronymus lebte und arbeitete.
So stellt sich als nächstes die im Hinblick auf die Bibelentstehung wichtige Frage:
Wie wurden diese Texte bis ins 4. Jahrhundert überliefert? Und was geschah dann im 4. Jahrhundert mit ihnen, nachdem bereits im Jahr 326 unter Kaiser Konstantin die Verfolgung Andersdenkender begann, indem man z. B. ihre Versammlungshäuser beschlagnahmte und der katholischen Kirche übereignete. Schon in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts forderte die Kirche vom Kaiser nämlich die Ausmerzung der Religion von Andersdenkenden
(mehr dazu z. B. in der Schrift Freie Christen Nr. 1). Die Barbarei der Kirche, die von nun an viele Jahrhunderte dauern sollte, war in Europa also bereits vor der Zeit des Hieronymus im Gange.

Wo sind die Papyrus-Rollen?

Hieronymus arbeitete bei den griechischen Dokumenten, die viel näher am ursprünglichen Text sind als die lateinischen Übersetzungen, in der Regel mit dem Sinaiticus. Es gibt jedoch auch kleine Reste von über 100 griechischen Papyri (!), die überwiegend kleinere Text-Teile der neutestamentlichen Schriften enthalten und wovon immerhin mehr als die Hälfte aus der Zeit vor 300 stammen. Und dabei stellt sich hier mit Nachdruck eine wesentliche Frage. Nämlich: Was können wir in den vollständigen Papyrus-Rollen lesen? Was ist mit diesen Papyri geschehen? Wo sind die Rollen? Warum sind offenbar alle bis auf minimale Reste vernichtet? Das ist doch kein dummer geschichtlicher Zufall.

Vermutungen oder Wahrscheinlichkeiten in dieser Hinsicht sind allerdings bisher nicht beweisbar, und man muss dabei zunächst etwas Grundsätzliches unterscheiden:

Beim
griechischen Text ging es darum, dass man den ursprünglich verfassten so genannten Ur-Text wortgetreu weitergab. Bei den lateinischen Texten jedoch liegt es in der Natur der Sache, dass jeder Übersetzer anders übersetzt und schon von daher kein Text dem anderen gleichen kann. Und weiterhin kann natürlich jeder Bearbeiter mit mehr oder weniger Recht behaupten, seine Veränderung wäre eine verbesserte Übersetzung. Das ist schon einmal ein wesentlicher Sachverhalt.
Hinzu kommt als zweites: Man müsste bei unterschiedlichen Fassungen des griechischen Textes auch zwischen geringfügigen Unterschieden einerseits und gezielten bzw. unabsichtlichen, aber gravierenden Änderungen andererseits unterscheiden, wobei nur solche Fehler bzw. Änderungen interessant sind, die den Sinn der ursprünglichen Worte verfälschen. Diese Unterscheidung wird oft unterschlagen, wenn fanatische Bibelkritiker sich über "Tausende" von Textvarianten lustig machen.

Hier wird nicht berücksichtigt, dass bei den meisten nachweisbaren Veränderungen der Sinn nicht oder nicht wesentlich verändert wird. Und auch bei einzelnen Korrekturen innerhalb der "ältesten" Handschriften aus dem 4. Jahrhundert handelt es sich nach heutigem Kenntnisstand meistens um geringfügige Überarbeitungen, z. B. in Form einer Angleichung an eine andere Handschrift. Gab es gravierende Veränderungen, hätte man – so weit möglich – alle vorhandenen Abschriften dieser Handschrift mit ändern müssen. Dies ist auch denkbar, denn es gab wohl nicht viele davon. Doch gibt es dafür heute wieder keinen Beweis. Allerdings lässt sich erst Recht nicht das Gegenteil nachweisen, nämlich, dass der Inhalt dieser Handschriften womöglich in keiner Phase seiner Geschichte gravierend verändert worden ist. Und hier stellt sich wiederum die Frage nach dem Verbleib der ca. 50 bekannten Papyrusrollen, die aus dem 3. Jahrhundert und gar aus früheren Zeiten stammen. Wo also sind die Papyrus-Rollen? Oder: Wer hat sie verschwinden lassen? Oder vernichten lassen?
Denn die heute bekannten ältesten Evangelien-Handschriften aus dem 4. Jahrhundert sind in Wirklichkeit eben überhaupt nicht "alt", sondern jung. Sie stammen eben erst aus einer Zeit fast 300 Jahre (!) nach ihrer ersten Abfassung und zu einer Zeit, in der Christen nicht mehr verfolgt wurden, sondern in der Kirchenmänner, die sich Christen nannten, bereits andere Menschen grausam verfolgten.

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

Die ältesten erhaltenen griechischen Komplett-Fassungen des Neuen Testaments stammen demnach erst aus dem 4. und 5. Jahrhundert. Kirchliche Forscher wenden nun aber ein, dass auch die wenigen bekannten Textpassagen (so genannte "Fragmente") aus den älteren Papyrusrollen aus dem 3. und vereinzelt aus dem 2. Jahrhundert im Wesentlichen mit den späteren Handschriften übereinstimmen. Und dies gilt in der Theologie als ein Indiz für wenig Veränderung. Dieser Befund stabilisierte sich vor allem ab 1930, als man einige weitere Papyri fand, die man bis dahin noch nicht gekannt hatte. Doch enthalten die gefundenen Papyrus-Fragmente eben alle so wenig Text, dass man diese Entdeckungen nicht verallgemeinern kann.
 
Dazu ein Bild:
Wenn sich in einem Lostopf 30.000 Lose befinden und davon sind 30 große Gewinne und 29.970 Nieten, und man zieht der Reihe nach 50 Lose, allesamt Nieten, dann kann man auch nicht seriös behaupten, in dem Topf befänden sich mit höchstmöglicher Sicherheit ausschließlich Nieten. Doch selbst wenn sich die Vermutung, dass es wohl ab einem bestimmten Zeitpunkt der Überlieferung keine großen Veränderungen gegeben habe, weiter verdichten würde, so ändert das nichts daran, dass auch diese Texte immer noch in einem sehr großen Abstand zum Leben von Jesus und Seinen Jüngern entstanden sind. Und außerdem wird allein durch das Alter bestimmter Schriften noch überhaupt nichts über die Zuverlässigkeit ihres Inhalts ausgesagt. Doch es ist eben wahrscheinlicher, durch den Abstand der Jahrhunderte und Jahrzehnte und der Verfestigung des sich vom Urchristentum wesentlich unterscheidenden Katholizismus um das Jahr 180  gravierende Veränderungen bzw. Fälschungen anzunehmen als nichts dergleichen. Hinzu kommt, was Hieronymus zur Überlieferungsgeschichte der lateinischen Übersetzungstexte schreibt: "Unzuverlässige Übersetzer", "Verschlimmbesserungen inkompetenter Textkritiker", "Zusätze oder Änderungen unaufmerksamer Abschreiber". Dies legt auch die Vermutung nahe, dass bei der Überlieferung der griechischen Urtexte auch nicht besonders zuverlässig gearbeitet wurde.

Das verschwundene Ur-Matthäusevangelium

Von entscheidender Bedeutung ist dabei ein Ur-Matthäusevangelium mit teilweise anderen Inhalten als das biblische Matthäusevangelium. Hieronymus selbst berichtet über einen in Hebräisch verfassten Urtext des Matthäusevangeliums, der nicht mit dem aus der Bibel bekannten Matthäusevangelium übereinstimmt. Dieses Evangelium sei zudem identisch mit dem so genannten Nazaräerevangelium. Und nach Kirchenvater Epiphanius (315-403) wäre wohl auch das so genannte Ebionäerevangelium eben dieses Ur-Matthäusevangelium. Epiphanius schreibt wörtlich, dass jenes Ebionäerevangelium "nach Matthäus genannt wird" und auch mit "dem hebräischen Evangelium" identisch sei (haer.30.13,2 f.). Und das könnte wiederum bedeuten: Auch das aramäische Hebräerevangelium oder ein Teil davon könnten letztlich dieses Ur-Matthäusevangelium sein. Zumindest rechnete Hieronymus einige Jesusworte, die heutige Wissenschaftler dem "Hebräerevangelium" zuordnen, ebenfalls dem Nazaräerevangelium bzw. dem Ur-Matthäus zu. Die wissenschaftliche Forschung tastet hier teilweise sehr unsicher herum, und einzelne katholische oder evangelische Fachvertreter sind je nach Interessenlage und Profilierungszwecken oft untereinander uneins.
Das wissenschaftliche Problem bei diesen Zuordnungen ist: Alle diese hier genannten Evangelien sind zwar als solche bezeugt. Bis auf einzelne Sätze oder Abschnitte wurden sie aber auch alle von der Kirche vernichtet bzw. nicht mehr abgeschrieben, so dass die Wissenschaftler hier ein Mosaik bzw. Puzzle vor sich haben und aus diesen Befunden dann ihre zum Teil unterschiedlichen Schlussfolgerungen ziehen. Dies gilt auch bei dem Evangelium der Zwölf, von dem Origenes berichtet bzw. von dem auch von Hieronymus erwähnten Evangelium nach den Aposteln. Deswegen sind auch noch weitere Identitäten oder noch andere Kombinationen der Puzzle-Teile denkbar.
Und d
eshalb hören wir doch einfach mal hin, welche Berichte in den Quellen erhalten geblieben sind und was Hieronymus selbst dazu sagt, der laut katholischer Lehre immerhin "kirchenheilig" gesprochen wurde und eine "unfehlbare" Bibelfassung verfasst haben soll. Auch wenn das nicht stimmt, so ist Hieronymus selbst doch in diesen Dingen ein zuverlässigerer Zeuge gegenüber einer im Vergleich kirchengebundenen heutigen theologischen Theorie. Hieronymus erklärt (siehe Kasten):

"Ich spreche nun [vielmehr] vom Neuen Testament: Dass es ursprünglich in Griechisch abgefasst ist, unterliegt keinem Zweifel, mit Ausnahme des [Werkes des] Apostels Matthäus, der sich als erster an die Abfassung des Evangeliums Christi wagte und es in Judäa in hebräischen Lettern (hebraicis litteris) herausbrachte."
(Hieronymus, Vorrede zum Neuen Testament; zit. nach A. M. Ritter, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. 1 – Alte Kirche, 1. Auflage 1977, S. 181 f.; im Original bei J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca (MPG) 29, Sp. 525 ff.)


Und die bekannten Inhalte aus diesem apokryphen Evangelium haben es in sich.
So sagte Jesus z. B. laut dem
Hebräerevangelium: "Und niemals sollt ihr fröhlich sein, wenn ihr nicht auf euren Bruder in Liebe blickt." (Hieronymus, Kom. zu Eph. 5, 4)
Oder:
"In dem Evangelium nach den Hebräischen, das die Nazaräer zu lesen sich gewöhnt haben, wird unter die schwersten Verbrechen gezählt: Wer seines Bruders Geist betrübt hat." (Hieronymus, Kom. zu Hes. 18, 7)

Und betrachten wir hierzu als nächstes das
Ebionäerevangelium oder Ebionitenevangelium.
Die frühkatholischen "Sektenbeauftragten
" Irenäus (2. Jahrhundert) und Epiphanius (4. Jahrhundert) schreiben übereinstimmend, "dass die Ebionäer nur ein einziges Evangelium benutzen und dass dies ein Matthäusevangelium ist; ferner, dass diese Sekte [Anmerkung: schon damals ist dieses Wort ein kirchliches Schimpfwort; in Wirklichkeit ging es um Urchristen] die jungfräuliche Geburt Jesu leugnet". (Wilhelm Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, Band 1: Evangelien, 6. Auflage, Tübingen 1999, S. 120)
Der historische Wert dieser Aussage besteht vor allem darin, dass hier vom Matthäusevangelium gesprochen wird und gleichzeitig davon, dass diejenigen, die sich darauf berufen, die Jungfrauengeburt ablehnen. Doch in der heute zugänglichen Fassung dieses Evangeliums ist ausgerechnet dort, also in den Bibeln, die Legende von einer Jungfrauengeburt nachzulesen. Was aber folgt daraus?
Die Schlussfolgerung ist: Hier liegen zwei
zuverlässige Zeugenaussagen vor, dass der Ur-Matthäus, also das richtige Matthäusevangelium, noch keine Jungfrauengeburt von Jesus kannte, sondern eine natürliche Zeugung durch Josef und Maria. Erst im kirchlich verfälschten Matthäusevangelium, dessen älteste Versionen aus dem 4. Jahrhundert stammen, wäre dann die Idee einer Jungfrauengeburt aus antiken Götzenkulten übernommen worden, und Maria wurde später am Beginn des biblischen Evangeliums ein angeblich vom "Heiligen Geist" gezeugtes Kind unterschoben. Es ist also eine Fälschung, worauf dann später die katholischen Dogmen aufbauten.

Und von Hieronymus erfährt man, dass die urchristlich orientierte Gemeinschaft der so genannten Ebioniten dieses Ur-Matthäusevangelium verwendete (daher auch "Ebioniterevangelium") und später im 3. Jahrhundert auch der urchristliche Lehrer Origenes. Und die wenigen erhalten gebliebenen Sätze sind höchst brisant. Der renommierte evangelische Experte Prof. Dr. Wilhelm Schneemelcher schreibt über dieses Evangelium: "Die Aufgabe Jesu ist die Auflösung der ´Opfer`; in diesem Spruch dokumentiert sich die Feindschaft der Ebionäer gegen den Tempelkult." Anderes deutet "auf Vegetarismus". (Neutestamentliche Apokrpyhen, Band 1, Tübingen 1990, S. 140; mehr dazu in Der Theologe Nr. 7 – Jesus und die ersten Christen waren Freunde der Tiere; dort auch die bekannten Zitate aus dem Ebionäerevangelium zum Thema "Ernährung")

Die Aussagen von Hieronymus und anderen Kirchenvätern zum Matthäusevangelium sind demnach ein klarer Beweis für die These, dass Evangelien verändert bzw. gefälscht worden sind und dass schließlich nur manches das frühkatholische Zensur-Sieb durchlief, während anderes zurück gehalten wurde. Und die wenigen vorliegenden gesicherten Fakten steigern natürlich das Interesse, was wohl noch alles im ursprünglichen Matthäusevangelium geschrieben stand. 

Was hatte Matthäus ursprünglich alles geschrieben?

Ein weiterer wichtiger Zeuge dafür ist Origenes. Im Matthäuskommentar des Origenes kommentiert der Kirchenlehrer des 3. Jahrhunderts auch eine Passage in der Erzählung vom reichen jungen Mann ("reichen Jüngling"), die in der Version der Bibel fehlt, die aber das Problem des "reichen Jünglings" praktisch auf den Punkt bringt. Im Ur-Matthäus sind es zwei "reiche Jünglinge", und Jesus sagt zu einem von ihnen: "Wie kannst du sagen, Gesetz und Propheten habe ich erfüllt? Steht doch im Gesetz geschrieben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, und siehe, viele deiner Brüder, Söhne Abrahams, starren vor Schmutz und sterben vor Hunger – und dein Haus ist voll von vielen Gütern, und gar nichts kommt aus ihm heraus zu ihnen!" (Mt.-Kom. XV 14)

Verständlich, dass die Kirche heute enorme Schwierigkeiten bekommen würde, wenn dieses authentische Jesuswort auch noch in ihrer Bibel stehen würde. Denn der Petersdom und die Schatzkammern des Vatikan sind voller Güter und Gold, und hinzu kommen Wertpapiere und gefüllte Konten und eine eigene Bank (siehe auch hier). Und kein Papst rückte je etwas Nennenswertes davon heraus, von einigen Almosen abgesehen. Man fordert immer nur die Gläubigen zum Spenden auf. Dabei sterben in unserer Zeit täglich (!) über 30.000 Menschen an Unterernährung und Hunger. Dies ist kaum vorstellbar, weil das Bewusstsein der Menschen in den reichen Ländern meist von diesen Tragödien abgeschottet wird. Und doch ist es Realität. Und bereits im Ur-Matthäus stand als Klage von Jesus, dem Christus zu lesen: Sie "sterben vor Hunger". Und ist dies heute nicht um ein Vielfaches so?
Jeder Zeitgenosse mit gesundem Menschenverstand kann nun schlussfolgern: Was Jesus hier über den reichen jungen Mann sagt, ist zwar eine Mahnung an alle wohlhabenden Menschen. Doch passt es im Besonderen zum Vatikan und zur Kirche. Denn dort geschieht dies täglich, was Jesus hier anprangert: Aus mit "Gütern" prall gefüllten Häusern werden "fromme" Verlautbarungen über "Gesetz und Propheten" verkündet, während von dort keine durchgreifenden Hilfen zu den "Söhnen Abrahams" gebracht werden, die
"starren vor Schmutz und sterben vor Hunger". Der unermessliche Reichtum der Kirche wird also nicht geteilt, sondern gehortet. Und so war es schon in der Anfangszeit der zur Staatsreligion aufstrebenden Großkirche gewesen, dass solche deutlichen Passagen aus den Jesus-Berichten gestrichen wurden.

Betrachten wir weiter das
Nazaräerevangelium, welches nach dem Bibel-Experten Hieronymus offenbar mit dem Ur-Matthäus übereinstimmt. Dort wird auch berichtet, dass der Jünger Johannes ein Sohn eines verarmten Fischers war, der "oft Fische in den Palast des Hohenpriesters Hannas und Kaiphas gebracht" hatte (Historia passionis Domini, saec. XIV-XV. [14.- und 15. Jahrhundert], foll. 30). Auch hier der Gegensatz Arm und Reich. Und später lehrte Jesus dann die Jünger, mit dem Fischfang aufzuhören und "Menschenfischer" zu werden, was jedoch nicht ausgeschlossen hat, dass die Jünger weiterhin für ihren Lebensunterhalt gearbeitet haben.

Sehr interessant, dass auch
das Jesus-Gleichnis von den Talenten, das in den Bibeln nachzulesen ist, im Ur-Matthäus anders überliefert wird: Dort wird der Diener, der sein Talent vergraben hat, zwar auch getadelt wie in der Version der Bibel. Aber einer der beiden anderen Diener, die laut Bibel, Matthäus 25, beide ihre Talente vermehrt hatten, habe es laut Ur-Matthäus mit Huren, bei Trinkgelagen und mit anderen Ausschweifungen durchgebracht, so dass er am Ende mit ganz leeren Händen da stand. Dieser traf demnach die schlechteste Wahl von den dreien und wurde im Gleichnis ins Gefängnis geworfen (nach Eusebius, De theophania IV 22). Auch hier ergibt diese Ur-Version aus dem ursprünglichen Matthäusevangelium im Vergleich aller Fassungen den meisten Sinn.

Und geht man von der Identität von Ur-Matthäus und Nazaräerevangelium aus, wie Hieronymus es tut, stand auch folgender Bericht ursprünglich im Matthäusevangelium. Demnach haben Gegner von Jesus aus den Kreisen der Priester vier römische Soldaten "bestochen", "sie sollten den Herrn so hart geißeln, bis das Blut von seinem ganzen Körper flösse. Sie hatten dieselben Soldaten auch bestochen, dass sie ihn kreuzigten". (Historia passionis Domini, saec. XIV-XV. [14.- und 15. Jahrhundert], foll. 44)
Diese vier bestochenen Soldaten sollten also demnach dafür sorgen, dass sie nicht nur die Folter brutal durchführen, sondern dann auch die Hinrichtung selbst besonders grausam durchführen. Auch dieser Sachverhalt, wie er hier geschildert wird, ist nachvollziehbar: Römische Soldaten, die nur ihre "Pflicht" erfüllen wollten, hätten von sich aus keinen Grund gehabt, besonders grausam und sadistisch gegen Jesus vorzugehen und Ihn so qualvoll wie nur irgendwie möglich zu foltern und hinzurichten. Sie würden, wenn sie noch einen Funken Gewissen in sich spürten, eher versucht haben, die Qualen wenigstens etwas zu lindern. Die besondere Grausamkeit von vier Soldaten – sowohl beim Foltern als auch bei der nachfolgenden Kreuzigung – hätten sich gemäß des Ur-Matthäusevangeliums Gegner von Jesus von Nazareth, die diesen hassten, bei den Soldaten mit Geld erkauft (vgl. dazu Der Theologe Nr. 58 – Die Kreuzestod von Jesus hätte nicht sein müssen).

Vieles aus dem Leben von Jesus wird nun deutlicher

Weiterhin berichtet der Ur-Matthäus nicht nur, mit welchem schier unfassbaren Opfermut Jesus diese Qualen ertrug, sondern auch, wie Er den Anstiftern und Tätern, die Ihm diese zufügten, sterbend auch noch vergeben hat. So sprach Er sterbend am Kreuz die Worte: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun". Im Matthäusevangelium der Bibel fehlen die Worte jedoch. Im kirchlichen Christentum wurden diese nur bekannt durch das Lukasevangelium (23, 34). Der ursprüngliche Matthäus hatte sie jedoch ebenfalls überliefert, und er berichtet noch mehr: Diese Jesusworte am Kreuz, "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun", waren es gewesen, welche Tausende von Menschen am Pfingstfest und danach dazu bewegten, Ihm von nun an nachzufolgen (fol. 55). Zwar wird in der "Pfingstpredigt" des Petrus laut Bibel die Kreuzigung ebenfalls vordergründig erwähnt (2, 23); aber eben nicht, was genau die Herzen der Menschen vor allem berührte. Mehr Opfermut, Selbstlosigkeit und Vergebungsbereitschaft ist überhaupt nicht möglich.

Und auch die
Erschütterung des Tempels beim Tod von Jesus – als Zeichen für den Gegensatz zwischen Jesus und der Priesterkaste – wird in der Bibel nur noch ansatzweise gestreift. Wie sehr sich die Gegner von Jesus mit dem Haus aus Stein und dem darin praktizierte Priesterkult identifizierten und wie sehr Jesus von Nazareth hier mit Seinem Widerspruch ins Mark getroffen hatte (siehe dazu auch Der Theologe Nr. 37), als Er die Opfertierhändler von dort vertrieb, musste auch Sein Nachfolger Stephanus spüren. Als Stephanus den großen jüdischen Gottespropheten Jesaja zitierte und noch einmal klar stellte, dass Gott "nicht in Tempeln wohnt, die mit Händen gemacht sind" (Apostelgeschichte 7, 48 ff.), wurde er auf der Stelle von denselben Männern und ihren Kreisen durch Steinigung hingerichtet, die bereits den Tod von Jesus gefordert hatten – den Priestern und den Priesterhörigen.
Doch
kein Wunder, dass dieser zentrale Konflikt in der Kirche heute sehr abgeschwächt wird, da man ja im Christentum im Gegensatz zu Jesus und den Gottespropheten ebenfalls Dome, Kathedralen und Kirchen aus Stein baute – und zwar hunderttausendfach und nicht nur einen wie damals in Jerusalem. Und das, obwohl in der Bibel der Kirche steht, dass Gott in solchen Häusern ausdrücklich nicht (!) wohnt.

So passt es ins Gesamtbild, dass in der kirchlichen Bibel folglich fehlt, welche Schrecken beim Tod von Jesus offenbar über den Tempel herein brachen. Laut Bibeln wäre nur der "Vorhang im Tempel" in zwei Teile zerrissen (Matthäus 27, 51), was auch nur in diesem einen einzigen Vers nebenbei erwähnt wird. Doch im Ur-Matthäus liest man, "dass die Tempeloberschwelle von unendlicher Größe beim Tode Christi sich gespalten habe"
(fol. 65). Das gleiche berichtet der jüdische Historiker Josephus und fügt hinzu, "es seien in der Luft schreckliche Stimmen gehört worden, die sagten: ´Lasst uns von diesem Wohnsitz weggehen". (Josephus, Jüdischer Krieg VI, 293-300)
Das heißt, hier ist nicht nur ein "Vorhang" zerrissen, den man nach kirchlich-abendländischen Vorstellungen hinterher wieder zusammennähen konnte. Sondern der ganze Tempel wurde in seinem Fundament erschüttert und gespalten, und ein apokalyptisches Szenario tat sich dort auf.
Und auch hierzu gibt es eine für die Kirche unliebsame Parallele: So deuten viele Bibelkenner die "Hure Babylon" in der Offenbarung des Johannes als Symbol für die endzeitliche Kirche (siehe dazu Der Theologe Nr. 41). Und es heißt dort:
"Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon die Große, und ist eine Behausung der Teufel geworden und ein Gefängnis aller unreinen Geister ... Geht hinaus aus ihr, Mein Volk, dass ihr nicht teilhabt an ihren Sünden und nichts empfanget von ihren Plagen." (18, 2.4)

Liebe Leserinnen, liebe Leser. Es ist also sehr spannend. Und was steht noch im Ur-Matthäus? Und was wird in der Kirche verschwiegen?
Hieronymus schreibt dazu weiter wörtlich:
"In dem Evangelium, das die Nazarener (siehe dazu hier) und Ebioniten gebrauchen, das wir neulich aus der hebräischen Sprache in die griechische übersetzt haben und
das von den meisten [!] als das authentische (Evangelium) des Matthäus bezeichnet wird, wird der Mann, der die verdorrte Hand hatte, als Maurer beschrieben, der mit folgenden Worten um Hilfe bat: ´Ich war Maurer und verdiente mit (meinen) Händen (meinen) Lebensunterhalt; ich bitte dich, Jesus, dass du mir die Gesundheit wieder herstellst, damit ich nicht schimpflich um Essen betteln muss." (Hieronymus, Matthäuskommentar zu 12, 13, zit. nach Schneemelcher, a.a.O., S. 134)

Die biblische Textrekonstruktion ist auf Sand gebaut

Auch dieses praktische Beispiel aus dem Heilungsdienst von Jesus steht also nicht mehr in den Bibeln der Kirche. Alleine daran sieht man, dass die heutige Bibelwissenschaft trotz ihrer teils akribischen Untersuchungen bei der Text-Rekonstruktion nur auf Sand gebaut ist; wenn man so will, auf den Sand, den die Theologen der frühkatholischen Kirche durch ihr Zensur-Sieb haben durchrieseln lassen.
Entscheidende Materialien für die Rekonstruktion des Urchristentums und des Lebens von Jesus von Nazareth fehlen jedoch bzw. sie wurden von den damaligen kirchlichen Machthabern gezielt vernichtet. Doch "die meisten" damaligen Bibelkundigen waren sich laut Hieronymus darin einig, dass das Evangelium der Nazarener und Ebioniten "das authentische" Matthäusevangelium sei, wie Hieronymus es in seinem Matthäuskommentar schreibt.

Hieronymus berichtet an anderer Stelle auch von dem "Evangelium nach den Hebräern, das in chaldäischer und syrischer Sprache, aber mit hebräischen Buchstaben geschrieben ist, das bis heute die Nazarener benutzen als [Evangelium] nach den Aposteln, oder, wie die meisten [!] vermuten, nach Matthäus, das auch in der Bibliothek zu Caesarea vorhanden ist". (zit. nach Schneemelcher, S. 123)
Hier ist dann offenbar ein anderes Exemplar gemeint, eben eines in "chaldäischer und syrischer Sprache", das als
Evangelium nach den Aposteln jedoch dem Hebräerevangelium bzw. dem Ur-Matthäusevangelium entspricht.

Und Hieronymus schreibt weiter: "Matthäus hat als erster in Judäa ... das Evangelium von Christus in hebräischer Schrift und Sprache abgefasst; wer es später ins Griechische übersetzt hat, ist nicht mehr sicher. Weiter befindet sich der hebräische Text selbst noch heute in der Bibliothek von Caesarea, die der Märtyrer Pamphilius mit großer Sorgfalt zusammen gestellt hat. Auch haben mir die Nazaräer in Beröa, einer syrischen Stadt, die dies Buch benutzen, es abzuschreiben erlaubt"
(zit. nach Schneemelcher, a.a.O., S. 121). Wörtlich: "Mihi quoque a Nazaraeis, qui in Beroea urbe Syriae hoc volumine utuntur, describendi facultas fuit." (Hieronymus, De viris inlustribus, Kapitel III)
Doch heute sind neben vielen anderen Quellen auch diese beiden Dokumente "verschwunden" kein Wunder, nachdem Hieronymus verraten hatte, wo sich die von der Bibel abweichenden Exemplare des richtigen Matthäus noch befinden (!). Was darauf hin passierte, kann sich jeder selbst beantworten.

Kirchentreue Theologen spekulieren jedoch, dass bei dieser Notiz wohl die hebräische Fassung desjenigen Matthäusevangeliums gemeint wäre, das später in griechischer Sprache in die Bibel aufgenommen wurde und wo der Übersetzer laut Hieronymus nicht mehr bekannt ist. Doch dass hebräische Ur-Texte, die Matthäus zugeschrieben werden, sich von dieser griechischen Übersetzung inhaltlich an vielen Stellen unterscheiden, haben wir ja in dieser Untersuchung schon vielfach nachgewiesen, denn einige andere Inhalte sind ja als Fakten bekannt.
Und wer weiß, was noch alles anders war! Es sind ja nur noch "Fragmente", d. h. Einzelteile, der so genannten "ketzerischen" Evangelien erhalten geblieben.
Da bringt es dann nicht viel, darüber zu spekulieren, ob es vielleicht auch eine hebräische Fassung des Matthäusevangeliums gegeben haben könnte, die mit dem heutigen griechischen "Ur-Text" in der Bibel inhaltlich übereinstimmt, wie es kirchentreue Theologen gerne hätten. In diesem Fall wären die Veränderungen bzw. Fälschungen dann eben bereits im Hebräischen erfolgt; im anderen Fall dann erst bei der Übertragung der Inhalte ins Griechische. Doch wie dem auch sei: Verändert ist nun mal verändert. Und gestrichen ist nun mal gestrichen. Und hinzugefügt ist nun mal hinzugefügt. Oder zugespitzt formuliert: Gefälscht ist nun mal gefälscht – egal, welcher Text nun genau damals noch in der Bibliothek von Caesarea und bei den Nazaräern in Beröa lag. Er wurde vernichtet, und vernichtet ist nun mal vernichtet. Die Frage ist nur: Warum? Und von wem?

Die Bibel wurde immer wieder verändert

Worauf man heute aufbaut, ist folglich nur ein sandiges Fundament, genauer: der sowohl im deutschsprachigen als auch im angelsächsischen Raum überarbeitete und um 1980 neu herausgegebenen griechische "Ur-Text" des Neuen Testaments. Dieser gilt als ein wesentlicher Meilenstein der heutigen Textforschung. Er soll aufgrund des gesamten vorliegenden Materials eine bestmögliche Annäherung an die nicht mehr vorhandenen Urtexte um das Jahr 100 darstellen. In umfangreichen Fußnoten wird dabei auf die noch bestehenden Unterschiede bei den zugrunde liegenden Textfassungen verwiesen, die aber, wie bereits gesagt, bis auf wenige Ausnahmen eher kleinere Punkte betreffen als gravierende, den ganzen Sinn betreffende Sachverhalte. Die Sprachwissenschaftler aus dem deutschsprachigen (Nestle-Aland, 27. Auflage) und dem angelsächsischen Raum (Greek New Testament, 3. Auflage) haben sich dabei auf einen einheitlichen griechischen Text geeinigt, der sich nur in den Fußnoten unterscheidet. Doch die Schlussfolgerungen daraus sind trotzdem recht nüchtern. Denn dieser – für die Textrekonstruktion als großer Erfolg geltende – Befund besagt nämlich gar nichts darüber, was seit ihrer ersten Abfassung alles mit diesen Texten geschehen ist. Darauf muss immer wieder hingewiesen werden. Der Befund könnte nämlich sowohl ein Hinweis für eine relativ zuverlässige Überlieferung sein als auch ein Beleg für eine sehr gründliche Ausmerzungs-"Leistung" bei der Vernichtung ursprünglicherer Textfassungen.

Gesichert ist allerdings, dass bereits die Evangelisten um das Jahr 100 ihr vorliegendes Material ganz individuell bearbeiteten und dabei inhaltliche Akzente setzten, die schon damals offenbar erheblich und unter Wissenschaftlern unbestritten vom tatsächlichen Geschehen abgewichen sind. Das wird auch in den Großkirchen so gesehen. Weitere gravierende Änderungen sind dann vor allem im 2. Jahrhundert wahrscheinlich.

Ein eindrückliches Beispiel: So könnte es zwar sein, dass das heute vorliegende Endprodukt des Markusevangeliums vom Evangelisten Markus stammt. Vielleicht war Markus aber auch der Verfasser oder "Redaktor", d. h. Überarbeiter, der vorletzten oder drittletzten Fassung, die dann von einem oder gar zwei weiteren "Redaktoren" in nicht allzu langem zeitlichen Abstand ergänzt wurde. Bei Markus geht man z. B. in der Sprachwissenschaft nahezu einhellig davon aus, dass der Schluss des Buches nicht vom Evangelisten Markus stammt.

Sicher ist auch, dass die entstehende Amtskirche von Anfang an Einfluss auf die Inhalte der Texte nahm – zu einer Zeit, in der sie sich gleichzeitig immer mehr vom ursprünglichen Urchristentum abwandte und sich zunehmend an antiken heidnischen Götzenkulten orientierte (siehe dazu Der Theologe Nr. 25 – Die Kirche, ein totalitärer Götzenkult). Grundsätzlich gilt dabei: Textänderungen werden je später je unwahrscheinlicher, da sich das Material natürlich immer weiter verbreitete und Fälschungen je später je leichter nachzuweisen wären – es sei denn, es wäre auch in späterer Zeit hier und da noch gelungen, alle jeweils umlaufenden Abschriften zu vernichten und nur die vorgenommenen Fälschungen weiter zu verbreiten.

Vernichtete und verheimlichte Quellen

Immerhin konnte nachgewiesen werden, dass die Kirche spätestens nach ihrer Erhebung zur einzigen Staatsreligion unter den Kaisern Theodosius I. (Ostrom) und Gratian (Westrom) im Jahr 380 systematisch alte urchristliche Schriften hat verbrennen lassen. Dabei suchte sie vor allem Unterlagen zu vernichten, die dem entstehenden Dogma zuwiderlaufen könnten, wie z. B. viele Schriften des bekannten Kirchenlehrers Origenes (ca. 185-254). Und so kann man sich natürlich fragen, ob in diesem Zusammenhang auch Handschriften der biblischen Evangelien vernichtet wurden, die teilweise einen anderen Inhalt haben als die heute bekannten? Und hat womöglich Hieronymus hier entscheidend mitgewirkt? Welche Rolle spielte er hier? Wir haben oben bereits diese Fragen gestellt und teilweise beantwortet. Darüber hinaus gehende Antworten wären zunächst spekulativ, wobei es kein Wunder ist, wenn demnächst tatsächlich ein Papyrus auftaucht, der von den anderen bekannten Textzeugen erheblich abweicht; wenn es ihn nicht schon längst gibt und er, was manche Forscher glauben, im Vatikan unter Verschluss liegt. So wird es immer genügend Zündstoff bei diesem Thema geben.

Das bestätigte sich auch vor einiger Zeit, als der Zeitschrift Focus der "Jahrtausend-Fund" des Judas-Evangeliums, das am Ende des 2. Jahrhunderts entstanden sein soll, sogar eine Titelgeschichte wert war (Nr. 13/2005). Darin habe Jesus Judas angeblich um den Verrat gebeten, um sich von Seiner körperlichen Hülle "befreien" zu können. Dieser Unsinn bzw. diese im negativen Wortsinn "vergeistigte" abgehobene Sichtweise der damaligen Ereignisse war eine von vielen Meinungen der damaligen Zeit, die das Wirrwarr der Deutungen um den Tod von Jesus noch weiter vergrößert. Doch immerhin lassen die Auseinandersetzungen um dieses Evangelium in heutiger Zeit ahnen, dass es in früheren Zeiten wohl nicht viel anders war als heute und sie zeigen auf, dass es eben keine zuverlässige Überlieferung gibt.

Und es gibt auch noch Beweise ganz anderer Art, aus denen hervor geht, dass man sich bei der Frage nach Jesus von Nazareth nicht bzw. nicht nur auf die biblischen Evangelien verlassen kann. Sicher ist z. B., dass andere Quellentexte bzw. einige andere Evangelien von der Kirche vernichtet wurden, die sich in wesentlichen Punkten von der Darstellung der uns heute bekannten biblischen Texte unterscheiden. Das geht aus einzelnen Fragmenten hervor, die erhalten geblieben sind und in denen sich unter anderem Hinweise auf die
Reinkarnation finden (z. B. beim Thomasevangelium) oder auf die Tierliebe von Jesus. Dies betrifft z. B. das Ebionäerevangelium bzw. Ebionitenevangelium, wonach Johannes der Täufer sich vegetarisch ernährt und wonach Jesus erklärt, dass Er gekommen sei, um die Tieropfer abzuschaffen und z. B. fragt: "Begehre ich etwa, an diesem Passah Fleisch mit euch zu essen?" (vgl. hier). So gab es also zahlreiche weitere urchristliche Quellen über Jesus von unterschiedlicher Qualität, die gar nicht in die entstehende Bibel aufgenommen wurden, oder einzelne so genannte Jesus-Logien, d. h. einzelne Jesusworte.
Und es ist wohl auch kein Zufall, dass, kurz nachdem Hieronymus in Rom die Bibel erstmals in lateinischer Form vereinheitlichte, die größte Bibliothek der Antike in Alexandria durch Brandstiftung in Flammen aufging, angeblich "versehentlich". Die Mönche der Kirche hätten "doch nur" den benachbarten heidnischen Tempel in Schutt und Asche legen wollen. Das war im Jahr 389. So hat – zur Erinnerung – der bekannte Kirchen- und Bibellehrer Origenes, dem im 3. Jahrhundert noch viel mehr urchristliche Quellen zur Verfügung standen als uns heute, auch an die Präexistenz der Seele und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich an die Reinkarnation geglaubt (nachgewiesen in Der Theologe Nr. 2 – Reinkarnation). Und möglicherweise ging in Alexandria auch vieles von dem in den Flammen unter, was Hieronymus vielleicht bewusst unterschlug. Noch einmal zur Verdeutlichung: Hieronymus war ja kein freier Forscher, sondern er hatte eine Auftragsarbeit in einem totalitären Staat auszuführen.

Die von der Kirche damals beargwöhnten Texte wurden irgendwann dann auch nicht mehr abgeschrieben und finden sich deshalb heute teilweise nur noch in den Schriften altkirchlicher "Sektenbeauftragter" (z. B. Irenäus, Epiphanius). Diese haben ihre außerkirchlichen Gegner bekämpft, und zu diesem Zweck haben sie deren Überlieferung zitiert und dabei nicht selten verfälscht wiedergegeben und gedeutet.
Doch alleine die Tatsache, dass kirchliche Inquisitoren Bemerkenswertes aus diesen Schriften zitieren und von diesen Dokumenten heute anscheinend kein Staubkorn mehr übrig ist, macht deutlich, welche Kämpfe um die Überlieferung der Wahrheit in dieser Zeit stattgefunden haben. Auch vor diesem Hintergrund ist die These von einer gefälschten Bibel auf jeden Fall um einiges wahrscheinlicher als die kirchlichen Behauptungen des Gegenteils.
Dies mag für manchen Bibelleser frustrierend sein, doch
gerade in unserer Zeit gibt es deutlich mehr als die Bibeln. So
haben wir heute Zugang zu Veröffentlichungen, wie z. B. Christus durch weise Menschen und Propheten zu den Menschen gesprochen hat, wie dies auch in der Zeit des frühen Urchristentums noch selbstverständlich geschehen ist. Natürlich kann solches genauso bestritten werden wie es geglaubt werden kann. Aber es bestehen zumindest heute für jeden ehrlichen Gottsucher die Möglichkeiten, diesen Spuren zu folgen und selbst zu lesen bzw. diese Texte mit den Kirchen-Bibeln zu vergleichen. So ist z. B. die durch die Gottesprophetin Gabriele vermittelte umfangreiche Darlegung Das ist Mein Wort
aus dem Jahr 1989 eines der aktuellsten Beispiele für Christusworte durch Prophetenmund in unserer Zeit.

Zum Abschluss dieser Thematik noch einmal zurück zur Bibel: Nachfolgend werden zum besseren Verständnis einige Möglichkeiten der Fälschungen zusammengefasst, die man in mehrere Kategorien einteilen kann, und von denen manches – wie eben dargelegt – auch bereits nachgewiesen ist. (PS: Nicht auf alle Kategorien wurde bislang in diesem Artikel eingegangen.) Und für alle der nachfolgend dargelegten Möglichkeiten gibt es zahlreiche Beispiele. Einige wenige werden jeweils mit genannt.

Fünf Arten von Fälschungen

1) Biblische Schriftsteller fälschen die Botschaft von Jesus oder der Propheten. Z. B. Paulus verändert die Botschaft Jesu (siehe dazu auch in Der Theologe Nr. 5 – Wie Paulus die Lehre von Jesus veränderte). Oder die Priester verkehren die Botschaft der Propheten ins Gegenteil – 100 % beweisbar durch Vergleiche im Alten Testament. Man muss einfach nur vergleichen (siehe dazu z. B. auch Der Theologe Nr. 8 – Wie der Teufel in der Bibel hauste).

2) Kirchliche Überarbeiter oder Priester aus alttestamentlicher Zeit fälschen vorhandene Texte – in der Regel nicht so leicht nachweisbar. Z. B., wenn Jesus von Nazareth gesagt haben soll, auf diesen Felsen werde ich "meine Kirche" bauen: Hat Er nun tatsächlich "Kirche" gesagt, oder haben die Kirchenleute Ihm das nur in den Mund geschoben? Man kann weder das eine noch das andere beweisen. Oder hat es Jesus zwar gesagt, aber damit etwas ganz anderes gemeint? Das meiste beruht auf Indizien bzw. auf Thesen. Näheres dazu in Der Theologe Nr. 51. Oft wurde bereits die mündliche Überlieferung gefälscht, bevor etwas aufgeschrieben wurde – z. B. bei der Person des Mose. Man stellte ihn einfach anders dar als er war und unterstellte ihm z. B., dass Gott durch ihn Tieropfer befohlen hätte.

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

3) Übersetzer verfälschen durch die Übersetzung den ursprünglichen Sinn – leicht nachweisbar, da die Originale vorliegen. Oft ist allerdings umstritten, welches der ursprüngliche Sinn war. Eindeutig ist es z. B. im Jakobusbrief, wo in Kapitel 3, 6 klar vom "Rad der Geburt" die Rede ist, ein Hinweis auf Reinkarnation. Die deutsche Einheitsübersetzung übersetzt jedoch verschleiernd "Umkreis der Existenz" und Luther erfindet einfach einen neuen Sinn und übersetzt "die ganze Welt". Der Hinweis auf ein Wiedergeburts-Rad wird gezielt verwischt bzw. getilgt.

PS: Nach allem, was man bisher sicher von Hieronymus weiß, passt er in keine der drei Kategorien, weil er evtl. nur die bis dahin zugänglichen und teilweise offiziell anerkannten lateinischen Übersetzungen vereinheitlichte und neu übersetzte. Er "fälschte" also nur, was zuvor womöglich auch schon falsch war. Allenfalls könnte man es zur dritten Kategorie hinzurechnen, wenn man umgekehrt davon ausgeht, dass seine neue Übersetzung schlechter war als die alten. Oder man nimmt die Situation zum Anlass, um einmal deutlich zu machen, warum sich die Bibelübersetzer gegenseitig der "Fälschungen" bezichtigten, was darauf hindeutet, dass es gar nicht möglich ist, sich auf einen zuverlässigen Text berufen zu können.

4) Die vierte Kategorie ist die "falsche Eindrucksvermittlung". Ein Übersetzer dreht den Text abweichend vom ursprünglichen Sinn in eine bestimmte Richtung. Die Übersetzung ist nicht beweisbar gefälscht, aber letztlich doch gefälscht, da man nicht nach dem ursprünglichen Sinn fragt, sondern dasjenige aus dem Text herausholen will, was man selbst dort zu lesen wünscht. Martin Luther hat diese Methode der Fälschung ständig angewandt (Belege hierzu in Der Theologe Nr. 1 – Wer folgt Martin Luther und wer folgt Jesus von Nazareth?

und in Der Theologe Nr. 2 – Reinkarnation)
, z. B., wenn er einen Satz von Jesus mit den Worten übersetzt "Wer zum Schwert greift,
soll durch das Schwert getötet werden", während es aber eigentlich heißt "wird getötet werden" – ein großer Unterschied. Und die römisch-katholische Kirche hat ihre "falschen Eindrucksvermittlungen" durch die oben genannte Instruktion von Johannes Paul II. aus dem Jahr 2001 sogar zur verbindlichen Norm gemacht. Denn dort heißt es, dass bei einer Übersetzung "die katholische Glaubenslehre" "berücksichtigt" werden müsse. Und wenn man – was mehr als wahrscheinlich ist – auch in früheren Jahrhunderten so gearbeitet hat – dann bestätigt dies die These des Theologen Moris Hoblaj, dass die Bibel vor allem das "maßgeschneiderte Buch der Kirche" ist.

5) Dies führt schließlich zur fünften Kategorie der Fälschung, der Projektion von eigenen Meinungen oder Überzeugungen in die Bibel hinein, was vor allem durch die römisch-katholische Kirche "meisterhaft" beherrscht wird. So sagte z. B. Papst Benedikt XVI. am 22.4.2011 auf RAI I über die Rolle Marias: "Da mag mancher sagen: Aber das hat doch kein biblisches Fundament! Darauf antworte ich mit dem heiligen Gregor dem Großen: Mit dem Gelesenwerden wachsen die Worte der Heiligen Schrift. Das heißt: Sie entwickeln sich in die Wirklichkeit hinein und wachsen immer mehr in der Geschichte."
Scheinheiliger kann man kaum formulieren, dass man ein Bibelfälscher ist. Es geht der Kirche also nicht mehr um den ursprünglichen Wortlaut biblischer Texte und um die Rekonstruktion des ursprünglichen Sinns. Sondern maßgeblich ist für sie, dass die spätere römisch-katholischen Lehre, welche die Kirche mit der "Wahrheit" gleichsetzt, wie auch immer in biblische Texte hineinprojiziert werden kann. Letztlich wird die Botschaft der Bibel auf diese Weise dermaßen verhöhnt, dass jeder Bibelgläubige sich hier entrüstet abwenden müsste. Eine ähnliche Rückprojektion unbiblischer Fakten in die Bibel betreibt die Kirche übrigens auch, wenn sie aus dem angeblichen Jesuswort an Petrus, dass dieser der "Fels" sei, die Einsetzung des Papsttums durch Jesus begründen will.
Und den Evangelischen, die einst unter dem Motto "Zurück zur Bibel" im 16. Jahrhundert begonnen haben, geht es heute auch immer weniger darum, was in den Bibeln an Wahrheiten zu finden ist, sondern vor allem darum, in der Ökumene von der römisch-katholischen Kirche, die in Wirklichkeit eine römische Baalskirche ist (siehe hier), als vollwertige Kirche anerkannt zu werden.

"Du sollst nicht töten" oder "Du sollst nicht morden"?

Zum Abschluss dieser Untersuchung noch ein Beispiel für die Art von Bibelfälschung, wenn Übersetzer den ursprünglichen Sinn verfälschen. Eines der bekanntesten Gebote lautet "Du sollst nicht töten", es ist das 5. Gebot (nach anderer Zählung das 6. Gebot), und es stammt aus dem Alten Testament der Bibel, genau in Exodus 20, 13 bzw. 2. Mose 20, 13. Um es vorweg zu sagen: "Du sollst nicht töten" heißt nun einmal "Du sollst nicht töten", und jedes Lebewesen, das getötet werden kann, soll demnach nicht getötet werden. Denn von Ausnahmen steht hier nichts, und es ist von daher folglich klar, was gemeint ist. So weit also zum Verständnis des Gebots, bevor wir einen Blick darauf werfen, wie intellektuell verdorbene Theologen spitzfindige Ausnahmekonstruktionen zu erfinden versuchen.
 
Eine erste kirchliche Ausnahmeerlaubnis betrifft angeblich das Tögen von Tieren, denn angeblich sei nur das Töten von Menschen gemeint gewesen. Doch wo steht hier, dass Tiere nicht gemeint seien? Der Mensch ist nicht in der Lage, auch nur eine Mücke zu erschaffen und ihr das Leben zu geben. Wieso maßt er sich dann an, seinen Mitgeschöpfen den Lebensatem und damit das Leben nehmen zu dürfen? Und so heißt es auch im unverfälschten Schöpfungsbericht über die Zeit, in der nach Gottes Plan alles demnach noch "sehr gut" war: "Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut" (Genesis = 1. Mose 1, 29-31). Nicht mehr gut war es dann, als der Mensch Tiere tötete und im Laufe der Entwicklungsgeschichte auch die Tiere zu Tötern von ihresgleichen wurden. Mehr dazu siehe in Der Theologe Nr. 7. Darüber ist auch einiges in einem christlichen Text der Antike zu lesen, in welchem berichtet wird, wie Dämonen den Menschen das Schlachtmesser brachten.

Nun aber zur nächsten kirchlichen Ausnahme, der klerikalen Erlaubnis, Menschen im Krieg töten zu dürfen oder sie per Todesstrafe hinrichten zu dürfen. In den Zehn Geboten steht auch von einer solchen Ausnahme nichts. Wer aber hat sie dann erfunden? Und wie wird sie begründet? Um die Ausnahmeerlaubnis der Kirchenführer den Menschen zu erklären, wird dieses 5. Gebot in der deutschen Sprache uminterpretiert in "Du sollst nicht morden". Das sei eigentlich gemeint. Und um diese Irreführung zu bekräftigen, hatte man in der von der Deutschen Bischofskonferenz autorisierten evangelisch-katholischen Einheitsübersetzung der Bibel 1980 eigens auch noch den Text mit geändert. Auch dort hieß es nun plötzlich wörtlich "Du sollst nicht morden" (vgl. dazu die Rücknahme dieser Wortlaut-Änderung im Jahr 2016; siehe hier). Mit dieser Interpretation bzw. Umformulierung im Wortlaut wird die Unterscheidung zwischen Morden und Töten aus dem deutschen Strafrecht der Gegenwart in das Alte Testament zurückprojiziert. Und die selbstherrlichen Bibelakrobaten der Kirche interpretieren in diesem Sinne dann ihre Bibel: Das Töten sei demzufolge nur dann nicht erlaubt, wenn es juristisch als Morden definiert werden könne.

"Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig."
(Paulus, 2. Korinther 3, 6)

Zu dieser klerikalen Konstruktion ein kleiner Rückblick auf den Kosovo-Krieg der Nato im Jahr 1999, der das Töten im Krieg in neuerer Zeit einleitete; denn es folgte der Afghanistan-Krieg, der Krieg der "Willigen" gegen den Irak, die Kriege gegen Libyen, gegen Syrien usw. sowie das Kriegsgeheul der USA-Regierung in Richtung Iran [2019]. Auch die deutsche Bundeswehr hatte sich an diesem Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien im Jahr 1999 beteiligt, nachdem man – wie sich später herausstellte – auf Grund massiv gefälschter Zahlen über Opfer der jugoslawischen Armee unter albanischen Aufständischen sich für den Angriff entschieden hatte, gegen den Jugoslawien keine militärische Chance hatte. Damit ließ man aber auch viele Menschen töten, die man gar nicht töten wollte. Von ca. 1000 getöteten Kriegsopfern auf serbischer Seite war die Rede, darunter viele Zivilisten.
Angesprochen auf das Gebot "Du sollst nicht töten" erklärte das Verteidigungsministerium der Bundesrepublik Deutschland unter dem damaligen römisch-katholischen SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping, in Wirklichkeit heiße das Gebot "Du wirst nicht morden", was aber eine noch weitgehendere Bibelfälschung ist; durch die neu in das Gebot hineingedichtete Formulierung "wirst nicht" statt dem korrekten "sollst nicht". Und das Ministerium verfasste dazu eine Stellungnahme, in der es hieß: "In letzter Konsequenz bedeutet es ..., dass, wer in einer solchen Situation unabweisbar auch Schuld auf sich lädt, um in diesem Falle unsagbares Übel zu beenden, fest auf die Vergebung vertrauen darf."

Doch immerhin berichtete selbst die ARD schon ein Jahr später, im Jahr 2000, über "Scharpings Propaganda im Kosovo-Krieg", und 2001 enthüllte die ARD in einem sehenswerten
Film weitere Lügen und, "wie schon vom ersten Tag des Kosovo-Krieges an die Bevölkerung getäuscht wurde
. Er zeigt auf, wie Tatsachen verfälscht und Fakten erfunden, wie manipuliert und auch gelogen wurde".

Doch nicht nur im Hinblick auf die Konfliktsituation im Kosovo wurden Unwahrheiten verbreitet; von Politikern und Kirchenführern auch im Hinblick auf die Zehn Gebote Gottes, gegeben durch den Gottespropheten Mose, die angeblich das Töten unter kirchlich definierten Bedingungen erlauben. So predigen es die Feldprediger und Militärseelsorger der beiden großen Kirchen den Soldaten und ihren Befehlshabern seit vielen Jahrhunderten. Und vor 1945 und in den früheren Jahrhunderten hatte man eine "Schuld" dabei noch nicht einmal eingestanden, wie es jetzt zumindest im Wortlaut der Erklärung des Ministerium steht. Und zu diesem Zweck des Töten-Dürfens, das in unserer Zeit immer mehr bezweifelt wird, wurde schließlich auch das 5. Gebot der evangelisch-katholischen Einheitsübersetzung im Alten Testament (AT) von 1980 gefälscht von "Du sollst nicht töten" in "Du sollst nicht morden". Damit konnten die Theologen und Kirchenleiter den Politikern und Militärs seither ein eindeutiges Schlupfloch für zukünftiges kirchlich "erlaubtes Töten" im Krieg auch im Wortlaut präsentieren im Unterschied zum von ihnen so definierten "unerlaubten Morden". Und damit auch die Freunde der Lutherübersetzung, in der es weiterhin "Du sollst nicht töten" hieß, dies so sehen können, behauptete beispielsweise der Evangelische Erwachsenenkatechismus (6. Auflage, Hannover 2000) auf S. 262: "´Du sollst nicht töten`, das genauer gefasst bedeutet: ´Du sollst nicht eigenmächtig totschlagen`".
Für das Opfer kommt es allerdings auf das Gleiche heraus, ob "getötet" oder "ermordet" oder "eigenmächtig totgeschlagen", denn tot ist nun mal tot. Und der Getötete wird sich im Jenseits wohl kaum damit trösten können, dass es doch nicht so schlimm sei, da er doch "nur" getötet worden sei, nicht aber "eigenmächtig totgeschlagen" oder "ermordet".

Kurioserweise vergaß man, oder man traute sich nicht, in der Einheitsübersetzung das Gebot im Neuen Testament (NT) ebenfalls gleich mit zu ändern, also gleich mit zu fälschen. Dort wurde das 5. Gebot von Jesus von Nazareth auch laut der ersten Fassung der Einheitsübersetzung, die von 1980 bis 2016 Gültigkeit hatte, wie folgt zitiert: "Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist ´Du sollst nicht töten` [hier müsste es dann ja eigentlich auch heißen ´Du sollst nicht morden`] ... Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein". (Mt. 5, 21 f.)
Vielleicht rührte sich bei so manchem Bibel-"Übersetzer" noch das Gewissen, als es darum ging, Jesus von Nazareth am Ende ebenfalls die Fälschung unterzuschieben, und man traute sich erst einmal doch nicht. Und Jesus von Nazareth hat hier eindeutig das Gebot erweitert: Nicht erst das Töten ist gegen das Gottesgebot, sondern bereits der allzumenschliche Zorn. Und wer von denen, die sich "christlich" nennen, will behaupten, dass Jesus hier nicht die Wahrheit sagt? Und wer Ihm doch unterstellt, die Unwahrheit zu sagen, der soll sofort aufhören, sich "christlich" zu nennen.
Gemäß der kirchlichen Falschmünzerei und Lügenakrobatik um das Nicht-Töten in den Zehn Geboten müsste dieses Jesus-Wort dann so zu verstehen sein: Morden sei nicht erlaubt, Töten aber schon (weil dann folglich ja auch hier angeblich "nicht morden" gemeint sein müsse), der Zorn sei dann aber wieder nicht erlaubt. Und so haben sie es ja auch Jahrhunderte lang mit grausamstem Zynismus und Sadismus praktiziert, indem die katholischen und der evangelischen Inquisitoren sich heuchlerisch bemühten, Andersdenkende angeblich nicht aus Hass oder Zorn grässlich zu foltern und umbringen zu lassen, sondern angeblich aus "Liebe".

Sprachwissenschaft, gesunder Menschenverstand und Fälschungsakrobatik

Als eine Bibelverbiegung bzw. Bibelfälschung könnte man die deutsche Einheitsübersetzung von 1980 auch sprachwissenschaftlich bezeichnen. Denn im hebräischen Text der Bibel kann eine stärkere Sinn-Bedeutung eines Verbs grundsätzlich auch sprachlich zum Ausdruck gebracht werden. Und ein Beispiel dafür könnte eben auch sein, wenn man das Wort "töten" "verstärken" möchte, etwa dahin gehend, wofür man im Deutschen "morden" sagt. Von dieser üblichen sprachlichen Möglichkeit im Hebräischen, nämlich der Verdopplung des mittleren von drei Buchstaben, in diesem Fall des Verbs "razach" [für Insider = hebräische "Piel"-Form], macht aber dieser in dem wissenschaftlichen Standardwerk Biblia Hebraica Stuttgartensia wiedergegebene Urtext der Bibel keinen Gebrauch. Das führt wiederum zu der Schlussfolgerung, dass die Übersetzung des Gebots "Lo tirzach" (vom Verb "razach") ins Deutsche mit "Du sollst nicht töten", wie sie Jahrhunderte lang üblich ist, auch von daher die naheliegende ist. Und so wird es ja auch in unserer Zeit in den meisten deutschen Übersetzungen (siehe dazu z. B. bibleserver.com) überliefert: "Du sollst nicht töten."

Im hebräischen Urtext heißt es "Du sollst nicht töten" ("Lo tirzach"). Doch die Sprachwissenschaft führt nicht zur Wahrheitsfindung, wenn Priester die Worte durch Prophetenmund nach ihrem Gutdünken fälschen.

Doch die Sprachwissenschaft ist hier gar nicht entscheidend. Und sie ist leider auch das Feld, auf dem die modernen kirchlichen Tötungsanstifter weiter wüten; und mit ihnen einige Gelehrte aus dem Judentum, welche das gleiche Interesse wie sie vertreten. So lautet deren Argument: Warum habe der Bibelschreiber dann an dieser Stelle aber nicht die hebräische Formulierung "nicht harag" verwendet, um damit "nicht töten" auszudrücken. Denn das sei wohl von der Grundbedeutung des Verbs von vorne herein zutreffender gewesen als die dann tatsächlich verwendete Formulierung "nicht razach"? Vielleicht einfach deshalb nicht, weil damals noch klar war, was mit dem Gebot gemeint ist: Nicht töten, ohne Ausnahme! In diesem Zusammenhang könnte dann aber ein für Außenstehende nicht mehr überprüfbarer und nicht mehr nachvollziehbarer intellektueller Gelehrtenstreit um die richtigen Buchstaben beginnen.
Und hier sind sich interessanterweise auch die jüdischen Gelehrten nicht einig. So weist Eliezer Segal in der Jüdischen Allgemeinen vom 9.11.2006 auf das Argument hin, dass "razach" auch im Zusammenhang einer Todesstrafe verwendet wurde, was unsere eingangs erwähnte Sichtweise bestätigt. Denn "nicht razach" – die Formulierung in dem Gottesgebot – heißt dann folglich nicht nur "nicht morden", sondern "nicht töten, ohne Ausnahme", also auch Todesstrafe als Ausnahme nicht erlaubt, auch Krieg nicht, usw. Wörtlich: "
Don Isaac Abravanel und andere heben hervor, daß ´ratsah` [= razach] im 4. Buch Moses (35, 27–30) gebraucht wurde, wo es um einen berechtigten Fall von Blutrache und um die Todesstrafe geht – beides fällt nicht unter die Kategorie von ´morden`. Auch einige bedeutende jüdische Philosophen waren der Überzeugung, dass ´Du sollst nicht töten` eine exakte Übersetzung des Sechsten Gebotes ist. Maimonides (Rabbi Moshe ben Maimon) beispielsweise schrieb, dass sich bei der Tötung eines Menschen in jedem Fall um eine Verletzung des Gebotes handelt ..."

Der bekannte jüdische Gelehrte Maimonides hatte hier das Gespür für den Gottespropheten Mose, durch den das Gebot gegeben und damals auch eindeutig verstanden wurde, bevor seine Bedeutung von der damaligen Priestergilde verunstaltet und verfälscht worden war. Diese rechtfertigten – so wie die heutige kirchliche Priestergilde mit ihren Theologen – die Bibelinterpretation von "Du sollst nicht töten" im Sinne von "Du sollst nicht morden" dann vor allem damit, dass sich ansonsten der Gott, der die Gebote gab, ja selbst nicht daran halten würde, da er ja an anderen Bibelstellen das Töten im Krieg angeblich immer wieder befehlen würde. Und deshalb sei eben schon von daher "nicht morden" die richtige Interpretation; und darüber hinaus im Deutschen auch die richtige "Übersetzung", was dann 36 Jahre lang (von 1980 bis 2016) auch so in der Einheitsübersetzung stand, bis es wieder zurück geändert wurde.
Damit waren die Fälscher von heute aber den Fälschern von damals aufgesessen, schriftgelehrten Priestern, welche das so genannte Alte Testament in ihrem Sinne "überarbeitet" haben und damit den Willen Gottes verfälschten. Und dazu noch ein Gedanke am Rande: Waren es die heutigen Theologen womöglich selbst? In einer früheren Inkarnation?

Fassen wir zusammen: Das Gebot "Du sollst nicht töten" entspricht dem Gesetz Gottes. Die angeblichen Gottesgebote "Töten der Feinde im Krieg erlaubt" und "Todesstrafe soll vollzogen werden", die in anderen "Mosebüchern" so zu lesen sind, wurden "Gott" und Seinem Propheten Mose dann von Priestern und Schriftgelehrten nur unterschoben. Sie gehen also auf die Priesterkaste mit ihren Gewaltlehren zurück (das "System Baal"), über die schon der Gottesprophet Jeremia ausgerufen hat: "Wie könnt ihr sagen: Weise sind wir, und das Gesetz des Herrn ist bei uns? Ja. Aber der Lügengriffel der Schreiber hat es zur Lüge gemacht." (8, 8)

Zur Verdeutlichung: Eine der Quellenschriften des Alten Testaments wird in der Wissenschaft sogar eigens als "Priesterschrift" bezeichnet, um damit auf die Autoren hinzuweisen. Doch auch in den anderen so genannten Quellenschriften waren die Priester am Werk. Im Lexikon zur Bibel von Fritz Rienecker (Wuppertal 1980) steht mit klaren Worten: "Nach jüdischer Überlieferung hat Esra das mosaische Gesetz, das beim Untergangs Jerusalems 586 v. Chr. verbrannt sein soll, neu geschrieben." Und wer war Esra? Man ahnt es schon: Ein Schriftgelehrter und Priester; er hatte um das Jahr 450 v. Chr. gelebt. Was aber stimmte nun in diesem von Esra "neu Geschriebenen" noch mit dem Bisherigen überein, das der Gottesprophet Mose tatsächlich gebracht hatte? Was also Esra und womöglich weitere Vertreter der schriftgelehrten Priesterkaste umgeschrieben = gefälscht hatten, konnte niemand mehr kontrollieren oder anhand der bis dahin zugänglichen Quellen beweisen.

Eiskalte Wortspiele

(Ein Kommentar zur Auseinandersetzung, ob es in den Bibeln heißt "Du sollst nicht töten" oder "Du sollst nicht morden").
 
Die Ermordung von Jesus war ein Opfer.
Die Ermordung des Stephanus war eine Hinrichtung.
Die Ermordung der Urchristen in der Arena ein Martyrium.
Die Hinrichtung unschuldiger Frauen im Mittelalter war ein Autodafé.
Soldaten fallen im Krieg.
Rehe werden vom Waidmann gehegt und gejagt.
Alles und viel mehr sind oft nur Wortspiele, um nicht "Mord" zu sagen.
Auf der Gefühlswaage gibt es aber keinen Unterschied.
"Wer einen Ochsen schlachtet, gleicht dem, der einen Mann erschlägt", also ermordet, so der Prophet Jesaja.
Wer Tiere tötet, um sie zu essen, ist ein Tierkannibale.
Er tut es vorsätzlich, organisiert und geplant. Also begeht er Mord.
Wer Bodenlebewesen mit Gülle und Chemikalien tötet, mordet sie.
Den Unterschied "Töten – Morden" gibt es im Gesetz des Lebens nicht.
Vieles ist kaltes, gefühlloses, intellektuelle Spiel mit Worten.
Es spielt keine Rolle mehr, was im hebräischen Text steht,
denn Morden ist gleich Töten und umgekehrt.
Gott erlaubt weder Morden noch Töten.
Und außerdem: Die Steintafeln mit den Zehn Geboten sind verschollen, mündliche Überlieferung ist nicht überprüfbar.
Was stand wirklich auf den Tafeln?
Und wer hat das Wort "morden" in das Mosebuch geschrieben?
War es nicht der Priester Esra? Mose war es nicht.
Gott ist ewiges, unvergängliches Leben, das ist Sein Wesen.
Wer also ein Lebewesen daran hindert, weiter zu atmen, ganz gleich auf welche Art und Weise, ist gegen Gott, das Gesetz, das Leben.
 

Doch offenbar bekamen die heutigen Fälschungsakrobaten nach 36 Jahren mit ihrer "Du sollst nicht morden"-Präsentation in der Einheitsübersetzung doch wieder "kalte Füße" und änderten es für die "Revision", die im Jahr 2016 erschienene Überarbeitung dieser Bibelübersetzung, doch wieder ab. So heißt es in Exodus 20, 13 nun auch dort wieder "Du sollst nicht töten". Ein Gesinnungswandel hat deswegen aber nicht stattgefunden. Denn dies wird ja weiterhin im Sinne von "Du sollst nicht morden" interpretiert, einschließlich der entsprechenden Tötungserlaubnisse z. B. im Krieg oder gegenüber Tieren oder unter Umständen für Todesstrafen. Geändert hat sich also bis heute [2022] gar nichts. Nur die Unverfrorenheit, im Sinne der eigenen Falsch-Interpretation auch den Bibeltext selbst gleich mit zu manipulieren, die man hat man bei der Einheitsübersetzung zurück genommen. Nicht jedoch in einigen anderen Übersetzungen, darunter die evangelische Neue evangelistische Übersetzung (NeÜ) von 2009, die evangelisch-katholische Gute Nachricht Bibel, die Übersetzung von Martin Buber ("Morde nicht") sowie in Englisch die English Standard Version und New International Version ("You shall not murder"). Dort ist weiterhin die "tötungsfreundliche" Interpretation der Theologen auch in einen entsprechenden Wortlaut gefasst worden.

Eine weitere Idee dazu: Man könnte aber auch einmal seinen gesunden Menschenverstand einschalten und sich fragen: Wenn schon das Lügen, das Begehren, das Stehlen, das Ehebrechen und einiges mehr gegen die Gebote Gottes verstößt, wäre es dann nicht unlogisch, dass ausgerechnet das Töten, das doch viel schwerwiegender ist, nicht gegen die Gebote verstoßen soll? Nur eben das Morden? Frei nach dem Motto: "Töten wird man ja wohl noch dürfen." Oder: "Ich darf dich zwar nicht belügen oder bestehlen, aber töten darf ich dich, nur nicht morden."
 
Liebe Leserinnen, liebe Leser! Deshalb: Bewahren Sie sich bei allem, was Sie hören und lesen, immer auch Ihren gesunden Menschenverstand, denn auch er ist von Gott geschenkt. Und lassen Sie sich nicht von Papst Bergoglio konfus machen, der predigte: "Herr, bewahre uns vor der Versuchung des gesunden Menschenverstands!"

Denn wer den Versuch macht, den gottgegebenen Verstand mit einzubeziehen, der entdeckt schnell die Absurdität der kirchlichen Dogmen und Lehrentscheidungen, und er kommt auch den Bibelfälschungen mehr und mehr auf die Spur.

 


 

Mehr zur Bibel lesen Sie hier:

Wie der Teufel in der Bibel hauste

Was hat die Bibel gebracht? Schlagt die Bibel zu, legt die Bibel weg


Der Text  kann wie folgt zitiert werden
:
Zeitschrift "Der Theologe", Hrsg. Dieter Potzel, Ausgabe Nr. 14: Die gefälschte Bibel und die dort noch enthaltene Wahrheit – Hieronymus und die Vulgata im Widerstreit zwischen Wahrheit und Fälschung, Wertheim 2004, zit. nach theologe.de/theologe14.htm, Fassung vom 30.10.2023;
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